Читать книгу Auswahlband Krimi Winter 2020 - A. F. Morland - Страница 30
23
ОглавлениеTags darauf verließen die meisten Urlauber das Bungalowdorf. Einige von ihnen kündigten an, sie würden das Geld, das sie bezahlt hätten, zurückverlangen. Aus dem Paradies an der Waikiki Beach wurde eine Geistersiedlung.
Die meisten Bungalows standen leer. Es gab keine fröhlichen Menschen mehr. Man hörte keine Musik mehr, kein Lachen, keinen Lärm spielender Kinder. Wie ausgestorben war das Feriendorf.
Bount Reiniger war den ganzen Tag unterwegs.
Er stellte die verrücktesten Dinge an, um dem schwarzen Würger auf die Schliche zu kommen. Er befragte unzählige Leute vor ihrer Abreise. Er redete mit den wenigen Menschen, die geblieben waren.
Er unterhielt sich mit dem Personal, das kaum noch Arbeit hatte und zum Nichtstun verurteilt war. Er kaufte sich auch Trevor Uggams und stellte ihm einige präzise Fragen, die dieser wutschnaubend beantwortete. Aber sagte er die Wahrheit?
Bount überprüfte Uggams’ Angaben.
In der Nacht, als der Killer Bount in seinem Hotelzimmer überfallen hatte, wollte Uggams mit einem Mädchen zusammen gewesen sein. Das Mädchen konnte sich jedoch nicht daran erinnern. Sie war so high gewesen, dass sie überhaupt keine Ahnung mehr hatte, was in dieser Nacht vorgefallen war.
In der Nacht, in der Susannah O'Sullivan ermordet wurde, wollte Uggams an seinem Flugzeug herumgebastelt haben. Es gab niemanden, der das bestätigen konnte.
Auf seinem Weg durch die Stadt hatte Bount Reiniger den ‚geschäftstüchtigen’ Journalisten Keenan Hiller gesehen. Der Mann hatte aber schnellstens auf den Hacken kehrtgemacht und war davongelaufen, als hätte ihm Bount bei der nächsten Begegnung eine Tracht Prügel versprochen.
Der Tag neigte sich rasch seinem Ende entgegen.
Abermals kehrte Bount Reiniger ohne Ergebnis in sein Hotel zurück. Es war wie verhext. Was immer auch Bount anstellte, es brachte ihn keinen Schritt näher an den geheimnisvollen Mörder heran.
Und es stand eine neue Nacht bevor.
Eine Nacht, in der wieder ein Mädchen sterben würde, denn der Mörder schien von einer Art Rausch befallen zu sein. Er schien mit dem Töten nicht mehr aufhören zu können.
Warum sollte er es auch nicht mehr tun? Er hatte doch so viel Erfolg damit.
Bount nahm das Abendessen im Hotel ein. Er war schlechter Laune, die ihm selbst Maggie McOmie, die an seinem Tisch saß, nicht vertreiben konnte.
Er ließ ab und zu einen höflichen Satz fallen, war aber die meiste Zeit mit seinen Gedanken ganz woanders, während Maggie nicht aufhören konnte, von Hawaii zu schwärmen.
Bount schob das halbe Steak von sich und trank stattdessen Bier. Der Kellner kam. „Ist an dem Steak irgendetwas nicht in Ordnung, Mr. Reiniger?“
„Es war ausgezeichnet. Aber ich habe heute keinen Appetit“, erwiderte Bount. Diese verdammten Morde hatten sich ihm auf den Magen geschlagen.
Maggie trug ein flottes Kleid mit zierlichen Rüschen am Ausschnitt. Sie erzählte Bount, dass sie einen netten jungen Mann kennengelernt habe.
„Er ist Tennislehrer in dem Feriendorf an der Waikiki Beach“, erzählte sie. „Sein Name ist…“
„Scatman Crothers? Den kenne ich“, sagte Bount. „Der Liebling aller Frauen von siebzehn bis siebzig.“
„Er sieht gut aus.“
„Und er hat anscheinend eine besondere Ausstrahlung“, sagte Bount.
„Ja, das finde ich auch. Er hat mir angeboten, mir ein paar Sehenswürdigkeiten zu zeigen. Ich treffe ihn in einer halben Stunde im Kapiolani Park.“
„Wenn Sie pünktlich sein wollen, müssen Sie jetzt gehen“, sagte Bount.
Die hübsche Lehrerin erhob sich lächelnd. „Das hatte ich gerade vor.“
„Ich wünsche Ihnen viel Vergnügen mit dem Tennislehrer.“
Maggie McOmie warf Bount einen angriffslustigen Blick zu. „Es wird nichts vorfallen zwischen mir und Scatman Crothers. Er zeigt mir nur ein paar Sehenswürdigkeiten…“
„Und nur dazu habe ich Ihnen viel Vergnügen gewünscht“, erwiderte Bount.
Die junge Lehrerin verließ das Hotel.
Bount bestellte noch ein Bier.
Er bekam nicht nur das, sondern ein Hotelboy lieferte gleichzeitig eine Eilsendung bei ihm ab.
