Читать книгу Auswahlband Krimi Winter 2020 - A. F. Morland - Страница 14
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ОглавлениеIan Casson steuerte die kleine Jacht auf die einsame Mole zu. Die Evinrude Motoren blubberten leise.
Casson hielt das Steuerrad fest in seinen sehnigen Händen. Er war ein großer Mann mit intelligentem Blick. Seine rechte Gesichtshälfte war durch einen Autounfall, den er mit neunzehn Jahren gehabt hatte, entstellt.
Casson trug ein weißes Polohemd und eine Schirmmütze, die schief auf seinem länglichen Kopf saß.
Er war der Star unter den Anwälten von San Francisco. Sensationsprozesse mit sensationellen Freisprüchen hatten ihn weit über die Grenzen der Stadt, in der er arbeitete und wohnte, hinaus bekannt gemacht.
Er war ein Spezialist für knifflige Fälle, und man sagte ihm nach, dass er selbst das Unmögliche noch möglich machen konnte.
Seine Honorare waren gesalzen. Aber er bekam das, was er verlangte. Das Geld, das er bekam, war niemals zum Fenster hinausgeworfen. Ian Casson schuftete dafür wie ein Schwerarbeiter und das war das Geheimnis seines anhaltenden Erfolges.
Ian Casson nahm nun etwas Fahrt weg.
Julie Casson, seine Frau, klapperte in der Kajüte mit dem Geschirr. Die Cassons waren mit der Jacht zwei Tage unterwegs gewesen, hatten eine herrliche Rundfahrt bei prachtvollem Wetter hinter sich und waren bester Laune.
„Bist du da unten bald fertig, Liebling?“, fragte Casson.
„Nur noch ein paar Handgriffe“, erwiderte Julie.
Ian Casson steuerte in schrägem Winkel auf die Mole zu. Er stoppte die Zwillingsmotoren. Stille. Nur ein leises, sanftes Plätschern war zu hören.
Die Jacht schob sich, wie von Geisterhand bewegt, auf die Mole zu. Ian Casson trat aus dem Cockpit. Die rechte Hand behielt er jedoch vorläufig noch am Steuer.
Er korrigierte geringfügig den Kurs. Dann bückte er sich und nahm die Leine auf, mit der er die Jacht an dem dafür vorgesehenen Pfahl festmachen wollte. Der Himmel war sternenklar.
Der Abend war mild. Ian Casson war rundum zufrieden. Das ganze Jahr diese schreckliche Hetze. Er hätte sie nicht ausgehalten, wenn er nicht zwischendurch völlig abgeschaltet und neue Kräfte getankt hätte.
Er und Julie verbrachten seit fünf Jahren schon auf Hawaii ihren Urlaub, und es lag kein Grund vor, weshalb sie die nächsten fünf Jahre nicht ebenfalls hier verbringen sollten.
Ian Casson fing die Restfahrt der Jacht ab, indem er sein Bein gegen den Pfahl stemmte und dagegen drückte.
Nun schaukelte das Schiff auf der leichten Dünung. Ian Casson tat geschickt die nötigen Handgriffe.
Plötzlich nahm er hinter sich eine Bewegung wahr. Er dachte zuerst, es wäre Julie, deshalb wandte er sich auch nicht schnell genug um.
Als er dann merkte, dass es nicht Julie war, war es für eine Reaktion bereits zu spät. Ihm war, als würde ein schwarzer Schatten auf ihn zufliegen.
Alles ging unheimlich schnell. Ian Casson riss zwar die Fäuste hoch, aber er vermochte sie nicht mehr einzusetzen, denn im selben Augenblick traf ihn ein Schlag, der ihm förmlich die Beine unter dem Körper wegriss.
Besinnungslos brach er zusammen.
Der Mann, der Miriam Cavanagh ermordet hatte, richtete sich schwer atmend auf. Nun hatte er ein Opfer gefunden, und die einzige Hürde, die es auf dem Weg zu der blonden Frau dort unten in der Kajüte gegeben hatte, war beseitigt.
Lautlos schlich der Unheimliche auf den Niedergang zu. Wieder zuckten seine Finger nervös. Ein schmerzhaftes Vibrieren durchlief seinen Körper.
Er hörte Julie Casson unter Deck rumoren. „Ian!“, rief sie. „Ian!“
„Hm ...“, brummte der Mörder.
„Soll ich das Buch, in dem du heute zu lesen begonnen hast, mitnehmen?“
„Hm...“
Der Unheimliche setzte seinen Fuß auf die erste Stufe des Niedergangs.
Julie Casson war eine schöne, reife Frau. Sie trug ein blauweiß gestreiftes Kleid, aus dem lange, wohlgeformte nackte Beine hervorragten.
Sie kehrte ihrem Mörder ahnungslos den Rücken zu, packte verschiedene Dinge in die Strandtasche. Unter anderem auch das Buch, von dem sie gesprochen hatte.
Der Maskierte glitt die wenigen Stufen hinunter.
Er richtete sich hinter der Frau auf. Sie hatte keine Chance mehr.
Julie Casson fühlte plötzlich, dass jemand hinter ihr war. „Ian, ich ...“, begann sie, während sie sich umdrehte.
Aber dann brach sie ab. Ein krächzender Schrei kam über ihre Lippen. Ihre Züge verzerrten sich. Namenlose Angst spiegelte sich in ihren weit aufgerissenen Augen.
Mit dem Mut der Verzweiflung warf sie sich auf den Unheimlichen. Sie schlug mit den Fäusten nach seinem maskierten Gesicht, doch er fing ihre Arme ab.
Die Frau hatte keine Chance mehr.