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3. Hintergrund: Trennungs- und Abstraktionsprinzip

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Die Unterscheidung zwischen Verpflichtungs- und Verfügungsgeschäften ist eine Eigenart des deutschen Rechts. Sie wird formal auch dann durchgehalten, wenn die Geschäfte stillschweigend durch einen einheitlichen Lebenssachverhalt vorgenommen werden, wie zum Beispiel beim alltäglichen Einkauf. Man bezeichnet diese Trennung von Verpflichtungs- und Verfügungsgeschäft auch als „Trennungsprinzip“.[13]

Beispiel

Beim Kauf im Supermarkt wird zum einen ein Kaufvertrag über die an der Kasse vorgelegte Ware als Verpflichtungsgeschäft geschlossen. Er begründet einen Anspruch des Käufers auf Übereignung und Übergabe der vorgelegten Ware in mangelfreiem Zustand (vgl. § 433 Abs. 1) und einen Anspruch des Verkäufers (= Betreiber des Supermarktes) auf Zahlung des Kaufpreises (vgl. § 433 Abs. 2).

Diese Ansprüche werden beim Bargeschäft sogleich durch folgende Verfügungsgeschäfte wieder erfüllt: Das Eigentum an der Ware wird gem. § 929 durch Einigung und Übergabe auf den Käufer übertragen, der die Ware an sich nimmt. Umgekehrt wird der Kaufpreis durch Übereignung gültiger Geldscheine bzw. Münzen gem. § 929 gezahlt.

All dies geschieht regelmäßig stillschweigend durch die an der Kasse üblichen Verhaltensweisen. Nur der Jurist klassifziert diesen Vorgang als die eben bezeichneten, verschiedenen Rechtsgeschäfte.

Betrachten wir noch den Fall eines Erlasses im Sinne des § 397:

Beim Erlass ist der in § 397 bezeichnete Vertrag das Verfügungsgeschäft, aber nicht zugleich auch Rechtsgrund. Dieser kann zum Beispiel in einer Schenkung i.S.d. § 516 liegen oder in einem Vergleich i.S.d. § 779.

JURIQ-Klausurtipp

In der Klausur und mündlichen Prüfung müssen Sie stets darauf achten, dass Sie in Ihren Formulierungen das Trennungsprinzip beachten. Eine Aussage, wonach jemand Eigentümer einer Sache geworden sein könnte, weil er sie „gekauft“ hat, wäre ein Verstoß gegen das Trennungsprinzip. Und ein solcher Verstoß führt regelmäßig zu einer „mangelhaften“ Note.

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Auf dem Trennungsprinzip baut das sog. „Abstraktionsprinzip“ auf. Damit ist gemeint, dass die Wirksamkeit eines Verfügungsgeschäftes losgelöst[14] vom Bestehen und der Wirksamkeit eines zugrunde liegenden Verpflichtungsgeschäftes ist (und umgekehrt). Mängel des einen Geschäfts beeinträchtigen die Wirksamkeit des anderen Geschäftes nicht. Die Wirksamkeit des Verfügungsgeschäftes ist daher unabhängig vom Bestehen und der Wirksamkeit eines zugrunde liegenden Verpflichtungsgeschäftes zu begutachten (und umgekehrt).[15] Die Wirksamkeit jedes Rechtsgeschäftes wird einzeln für sich geprüft.

Beispiel

K kauft bei seinem Weinhändler V telefonisch eine Kiste Wein gegen Vorkasse. Als K nach Zahlung den Wein geliefert bekommt, bemerkt er beim Auspacken, dass er versehentlich die falsche Weinsorte genannt hatte und deswegen nicht den gewünschten Wein bekommen hat. Deswegen erklärt er nach § 119 Abs. 1 Var. 1 innerhalb der Frist des § 121 Abs. 1 die Anfechtung. Der Kaufvertrag ist nach § 142 Abs. 1 nichtig. Die Übereignung des Weins gem. § 929 S. 1 ist hingegen wirksam, weil K ja das Eigentum an der Kiste, die ihm gerade überreicht wurde, hatte erwerben wollen und die Verwechslung der Sorten erst im Nachhinein feststellte.

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Das ist auch in den Fällen der sog. „Fehleridentität“ nicht anders. Damit ist nur gemeint, dass in diesen Fällen ein Verpflichtungs- und ein Verfügungsgeschäft aus dem gleichen Rechtsgrund unwirksam sind. Beide Geschäfte weisen den gleichen Mangel auf, der bei beiden Geschäften gesondert zur Unwirksamkeit führt. Nicht gemeint ist damit, dass ein Verfügungsgeschäft deshalb unwirksam sein soll, weil das Verpflichtungsgeschäft unwirksam ist. Deswegen bringt dieser Begriff keine weiteren Erkenntnisse und verleitet nur dazu, in einer Klausur überflüssige Ausführungen zu anderen, davon zu trennenden Rechtsgeschäften zu machen.[16]

