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b) Die noch offenen Kollisionsfragen

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Nach wie vor ist nicht auszuschließen, dass insbesondere das in Art. 78 Abs. 2 Verf. vorgesehene Rückwirkungsverbot für Steuergesetze zu Kollisionen führen könnte. Denn die dort normierte absolute zeitliche Einschränkung auf ein Jahr könnte sich als eine gemeinschaftsrechtlich irrelevante Schranke erweisen. Schwierigkeiten könnten sich auch im Hinblick auf das verfassungsrechtliche Verbot der Errichtung von Hochschulen durch Private (Art. 16 Abs. 8 Satz 2 Verf.) ergeben. Unter Berufung auf dieses Verbot i.V.m. dem verfassungsrechtlichen Gebot der öffentlich-rechtlichen Hochschulbildung (Art. 16 Abs. 5 Verf.) lehnt es der Staatsrat ab, an ausländischen Universitäten, auch solchen anderer Mitgliedstaaten, erworbene Hochschuldiplome anzuerkennen, wenn auch nur ein Teil des zugrunde liegenden Studiums in (privatrechtlich organisierten) Niederlassungen dieser Hochschulen in Griechenland absolviert wurde. Auch wenn der Bereich „Bildung“ weiterhin zu den Zuständigkeiten der Mitgliedstaaten zählt, führt diese Rechtsprechung über den Weg der Nicht-Anerkennung der Diplome zu gemeinschaftsrechtlich bedenklichen Hindernissen insbesondere des freien Dienstleistungsverkehrs und der Niederlassungsfreiheit.[59]

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Ein echter Konflikt zwischen griechischem Verfassungsrecht und primärem und sekundärem Gemeinschaftsrecht resultierte aus presserechtlichen Aspekten der Revision des Jahres 2001: In Art. 14 Verf. (Pressefreiheit) wurden einige neue Bestimmungen aufgenommen, die Unternehmen, die mit griechischen Medienunternehmen „verbunden“ sind, von der Teilnahme an öffentlichen Ausschreibungen ausschließen. Im neuen Abs. 9 wird nämlich bestimmt, dass „[d]ie Eigenschaft des Eigentümers, des Gesellschafters, des Hauptaktionärs oder des leitenden Angestellten eines Massenmedienunternehmens [...] unvereinbar [ist] mit der Eigenschaft des Eigentümers, des Gesellschafters, des Hauptaktionärs oder des leitenden Angestellten eines Unternehmens“, „welches gegenüber dem Staat oder einer juristischen Person des weiteren öffentlichen Sektors die Ausführung von Vorhaben oder Lieferungen oder die Leistung von Diensten übernimmt“ (Satz 5). „Das Verbot des vorigen Satzes umfasst auch eingeschaltete Personen aller Art, wie Ehegatten, Verwandte, finanziell abhängige Personen oder Gesellschaften“ (Satz 6). Schließlich ist vorgesehen, dass ein Gesetz „die besonderen Regelungen, die Sanktionen, die bis zur Aufhebung der Lizenz des Hörfunk- oder Fernsehsenders und bis zum Abschlussverbot oder zur Annullierung des betreffenden Vertrags reichen können, sowie auch die Arten der Kontrolle und der Garantien zur Verhütung der Umgehung der vorigen Sätze“ bestimmt (Satz 7).

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Die EU-Kommission hat diese Verfassungsbestimmungen und die entsprechenden Durchführungsgesetze – sowohl der früheren PASOK-Regierung (G. 3021/2002) als auch der amtierenden N.D.-Regierung (G. 3310/2005) – beanstandet und die griechische Regierung aufgefordert, das Gesetz 3310/2005 bzw. das nach seiner Aussetzung wieder in Kraft getretene (alte) Gesetz 3021/2002 zu ändern.[60] Die Kommission hat in den fraglichen Regelungen einen Verstoß gegen das gemeinschaftliche Vergaberecht und den Grundsatz der Gleichbehandlung gesehen und damit gegen fast alle Grundfreiheiten. Die Lehre ist in diesem Fall, der unter dem Stichwort „Hauptaktionär“ bekannt ist und sich fast zu einer „nationalen“ Frage entwickelt hat, gespalten. Während ein Teil auf die Unvereinbarkeit der fraglichen Verfassungsbestimmungen und der Ausführungsgesetze mit dem Gemeinschaftsrecht hinweist und sich für den Vorrang des letzteren ausspricht,[61] äußern sich andere[62] zugunsten des – auch von der Regierung[63] vertretenen – Vorrangs der Verfassung. Die Rechtsprechung hat diese Fragen noch nicht entschieden. Ein Rechtsstreit über die Vereinbarkeit einiger Bestimmungen des ursprünglichen Gesetzes 3021/2002 mit Art. 14 Abs. 9 Verf. und dem Gemeinschaftsrecht ist vor dem Plenum des Staatsrats, an das die Sache wegen ihrer Wichtigkeit von der Vierten Kammer verwiesen wurde, noch anhängig; die Kammer hat sich allerdings für den Vorrang der Verfassung ausgesprochen.[64] Inzwischen hat die Regierung – unter dem Druck der Einleitung eines Vertragsverletzungsverfahrens und möglicher Sanktionen – nach Verhandlungen mit der Kommission ein Änderungsgesetz (Gesetz 3414/2005) erlassen, das die Anwendung der fraglichen Verfassungsbestimmungen im Ergebnis aufhebt.

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