Читать книгу Auswahlband Krimi Winter 2020 - A. F. Morland - Страница 27
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ОглавлениеNachdem Bount volle zwei Stunden geschwommen war, machte er in der Ferne ein Licht aus. Er rastete kurz, hielt sich mit einem Arm am Rettungsring fest und sammelte neue Kräfte.
Eine weitere halbe Stunde verging, ehe Bount das Licht erreichte. Er hatte eine weiße Jacht vor sich, von der Musik zu ihm herübertönte.
Bount hörte einen Mann singen. Ein Mädchen fiel trällernd ein. Dann lachten die beiden.
„Hank, das ist die tollste Party für zwei, die du jemals gegeben hast“, kicherte das Mädchen.
Bount erreichte matt die Aluminiumleiter am Heck der Jacht. Ziemlich fertig kletterte er an Bord.
Ein schwarzgelockter Mädchenkopf tauchte beim Niedergang auf. „He, Hank, du wirst es nicht glauben, aber wir haben soeben Besuch bekommen. Gieß noch ein Glas voll.“
Hank lachte. „Okay. Und wer soll den Drink dann schlucken?“
„Na, der Mann, der eben an Bord gekommen ist.“
„Sag mal, bist du wirklich so blau, Neely, oder willst du mich auf den Arm nehmen?“
„Wenn ich’s dir sage, Hank: da ist'n Mann.“
Hank tauchte nun ebenfalls auf. Er stierte verdattert, als er Bount in triefnassen Kleidern erblickte.
„Tatsächlich. Da ist’n Mann. Ich werd’ verrückt!“
Bount ging auf die beiden zu.
Hank kam ihm entgegen. Er war dicklich, hatte einen Nacken wie ein Stier, trug ausgebeulte Hosen und ein kariertes Hemd.
„Darf man fragen, woher Sie kommen, Sir?“, fragte der Mann.
„Können Sie einen Drink entbehren, Hank?“, gab Bount Reiniger zurück. „Dafür erzähle ich Ihnen meine total verrückte Geschichte.“
Bount Reiniger bekam nicht nur den Drink, sondern auch trockene Kleider. Während er sich umzog, drehte sich Neely um. Bount erzählte den beiden seine haarsträubende Story.
Sie glaubten ihm, denn wer entsteigt schon mitten in der Nacht den Fluten, bloß, um fremden Leuten eine solche Lügengeschichte aufzutischen.
„Verdammt, Mr. Reiniger, da hatten Sie aber mächtig viel Schwein“, sagte Hank, als Bount geendet hatte.
„Tja“, erwiderte Bount. „Wer von uns kommt schon ohne Glück aus.“
„Werden Sie zur Polizei gehen?“, fragte Neely.
„Ich werde den Mordanschlag selbstverständlich melden“, erwiderte Bount.
„Dann sollte ich Sie schleunigst an Land bringen“, meinte Hank, „damit der Kerl, der Sie abservieren wollte, keinen zu großen Vorsprung hat.“ Hank sprang auf und kletterte ins Cockpit. Augenblicke später knurrten die Motoren.
Die Jacht nahm schnell Fahrt auf. Bount fragte Neely, wo er die geliehenen Kleider abliefern könne. Sie sagte, sie und Hank würden einen zweiwöchigen Urlaub auf der Jacht verbringen.
„Morgen“, sagte sie, „wollen wir uns ein bisschen in Honolulu Umsehen. Die Jacht bleibt den ganzen Tag über im Hafen. Wenn wir nicht da sind, können Sie die Klamotten einfach an Bord werfen.“
„Das werde ich tun“, gelobte Bount.
Fünfzehn Minuten später konnte er an Land gehen.
Er begab sich in sein Hotel und setzte sich von da mit der Polizei in Verbindung. Der Captain, der wie Bount hinter dem schwarzen Würger her war, fiel aus allen Wolken, als ihm Bount Reiniger eröffnete, was vorgefallen war.
„Die Frechheit dieses Burschen scheint keine Grenzen zu kennen!“, tobte der Polizist.
„Noch mal gelingt ihm das, was er getan hat, nicht“, sagte Bount.
„Wenn Sie Polizeischutz möchten.
„Vielen Dank, Captain. Ich bin mein Leben lang ohne Gouvernante ausgekommen. So möchte ich es auch in Zukunft halten“, erwiderte Bount. „Trotzdem danke ich Ihnen für das Angebot.“
Er legte auf.
Nach einer Stunde Schlaf war Bount Reiniger wieder auf den Beinen. Verständlicherweise war er nicht gerade bester Laune, als er das Frühstück einnahm. Es tat ihm zwar leid, aber er hörte kaum richtig hin und bekam so gut wie nichts von alldem mit, was ihm Maggie McOmie erzählte.
