Читать книгу Mörderdutzend: 12 Thriller - Sammelband 1200 Seiten Krimi Spannung - A. F. Morland - Страница 13
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ОглавлениеDer Kopf auf dem Tisch des Gerichtsmediziners sah nicht gut aus. Das war genau das Bildmaterial, aus dem schlechte Träume gemacht sind, aber Rudi und ich hatten keine andere Wahl, als uns die Details anzusehen.
„Tja, mehr ist von dem Kerl anscheinend nicht übrig geblieben”, sagte Gerold M. Wildenbacher in seinem charakteristischen Bayern-Akzent. Der Gerichtsmediziner unseres Ermittlungsteams Erkennungsdienst der BKA Akademie in Quardenburg wischte sich die Hände ab. Er trug Latexhandschuhe, Kittel, Schutzkleidung, Mundschutz und eine Brille, die ihn möglicherweise davor bewahrte, dass infektiöse Flüssigkeitsspritzer mit den Schleimhäuten seiner Augen in Kontakt kamen. Irgendetwas Undefinierbares klebte an seinen Latexhandschuhen. Ich wollte gar nicht näher wissen, was das war. „Eine Obduktion unter diesen Umständen als vollständig zu bezeichnen, widerstrebt mir irgendwie, ganz egal zu welchem Zeitpunkt man das sagt”, meinte Wildenbacher.
„Sie meinen, weil die Leiche nicht vollständig ist?”, schloss ich.
„Sie müssen das Gemüt eines Schlachtergesellen haben, Harry.”
Ich war perplex.
„Ich?”, vergewisserte ich mich.
„Ja, sicher!”
„Sie sprechen wirklich von mir?”
„Sie sprechen kaltherzig von einer Leiche. Nennen Sie ihn ein Opfer. Dann erweisen Sie ihm den nötigen Respekt.”
In diesem Moment fragte ich mich ernsthaft, ob Wildenbacher irgendwelche Substanzen genommen hatte, die geeignet waren, die Persönlichkeit zu verändern. Normalerweise war Wildenbacher für sein Schlachtergemüt bekannt. Einer mit rauen bayerischen Manieren, der wenig Rücksicht auf Befindlichkeiten anderer zu nehmen pflegte. Schon gar nicht auf die einer Leiche - beziehungsweise eines Kopfes, denn genau genommen war von dem Toten ja nicht mehr übriggeblieben, was uns für unsere Ermittlungen als Ausgangspunkt zur Verfügung stand.
Wildenbacher sah zuerst mich an, dann Rudi. Und dann wieder mich.
„Irgendwie hatte ich mir vorgestellt, dass Ihre Reaktion etwas heftiger ausfallen würde”, sagte er.
„Worauf? Auf die Gehirnwäsche, die Ihnen anscheinend angetan worden ist?”, fragte ich.
„Wir sind es gewohnt, unsere Emotionen hinter der Fassade kühler Sachlichkeit zu verbergen”, ergänzte Rudi. „Was ist passiert? Hat FGF alias Herr Förnheim Sie zur verspäteten Teilnahme in einem Bootcamp für gutes Benehmen überredet und wir erleben jetzt das Ergebnis?”
FGF - so nannten wir Friedrich G. Förnheim, den aus Hamburg stammenden Naturwissenschaftler des Ermittlungsteams Erkennungsdienst, dessen Hilfe Rudi und mir seit unserer Beförderung zu Kriminalinspektoren zur Verfügung standen. Und Förnheim war mit seinem distinguierten, unverkennbar hamburgisch geprägten Auftreten so etwas wie der perfekte Gegenpart zu dem hemdsärmeligen Bayer Wildenbacher.
„Schlimmer”, sagte Wildenbacher.
„Noch schlimmer?”, fragte ich. „Wie kann das sein?”
„Wir hatten hier eine neue Kollegin, mit der ich mir für kurze Zeit auf Grund gewisser organisatorischer Unzulänglichkeiten unserer Akademie-Führung ein paar Räumlichkeiten teilen musste.”