Absender war die Auskunftei Simon Weatherly in New York. Bount legte den schweren Packen vor sich auf den Tisch.
Ein von Simon Weatherly persönlich unterzeichneter Brief war in dem schweren Paket:
Mein lieber Mr. Reiniger,
es freut mich außerordentlich, dass Sie wieder einmal unsere Dienste in Anspruch genommen haben. Wir haben uns bemüht, innerhalb kürzester Frist das erbetene Material für Sie zu beschaffen. In der Hoffnung, Ihnen damit geholfen zu haben, verbleibe ich mit freundlichen Grüßen Ihr
Simon Weatherly.
Hastig packte Bount die Unterlagen aus. Sie waren übersichtlich und umfangreich wie immer. Bount Reiniger hatte Auskünfte über alle Personen verlangt, auf die er im Verlaufe seiner Ermittlungen gestoßen war.
Marty Caine, Keenan Hiller, Des O’Sullivan, Ian Casson, Orson King, Trevor Uggams, Scatman Crothers ...
Und was es über diese Personen zu erfahren gegeben hatte, war in dem Weatherly Bericht minuziös aufgeführt.
Bount blätterte die Unterlagen hastig durch. Eine innere Unruhe drängte ihn, die Seiten rasch zu überfliegen.
Er hoffte, auf einen Hinweis zu stoßen, der ihm verriet, wer sich hinter der schwarzen Wollmaske des Würgers verbarg.
Doch vorläufig las er nur Lebensläufe, Angaben über Vermögensverhältnisse, Namen von Freunden und Bekannten, Abrisse über wirtschaftliche Verhältnisse und dergleichen mehr.
Bount sortierte in großer Eile aus.
Und plötzlich wurde er fündig. Ihm war, als würde ihm eine eiskalte Hand über den Rücken streichen. Er zog die Luft geräuschvoll ein und wischte sich mit einer fahrigen Bewegung über die Augen.
„Großer Gott!“ stieß er atemlos hervor.
Es war die Akte, die Simon Weatherly von Scatman Crothers angelegt hatte. Ihr Inhalt versetzte Bount Reiniger in hellen Aufruhr.
Mit einmal wusste er, wer der geheimnisvolle Mörder war.
Der Tennislehrer, dieser sympathische Typ, der bei den Frauen der Hahn im Korb war, war die maskierte Bestie.
Kein Zweifel war möglich!
Aus Weatherlys Unterlagen ging hervor, dass es in Los Angeles zahlreiche unaufgeklärte Mädchenmorde in jüngster Vergangenheit gegeben hatte.
Vor zwei Monaten war die Serie dann abgerissen, ohne dass die Polizei einen Täter verhaften konnte.
Vor zwei Monaten war Scatman Crothers von Los Angeles nach Hawaii gekommen. Der Tennislehrer hatte L.A. nicht verlassen, weil er die Absicht hatte, sich auf Hawaii niederzulassen. Er war von L.A. weggegangen, weil ihm dort vermutlich der Boden unter den Füßen zu heiß geworden war!
Kleine Schweißtröpfchen bildeten sich auf Bount Reinigers Stirn.
Ruhelos las er weiter.
Scatman Crothers' Mutter war eine Geheimprostituierte gewesen. Man hatte sie in ihrer Wohnung erwürgt aufgefunden.
Der Täter konnte von der Polizei nicht ermittelt werden. Dass der eigene Sohn den Mord begangen haben konnte, hielt man für ausgeschlossen, denn Scatman Crothers hatte für die Tatzeit erstens ein hieb und stichfestes Alibi, und zweitens erlitt er einen Nervenzusammenbruch, als man ihn bat, seine Mutter im Leichenschauhaus zu identifizieren.
Die eigene Mutter war Scatman Crothers’ erstes Opfer gewesen.
Bount vermutete, dass der junge Tennislehrer lange Zeit keine Ahnung gehabt hatte, welches Gewerbe seine Mutter ausübte.
Wahrscheinlich hatte er sie abgöttisch geliebt, und als er dann dahintergekommen war, dass sie von geheimer Prostitution lebte, da hakte bei ihm der Verstand aus.
Und dieser Verstand hakte seither immer wieder aus ...
Plötzlich fuhr Bount Reiniger ein eisiger Schreck in die Glieder.
Maggie McOmie, die junge Lehrerin aus New York, war mit dem Würger verabredet!
Bount Reiniger zweifelte nicht daran, dass sich Scatman Crothers nur aus einem Grund mit der Lehrerin verabredet hatte: er wollte sie töten.
Bount sprang auf. Wie hatte doch gleich der Park geheißen, in dem sich Maggie McOmie mit dem Tennislehrer treffen wollte?
War es der Kapiolani Park?
Bount nahm die Eilsendung der Auskunftei Weatherly auf. Er verließ das Restaurant in großer Eile und bat den Mann an der Rezeption, die Schriftstücke für ihn aufzubewahren.
Dann stürmte er aus dem Hotel. Er rannte zum Parkplatz und sprang in den weißen Mustang.
Während er den Motor startete, hoffte er, dass er nicht zu spät kommen würde. Dann raste er los.