Nachdem er seine Tasse leergetrunken hatte, wünschte er der jungen Lehrerin einen schönen Tag und verließ das Hotel.
Draußen stieß er beinahe mit Trevor Uggams zusammen.
War es Einbildung oder Tatsache?
Bount kam es so vor, als wäre Uggams erschrocken, als er ihn, Bount, aus dem Hotel treten sah. Hatte der Privatpilot aus einem bestimmten Grund mit einem solchen Zusammentreffen nicht mehr gerechnet?
Oder hatte Uggams noch genug von den Prügeln, die er auf dem Parkplatz bezogen hatte? Beides war möglich.
Bount wollte den bärtigen Gesellen stellen, aber da lief Trevor Uggams auf ein älteres Ehepaar zu und rief: „Einen wunderschönen guten Morgen wünsche ich den Herrschaften. Na, wohin soll ich Sie heute fliegen?“ Uggams drängte die beiden zu einem Land Rover, bat sie, einzusteigen und fuhr ab, ohne Bount eines weiteren Blickes zu würdigen.
Bount Reiniger suchte den Bootsverleih auf, der Marvin Davalos gehörte.
Der Mann konnte nicht leugnen, dass griechisches Blut in seinen Adern floss. Er war breitschultrig und kräftig. Ein dicker Bauch wölbte sich über dem breiten Ledergürtel seiner Blue Jeans.
Bount traf den Bootsverleiher in dessen Office an.
Die Wände des kleinen Raumes waren mit nackten Frauenpostern bedeckt. Grinsend fragte Davalos: „Gefallen Ihnen meine Miezen, Mister?“
„Sie sind recht aufregend, aber leider nur aus Papier“, gab Bount schmunzelnd zurück.
Marvin Davalos machte auf seinem Schreibtisch kurz Ordnung. Hinterher sah es fast noch schlimmer aus als zuvor.
„Eine Jacht, Sir? Oder möchten Sie bloß ein Motorboot mieten?“
„Weder noch. Ich hatte bereits heute Nacht das Vergnügen, mit einem Ihrer Boote aufs Meer hinauszufahren. Seither fehlt es Ihnen.“
Marvin Davalos knallte die ehrfurchtgebietende Faust auf den Tisch. „Verdammt, dann waren Sie der Dieb!“ Er sprang auf, und einen Augenblick sah es so aus, als wollte er sich auf Bount stürzen.
„Sachte!“, beschwichtigte Bount den Mann. „Sachte. Sie müssen genau hinhören, wenn jemand mit Ihnen spricht. Ich sagte nicht, dass ich Ihr Motorboot geklaut habe.“
„Sie behaupten, mit dem Boot heute Nacht aufs Meer hinausgefahren zu sein. Das kommt auf dasselbe heraus!“
„Mitnichten. Ich wollte, mir wäre diese Fahrt erspart geblieben. Sie wurde mir aufgezwungen.“ Bount erzählte, wie sich die Sache abgespielt hatte.
Marvin Davalos kniff grimmig die Augen zusammen. „Dieser Verbrecher. Der kann was erleben, wenn ich ihn erwische.“
„Das werde ich schon erledigen, wenn ich ihn erst einmal erwischt habe“, sagte Bount lächelnd.
„Versenkt hat er das Boot. Dafür könnte ich ihn in Stücke reißen.“ „Sind Sie versichert?“, fragte Bount. „Natürlich. Zweifellos wird mir der Schaden ersetzt. Dennoch würde ich diesem Bastard gern mit meinen Fäusten die Leviten lesen.“
„Gibt es niemanden, der auf Ihre Boote nachts aufpasst, Mr. Davalos?“ Der Bootsverleiher schüttelte seinen massigen Schädel. „Niemand außer mir passt auf die Boote auf.“
„Damit haben Sie sich in der vergangenen Nacht wohl nicht besonders angestrengt.“
„Konnte ich denn wissen, dass dieser Mistkerl mich bestehlen würde?“, brauste Marvin Davalos auf. „Ich wohne dort oben in dem Blockhaus. Keine zweihundert Yards also von meinen Booten entfernt. Wer würde denn da auf die Idee kommen, dass es einer wagt, mir praktisch vor meiner Nase ein Boot zu klauen? Das hat's bis heute noch nicht gegeben. Die Typen, die gern mal etwas mitgehen lassen, kennen mich. Die wissen, dass mit mir nicht gut Kirschen essen ist, wenn ich sie erwische.“
„Offenbar gibt es nun doch jemanden, der vor Ihnen keine Angst hat“, sagte Bount. „Wann gingen Sie gestern Nacht zu Bett, Mr. Davalos?“
„Kurz vor zwölf. Warum fragen Sie?“
„Weil kurz nach zwölf das Boot geklaut wurde. Haben Sie nichts gehört?“
„Hätte ich heute dagestanden wie der Ochse vor dem Scheunentor, wenn ich gewusst hätte, dass man mich in der Nacht bestohlen hatte? Mich traf vor Wut fast der Schlag, als ich sah, dass ein Boot fehlte.“
Bount seufzte, „Nichts gehört, nichts gesehen, trotzdem verschwand das Boot. Ehrlich gesagt, ich hatte mir mehr Hilfe von Ihnen erhofft.“
Davalos’ Brauen zogen sich zusammen wie finstere Gewitterwolken. „Niemand bedauert mehr als ich, dass ich Ihnen nicht helfen kann, das müssen Sie mir glauben.“
Bount erklärte, dass er im Strandhotel wohne, und dass er es begrüßen würde, wenn ihm Davalos doch noch mit irgendeinem Hinweis helfend unter die Arme greifen würde. Dann ging er.
