Читать книгу Mit Killern muss man teilen: Thriller Sammelband 11 Krimis - A. F. Morland - Страница 16
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ОглавлениеDanach schaute ich mich in der Wohnung um. In der Küche herrschte peinliche Sauberkeit; der Kühlschrank war leer bis auf eine Dose mit belgischem Bier.
Nirgendwo fand sich ein schriftlicher Hinweis; ich entdeckte nichts was konkrete Schlüsse auf Namen und Person des Mannes mit der heiseren Stimme gestattete.
Ich schaute mir die Wohnungstür an. Sie hatte kein Namensschild. Ich machte im Treppenhaus Licht und ging nach unten. Im Erdgeschoss führte eine Tür in das Lokal. Sie diente als Ausgang zu den Toiletten. Wilson war durch diese Tür vom Lokal ins Hausinnere gelangt. Ich öffnete sie und trat über die Schwelle.
Die Kneipe war größer, als ich erwartet hatte. An der Theke standen fünf Männer. Die Tische waren unbesetzt. Ein Deckenventilator bekämpfte ohne sichtbaren Erfolg die stickige verbrauchte Luft, die sich vielschichtig und zäh in der Luft hielt.
Ein Mann drehte sich um und starrte mich an, als sähe er einen Geist. An der Theke bediente ein junges Mädchen. Sie hatte ein leidlich hübsches Gesicht. Die Härte in ihren Augen und ein paar kaum auffallende dünne Kerben an den Mundwinkeln machten deutlich, dass sie gelernt hatte, sich in dieser sehr unweiblichen Umgebung zu behaupten.
Ich blickte das Mädchen an.
„Gehört Ihnen das Lokal?“
„Nein“, sagte sie. „Möchten Sie’s kaufen?“ Einige der Männer lachten.
„Wer ist der Besitzer?“, fragte ich.
„Johnny. Wollen Sie ihn sprechen?“
„Ja, wo finde ich ihn?“
„Er hat im Augenblick zu tun. Wer sind Sie überhaupt?“
Ich zeigte ihr meinen Ausweis. Sie betrachtete ihn sehr genau und gab ihn dann zurück. „Eine FBI-Agentin!“, sagte sie. Es war klar, dass die Information die Gäste aufklären sollte. Die Stimme des Mädchens klang verächtlich.
Die Männer an der Theke musterten mich, weder feindselig noch freundlich, eher neugierig. Es war schwer, ihre Gedanken zu erraten. Ob der Mann mit der heiseren Stimme oft hier unten getrunken hatte? Ob sie ihn kannten?
„Kommen Sie mit“, sagte das Mädchen. Als ich ihr folgte, stellte ich neidlos fest, dass sie lange, schlanke Beine und eine gute Figur hatte. Durch eine Tür am hinteren Ende der Kneipe gelangten wir in einen Lagerraum. Zwischen gestapelten Bier und Flaschenkisten führte ein schmaler Zugang zu einer weiteren Tür, auf der Privat stand.
„Gehen Sie da hinein“, sagte das Mädchen. Sie blieb stehen, um mich vorbeizulassen.
„Wie heißt der Wirt mit Nachnamen?“
„Tiggers, er heißt Johnny Tiggers“, sagte sie. Ich ging an ihr vorbei. Sie machte mir keinen Millimeter Platz, so dass ich sie streifte. Ich ging auf die Tür zu und klopfte. Das brummige „Ja?“, das unmittelbar darauf ertönte, klang unwirsch. Ich öffnete die Tür und trat über die Schwelle.
Das Zimmer war ziemlich groß. Es enthielt eine seltsame Mischung von Büro, Wohnzimmer und Kneipenmöbeln. Die Lampe brannte nicht, aber ich erkannte die säuberlich aufeinander gelegten Chips in der Mitte des Tisches. Wahrscheinlich wurde hier oft gepokert.
Die einzige Lichtquelle des Raumes war eine Schreibtischlampe. Ihr Schein reichte bis zu dem kleinen eisernen Ofen, in dem ein flackerndes Feuer brannte. Es roch nach verbranntem Papier. Der Mann stand direkt vor dem Ofen. Er hatte einen Schürhaken in der Hand. Offenbar lag ihm viel daran, das verbrannte Papier zu Asche zu zerstoßen.
„Wer, zum Teufel, sind Sie?“, herrschte er mich an.
„Carrie Hill ist mein Name“, sagte ich. „Leiden Sie zufällig an Malaria?“
„Nein, warum?“
„Es ist ein bisschen ungewöhnlich, Feuer zu machen, wenn das Thermometer 25 Grad Celsius anzeigt.“
„Ich verbrenne Altpapier. Haben Sie was dagegen?“ Er kam auf mich zu, den Schürhaken in der Hand.
