Читать книгу Mörderdutzend: 12 Thriller - Sammelband 1200 Seiten Krimi Spannung - A. F. Morland - Страница 17
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ОглавлениеKommissarin Greta Dietmund war zierlich und brünett. Der Blick ihrer blauen Augen verriet Entschlossenheit.
Wir empfingen sie in Rudis Büro, nachdem wir noch einige wichtige Telefonate geführt hatten. Unter anderem mit Lin-Tai Gansenbrink, die uns noch einige Informationen über Günter Pressburger und den Mordfall Dirk Andresen zusammengetragen hatte. Außerdem erfuhren wir, dass unser Naturwissenschaftler Förnheim bereits auf dem Weg nach Frankfurt war, um sich das Tor und die Umstände, unter denen der Kopf aufgefunden worden war genauer anzusehen.
Wir hatten unterdessen eine großangelegte Aktion der Kollegen aus Frankfurt veranlasst, an der mehrere Dutzend Ermittler beteiligt waren. Es ging darum, herauszufinden, wo und unter welchen Umständen genau Günter Pressburger seinen Kopf verloren hatte. Da wir ja wussten, dass zwischen diesem barbarischen Akt und dem Zeitpunkt, als Gunnar Bellenborn auf den Kopf aufmerksam wurde, nur wenig Zeit vergangen sein konnte, war klar, dass das Verbrechen sehr wahrscheinlich in der näheren Umgebung verübt worden sein musste. Alle Gebäude und Orte, die dafür in Frage kamen, wurden von unseren Kollegen näher unter die Lupe genommen. Darüber hinaus wurden alle zur Verfügung stehenden Informationsquellen ausgewertet. Passanten und Anwohner, die als Zeugen etwas beobachtet hatten, was ihnen im Nachhinein seltsam vorkam, Webcams, öffentliche und private Video-Überwachungsanlagen, Parkscheinautomaten, U-Bahn Terminals und so weiter. Es war in einer urbanen Umgebung mittlerweile ziemlich schwierig, sich fortzubewegen, ohne dabei irgendwelche Spuren zu hinterlassen. Meistens bestand das Problem nicht darin, dass keine derartigen Daten vorlagen, sondern das Gegenteil war der Fall. Sehr häufig hatten wir so viel davon, dass die größte Herausforderung darin bestand, die berühmte Spreu vom Weizen zu trennen.
„Stellen Sie Ihre Fragen”, sagte Kommissarin Greta Dietmund. „Ich stehe Ihnen auch weiterhin jederzeit zur Verfügung. Nur morgen früh nicht.”
„Was ist dann?”, hakte ich nach.
Greta Dietmund seufzte. „Ich habe noch einen zweiten Gesprächstermin”, eröffnete sie. „Sie sind nämlich nicht der Einzige, der mit mir über diesen Fall reden will.”
„Wer noch?”, fragte ich.
Sie hob die Augenbrauen. „Es scheint als wäre man an allerhöchster Stelle an diesem Fall interessiert. Und ich werde wohl nicht umhin können, da Rede und Antwort zu stehen. Um genau zu sein, das Treffen wird unter Leitung des Staatssekretärs im Justizministeriums stattfinden.”
Etwas in der Art hatte ich schon vermutet. Wenn der Polizeipräsident einer der größten Städte Deutschlands in so eine Sache verwickelt war, dann hat das immer auch eine politische Dimension. Zweifellos trug auch das Aufsehen in den Medien dazu bei, das der aufgespießte Kopf eines Killers erregt hatte.
„Unseren Job wird es nicht gerade leichter machen”, sagte ich.
Greta Dietmund zuckte mit den Schultern. „Jetzt interessiert sich wenigstens jemand dafür”, sagte sie. „Leider war das nicht immer so.”
„Wie meinen Sie das?”, fragte ich.
