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aa) Die ursprünglichen Grundlagen

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Wie bereits erwähnt, sind in der Verfassung von 1975 in Art. 28 Verf. zwei Bestimmungen aufgenommen worden, die die „Zuerkennung von Zuständigkeiten, die in der Verfassung vorgesehen sind, an Organe internationaler Organisationen“ (Abs. 2) und die „Einschränkung der Ausübung der nationalen Souveränität“ (Abs. 3) regeln. Diese Vorschriften sichern i.V.m. dem ersten Absatz desselben Artikels, der die Stellung des Völkerrechts in der griechischen Rechtsordnung bestimmt, die Öffnung der griechischen Rechtsordnung verfassungsrechtlich ab. Da sie allerdings von Anfang an gesetzestechnisch recht problematisch waren, haben sie zu Auslegungsschwierigkeiten geführt.[35] Bereits die Lektüre beider Vorschriften fördert den paradoxen Befund zu Tage, dass die Zuerkennung oder Übertragung von Zuständigkeiten gemäß Art. 28 Abs. 2 Verf. zwar an die gewichtige formelle Voraussetzung der für eine Verfassungsänderung vorgesehenen Dreifünftelmehrheit geknüpft ist, aber anders als bei mit nur absoluter Mehrheit möglichen Einschränkungen der nationalen Souveränität (Art. 28 Abs. 3 Verf.) keine materiellen Schranken kennt. Deshalb ist es leicht verständlich, dass es sowohl in der Politik als auch insbesondere in der Wissenschaft Streit darüber gegeben hat, welche dieser beiden Vorschriften im Falle des Beitritts oder der Änderungsverträge anzuwenden ist. Wenn man darüber hinaus bedenkt, dass im griechischen Schrifttum vereinzelt[36] ebenso wie teilweise in der Politik[37] auch die Meinung vertreten wird, dass für bestimmte EG/EU-Verträge auch eine Anwendung von Art. 28 Abs. 1 Verf. allein in Betracht komme – dieser regelt u.a. die Stellung der (normalen) völkerrechtlichen Verträge in der griechischen Rechtsordnung und verlangt für das Ratifikationsgesetz die absolute Mehrheit lediglich der anwesenden Parlamentsmitglieder –, dann liegt es auf der Hand, dass die genaue Bestimmung der verfassungsrechtlichen Grundlage für die Beziehungen zwischen dem griechischen Verfassungsrecht und dem Unionsrecht von besonderer Bedeutung ist. Als herrschend kann heute die Meinung angesehen werden, die sich unter Hinweis insbesondere auf eine teleologische Auslegung für die kumulative Anwendung der Voraussetzungen beider Vorschriften ausspricht.[38] Zudem sei angemerkt, dass die Anwendung von Abs. 1 allein zwangsweise dazu führen würde, einigen europarechtlichen Verträgen den dem (normalen) Völkervertragsrecht kraft dieser Verfassungsvorschrift zukommenden (schlichten) übergesetzlichen Rang zu verleihen. Ohne dass die damit zusammenhängenden Konsequenzen hier vertieft werden könnten, erscheint diese Meinung auch aus diesem Grunde nicht stichhaltig.

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Der politische Streit um die verfassungsrechtliche Grundlage, der bereits bei der Ratifizierung des Beitrittsvertrags im Parlament zu heftigen Auseinandersetzungen zwischen den Parteien geführt hat,[39] flammt – insbesondere im Hinblick auf die erforderliche Mehrheit – immer wieder auf, wenn es darum geht, europarechtliche Verträge zu ratifizieren. Bemerkenswert ist allerdings, dass in der Praxis alle Ratifikationsgesetze bis heute mit einer Mehrheit beschlossen worden sind, die die von Art. 28 Abs. 2 Verf. verlangte Dreifünftelmehrheit überstieg, in den meisten Fällen sogar weit darüber lag. Wie die Ratifikation des VVE gezeigt hat, bleibt aber die Frage offen. Dennoch zeigt die Entstehungsgeschichte, dass in der Konstituente von 1975 Übereinstimmung zwischen den Parteien darüber bestand, dass die für die Mitgliedschaft erforderliche verfassungsrechtliche Grundlage die Bestimmung des Art. 37 nach dem Verfassungsentwurf der Regierung bilden sollte, der die Zuerkennung von Zuständigkeiten regelte und dem heutigen Art. 28 Abs. 2 Verf. entspricht.[40] Auf der anderen Seite kann dem Bericht des zuständigen Parlamentsausschusses entnommen werden, dass die für Souveränitätseinschränkungen vorgesehenen materiellen Grenzen auch für die Zuerkennung von Zuständigkeiten gelten sollten, für die allerdings eine Dreifünftelmehrheit erforderlich ist. Die historische Auslegung erlaubt somit die Feststellung, dass bereits in der Konstituente eine kumulative Anwendung beider Vorschriften zumindest ins Auge gefasst war. Wie auch immer man zu der Frage der kumulativen Anwendung beider Vorschriften stehen mag, jedenfalls wurde von Anfang an in Politik und Wissenschaft nicht grundsätzlich angezweifelt, dass die in Art. 28 Abs. 3 Verf. für Einschränkungen der Souveränitätsausübung vorgesehenen materiellen Voraussetzungen bzw. Grenzen nicht nur für den Beitritt, sondern auch für die Mitgliedschaft und künftige Integrationsschritte gelten sollen. Diese Haltung ist auch logisch, da die Mitgliedschaft als solche mit Einschränkungen der Souveränitätsausübung verbunden ist.

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