„Sie sind doch Mr. Tiggers?“, fragte ich.
„Wollen Sie ein Autogramm von mir?“, erkundigte er sich drohend. „Wenn Sie Wert darauf legen, schreibe ich’s mit dem Schürhaken.“
Johnny Tiggers war ein großer muskulöser Mann mit einem kurz geratenen Hals, einem runden Gesicht und kleinen, weit auseinander stehenden Augen, in denen es tückisch funkelte. Er sah nicht aus wie ein sehr jovialer Gesprächspartner. Seine Worte, seine Haltung und der Schürhaken in seiner Rechten trugen dazu bei, diesen Eindruck zu vertiefen.
„Carrie Hill“, knurrte er und blieb dicht vor mir stehen. Er roch nach Schweiß und Bier. Bekleidet war er mit einer Hose, die seinen vorstehenden Bauch unterstrich und einem Polohemd aus giftgrüner Baumwolle.
„Darf ich erfahren, was Sie von mir wollen? Fassen Sie sich kurz, Hill, ich habe noch eine Menge zu tun!“
„Viel zu verbrennen, meinen Sie?“
Er grinste. „Es geht Sie einen feuchten Dreck an, was ich tue! Beantworten Sie lieber meine Fragen, sonst setze ich Sie an die frische Luft!“
„Das Fragestellen besorge im Allgemeinen ich“, teilte ich ihm freundlich mit und holte meinen Ausweis hervor. Er blinzelte beim Lesen, als hätte er Mühe, die Beschriftung zu entziffern.
Dann machte er kehrt und trat an den Schreibtisch. Er legte den Schürhaken wie ein Lineal auf die Platte, griffbereit. Er setzte sich und drehte den Schirm der Lampe so, dass sein Gesicht weitgehend im Schatten blieb. Mir schien es so, als atmete er rascher und etwas gepresst
„Nehmen Sie Platz!“, knurrte er.
Ich ließ mich ihm gegenüber in einem alten Drehsessel nieder und schlug ein Bein über das andere. „Sind Sie der Hausbesitzer?“, fragte ich.
„Ja.“
„Wer hat die Mansarde gemietet?“
„Mr. Nelson.“
„Sagten Sie Nelson?“
„Bin ich so schlecht zu verstehen? Ja, ich sagte Nelson!“, schnappte er.
„Wie lange wohnt er schon hier?“
„Drei Monate.“
„Was treibt er beruflich?“
„Er hat ’ne Vertretung, glaube ich.“
„Was vertritt er?“, wollte ich wissen. „Das Verbrechen?“
„He, was sollen diese Anspielungen? Für Mr. Nelson lege ich die Hand ins Feuer.“
„Ich empfehle Ihnen, sich auch der kleinsten Details zu erinnern, die mit dem samt stimmigen Mr. Nelson zusammenhängen. Die Mordkommission interessiert sich ebenso sehr dafür wie ich. Aus diesen Worten können Sie ohne Mühe entnehmen, dass Nelson unter Mordverdacht steht.“
Tiggers schluckte. „Nelson ein Mörder? Jetzt nehmen Sie mich hoch!“
„Wilson war vorhin bei Ihnen, nicht wahr?“
„Bei mir? Nein. Wer ist Wilson? Ich kenne ihn nicht!“
„Ronny Wilson“, sagte ich. „Reporter der New York Post.“
„Ach der! Er ist nicht hier gewesen, jedenfalls nicht bei mir“, erklärte Tiggers.
„Wer ist das Mädchen, das im Lokal bedient?“
„Eine Nichte von mir, Nancy Summer. Sie macht ihre Sache gut.“ Er schüttelte den Kopf. „Mr. Nelson ein Mörder! Unglaublich. Wen soll er umgebracht haben?“
„Ronny Wilson unter anderem.“
Tiggers schluckte abermals. „Wo ist es passiert?“
„Hier im Hause. Kriegen Sie keinen Schreck, wenn die Sirenen in wenigen Minuten losheulen. Die Polizei ist schon auf dem Wege nach hier.“
„Ich bin nicht schreckhaft“, murmelte er. Er schielte den Schürhaken an. Ich fragte mich, was in Tiggers vorging. Er schüttelte abermals den Kopf, ohne etwas zu sagen.