„Ich ahne Schlimmes”, gestand ich.
„Um es kurz zu machen, es gab eine Beschwerde und ich wurde zu einem Gespräch gebeten.” Das Wort Gespräch sprach er auf eine Weise aus, als ob es sich dabei um etwas Unappetitliches handelte. Vielleicht war es das ja auch gewesen.
„Und?”, fragte ich.
„Das Ergebnis haben Sie gerade mitbekommen. Ich versuche jetzt achtsamer und sensibler zu sein.”
„Und Ihre diesbezüglichen Bemühungen haben wir gerade erlebt?”, hakte ich nach.
„So ist es.”
„Wissen Sie was: Bleiben Sie besser, wie Sie sind”, sagte ich.
„Dann weiß jeder, woran er ist”, ergänzte Rudi.
„Auf Ihre Verantwortung”, meinte Wildenbacher.
„Was hat denn der Kollege Förnheim zu Ihrem ausgewechselten Charakter gesagt?”
Wildenbacher lächelte. „Zitat unseres geschätzten Dr. Fischkopp: ’Ich hasse Veränderungen, selbst wenn sie positiv sind!’”
„Das klingt in der Tat nach ihm”, gab ich zu.
„Wo ist denn die Kollegin, mit der Sie sich die Räumlichkeiten teilen müssen?”, fragte jetzt Rudi. „Ich habe niemanden gesehen.”
„Hat sich kurzfristig versetzen lassen. Und ich habe jetzt ein zweites Gespräch vor mir.”
Ich hob die Augenbrauen. „Weil Sie mutmaßlich die Ursache dieser Versetzung sind?”
„Ja, so in diese Richtung wird das Ganze wohl laufen, fürchte ich. Aber warum soll ich mich beklagen?” Er deutete auf den Kopf. „Der da hat es definitiv schlechter getroffen, würde ich sagen.”
„Weiß man inzwischen schon, wer er ist?”, fragte ich.
„Also ich würde sagen, ‘er’ ist schonmal richtig. Es handelt sich definitiv um ein Männergesicht. Frau Gansenbrink ist derzeit noch dabei, das Gesicht mit den Archiven abzugleichen. Leider ist unser Herr Unbekannt etwas ramponierter, als es die Toleranzschwellen der üblichen Gesichtserkennungssoftware verzeiht.”
„Frau Gansenbrink hat da sicher ihre Tricks”, war ich zuversichtlich. Dr. Lin-Tai Gansenbrink war die Mathematikerin und IT-Spezialistin des Teams. Wenn der Kerl in den Archiven zu finden war, dann würde sie auch herausfinden, wer er war. Und danach durchsuchte sie vermutlich mit den Profil-Fotos sämtliche soziale Netzwerke.
Allerdings war in diesem Fall zunächst einmal die Einschränkung auf vorbestrafte Kriminelle durchaus sinnvoll. Genauer gesagt auf vorbestrafte Kriminelle, die in irgendeinem Zusammenhang zu Gunnar Bellenborn, dem Polizeipräsidenten von Frankfurt standen. Auf das gusseiserne Tor seines Anwesens hatte man diesen Kopf nämlich aufgespießt und so lag der Schluss nahe, dass das irgendetwas mit Bellenborns beruflicher Tätigkeit zu tun hatte. Vielleicht wollte ihm jemand eine sehr deutliche Warnung zukommen lassen. Jemand, der noch eine Rechnung mit Bellenborn offen hatte.
