Читать книгу Handbuch Ius Publicum Europaeum - Adam Tomkins - Страница 101

bb) „Konfliktsituationen“ nach dem Vertrag über die Europäische Union

Оглавление

31

Die tiefgreifenden Einschnitte in das nationale Verfassungsrecht, die durch den Vertrag von Maastricht hervorgerufen und die in einer Reihe von Mitgliedstaaten mit Verfassungsänderungen bewältigt wurden, musste Griechenland eine Zeit lang verfassungsrechtlich „dulden“. Obwohl einige der Regelungen nach einhelliger Auffassung eindeutig gegen die Verfassung verstießen (so insbesondere die Vollendung der WWU) und andere Regelungen zumindest nach Auffassung eines nicht unbedeutenden Teils des Schrifttums ebenfalls für verfassungsrechtlich bedenklich gehalten wurden (die Verleihung des aktiven und passiven Wahlrechts bei den Kommunalwahlen an Angehörige anderer Mitgliedstaaten etwa), hat der Verfassunggeber dennoch nicht rechtzeitig reagiert bzw. reagieren können, nicht zuletzt wegen des vorgesehenen komplizierten Revisionsverfahrens. Während die Rechtsprechung keinen Anlass gehabt hat, sich dazu zu äußern, hat sich die Lehre bemüht, die Vereinbarkeit einiger dieser gemeinschaftsrechtlichen Regelungen mit der griechischen Verfassung zu begründen. Dabei wurde die Untätigkeit des Revisionsverfassunggebers hinsichtlich einiger der Bestimmungen des Maastrichter Vertrags beispielsweise mit dem wenig überzeugenden Argument gerechtfertigt, dass sie keine politisch streitige Frage darstellten.[56] Auch wurde die Meinung vertreten, dass Griechenland durch die Ratifikation des Maastrichter Vertrags ohne vorherige Verfassungsänderung und „Kontrolle“ im Hinblick auf die in Art. 28 Abs. 2 und 3 Verf. vorgesehenen Voraussetzungen den Vorrang des Gemeinschaftsrechts auch gegenüber den mit ihm kollidierenden Vorschriften der Verfassung mittelbar akzeptiert habe. Die mit Regelungen des Maastrichter Vertrags kollidierenden Vorschriften der griechischen Verfassung seien damit unwirksam geworden.[57] Diese Auffassungen beschreiben meines Erachtens die tatsächlichen Vorgänge, vermögen sie aber nicht verfassungsrechtlich zu begründen und zu legitimieren. Die einzige verfassungsrechtlich überzeugende Begründung liefert vielmehr die Konzeption, Art. 28 Abs. 2 und 3 Verf. i.V.m. der durch die Verfassungsänderung des Jahres 2001 eingefügten Interpretationserklärung als stillschweigende Revisionsklauseln zu begreifen.

32

Ebenso wenig verfassungsrechtlich vorbereitet war Griechenland auf die mit dem Amsterdamer Vertrag erfolgten weiteren Einschnitte in das nationale Verfassungsrecht bzw. in die nationale Souveränität – so beispielsweise die Übertragung von Zuständigkeiten in den Bereichen Visa, Asyl, Einwanderung und Grenzkontrollen (Art. 62f. EGV). Im Schrifttum wurden freilich einige der neuen Regelungen als verfassungsrechtlich nicht unproblematisch angesehen und entsprechende Auslegungswege aufgezeigt.[58]

33

Während einige dieser „Konfliktsituationen“ im Wege der Auslegung gelöst werden konnten, musste die WWU bis zur Verfassungsänderung des Jahres 2001 einer verfassungsrechtlich akzeptablen Verankerung harren. Die Frage des aktiven und passiven Wahlrechts bei den Kommunalwahlen für Angehörige anderer Mitgliedstaaten konnte demgegenüber durch eine europarechtskonforme Auslegung der einschlägigen Verfassungsbestimmung (Art. 102 Verf.) gelöst werden, da diese Verfassungsbestimmung das Wahlrecht für die Gebietskörperschaften nicht oder zumindest nicht ausdrücklich vom Besitz der griechischen Staatsangehörigkeit abhängig macht.

Handbuch Ius Publicum Europaeum

Подняться наверх