„Ich möchte sichergehen“, meinte ich. „Beschreiben Sie mir Mr. Nelson, bitte!“
„Well... er sieht gut aus. Ich würde sagen, dass er fast vierzig ist. Sportlich athletische Figur, sicheres Auftreten, dunkles Haar, sehr helle Augen und eine heisere Stimme. Genügt das?“
„Das genügt“, nickte ich. „Empfing er viel Besuch?“
„Woher soll ich das wissen? Ich kümmere mich nicht um die Hausbewohner, solange sie pünktlich die Miete bezahlen.“
„Mischte sich Nelson gelegentlich unter die Gäste Ihres Lokals?“
„Das kam höchst selten vor. Er fand niemals den rechten Kontakt zu den Leuten, und wahrscheinlich wollte er das auch gar nicht. Er ist was Besseres.“
„Finden Sie?“, fragte ich bitter. „Wie haben Sie das festgestellt?“
„Ich setze natürlich voraus, dass er kein Mörder ist“, meinte Tiggers wie entschuldigend. „Nelson spricht und kleidet sich anders als die meisten Leute aus der Pilgrims Lane.“
„Welchen Wagen fährt er?“
„Einen Chevrolet, letztes Baujahr.“
„Haben Sie die Nummer im Kopf?“
„Nee. Ich bin doch kein Gedächtniswunder!“
„Hatte Mr. Nelson vor auszuziehen?“
„Nein, warum?“
„In der Wohnung befinden sich außer einigen Toilettensachen keine Hinweise darauf, dass jemand darin wohnt. Der Kleiderschrank ist leer, und im Kühlschrank ist nur noch eine Dose Bier.“
„Tatsächlich?“, wunderte sich Tiggers. „Das ist seltsam!“
„Offenbar hat Ihr seriöser Mr. Nelson sowieso die Absicht gehabt, diese, hübsche Gegend zu verlassen“, vermutete ich. „Kurz vor seiner Abreise kreuzte Ronny Wilson auf – und dieses Zusammentreffen endete mit einem Mord.“
„Wilson ermordet – hier, in meinem Haus!“, murmelte Tiggers. „Unglaublich!“
Ich erhob mich. „Ich werde jetzt ein paar Worte mit Ihrer Nichte wechseln“, sagte ich und ging zur Tür.
„Okay“, sagte er dumpf. Ich verließ das Zimmer. Als ich das Lokal betrat, war kein Gast mehr anwesend. Das Mädchen stand hinter der Theke und polierte Gläser. Sie schaute mich an und fragte: „Unterredung beendet?“
Ich schüttelte den Kopf. „Nicht ganz. Wo sind die Gäste geblieben?“
„Gegangen, das sehen Sie doch!“
Ich setzte mich auf einen der Barhocker am Tresen. Es hatte keinen Sinn, sich aufzuregen. Die Burschen hatten verständlicherweise keine Lust gehabt, in eine FBI Ermittlung verwickelt zu werden.
„Möchten Sie was trinken?“, fragte das Mädchen und hielt ein Glas gegen das Licht, um zu sehen, ob es sauber war.
„Geben Sie mir einen Kaffee, bitte.“
„Kaffee?“, fragte sie. „Das muss ich auf dem Kalender vermerken. Kaffee schenken wir hier nur zweimal im Jahr aus.“ Sie stellte eine Maschine an. Die Maschine sah so stumpf und alt aus, dass ich geneigt war, dem Mädchen zu glauben. Der Qualität des Kaffees sah ich mit einiger Skepsis entgegen.
„Was taten Sie und Ihre Gäste, als auf der Straße der Schuss fiel?“, fragte ich.
„Gar nichts“, meinte sie, „Wir verhielten uns ganz still, um zu hören, was sich tat. Draußen war es fast schon dunkel. Hätte jemand von uns rausgehen und sich als Zielscheibe anbieten sollen?“
„Es hätte immerhin sein können, dass jemand Hilfe brauchte.“
„Niemand hat um Hilfe gerufen“, sagte sie kurz.
„In dieser Straße passiert wohl allerhand, was?“
„Die ganze Gegend ist ziemlich unruhig“, meinte sie ausweichend.
„Trotzdem arbeiten Sie hier?“
„Es ist ganz harmlos, wenn man sich an gewisse Grundsätze hält. Nach Eintritt der Dunkelheit gehe ich niemals ohne Begleitung auf die Straße. Das ist auch kaum notwendig. Ich arbeite hier und wohne im Hause. Wer hat denn geschossen?“
„Diese Frage erwartete ich eigentlich schon früher“, sagte ich. „Es war Ihr Mieter, Mr. Nelson.“
Die Kaffeemaschine fing an, merkwürdige Geräusche zu produzieren, aber Nancy Summer kümmerte sich nicht darum.
„Tatsächlich?“, fragte sie erstaunt. Sie stellte das Glas aus der Hand und legte das Wischtuch beiseite.
„Mr. Nelson!“ Sie blickte an mir vorbei ins Leere. „Seltsam!“
„Hätten Sie ihm das zugetraut?“
„Ich weiß es nicht“, murmelte sie. Ihr Blick kehrte zu mir zurück. „Auf wen hat er geschossen?“
„Auf mich.“
„Sind Sie denn hinter ihm her?“
„Und ob!“, sagte ich.
