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1.10 Hypnose – eine Erlebnistherapie

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Oder: Wie erklären sich psychische Entwicklung und somatische Heilung durch Hypnose?

Das Prinzip ist einfach und schlüssig, die Erklärung geradezu simpel, der Vorgang nur allzu logisch.

Zum besseren Verständnis dieser gewagt klingenden These halten Sie jetzt bitte im Lesen kurz inne und machen ein kleines Experiment:

Strecken Sie die Arme waagerecht nach vorne, die Handflächen zueinander gedreht. Schließen Sie nun die Augen und stellen sich vor, an jeder Ihrer Handflächen sei ein starker Magnet unterschiedlicher Polung, also anziehender Kraft, befestigt. Obwohl Sie versuchen, die Arme in der gleichen Stellung zu halten, sind die imaginierten Magnete stärker, die Anziehungskraft zwischen den Händen enorm – ein starkes magnetisches Kraftfeld, das die Handflächen unwiderstehlich näher und näher bringt. Sie atmen ruhig und gleichmäßig, was die magnetische Kraft noch erhöht. Dann verharren Sie einen Moment, öffnen die Augen und betrachten die Stellung Ihrer Arme und Hände. Was ist passiert? Vielleicht sind Sie überrascht, vielleicht ist es Ihnen schon von vornherein klar gewesen: Die Hände sind sich nahe gekommen. Wodurch? Durch Ihre reine Vorstellungskraft.

Wenn wir diese Erfahrung noch mit der Übung „Obstschale, Halluzination auf allen (Sinnes-)Kanälen“ erweitern, erhalten wir alle Ingredienzen für das hypnotherapeutische Menü. Allein durch die phantasievolle Vision einer leckeren, reifen Frucht, die wir in der Hand wiegen und deren Duft uns in die Nase steigt, läuft uns das Wasser im Munde zusammen, und wir müssen sogar reflektorisch schlucken. Und während ihr Aroma noch die Zunge bezaubert, versinken wir in einen Traum voller Farbigkeit und heiterem Lachen …

In feiner Abstufung, richtig dosiert, auf den Geschmack des Patienten abgestimmt, mehr geschärft zur Anfeuerung oder einfach begleitend bei seiner selbstinszenierten Hypnosereise, tun wir nichts anderes, als eben diese Vorstellungskraft für jedwedes therapeutische Ziel, ob auf physiologischer oder psychischer Ebene, zu nutzen.

Kann im Zeitraum des hypnotischen Zustandes

 – der Angstpatient Sicherheit und Ruhe erfahren,

 – der an Depressionen leidende Patient sich schwungvoll und mit neuen Ideen erfüllt fühlen,

 – der Schmerzpatient beschwerdefrei in Phantasie z. B. an einem Bergsee weilen (siehe die Übung „Badesee“),

 – der Patient, der Verbrennungen erlitt, sich intensiv Kühle und Taubheit „einbilden“,

 – der sich in der Krise befindende Patient einen Tag in der Zukunft halluzinieren, an dem das Problem gelöst sein wird, und er ganz deutlich erfährt, wie sich dies als Erleichterung und Befreiung in ihm breitmacht (siehe die Übung „Wunder“),

so ist er schon längst auf dem Weg der Besserung, Heilung, Konfliktlösung und im Begriff, seine „Bezugsrahmen“ zu erweitern und sein Lebenskonzept zu bereichern.

Mit der erlebten Sensation von Wohlbefinden, innerer Geborgenheit, Ruhe und Stärke während der Hypnose wird der Same der Veränderung schon gesät. Die Vorstellungskraft während der Hypnose setzt die Veränderung in Gang. Der Patient erinnert sich wieder, wie gut es sich anfühlt, symptomfrei zu sein, oder er lernt neu dazu. Stundenlange therapeutische Gespräche können niemals die Wirkung von fünf Minuten körperlich und seelisch durchlebter Erfahrung aufwiegen. Deshalb ist Hypnose eine Erlebnistherapie.

