Читать книгу Spezial Krimi Koffer Juli 2021 - 9 Thriller auf 1500 Seiten - A. F. Morland - Страница 30
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„Das passt doch alles zusammen!“, meinte Rudi während wir uns mit Blaulicht aufmachten. „Michael Rejnders, dieser Profi-Killer, dessen Handschrift die bisherigen Morde an den Al-Khalili-Unterbossen zu tragen scheinen, arbeitete auch in einem Laden, der unter der Kontrolle der Balkan-Connection steht – und zwar in den selben Jahren. Die beiden kennen sich wahrscheinlich von daher und arbeiten jetzt zusammen.“
„Möglich.“
„Es scheint so, als ob tatsächlich jemand aus der Balkan-Connection die Morde in Auftrag gegeben hat“, war Rudi überzeugt. „Entweder Darko Grusic oder Leute, die noch ein paar Etagen über ihm stehen.“
„Aber das wird schwer sein, zu beweisen, Rudi!“
„Abwarten. Wenn wir Avakovitsch erst einmal haben, könnte das der erste Dominostein sein...“
„Bist du optimistisch, Rudi!“
Ich trat in die Bremsen und stoppte den Wagen aus dem bestand unserer Fahrbereitschaft, mit dem wir im Augenblick unterwegs waren. Vor einer Kreuzung bildete sich ein kleiner Stau. Die Ampel konnte den Verkehr während eines Rot-Grün-Intervalls nicht fassen. Da half weder Rotlicht noch Sirene. Manchmal gab es in den völlig überlasteten Straßen von Berlin einfach kein Durchkommen.
Die Kommissare Leonhard Morell, Fred LaRocca und Tommy Kronburg folgten uns in einem zweiten Wagen.
„Es fehlt uns noch der zweite Mann, der bei den Azizis mitgeholfen hat, die Wanzen einzubauen“, meinte ich. „Rejnders kann das nicht sein, denn dessen Beschreibung passt absolut nicht auf das, was Jarmila Azizi uns über ihn erzählt hat!“
„Na, ich schätze, das ist Rejnders gewesen.“
„Glaube ich nicht. Alles, was wir über Rejnders wissen, stammt aus der Aufnahme seiner Personalien bei seiner letzten Verhaftung“, gab Rudi zu bedenken. „Und die liegt doch Jahre zurück. Der Mann ist in der Zwischenzeit nicht nur älter geworden, sondern hat vermutlich auch bewusst sein Äußeres verändert.“
Die Ampel wurde grün, wir fuhren weiter und konnten uns schließlich mit Hilfe von Sirene und Rotlicht erfolgreich durch die Menge der Fahrzeuge drängeln. Von da an ging es recht reibungslos voran.
Sobald wir uns der anvisierten Adresse näherten, nahmen wir das Blaulicht vom Dach und schalteten die Sirene aus. Schließlich sollte Sonny Avakovitsch nicht frühzeitig gewarnt werden.
Die Hausnummer 334 war ein einfaches, zehnstöckiges Haus mit Apartments.
Sonny Avakovitsch’ Wohnung lag im vierten Stock.
Wir nahmen den Aufzug. Nennenswerte Sicherheitsvorkehrungen gab es im Haus Nummer 334 nicht. Weder Video-Kameras noch Security Service. Aber das machte die Wohnungen hier wohl um einiges preisgünstiger, als es ansonsten dem Mietniveau von Berlin entsprach – und viele kleine Angestellte in den Banken und Geschäften von Berlin Mitte waren darauf angewiesen, in solchen Apartmenthäusern zu wohnen, wenn sie nicht gleich in die Außenbezirke von Berlin ausweichen wollten.
Wir erreichten Sonny Avakovitsch’ Wohnungstür. Sein Name stand dort immer noch, sodass wir davon ausgingen, dass er nicht inzwischen umgezogen war.
Wir griffen nach unseren Dienstwaffen.
Vorsorglich hatten wir Kevlar-Westen angelegt. Schließlich konnte niemand vorhersagen, wie Avakovitsch’ reagierte. Wenn er tatsächlich der Partner eines skrupellosen Lohnkillers wie Michael Rejnders war, dann mussten wir damit rechnen, dass er sofort um sich schießen würde.
