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b) Die aktuelle Rechtslage

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Der Rang, den das Völkerrecht, Gewohnheitsrecht wie auch Vertragsrecht, in der Normenhierarchie innehat, wird in der Verfassung ausdrücklich geregelt. So legt Art. 28 Abs. 1 Verf. fest, dass „die allgemein anerkannten Regeln des Völkerrechts sowie die internationalen Verträge nach ihrer gesetzlichen Ratifizierung und ihrer in ihnen geregelten Inkraftsetzung [...] Bestandteil des innerstaatlichen griechischen Rechts“ sind und dass sie jeder entgegenstehenden Gesetzesbestimmung vorgehen.[89] Somit wird der Vorrang des Völkerrechts vor den einfachen Gesetzen, nicht jedoch vor der Verfassung, angeordnet (übergesetzliche Geltung).

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Trotz der klaren Formulierung der obigen Verfassungsbestimmung wurde vereinzelt die Meinung vertreten, dass speziell die EMRK verfassungsrechtlichen Rang besitze.[90] Auch in zwei Kammerurteilen des Staatsrats,[91] die nach dem Inkrafttreten des Vertrags von Maastricht ergangen sind, wurde der EMRK – wenn auch mit anderer Begründung als zuvor im Schrifttum – verfassungsrechtlicher oder sogar überverfassungsrechtlicher Rang zuerkannt. Sich auf Art. F Abs. 2 EUV a.F. berufend haben diese zwei Urteile in Betracht gezogen, dass die EMRK „dadurch, dass der Vertrag von Maastricht direkt auf sie Bezug nimmt, die Qualität primären Gemeinschaftsrechts erworben hat“. Weder die Große Kammer des Staatsrats, an die die erste Sache aufgrund der Bedeutung der aufgeworfenen Fragen verwiesen wurde, noch das Plenum, an das der zweite Fall verwiesen wurde, haben dazu jedoch Stellung bezogen; sie haben sich darauf beschränkt festzustellen, dass im fraglichen Fall keine Verletzung von Art. 5 EMRK (ebenso wie keine Verletzung des Gemeinschaftsrechts) vorlag.[92] Demgegenüber wurde in einem anderen Kammerurteil des Staatsrats ausdrücklich verneint, dass die EMRK durch die Erwähnung im Vertrag von Maastricht die Qualität von primärem Gemeinschaftsrecht erlangt haben könnte.[93] Letzterer Aussage der Kammer ist zuzustimmen. Die Bezugnahme von Art. 6 Abs. 2 EUV auf die EMRK reicht in der Tat nicht aus, um sie als Primärrecht zu qualifizieren,[94] geschweige denn als Grundlage für eine Modifizierung der Stellung der EMRK in den mitgliedstaatlichen Verfassungsordnungen. Das Plenum des Staatsrats hat auch zu dieser Äußerung keine Stellung bezogen. Es entschied, dass der fragliche Fall weder in den Geltungsbereich der EMRK noch in den des Gemeinschaftsrechts falle.[95]

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Abschließend soll erwähnt werden, dass in der den Rang des Völkerrechts bestimmenden Verfassungsvorschrift (Art. 28 Abs. 1 Verf.) eine allgemeine Klausel enthalten ist, die „die Geltung der Regeln des Völkerrechts und der internationalen Verträge für Ausländer [...] unter den Vorbehalt der Gegenseitigkeit“ stellt. Nach fast einhelliger Auffassung findet diese Einschränkung auf menschenrechtsrelevante völkerrechtliche Verträge und Abkommen, und damit auch auf die EMRK, keine Anwendung.[96]

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