Читать книгу Das Riesen Arztroman Paket August 2021: Arztromane Sammelband 8 Romane - A. F. Morland - Страница 33
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ОглавлениеBärbel Raffreither hatte einen Zahnarzttermin. Sie zitterte deswegen schon den ganzen Tag vor Angst und war im Verkauf kaum zu gebrauchen.
„Ich brauche bloß diesen schrecklichen Praxisgeruch wahrzunehmen, schon klappe ich fast zusammen“, stöhnte sie. „Und wenn ich dieses nervende Bohrergeräusch höre, würde ich am liebsten die Flucht ergreifen.“ Sie verdrehte verzweifelt die Augen. „Warum muss es Zahnärzte geben?“
„Damit wir so lange wie möglich schöne, gesunde Zähne haben“, antwortete Corinna.
„Warum müssen Zähne Löcher kriegen?“
Corinna Rademann schmunzelte. „Damit die Zahnärzte was zu tun haben.“
Bärbel Raffreither legte die Hand auf ihre Wange. „Oh, er wird bohren, bohren, bohren – und ich werde schreien, schreien, schreien. Ich kann mich einfach nicht beherrschen.“
„Hast du einen kranken Zahn?“
„Ich weiß es nicht.“
„Dann wird er vielleicht gar nicht bohren“, sagte Corinna.
„O doch, er wird. Er bohrt immer.“
„Wann hattest du deinen letzten Termin?“
„Vor einem Jahr“, antwortete Bärbel.
„Du solltest zweimal jährlich zum Zahnarzt gehen“, bemerkte Corinna.
„Ich weiß, aber das schaffe ich einfach nicht“, stöhnte Bärbel. „Ich bin froh, dass ich mich einmal im Jahr dazu überwinden kann. Wenn früher einer eine sadistische Ader hatte, wurde er Folterknecht. Heute studiert er – und wird Zahnarzt!“
„Ich finde, du solltest jetzt gehen, sonst kommst du noch zu spät.“
„Weißt du, was ich mir jedes Mal wünsche, wenn ich vor der Praxistür stehe?“, fragte Bärbel.
„Was?“
„Dass der Zahnarzt nicht da ist.“
„Das bringt doch nichts“, sagte Corinna. „Dann musst du ein andermal wiederkommen.“
„Ich weiß, aber ich wünsche es mir trotzdem immer wieder.“ Bärbel verließ schweren Herzens die Boutique. Corinna wünschte ihr viel Glück.
„Kann ich gebrauchen“, gab Bärbel beim Hinausgehen zurück.
Es war nicht viel los an diesem Tag. Die Leute saßen auf ihrem Geld und brüteten es aus. Der nachmittägliche Geschäftsgang war so flau, dass Corinna die Boutique am liebsten geschlossen hätte und nach Hause gefahren wäre.
Sie dachte an den Urlaub in Italien, den sie wegen ihrer Mutter verschoben hatten. Inzwischen war von der Reise keine Rede mehr, weil Ralf ja fast rund um die Uhr in seiner Firma unabkömmlich war.
Und es zog Corinna auch gar nicht mehr an die Riviera di Levante, weil es da in den letzten Tagen zu einem erheblichen Temperatursturz gekommen war, von dem sich der Landstrich in diesem Jahr mit Sicherheit nicht mehr erholen würde.
Kälte, Wind und Regen hätten den Aufenthalt dort ziemlich ungemütlich gemacht, deshalb fiel es Corinna leicht, auf diese Reise zu verzichten.
Eine halbe Stunde vor Ladenschluss betrat Ralf die Boutique. Corinna traute ihren Augen nicht. „Ralf, was machst du denn hier?“, fragte sie völlig überrascht.
Er hob lächelnd die Schultern. „Ich besuche meine Frau, möchte sehen, wie es ihr geht.“
„Ach, du hast eine Frau. Das wusste ich ja gar nicht.“ Sie konnte es sich nicht verkneifen, das zu sagen.
Er nickte ernst und seufzte: „Dein Sarkasmus ist berechtigt, Schatz. Ich habe dich in letzter Zeit sehr vernachlässigt.“
„Wann ist dir das aufgefallen?“
„Schon lange, aber ich konnte nichts daran ändern“, antwortete Ralf aufrichtig.
„Und jetzt kannst du?“
„Jetzt kann ich.“
„Wieso auf einmal?“, fragte Corinna verwundert.