Aber anzunehmen, dass der Polizeipräsident einer Großstadt nur Freunde hatte, war natürlich abwegig. Da gab es mehr als genug Personen, die aus ihrer Sicht allen Grund hatten, ihm nur das Schlechteste zu wünschen. Allen voran natürlich die Angehörigen des organisierten Verbrechens. Gunnar Bellenborn war immer bekannt dafür gewesen, gegenüber dem Organisierten Verbrechen einen harten, kompromisslosen Kurs zu fahren. Und tatsächlich hatte es während seiner Amtszeit als Polizeipräsident von Frankfurt einige aufsehenerregende Erfolge für die entsprechenden Abteilungen gegeben. Natürlich prädestinierte Bellenborn das als potentielles Opfer von Rache-Akten.
Aber hier lag der Fall wohl etwas komplizierter.
Und genau deshalb hatten wir ihn auf den Schreibtisch bekommen. Unser Vorgesetzter hatte uns schon am Morgen über die wesentlichen Fakten informiert. Es hatte mal eine interne Ermittlung der Kripo Frankfurt gegeben. Diese Ermittlungen betrafen Unregelmäßigkeiten im großen Stil und hätten Bellenborn leicht seinen Posten kosten können, wenn etwas dabei heraus gekommen wäre.
Allerdings war der Ermittler, der sich in dieser Sache besonders engagiert hatte, ermordet worden und der Fall war im Sande verlaufen.
Aber jetzt war das Grund genug, weder die Kripo Frankfurt noch die dortige Abteilung für interne Ermittlungen den Fall noch einmal alleine ermitteln zu lassen. Es schien einfach notwendig zu sein, dass den Kollegen dabei jemand auf die Finger sah und ein paar Vorgaben gemacht wurden. Genau das war jetzt unser Job.
Davon abgesehen hatte der Fall natürlich inzwischen schon erhebliches Aufsehen in den Medien erzeugt.
Dass abtrünnige Mafia-Angehörige Schweineköpfe ins Bett gelegt bekamen, war aus diversen Gangsterfilmen bekannt. Aber dass der Kopf eines Menschen auf die Gitterspitze eines Tores gespießt wurde, war selbst für die sensationsgierigen Medien etwas außergewöhnlich Abscheuliches.
„Also, was die Todesursache des Geköpften angeht, so ist das nicht weiter schwer”, sagte Wildenbacher. „Er bekam einen Schuss direkt ins Auge - und zwar aus nächster Nähe, wie die Schmauchspuren beweisen. Man könnte also sagen: Er blickte dem Tod direkt ins Auge, wenn Sie mir die Bemerkung gestatten.”
„Ich fürchte, auch ein drittes Gespräch wird Ihnen kaum erspart bleiben, Gerold”, vermutete Rudi.
„Das werde ich auch noch überleben”, meinte Wildenbacher und fuhr dann in seinen Ausführungen fort: „Die Kugel drang durch Auge und Hirn. Anschließend ist sie am Hinterkopf wieder ausgetreten. Die Austrittswunde ist typisch für eine großkalibrige Waffe.”
„Mit anderen Worten: „Wir haben kein Projektil und damit keinen ballistischen Abgleich”, stellte ich fest.
„So ist es leider”, bestätigte Dr. Wildenbacher.
„Könnte sein, dass das auch die Absicht des Täters war.”
„Was ich gerade über eine großkalibrige Waffe sagte, ist übrigens nur meine persönliche Einschätzung. Sicher ist auch das nicht, denn es wurde durch das Auge geschossen. Da hätte auch eine kleinkalibrige Waffe eine Austrittswunde verursacht. Wir können noch nicht einmal Teilmantelgeschosse ausschließen, die sich ja beim Eintritt in den Körper verformen und keinen Durchschuss zulassen. Theoretisch zumindest. Es gibt leider genug Idioten-Polizisten im ganzen Land, die sich darauf verlassen und dann von mehreren Seiten auf einen Verdächtigen schießen - mit dem Ergebnis, dass sie sich gegenseitig treffen.”
Teilmantelgeschosse waren eigentlich typisch für Polizeiwaffen. Sie dienten dazu, zu verhindern, dass bei einer Schießerei Unbeteiligte durch Durchschüsse in Mitleidenschaft gezogen wurden. Und wenn Dr. Wildenbacher ein solches Geschoss hätte ausschließen können, wäre das für uns natürlich eine wichtige Information gewesen.