Leonhard Morell betätigte die Klingel.
Keine Reaktion.
„Herr Avakovitsch? Hier spricht das BKA! Machen Sie die Tür auf!“, rief unser Kollege Tommy Kronburg, wobei er seine Waffe mit beiden Händen nahm.
„Avakovitsch! Machen Sie die Tür auf!“, rief Tommy noch einmal. Er nickte mir zu.
Ich nahm Schwung und trat die Tür auf.
Sie sprang zur Seite. Ich stürzte mit der Pistole in der Hand hinein, schwenkte den Lauf herum, in der Erwartung, dass sich irgendetwas bewegte.
In dem Apartment sah es aus, wie auf einem Schlachtfeld. Möbel waren umgestürzt und in der Mitte des Raumes saß ein Mann mit starren, toten Augen auf einem Stuhl. Er war gefesselt. Blut lief ihm aus dem Mund heraus. Ein Auge fehlte. Stattdessen klaffte dort ein Einschussloch.
Seine Kleider waren Blut durchtränkt. Einschusswunden waren an Armen, Beinen und den Schultern zu sehen.
Ich senkte die Waffe und musste unwillkürlich schlucken.
Hier war jemand mit ungeheurer, fast unfassbarer Brutalität vorgegangen.
Auch die anderen, die mir in das Apartment folgten, waren schockiert.
„Das war eine Hinrichtung“, meinte Tommy und deutete auf den Boden vor dem Stuhl. Der Mörder hatte die Patronenhülsen der verwendeten Projektile zu einem Kreuz gruppiert.
„Das kennen wir doch schon“, murmelte ich düster.
„Aber unser Freund hat diesmal eine andere Waffe benutzt“, stellte Rudi angesichts der Tatsache fest, dass diese Patronen ein sichtlich kleineres Kaliber hatten als die, die wir in dem Rohbau am Fun Park gefunden hatten.
Ich zuckte die Schultern. „Ein Spezialgewehr wie die MK-32 ist auch sicher nicht die geeignete Waffe für den Einsatz in einer Wohnung, wo es zu einer nahkampfähnlichen Situation kommen kann.“
Leonhard Morell hatte bereits sein Handy am Ohr und forderte Verstärkung sowie erkennungsdienstliche Unterstützung an.
„Warum tötet dieser Killer einen Mann, der offensichtlich sein Komplize war?“, fragte Rudi.
„Um sich abzusichern – warum denn sonst!“, mischte sich Tommy ein.
„Und wenn wir nicht ganz schnell den zweiten Mann finden, der bei den Azizis die Wanzen installiert hat, wird von dem auch nicht mehr übrig bleiben, als von dem Kerl hier!“, war Rudi überzeugt. „Seht euch das an, er wurde regelrecht gefoltert – wahrscheinlich mit einer relativ kleinkalibrigen Waffe mit Schalldämpfer, sodass man in der Nachbarschaft nichts von den Schussgeräuschen mitbekam. Erst in die Extremitäten und als er hatte, was er wollte...“
„...ins Auge und in den Mund“, vollendete Tommy. „Auge um Auge, Zahn um Zahn – Sorry, aber das fällt mir spontan dabei ein. Dieser Perverse muss das wörtlich genommen haben, wenn ich mir das so ansehe.“
„Dazu das Kreuz“, murmelte ich.
Mir ging einiges an Gedanken durch den Kopf. Schon im Fall von Jimmy Talabani hatte ich das Gefühl gehabt, dass da etwas nicht zusammenpasste. Mir war nur noch nicht so recht klar geworden, was es eigentlich war.