Zu Mittag aß Bount im Hotel.
Er nahm gerade einen Schluck vom Wein, als er ans Telefon gerufen wurde. June March war am anderen Ende der Leitung.
„Na, Großmeister. Bist du schon so braun wie Harry Belafonte?“, fragte sie.
„Hast du das Band des Anrufbeantworters abgehört?“, erkundigte sich Bount.
„Selbstverständlich. Und ich habe bereits alles in die Wege geleitet, um dich so rasch wie möglich zufriedenzustellen. Welche Sekretärin kann es sich schon leisten, dass ihr Chef sauer auf sie ist.“
„Gibt es etwas Neues in New York?“
„Ein Taugenichts wollte dich engagieren. Du solltest ihm das Mädchen, das ihm weggelaufen ist, wiederbringen. Ich habe den Knaben zur Konkurrenz geschickt. Gibt es viele schöne Girls auf Hawaii?“
„Oja. Aber es werden langsam weniger“, berichtete Bount Reiniger. „Dafür sorgt dieser verdammte Killer.“ Bount berichtete, dass die maskierte Bestie bereits dreimal zugeschlagen hatte.
Als er erwähnte, dass der Mörder ihn in der vergangenen Nacht abservieren wollte, stieß June March einen spitzen Schrei aus.
„Du musst besser auf dich achtgeben, Bount. Versprich mir das.“
„Schon versprochen“, sagte Bount. Er lächelte. Es tat ihm gut, zu wissen, dass es auf dieser Welt, die voll von Gewalt und Brutalität, Mord und Totschlag war, einen Menschen gab, der sich um ihn Sorgen machte. „Mit Faulenzen und in der Sonne liegen ist hier leider nichts“, fügte Bount Reiniger hinzu. „Allmählich fängt der Killer an, keck zu werden. Der Erfolg scheint ihm zu Kopf gestiegen zu sein. Er macht ihn leichtsinnig. Dadurch vergrößert sich meine Hoffnung, dass er sich schon bald selbst zu Fall bringt.“
„Ich habe mit Simon Weatherly persönlich gesprochen“, sagte June.
Simon Weatherly leitete eine gut organisierte Auskunftei, mit der Bount Reiniger hin und wieder zusammenarbeitete, wenn er keine Zeit hatte, sich die gewünschten Fakten für einen Fall selbst zu beschaffen.
Weatherly war nicht billig. Seine Honorarforderungen grenzten hart an Wucher. Aber das Informationsmaterial, das die Auskunftei zumeist in kürzester Zeit lieferte, war lückenlos und zuverlässig. Darauf konnte man Häuser bauen.
„Der alte Mr. Weatherly hat zugesagt, diesmal einen neuen Rekord im Beschaffen der von dir gewünschten Auskünfte aufzustellen“, sagte June March. „Er will dafür zweitausend Dollar haben. Ich sagte ja. Das ist dir doch hoffentlich recht.“
„Der verflixte Halsabschneider“, brummte Bount. „Wenn der merkt, dass man auf ihn angewiesen ist, nimmt er einen aus wie eine Weihnachtsgans. Was hat er vor? Will er meine Detektei ruinieren und dann zu einem Schleuderpreis aufkaufen?“ „Soll ich ihm sagen, er wäre zu teuer?“
„Ach, lass nur, June. Er ist ja trotz allem sein Geld wert. Das weiß er. Deshalb ist er ja so unverschämt.“ „Er wird dir die gewünschten Unterlagen per Eilpost schicken.“
„Bin gespannt, was dabei herauskommt“, sagte Bount. Er fand noch ein paar nette Worte für seine Mitarbeiterin und legte dann auf.
Seine Gedanken waren schon wieder woanders.