„Können Sie irgendwas über die Todeszeit sagen?”, fragte Rudi.
„Also erstmal noch ein paar Worte zur Todesursache.”
„Wir lauschen gespannt”, sagte ich.
„Ich kann natürlich nicht sagen, was man vielleicht dem Rest des Körpers vorher noch angetan hat, aber dieser Schuss durchs Auge ist ganz bestimmt sofort letal gewesen. Zur Todeszeit: Dieser Mann muss kurz bevor sein Kopf aufgespießt wurde, erst ermordet und geköpft worden sein. Und zwar schließe ich das aus folgendem.”
Er winkte uns zu einem Rechner, der sich im Sektionsraum befand. Die Tastatur war durch einen transparenten Plastikbezug gegen Flüssigkeitsspritzer aller Art geschützt, wie man das auch aus Zahnarztpraxen kennt. Dr. Wildenbacher ließ auf dem Flachbildschirm Bilder vom Fundort des Kopfes erscheinen. Er wählte eins aus und zoomte es heran. Die Aufnahmen waren von hochauflösender Qualität. Man konnte wirklich jede Einzelheit erkennen.
Wildenbacher interessierte sich allerdings offenbar weniger für den Anblick des Kopfes selbst. Den hatte er schließlich ja auch auf dem Tisch liegen.
Ihn interessierten die Gitterstäbe des gusseisernen Tors. „Sehen Sie das da? Blut und einige andere Anhaftungen, von denen Sie sicher gar nicht wissen wollen, was das im Einzelnen so alles ist. Im Kopf selbst ist nur wenig Blut. Aber auch wenige Tropfen können sehr dramatisch aussehen, wenn sie Spritzflecken verursachen. In diesem Fall spricht die Tatsache, dass überhaupt noch Blut geflossen ist dafür, dass der Kopf erst kurz vorher abgetrennt worden sein kann.”
„Klingt einleuchtend”, meinte ich.
„Sie sehen hier die Spuren am Gitter. Das Blut ist heruntergelaufen und war offenbar noch flüssig.”
„Wir wissen, wann Gunnar Bellenborn auf den Kopf aufmerksam wurde”, sagte ich.
„Also die Fotos sind gemacht worden, als das Blut schon getrocknet war”, stellte Wildenbacher klar. „Meine Anmerkungen bezogen sich auf den Moment, in dem der Kopf aufgespießt wurde.”
„Wenn der Tote unmittelbar davor erst geköpft wurde, muss das in unmittelbarer Nähe des Anwesens geschehen sein”, stellte Rudi fest.
„Ja”, nickte Dr. Wildenbacher. „Aber die alles entscheidenden Fragen sind: Wer war er und wo ist der Rest von ihm?”
In diesem Augenblick klingelte ein Telefon. Wildenbacher ging an den Apparat und nahm das Gespräch entgegen. Ohne auch nur ein einziges Wort zu sagen, beendete er das Gespräch nach ein paar Augenblicken wieder.
„Das war Frau Gansenbrink”, berichtete Wildenbacher.
„Hat Sie was herausgefunden?”, fragte ich.
„Sie glaubt, die Identität des Killers herausgefunden zu haben. Aber alles Weitere will Sie Ihnen beiden selber sagen.” Er zuckte mit den Schultern, während sein Blick auf den Kopf gerichtet war. „Keine Ahnung, weshalb sie nicht einfach hier herunter in diese gastliche Stube kommt, um darüber zu reden.”
„Ist ihr vielleicht nicht gemütlich genug”, meinte ich.
„Ich hatte nie den Eindruck, dass Frau Gansenbrink solche Äußerlichkeiten wichtig sind, Harry.”
Rudi hob die Augenbrauen. „Vielleicht liegt es ja auch einfach nur am Geruch”, vermutete mein Kollege.