„Das Kreuz bei Talabani, jetzt wieder ein Kreuz, dazu ein fehlendes Auge und...“ Ich beugte mich nieder und leuchtete dem Toten mit dem zigarettengroßen Microlenser, den ich am Schlüsselbund trage, in den Mund. „...ein fehlender Zahn. Das ist ein Erkennungszeichen mit so aufdringliche Symbolik!“ Ich schüttelte den Kopf und wandte mich ab. Der Anblick dieses entstellten Toten war kaum zu ertragen. „Meiner Meinung nach passt das nicht zu der kalten, professionellen Vorgehensweise eines Hit-man.“
„Du meinst, wir können diesen Michael Rejnders von unserer Verdächtigenliste streichen? Harry, das ist nicht dein Ernst!“, ereiferte sich Rudi. „Es passt doch alles wunderbar zusammen! Rejnders und dieser Typ hier haben beide eine Verbindung zu den Balkan-Leuten und die wiederum haben das beste Motiv der Welt, gegen Al-Khalilis Leute vorzugehen!“
„Ich sag ja nicht, dass es nicht Rejnders gewesen sein kann! Und ich will noch nicht einmal in Abrede stellen, dass es sehr plausibel klingt, dass die Auftraggeber zur Balkan-Connection gehören, aber...“
„Aber was?“, hakte Rudi nach.
„Wir wissen ja definitiv, dass die Al-Khalili-Captains alle vom selben Killer getötet wurden. Zumindest wurde dieselbe Waffe benutzt. Aber es scheint bei diesem Kerl eine Entwicklung gegeben zu haben, von der ich noch nicht weiß, was sie bedeutet oder wodurch sie ausgelöst wurde. Die ersten Morde waren eiskalte Profi-Taten. Dann das Kreuz, jetzt diese Perversion hier...“
„Dazwischen aber wieder ein relativ kühl durchgezogener Hit-man Job bei Yussuf Azizi“, gab Rudi zu bedenken. „Aber worauf willst du dabei hinaus? Dass es irgendeine persönliche Komponente bei diesen Verbrechen gibt“
„Rache“, vermutete Tommy Kronburg. „Vielleicht ist dieser Rejnders mit Al-Khalilis Leuten mal böse aneinander geraten, wer weiß.“
„Killer mögen es zum Beispiel nicht, wenn man sie nicht bezahlt“, meinte Tommy.
„Dafür haben wir nicht den geringsten Anhaltspunkt“, gab ich zu bedenken.
Tommy Kronburg machte eine wegwerfende Handbewegung. „Genau genommen haben wir, zumindest was das letzte Jahrzehnt angeht, über Michael Rejnders – oder wie immer er sich im Moment auch nennen mag – fast überhaupt keinen Anhaltspunkt. Wir wissen nicht, für wen er gearbeitet hat und so weiter.“
Rudi musste ihm zustimmen. „Da gibt es nur diese Mordserie in Hamburg und die Morde an den Al-Khalili-Captains, die mit einer seiner bevorzugten Waffe, der MK-32 durchgeführt wurden.“
Ich hörte der Diskussion einige Augenblicke lang zu und versank dabei in meinen eigenen Gedanken. Dieser Täter legte es darauf an, dass man ihn wieder erkannte. Warum nur? An der Kälte und Präzision der Durchführung hatte sich ja nichts geändert.
„Dieser Kerl – vorausgesetztes es ist überhaupt ein Mann – scheint eine Entwicklung durchzumachen“, wiederholte ich meine Ansicht und redete in das Gespräch der Anderen hinein.
Meine Kollegen sahen mich etwas irritiert an.
„Was meinst du damit genau, Harry?“, fragte Tommy Kronburg stirnrunzelnd.
„Es scheint ihm plötzlich wichtig zu sein, dass er mit diesen Verbrechen identifiziert wird. Das mit den Patronen und auch die Sache mit Auge und Zahn – das ist wie eine schaurige Inszenierung, mit der jemand sagen will: Seht her, was ich getan habe!“
„Eigentlich eine Todsünde für einen Hit-man!“, kommentierte Leonhard Morell meine Worte. Er schüttelte anschließend den Kopf und fügte noch hinzu: „Tut mir leid, Harry, aber ich kann dir nicht ganz folgen. Der Grund für das brutale Vorgehen dürfte sein, dass der Mörder Informationen wollte.“
„Da stimme ich dir zu“, nickte ich.
„Und wie du selbst schon vermutet hast, wollte er wahrscheinlich, Name, Adresse und Aufenthaltsort des zweiten Mannes, der bei den Azizis für die Verwanzung gesorgt hat.“
„Aber das erklärt nicht das Patronenkreuz“, wandte ich ein.