Beispiel

Der beschränkt Geschäftsfähige A verkauft ohne Zustimmung seiner gesetzlichen Vertreter sein Handy an den volljährigen Käufer B gegen Barzahlung des Kaufpreises. Der Kaufvertrag ist nach §§ 106, 107, 108 Abs. 1 schwebend unwirksam, da er für den A mit Pflichten verbunden und daher rechtlich nachteilhaft ist. Gleiches gilt für die Übereignung des Handys, da K dadurch sein Eigentum an dem Gegenstand verliert. Beide Rechtsgeschäfte sind also aus dem gleichen Rechtsgrund (schwebend) unwirksam. Es liegt ein Fall der Fehleridentität vor. Umgekehrt ist die Übereignung des Geldes, das A von B zum Zwecke der Kaufpreiszahlung erhält, nicht nach § 108 Abs. 1 unwirksam. Denn dieses Verfügungsgeschäft ist für A rechtlich lediglich vorteilhaft, da er Eigentum erwirbt.

In der Falllösung[17] prüfen Sie stets nur das Rechtsgeschäft, auf das es im Rahmen der Anspruchsprüfung ankommt. Angenommen Sie würden einen Herausgabeanspruch des A aus § 985 prüfen: Dann käme es zunächst darauf an, ob A sein Eigentum am Handy auf B übertragen und damit verloren hat. Das entscheidet sich allein nach der Wirksamkeit des Verfügungsgeschäfts gem. § 929. Der Kaufvertrag spielt hier noch keine Rolle. Erst beim Recht zum Besitz des B i.S.d. § 986 kommt es darauf an, ob zwischen A und B ein wirksamer Kaufvertrag geschlossen wurde.

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Je nach Konstellation begegnet unsere Rechtsordnung Mängeln des Verpflichtungs- und/oder Verfügungsgeschäftes mit unterschiedlichen Folgen:

Ist das Verpflichtungsgeschäft wirksam, das zu seiner Erfüllung eingegangene Verfügungsgeschäft hingegen unwirksam, besteht der Anspruch aus dem Verpflichtungsgeschäft fort. Er wurde mangels wirksamer Verfügung noch nicht erfüllt und ist deshalb noch nicht nach § 362 Abs. 1 erloschen.

Ist das Verpflichtungsgeschäft unwirksam, das zu seiner Erfüllung eingegangene Verfügungsgeschäft hingegen wirksam (wie im Beispiel unter Rn. 81), entsteht ein Bereicherungsanspruch in Form einer Leistungskondiktion nach § 812 Abs. 1 S. 1 Var. 1. Denn für die Verfügung fehlte der „rechtliche Grund“ i.S.d. § 812 Abs. 1. Der Empfänger muss das durch die Verfügung Erlangte wieder herausgeben. Bei einer wirksamen Verfügung nach § 929 S. 1 wäre dies Eigentum und Besitz. Der Bereicherungsanspruch dient hier der Rückabwicklung unwirksamer Verpflichtungsgeschäfte.

Sind sowohl das Verpflichtungs- als auch das Verfügungsgeschäft unwirksam (wie im Beispiel unter Rn. 82), entsteht zum einen ein Bereicherungsanspruch nach § 812 Abs. 1 S. 1 Var. 1, soweit überhaupt etwas erlangt wurde. Zum anderen können besondere „dingliche“ Ansprüche entstehen, die mit dem Recht, über das nicht wirksam verfügt wurde, verbunden sind, insbesondere die Vindikation nach § 985.

Beispiel

Sind wie im vorigen Beispiel Kaufvertrag und Übereignung des Kaufobjektes unwirksam, hat der Erwerber infolge der Übergabe i.S.d. § 929 S. 1 zwar nicht das Eigentum, aber immerhin den (tatsächlichen) Besitz erlangt. Diesen muss er nach § 985 an den Eigentümer herauszugeben, da er kein Eigentum erhalten hat und ihm der unwirksame Kaufvertrag kein Recht zum Besitz verschaffen kann. Dem vermeintlichen Verkäufer schuldet er die Herausgabe des erlangten Besitzes daneben auch aus § 812 Abs. 1 S. 1 Var. 1.

Wurde eine Forderung verkauft und sind Kaufvertrag sowie die Abtretung unwirksam, hat der Erwerber („Zessionar“) nichts erlangt, weswegen er ungerechtfertigt bereichert sein könnte. Anders lägen die Dinge, wenn ihm der Veräußerer („Zedent“) bereits einen Schuldschein i.S.d. § 405 ausgehändigt hätte. Das Eigentum daran stünde wegen § 952 Abs. 1 unverändert dem bisherigen Gläubiger zu. Den Besitz daran hätte er diesem nach § 985 und ebenfalls bereicherungsrechtlich nach § 812 Abs. 1 S. 1 Var. 1 herauszugeben.

2. Teil Die Funktion und Struktur von RechtsgeschäftenC. Einteilung von Rechtsgeschäften › III. Entgeltliche und unentgeltliche Rechtsgeschäfte

BGB Allgemeiner Teil I

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