„Ich meine die Zeit, in der mein Kollege Dirk Andresen und ich versucht haben, einige Machenschaften in der Frankfurter Polizei aufzudecken. Bürgermeister, der Ministerpräsident, das hessische Justizministerium - niemand war wirklich begeistert davon, dass wir Jagd auf vermeintlich rechtschaffene Polizisten machten. Was den berüchtigten Corpsgeist im Polizeipräsidium angeht, brauche ich Ihnen ja wohl nichts erzählen.”
„Das gibt es vermutlich überall”, sagte ich.
„Ja, aber wir arbeiten noch nicht lange an dem Fall”, sagte Rudi. „Bei einer flüchtigen Durchsicht der Unterlagen habe ich nichts gefunden, was die Verdächtigungen gegenüber Mitgliedern der Frankfurter Polizei untermauern könnte.”
„Es gab mehrere offizielle Vermerke”, widersprach Greta Dietmund. „Aber sie sind verschwunden wie ich feststellen musste.”
„Wie ist das möglich?”, fragte ich.
„Das ist dann möglich, wenn jemand sehr mächtige Freunde hat. Und dazu vielleicht noch ein Netzwerk von Personen, die einem verpflichtet sind.”
„Sie sprechen von Gunnar Bellenborn?”
„Von wem sonst?”, gab Greta Dietmund zurück.
„Konkret scheint bei den Ermittlungen von Ihrem Kollegen Dirk Andresen und Ihnen nicht viel herausgekommen zu sein”, meinte Rudi.
„Sie wissen doch selbst, wie das ist. Es gibt Dinge, die man nicht gerichtsfest beweisen, aber trotzdem als ziemlich gesichert ansehen kann.”
„Und was kann als gesichert angesehen werden?”
„Dass das Frankfurt Polizeipräsidium offenbar einigen Kriminellen quasi in gewissen Grenzen freie Hand gegeben hat. Es wurden Mordermittlungen verschleppt und Beweise vernichtet. Es gibt Dutzende von Tötungsdelikten, in denen nie mit der nötigen Intensität ermittelt wurde. Alles Fälle, in denen sich Kriminelle mutmaßlich gegenseitig umgebracht haben.”
„Was kein Grund sein sollte, so etwas nicht aufzuklären”, meinte Rudi.
Greta Dietmund nickte. „Sie sagen es, Herr Kubinke! Aber anscheinend gab es im Frankfurter Polizeipräsidium dazu auch andere Ansichten. Nach Meinung meines Kollegen Dirk Andresen wäre das ohne Mitwisserschaft und Duldung durch den Polizeipräsidenten nicht möglich gewesen.”
„Und wie ist Ihre Ansicht?”, fragte ich.
„Bellenborn muss die Hand darüber gehalten haben. Anders macht das alles keinen Sinn.”
„Aber konkret konnte Bellenborn nichts nachgewiesen werden?”, vergewisserte ich mich.
„Das ist leider richtig. Oder sagen wir so: Dazu ist es leider nicht mehr gekommen, nach Dirks Ermordung.”
„Wo besteht da der Zusammenhang?”, fragte ich.
„Dirk wurde von einem Unbekannten erschossen, als er seine Wohnung verließ. Er hatte Dienstschluss, hat sich nochmal umgezogen und ich weiß, dass er sich am Abend noch mit einem wichtigen Informanten treffen wollte.”
„Was für ein Informant?”
„Das hat er mir nicht gesagt. Und das Ganze war auch nirgendwo offiziell vermerkt.”
„Wusste der Dienststellenleiter Bescheid?”
„Dienststellenleiter Gieselher sagte mir gegenüber, dass er davon nichts gewusst habe. Ich denke, Dirk hat ganz bewusst nur mich überhaupt über dieses Treffen informiert. Wir hatten immer ein besonderes Vertrauensverhältnis.”
„Sie haben das einfach so akzeptiert, dass Kommissar Andresen Ihnen nicht gesagt hat, wer der Top-Informant ist?”
„Ich habe natürlich nachgefragt. Er meinte, es sei besser, wenn ich nichts weiter dazu wüsste.”
