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2. Die „nationalen Interessen“ einer Teilnahme an der EU

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Sucht man nach den „nationalen Interessen“, die Griechenland zu einer Teilnahme an den Gemeinschaften bewogen haben, sind es in erster Linie politische und nicht wirtschaftliche Gründe. Kulturell seit jeher an „West-Europa“ gebunden und nach den Erfahrungen mit der siebenjährigen Diktatur erhofften sich die Griechen durch diese Mitgliedschaft hauptsächlich eine Stabilisierung der Demokratie und eine außenpolitische Sicherheit insbesondere hinsichtlich der nationalen Grenzen. Der mit dem Beitritt zu den Gemeinschaften erwartete wirtschaftliche Aufschwung des Landes war daher nicht der primäre Beweggrund für den am 12.6.1975 vom damaligen Premierminister Konstantin Karamanlis gestellten Antrag auf volle Mitgliedschaft.[29] Zu den politischen Gründen zählte er insbesondere die Überbrückung einer gewissen mit der geopolitischen und strategischen Lage Griechenlands zusammenhängenden „Distanz“ zu Europa sowie die aus dem Beitritt folgende Vertretung des Landes in den Entscheidungszentren und seine Teilnahme an der Ausgestaltung der Politik. Karamanlis sah ferner in der Mitgliedschaft eine Stärkung der nationalen Unabhängigkeit und Souveränität. Als wirtschaftliche Gründe gab Karamanlis insbesondere die traditionellen Handelsbeziehungen Griechenlands zu einigen Mitgliedstaaten an, die 48% der griechischen Exporte ausmachten, und die durch die Mitgliedschaft zu erwartende Vergrößerung des wirtschaftlichen Wohlstandes über den größeren Gemeinsamen Markt und die Beteiligung Griechenlands an der Gestaltung der Wirtschaftspolitik der Gemeinschaft. Schließlich verwies er auf die sich durch den Beitritt ergebende Möglichkeit einer strukturellen Modernisierung der Wirtschaft mit finanziellen Mitteln aus den Strukturfonds.

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Diese für den Beitritt und die Mitgliedschaft vom Ministerpräsidenten Karamanlis angeführten nationalen Interessen wurden bis zum Jahre 1981, als die Sozialisten an die Macht kamen, nur von seiner liberal-konservativen Regierungspartei voll getragen, wobei sich auch einige kleine Oppositionsparteien[30], wenngleich mit Vorbehalten, für den Beitritt ausgesprochen hatten. Demgegenüber lehnten bis dahin die PASOK von Andreas Papandreou und die KKE die Mitgliedschaft entschieden ab und verließen das Parlament bei der Debatte über das Ratifikationsgesetz für den Beitritt.[31] Diese ursprünglich negative Einstellung der PASOK[32] war, wenn nicht ausschließlich, so doch eher auf innenpolitische Gründe und weniger auf eine prinzipielle Ablehnung der europäischen Integration zurückzuführen. Nachdem die PASOK von 1981 bis 2004 (mit nur einer kleinen Pause von 1990 bis 1993) Regierungspartei war und ihre Haltung gegenüber der europäischen Integration radikal änderte (der Beitritt zu der WWU wurde von der PASOK-Regierung von Costas Simitis vollzogen), lehnt nur noch die KKE die Teilnahme an der EU weiterhin prinzipiell ab, wobei sie allerdings durchgehend über sehr wenige Mandate im Parlament verfügt und traditionell nur ca. 4,5–6% der Stimmen erhält. Demgegenüber scheint die andere linksorientierte Oppositionspartei „Synaspismos“ (mit einem regelmäßigen Stimmenanteil von ca. 3–5%) nicht prinzipiell gegen eine Mitgliedschaft zu sein, auch wenn sie dem Ratifikationsgesetz zum VVE nicht zugestimmt hat.

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Zu den nationalen Interessen, die für die Teilnahme Griechenlands an der EU sprechen, zählt schließlich nach allgemeiner Auffassung die mit der Mitgliedschaft verbundene Chance einer besseren Bewältigung von nationalen Fragen, wie etwa der Beziehungen zu der Türkei oder der Zypernfrage.[33]

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Die Motivationslage, die Griechenland auf den Weg der Integration gebracht hat und es dort hält, hat sich bis heute nicht wesentlich geändert. Auch wenn bei der Ratifikation des Maastrichter Unionsvertrags im Parlament von allen Parteien – mit Ausnahme der regierenden liberal-konservativen Partei N.D. – in kleinerem oder größerem Umfang Zweifel oder sogar Bedenken gegen einige neue Regelungen geäußert wurden, wogen für die überwiegende Mehrheit der politischen Kräfte die durch die Teilnahme eröffnete Chance der Mitgestaltung der Zukunft Europas in der Eigenschaft eines gleichberechtigten Mitglieds und die Gefahr einer Isolation des Landes bei Nicht-Ratifizierung des Änderungsvertrags doch so schwer, dass die Frage eines Austritts weder damals noch zu einem anderen Zeitpunkt zur Diskussion stand. Mit Ausnahme der grundsätzlich negativen Haltung der KKE besteht bis heute keine Motivation, die Griechenland von einer verstärkten Integration in den europäischen Rechtsraum abhalten würde. Dies wird durch Umfragen immer wieder bestätigt. Die zwei größten Parteien, N.D. und PASOK, sind sogar dafür, dass Griechenland dem harten Kern der Mitgliedstaaten angehört, die die Integration weiter vertiefen wollen.[34]

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