Fördern wir Hypnoseerfahrungen mit der zu Hause ausgeübten Selbsthypnose, mit therapeutischen Träumen, mit der Klärung von Hintergrundthemen (Traumata) und mit dem Ankoppeln der Fortschritte an das Lebenssystem (Partnerschaft/Familie) durch Partneroder Familiensitzungen, beschreiten wir eine erfolgreiche Bahn.

Ist der Patient engagiert, geistig rege, phantasievoll, wird der Fortschritt sich entsprechend dynamisch entwickeln. Er bietet in der Hypnose die Voraussetzung,

 – sich in die therapeutische Arbeit zu absorbieren,

 – sich für unbewußte Prozesse anregen zu lassen,

 – sich spielerisch neue Gefühls- und Handlungsweisen zu eröffnen,

 – Gefühle, wie zum Beispiel Zuversichtlichkeit, Gelassenheit, Ruhe, Schmerzfreiheit, Wohlbefinden, Leichtigkeit, Freude und Heiterkeit zu erleben und neu zu etablieren,

 – neue Handlungs- und Gefühlsweisen auf der inneren Bühne für (zum Beispiel) das Bestehen einer Prüfung, das positive Austragen eines Konfliktes, auszuprobieren,

 – neues Erleben durch ideomotorische Arbeit der Fingerzeichen, vor allem der Betätigung des „neuen Fingers“ zu bestätigen und zu verankern,

 – eine gute Resonanz auf gezielte posthypnotische Suggestionen zur Vertiefung des Effektes der Therapie nach der Stunde (Depoteffekt) zu erhalten,

 – letztendlich die intensive und konkrete Imagination des Therapieziels zu erreichen, was eine Menge unbewußter Arbeit in Gang setzt, um den Weg dorthin zu finden.

Kann sich ein Patient dagegen eher mühsam und stockend auf innere Bilder konzentrieren, zeigen diese kaum Plastizität, werden seine hypnotischen Erfahrungen mager und spärlich sein. Die Beschreibung seiner Tranceerfahrung fällt trocken und einsilbig aus. Entweder erreicht man durch reine Phantasiereise-Anleitungen Fortschritte oder erwägt eine andere Therapieform.

Im Gegensatz dazu haben wir es vereinzelt mit Menschen zu tun, die betont positiv auf jeden hypnotherapeutischen Vorschlag reagieren. Sie leben sich in der Hypnose geradezu aus, haben sofort eine willkürlich anmutende Handlevitation, die heftigsten und widersprüchlichsten Fingerzeichen. Sie schnaufen und verrenken sich, daß einem ganz angst und bange wird. Das sind die Patienten mit dominanten hysterischen Persönlichkeitsanteilen, für die die Hypnose zum ‚Abenteuerspielplatz‘ wird. Der Therapeut verbleibt als staunender, vielleicht aber auch irritierter Zuschauer. Der Kontakt zwischen Therapeut und Patient ist abgerissen. Diese Patienten berichten die tollsten Erlebnisse, so daß man sich wundert, daß es ihnen nicht blümerant wird. Aber sie werden in der nächsten Stunde wieder nach Hypnose fragen. Sie lieben geradezu die Hypnose, und sobald nur das Wort ‚Hypnose‘ fällt, ‚geht die Post ab‘, und das ganze Spiel beginnt von vorne. Sie bringen den Therapeuten schweißtreibend an seine Grenzen. Für Charcots Paradepatienten, die Hysteriker(innen), ist unsere Therapieart nicht geeignet. Die gewaltigen Sensationen, die kathartischen Reaktionen, mit denen sie uns in Atem halten, fruchten nicht. Stunde für Stunde vergeht, und die Therapie – und das ist das Tragische – hat keinen Nutzen. Der Therapeut ist am Ende der Stunde erledigt, und der Patient trägt keinen Gewinn davon, sondern reproduziert wie ein Perpetuum mobile seine eingefahrenen Schlaufen, ohne Chance, sie zu lösen. Hier muß eine andere Therapiemethode gewählt werden.

Klinische Hypnose und Hypnotherapie

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