„Weil ich mit der Firma fertig bin.“
„Du hast doch nicht etwa gekündigt.“
„Doch, das habe ich.“
„Ralf ...“
„Ich möchte dich nicht verlieren“, sagte Ralf sehr ernst, „und ich hätte dich verloren, wenn ich nicht diesen längst fälligen Schlussstrich gezogen hätte.“ Er trat näher und griff nach ihren schmalen Schultern. Sie zuckte wie elektrisiert zusammen. Sie liebte ihn noch. Sie empfand noch etwas für ihn, das merkte sie in diesem Augenblick. Sie reagierte noch sehr heftig auf seine Berührung. „Ich habe gemerkt, wie wir mehr und mehr auseinanderdrifteten“, sagte er rau, „ich wollte es verhindern, aber mir fehlten Zeit und Kraft dazu. Arbeiten ist okay. Ich bin bestimmt nicht faul, das kann mir niemand nachsagen. Aber man darf sich von seinem Arbeitgeber nicht so sehr unterjochen, versklaven und ausnützen lassen, dass dabei das Privatleben auf der Strecke bleibt. Ich habe mich für die Leute in Hamburg wahrlich nach bestem Wissen und Gewissen und mit allen Kräften eingesetzt. Und wie hat man es mir gedankt? Mit bissiger Unzufriedenheit und immer neuen unsinnigen Forderungen. Jetzt ist das Maß voll. Ich habe denen heute Morgen meine Kündigung gefaxt, und vor einer Stunde erreichte mich ihre Fax-Nachricht. Man nimmt meine Kündigung zur Kenntnis, und ich bin mit sofortiger Wirkung beurlaubt.“
Corinna lehnte sich an ihn, und sie hatte das Gefühl, dass er jetzt ihren Trost brauchte. „Ach Ralf, Ralf ...“
„Ich weine diesem Job keine Träne nach“, knurrte er.
Sie war froh, dass sein Stress vorbei war. Er würde endlich wieder mehr Zeit für sie haben, würde endlich wieder abends zu Hause sein, mit ihr reden, irgendetwas mit ihr spielen, mit ihr ausgehen oder mit ihr einfach nur vor dem Fernseher sitzen. Sie würden endlich wieder zusammen sein, gemeinsam etwas unternehmen. Ihre Ehe würde sich erholen. Ihr Zusammensein würde sich normalisieren. Ihre Liebe würde einen neuen Impuls bekommen. „Was wirst du jetzt tun?“, fragte Corinna.
„Erst mal vier Wochen nichts.“
„Und dann?“
„Dann gehe ich zur Konkurrenz“, sagte Ralf. „Man hat bereits vor Wochen ein sehr deutliches Interesse an meiner Person signalisiert. Ich stehe in dem Ruf, fleißig, umsichtig und zuverlässig zu sein. Auch meine Führungsqualitäten sind allgemein bekannt. Bevor ich mein Kündigungs-Fax absandte, hatte ich ein hochinteressantes Gespräch mit dem Chef der ‘Germania-Bau’-Gruppe. Der Mann machte es mir leicht, meinen unerträglich gewordenen Job zur Verfügung zu stellen. Er bot mir nämlich einen gleichwertigen Posten in seinem Unternehmen an. ‘Germania-Bau’ eröffnet in vier Wochen eine weitere Filiale in München.“
„Wo?“
„In Schwabing.“
„Und du wirst sie leiten?“, fragte Corinna.
Ralf grinste. „Wenn ich möchte – ja.“
„Ich nehme an, du möchtest.“
„Ich treffe mich morgen mit meinem neuen Chef, und dann machen wir die Sache perfekt.“
Corinna freute sich für ihren Mann, dass er diesen neuen Posten gefunden hatte. Sie beglückwünschte ihn mit einem langen, innigen Kuss.
„Endlich kann ich mich dir wieder so widmen, wie du es verdienst“, sagte Ralf bewegt. „Wir fangen noch einmal von vorn an, okay?“
Sie lächelte mit Tränen in den Augen. „Hört sich gut an.“
„Ich werde nie wieder so viel arbeiten. Ich verspreche es. Ich werde dich nie wieder so sehr vernachlässigen, denn ich liebe dich und ich brauche dich und ich möchte dich niemals verlieren.“ Ralf nahm ihr schönes Gesicht zwischen seine Hände. „Wir hatten einen Urlaub geplant.“
„Die Riviera di Levante können wir inzwischen vergessen. Da ist es schon zu kalt.“
„Ich fliege mit dir, wohin du willst“, sagte Ralf.
„Ich wüsste im Moment nicht ...“
„Die Kanarischen Inseln würden sich anbieten.“
„Muss ich mich sofort entscheiden?“, fragte Corinna.
„Natürlich nicht.“
„Ich denke über die Kanaren nach“, versprach Corinna.
Ralf nickte. „Tu das, und gib mir Bescheid, wenn du dich entschieden hast.“