„Wollte er Sie schützen oder...”
„....den Informanten?” Greta Dietmund hob die Augenbrauen. „Ich vermute letzteres. Jedenfalls hat er mir gesagt, dass nach diesem Treffen die Bombe hochgehen würde.”
„So hat er sich tatsächlich ausgedrückt?”, wunderte ich mich.
„Genau diese Worte hat er verwendet”, bestätigte Kommissar Dietmund. „Und er hat auch wörtlich gesagt: ‘Du wirst sehen, morgen ist Bellenborn fällig!”
„Er scheint sich sehr sicher gewesen zu sein.”
„Ja, das sehe ich auch so. Und für mich liegt auf der Hand, dass man ihn deshalb vorher umgebracht hast. Immerhin wissen wir wenigstens ziemlich sicher, wer der Täter ist.”
„Günter Pressburger”, sagte ich.
„Er verwendete eine Waffe, mit der er vor Jahren die Nummer 2 eines kriminellen Libanesen-Clans umgebracht hat”, erklärte Greta Dietmund. „Dieses Verbrechen konnte ihm auch anhand eines Ohr-Abdrucks an der Tür zweifelsfrei zugeordnet werden.”
„Ungewöhnlich, dass man von einem Profi-Killer den Ohr-Abdruck hat”, stellte ich fest.
„Günter Pressburger ist als junger Mann wegen eines Einbruchs festgenommen und anhand eines Ohrabdrucks an der Tür auch überführt worden.”
„Verstehe.”
„Anscheinend hat er später gemerkt, dass man man mit Auftragsmorden mehr Geld verdienen kann”, meinte Greta Dietmund.
Ich lehnte mich etwas zurück und ließ mir Greta Dietmunds Schilderungen nochmal durch den Kopf gehen.
„Was ich nicht verstehe ist folgendes: Günter Pressburger war ein Profi-Killer, aber wie kann es sein, dass ein Profi zweimal denselben Fehler macht und ein Ohr an eine Tür drückt und damit einen Abdruck hinterlässt, von dem er doch inzwischen gewusst haben muss, dass der genauso unverwechselbar ist wie ein Fingerabdruck. Schließlich hat es wegen des Einbruchs ja einen Prozess gegeben, in dem ihm das doch wohl eindrücklich vor Augen gehalten wurde!”
„Deswegen ist er ja verurteilt worden.”
„Eben! Aber damit nicht genug, noch einige Jahre später gräbt er eine uralte Waffe aus und erschießt damit Ihren Kollegen Dirk Andresen. Wenn ich das richtig sehe, kann man nur dadurch diesen Mord mit dem dem an dieser Clan-Größe in Verbindung bringen.”
„Und das ist wiederum der einzige Mord, der Günter Pressburger vor Gericht zweifelsfrei hätte nachgewiesen werden können”, bestätigte Kommissarin Dietmund. „Sie haben das schon richtig verstanden.
„Heißt das...”
„...Pressburger wollte, dass man ihm den Mord an meinem Kollegen zuordnet?”, nahm mir Kommissarin Dietmund die Worte aus dem Mund.
„Besser hätte ich des auch nicht formulieren können, Frau Dietmund.”
„Genau das denke ich, Herr Kubinke. Er hat eine Visitenkarte hinterlassen. Bei diesem Mord an der Clan-Größe konnte ihm die Zuordnung des Ohrabdrucks nicht mehr schaden. Pressburger war nämlich schon untergetaucht. Ich gehe davon aus, dass es eine Botschaft an seinen Auftraggeber war. Eine Art Signatur. Und dasselbe hat er jetzt bei meinem Kollegen Dirk Andresen praktiziert.”
„Von dieser Vermutung steht nichts in den offiziellen Akten”, mischte sich jetzt Rudi ein.