„Deshalb wohnte er also hier“, murmelte sie. „Ich habe mich oft darüber gewundert. Das war keine Gegend für ihn. Er hatte stets Geld und war gut gekleidet. Er musste sich also verstecken.“
„Sie sind ein hübsches Mädchen“, stellte ich fest. „Ist er mal mit Ihnen ausgegangen?“
„Ja, einmal.“
„Wann war das?“
„Vor drei Wochen.“
„Wo sind Sie mit ihm gewesen?“
„Wir sind hinausgefahren, über die Washington Bridge hinüber nach Jersey. Er führte mich in ein teures Speiselokal und später in eine schicke Bar. Dort tanzten wir zusammen und waren recht vergnügt. Mr. Nelson ist sehr charmant, wissen Sie.“
„Worüber haben Sie sich mit ihm unterhalten?“
„Oh, über alles Mögliche“, erinnerte sie sich. „Über einen Film aus Schweden, den wir beide gesehen hatten, über Baseball, und über tausend andere Dinge, die uns gerade in den Sinn kamen.“
„Seitdem hat er Sie nicht wieder ausgeführt?“
Das Mädchen griff wieder nach dem Glas. Sie polierte es ziemlich heftig. „Nein.“
„Bedauerten Sie das?“
„Ein wenig.“
„Sie werden es nicht mehr bedauern, wenn ich Ihnen sage, dass Mr. Nelson ein Mörder ist.“
Das Mädchen ließ das Glas fallen. Es zerbrach nicht, da es von dem trüben Wasser des Spülbeckens aufgefangen wurde. „Das ist nicht wahr!“, stieß sie hervor. „Das glaube ich nicht!“
„Ich habe ihn im Verdacht, dass er mindestens zwei Morde begangen hat.“
„Wen soll er umgebracht haben?“
„Heute Abend war es ein Mann namens Ronny Wilson. Ich nehme an, Sie haben schon von ihm gehört. Er war ein bekannter Reporter von der New York Post.“
„Ronny Wilson? Natürlich kenne ich ihn! Wo soll das denn passiert sein?“
„Hier im Hause. In Nelsons Wohnung. Wilson wusste, wer Nelson ist und wollte sich ein paar Informationen aus erster Hand besorgen. Natürlich zog Nelson sofort die Notbremse.“
„Sie müssen sich irren!“, sagte sie zitternd.
„Hat Nelson nie Besuch empfangen?“, fragte ich.
„Doch. Aber er hat mir keinen Besucher vorgestellt. Ich dachte, es seien Geschäftsleute.“
„Sahen sie so aus?“
„Ja, die meisten waren gut gekleidet.“
„Wie kam übrigens Mr. Tiggers mit Nelson aus?“
„Die beiden vertrugen sich gut miteinander.“
„Waren sie oft zusammen?“
„Hin und wieder.“
„Wo trafen sie sich? Im Hinterzimmer?“
„Manchmal schon. Warum?“
„Haben Sie sich nicht die Frage gestellt, welche Interessen die beiden miteinander verbanden? Sie haben doch schon rein äußerlich kaum etwas gemeinsam, oder?“
„Natürlich sind sie grundverschiedene Typen“, gab das Mädchen zu. „Mr. Nelson war sehr gebildet, aber er war nicht arrogant. Ich glaube, er interessiert sich für Menschen. Er will wissen, was sie denken und fühlen. Deshalb spricht er mit ihnen, auch wenn es nicht seine Absicht ist, sich mit ihnen zu verbrüdern.“ Um Nancy Summers volle rote Lippen geisterte ein trauriger Ausdruck. „Vielleicht war das auch der Grund, weshalb er einmal mit mir ausgegangen ist.“
„Hat er bei dieser Gelegenheit Bemerkungen über seine Vergangenheit gemacht?“
„Nein.“
„Sie müssen ihn doch gefragt haben, was ihn bewogen hat, in die Pilgrims Lane zu ziehen!“
„Ja, diese Frage habe ich ihm gestellt“, sagte das Mädchen. „Er antwortete darauf, dass er eine geheime Schwäche für die Wohnviertel der Armen habe. Nur hier, meinte er, zeige sich das Leben noch unverfälscht, gelegentlich primitiv und explosiv, zeitweilig auch sorgenvoll und sogar tragisch, aber niemals langweilig. Er hat das sicherlich geschickter ausgedrückt, aber das war ungefähr der Sinn seiner Worte.“
Ich wies auf die Kaffeemaschine. „Sind Sie sicher, dass das Ding nicht gleich in die Luft geht? Es erzeugt recht merkwürdige Geräusche.“
„Himmel, Ihr Kaffee!“, sagte sie und stellte eine Tasse unter die Maschine. In diesem Moment hörte ich das Jaulen der Polizeisirenen. Es kam rasch näher.