Читать книгу Auswahlband Krimi Winter 2020 - A. F. Morland - Страница 22
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ОглавлениеGladys Boyd, das Mädchen, das Bount im blutroten Tanga kennengelernt hatte, fühlte sich nicht wohl. Eine kleine Magenverstimmung. Nichts Ernstliches. Das blonde Mädchen hatte eine Tablette geschluckt und befand sich bereits wieder auf dem Wege der Besserung.
Sie warf einen Stapel Illustrierter neben dem Bett auf den Boden und legte sich auf die Decke. Der Abend war noch jung, und Gladys wollte ihn so angenehm wie möglich verbringen.
Sie war allein im Bungalow.
Orson King und Beah Bell hatten Tickets für eine Nachtfahrt auf einem Ausflugsboot gekauft. Musik, Tanz und Fischessen inbegriffen.
Gladys Boyd schüttelte es, wenn sie an die Fische dachte, die Orson und Beah vermutlich in diesem Augenblick gerade verzehrten. Sie mochte Fisch an und für sich nicht besonders. Und jetzt, da ihr Magen nicht ganz in Ordnung war, war allein der Gedanke daran für sie schon ein Greuel.
Das hübsche Mädchen griff nach der ersten Illustrierten. Nachdenklich betrachtete sie das nackte Mädchen auf dem Titelblatt.
Ihre Gedanken schweiften ab. Sie dachte an ihre Eltern, die in einem kleinen Provinznest wohnten und alles verdammten, was ihre einzige Tochter tat, um Karriere zu machen.
Vor einem Jahr hatte es den letzten großen Streit gegeben. Seither hatte sich Gladys nicht mehr im Hause ihrer Eltern blicken lassen. Sie fand die Ansichten der alten Leute verzopft und puritanisch. Die hatten doch keine Ahnung, wie es auf der Welt wirklich zuging. Ihr Horizont reichte lediglich bis zum Ende des Dorfes. Alles, was sich dahinter befand, war für sie auf jeden Fall von vornherein suspekt.
Gladys dachte an den Film, den sie mit Orson King drehen würde. Damit konnte ihr der Durchbruch gelingen. Orson war ein Weltstar. Gladys hatte verbissen auf diese Chance hingearbeitet, und sie würde sich die Rolle von niemandem wieder wegnehmen lassen.
Ein Geräusch holte das Starlet aus seinen Gedanken zurück.
Gladys Boyd lauschte kurz.
Sie war nicht sicher, aber sie glaubte, dass sich jemand im Livingroom befand. Orson und Beah konnten das nicht sein.
Die beiden befanden sich bestimmt noch auf dem Ausflugsboot.
Wer sonst konnte dieses Geräusch verursacht haben?
Gladys legte die Illustrierte weg. Sie hielt den Atem an und lauschte noch einmal. Kein weiteres Geräusch mehr. Hatte sie sich geirrt?
Ihr fiel ein, dass sowohl die Terrassentür als auch sämtliche Fenster offen waren. Das gab Durchzug. Möglicherweise war das Geräusch dadurch entstanden. Gladys war zu träge, um aufzustehen und nach dem Rechten zu sehen.
Sie lag gerade so bequem, und von der Magenverstimmung war nichts mehr zu spüren.
Da!
Wieder war ganz kurz etwas zu hören. Ein undefinierbares Geräusch. Gladys Boyd wollte sich entspannen, sie wollte ihre Ruhe haben.
Das war jedoch nur möglich, wenn sie diese Geräusche abstellte. Seufzend setzte sie sich auf. Sie trug ein weißes Kleid mit roten Tupfen. Tief dekolletiert und eng in der Taille sitzend.
Gladys verließ das Bett und ging zur Tür.
Ihre Hand legte sich auf den kalten Knauf. Sie zögerte einen Augenblick. Dann öffnete sie die Tür und trat in den Livingroom.
Gespenstisch bauschten sich die milchweißen Gardinen. Obwohl es nicht kalt war, fröstelte Gladys Boyd ein wenig.
Misstrauisch blickte sie sich um. War vielleicht doch jemand im Bungalow? Niemand war zu sehen. Aber hieß das, dass garantiert niemand da war?
Der Keim der Unruhe wuchs erschreckend schnell in Gladys’ Busen. Sie fühlte sich plötzlich sehr einsam und verletzbar.
Sie wünschte sich auf das Ausflugsboot zu Beah Bell und Orson King. Das Alleinsein behagte ihr nicht mehr.
Rasch schloss sie die Fenster. Dabei dachte sie an Clarence Cavanagh, der gleich nebenan wohnte.
Ob sie zu ihm gehen sollte? Wenn sie ihm sagte, sie hätte Angst, allein im Bungalow zu bleiben, würde er nichts dagegen haben, dass sie bei ihm auf die Rückkehr von Beah und Orson wartete.
Andererseits fand Gladys es lächerlich, vor nichts wegzulaufen. Sie befahl sich selbst, sich ein bisschen zusammenzureißen und sich nicht so gehenzulassen.
Aber im selben Moment fielen ihr die beiden Morde ein, und ihre Beherrschung war sofort wieder beim Teufel.
Sie merkte, dass sie zitterte.
Großer Gott, wovor hatte sie denn auf einmal solche Angst? Sie war doch allein im Bungalow, und wenn Fenster und Türen geschlossen waren, konnte ihr nichts mehr geschehen.
Hastig eilte das Starlet zur Terrassentür.
Gladys warf die Tür zu und legte den Hebel um. Dann begab sie sich zur Eingangstür des Bungalows und schloss auch da ab.
Orson besaß einen Schlüssel und sollte er ihn vergessen haben, so brauchte er nur zu klopfen, dann würde Gladys ihm und Beah öffnen.
Eine gewisse Erleichterung machte sich in Gladys bemerkbar, nachdem sie alles geschlossen hatte.
Sie atmete auf.
Nun war sie in Sicherheit. Und wenn Orson King wieder einmal abends den Vorschlag machte, auszugehen, würde sie mitkommen, egal, wie elend sie sich fühlen würde, das schwor sie sich.
Um die Nerven noch mehr zu beruhigen, mixte sich Gladys Boyd einen Drink. Sie leerte das Glas in einem Zug und wartete mit geschlossenen Augen auf die Wirkung, die sich sehr schnell einstellte.
Nun lächelte sie bereits über die Angst, die sie eben erst gehabt hatte. Du bist eine kleine Hysterikerin, sagte sie sich in Gedanken. Wer hätte das gedacht? Ich hielt dich bisher immer für ein Mädchen, das man nicht so leicht aus der Fassung bringen kann. Aber du erschrickst ja schon, wenn bloß mal der Wind in die Gardinen bläst.
Lächelnd kehrte Gladys ins Schlafzimmer zurück.
Sie sah sich im großen Wandspiegel.
Und plötzlich sah sie noch jemanden!
Er stand hinter der Tür, war dort an die Wand gepresst. Ein schwarz gekleideter Mann. Maskiert!
Das war der Kerl, der Miriam Cavanagh und Julie Casson erwürgt hatte. Und nun war er hier, um seinen dritten Mord zu verüben.
Wie von der Tarantel gestochen, wirbelte das Starlet herum. Der Würger stemmte sich im selben Moment von der Wand ab.
Er flog auf Gladys Boyd zu. Seine schwarz behandschuhten Hände fuhren ihr an den Hals. Sie wurde von ihm niedergerissen und wusste, dass es für sie keine Rettung mehr gab...