„Natürlich nicht”, sagte Greta Dietmund. „Denn wenn es sich tatsächlich so verhalten sollte, dann stellt sich doch gleich die Frage: Wer außer Angehörige der Polizei könnten mit dieser Signatur überhaupt etwas anfangen und sie richtig deuten? Nur Ermittler haben Zugang zu den Einzelheiten der Ermittlungsergebnisse.”
„Zumindest so lange das Ganze noch nicht bei der Staatsanwaltschaft oder bei Gericht ist”, ergänzte ich.
„Aber Sie sehen, in welche Richtung meine Überlegungen gehen.”
„Günter Pressburger hatte einen Auftraggeber im Polizeipräsidium.”
„Die Vermutung liegt nahe. Glauben Sie mir, ich habe buchstäblich Himmel und Hölle in Bewegung gesetzt, um da etwas voranzukommen und auch unser Dienststellenleiter Gieselher hat sich sehr dafür eingesetzt, dass in dem Fall mit Hochdruck ermittelt wurde. Jetzt haben wir zwar buchstäblich den Kopf des Täters, aber was den Auftraggeber angeht, sehe ich schwarz.”
„Sie machen uns nicht gerade Mut, Frau Dietmund”, sagte ich.
„Ich stelle nur realistisch die Ermittlungslage dar. Mehr nicht.” Sie atmete tief durch. Zum ersten Mal hatte ich den Eindruck, dass ihr für einen Moment die Kontrolle über ihre Gesichtszüge entglitt. „Kommissar Andresen stand mir ziemlich nahe”, erklärte sie dann. „Wir haben über mehrere Jahre hinweg sehr eng zusammengearbeitet, und es wäre mir ein persönliches Anliegen, wenn die Schuldigen gefasst würden.”
„Das ist unter anderem unser Ziel”, sagte ich.
„Wenn das mit Ihrer Unterstützung doch noch gelingen sollte, dann wäre mir das ein ganz persönliches Anliegen. An meiner Unterstützung soll es jedenfalls nicht liegen.”
„Dann würde ich sagen: Auf gute Zusammenarbeit, Frau Dietmund”, sagte Rudi.
Sie nickte. „Danke.” Sie sah auf die Uhr. „Ich werde mich dann auf den Weg zu meiner zweiten Verabredung machen müssen.”
„Ich nehme an, wir sehen uns dann in Frankfurt.”
Sie stand auf und war schon beinahe bei der Tür, als sie sich noch einmal umdrehte, so als gäbe es da noch etwas, was sie unbedingt loswerden wollte. Ihr Blick traf sich mit meinem. Was sie betraf, war es ein prüfender Blick. „Eine Sache sollten Sie noch wissen, Herr Kubinke”, sagte sie schließlich.
„Und welche?”
„Die ungeklärten Mordfälle, bei denen das Frankfurter Polizeipräsidium gelinde gesagt nicht so intensiv ermittelt hat, wie man es eigentlich erwarten dürfte, werden bis heute offiziell Auseinandersetzungen zwischen unterschiedlichen Gangstergruppen im Rotlichtmilieu zugeordnet.”
„Ja, das erwähnten Sie bereits.”
„Das liegt natürlich daran, dass es sich bei den Opfern überwiegend um einschlägig bekannten Personen handelte. Allerdings gibt es auch noch eine andere Theorie, die das erklären würde. Eine, die allerdings niemand im Polizeipräsidium und auch niemand im Rathaus wirklich gerne hören möchte.”
„Wovon sprechen Sie?”
„Von einer sogenannten Todesschwadron.”
„Eine Todesschwadron aus Polizisten, die Kriminelle hinrichtet?”
„Es gibt seit langem Gerüchte darüber. Nichts Konkretes, nur Gerüchte. Aber wenn Sie sich die Fakten mal genauer ansehen und den Gesamtzusammenhang betrachten, dann werden Sie auch zugeben müssen, dass das eine Möglichkeit wäre, die alles erklären könnte.”
„Ich danke Ihnen für Ihre Offenheit, Frau Dietmund”, sagte ich.