Читать книгу Klinische Hypnose und Hypnotherapie - Agnes Kaiser Rekkas - Страница 6
Einleitung ◀
ОглавлениеDas vorliegende Buch ist aus der Praxis entstanden und für den Gebrauch bestimmt. Es will nicht wiederholen, was in anderen Büchern über Hypnose schon gut und ausführlich beschrieben ist. Aus diesem Grunde sind die Mythen und Vorurteile, die geschichtlichen Stationen der Hypnose, die Hypnosephänomene sowie die Grundgedanken der heutigen Hypnotherapie nur stichpunktartig in Erinnerung gebracht, um sie als ‚Hintergrundwissen‘ zu aktivieren. Hier geht es vielmehr um die Befähigung des medizinischen und psychologischen Einsteigers in die Hypnotherapie im pragmatischen Bereich – und damit zuerst einmal um die Position des Therapeuten* im Wellengang der an ihn gestellten und zumeist unerfüllbaren Wünsche von seiten des Patienten. Die Arbeit mit der heutigen Form der Hypnose setzt ein Umdenken voraus, das beim Therapeuten anzufangen hat. Das Prinzip der therapeutischen Kooperation, verbunden mit der impliziten Prämisse der Fähigkeiten des Patienten – „All your patients are potential healers“ (David Cheek 1992) – führt das System des Helfens ad absurdum, eröffnet dafür aber im Gegenzug eine ungemein reiche Vielfalt an Möglichkeiten, welche letztendlich den Therapeuten entlasten und den Patienten stärken.
Das Grundschema der therapeutischen Veränderung in Hypnose leitet sich in logischer Konsequenz davon ab und ist einfach: Es geht darum, in veränderter Bewußtseinslage durch Visualisation oder Halluzination dem Therapieziel entsprechende Reaktionen hervorzurufen. Die suggestiv wirkenden Anregungen von seiten des Therapeuten führen den Patienten, der durch sein Leiden am Symptom motiviert und durch Erwartungshaltung aufgeschlossen sowie mit Hilfe der passenden Hypnoseinduktion absorbiert ist, wie von alleine in ein ihm neu erscheinendes und beeindruckendes „Erleben“. Dieses Erleben kann Entlastung, Ruhe, Entspannung oder sogar Schmerzfreiheit genauso umfassen wie die Fähigkeit zur Problemlösung; ebenso auch die Kraft, alten Kindheitsdramen zu begegnen, sie grundsätzlich zu ordnen und zu überwinden. Mit hypnotherapeutischer Unterstützung lernt der Patient, die erfahrenen Erlebnisse psychisch und physiologisch auszuwerten und sie für entsprechende Alltagssituationen nutzbar zu machen. Unserer Kunst obliegt es dabei, mit der richtigen Intervention zum richtigen Zeitpunkt die richtige Entwicklung zu fördern. Das ist nun wiederum nicht so einfach, da es kein Standardprinzip geben kann. Jeder Mensch ist einzigartig, mit individuellem Leid, mit eigenem Kontext, in seiner Art von Weltbild, mit persönlichen Kapazitäten. Aber gerade das macht unsere Arbeit auch so aufregend und vielseitig.
Um einen Überblick über die vielfältigen, möglichen Vorgehensweisen zu vermitteln, werden in diesem Buch grundlegende bewährte Strategien und Methoden ausgebreitet. Dabei wird sowohl auf die ‚Altmeister‘ der Hypnotherapie wie Milton Erickson und David Cheek zurückgegriffen, als auch auf Methoden von befreundeten Experten und von mir selbst entwickelte Interventionsmöglichkeiten.
Das Buch veranschaulicht eine Anzahl von therapeutischen Anwendungen in der Diagnostik, in der Behandlung psychosomatisch Erkrankter, in der Hilfe zur Konfliktlösung sowie auch in der heilenden und integrativen Arbeit zur Bewältigung von Kindheitstraumata; es untermalt diese Themen mit Therapieaufzeichnungen.
Ausführlich beschrieben wird eines unserer wichtigsten Arbeitswerkzeuge, das ideomotorische Signalisieren mit der Anzeige des „neuen Fingers“ für die Bestätigung einer sich anbahnenden neuen Entwicklung nach Kaiser Rekkas. Dieser vorerst vielleicht seltsam anmutende Gebrauch eines autonomen, unbewußten Antwortsystems erscheint mir außerordentlich effektiv und ausbaufähig.
In meinen Seminaren wurde immer wieder ein großes Bedürfnis nach Wissen um schmerztherapeutische Maßnahmen deutlich. Deshalb wird das Thema Hypnose und Schmerz mit seinen vielfältigen Möglichkeiten, auch in der Anästhesiologie, eingehend beleuchtet.
Die ideomotorische Traumarbeit ist aufgezeichnet und zur Illustrierung der therapeutischen Wirkung mit Patientenberichten (wie z. B. die Traumbeschreibung „Erdbeeren mit Vanillesoße“) vervollständigt.
Breiter Raum wird der Technik der Selbsthypnose, welche mit ihrer Betonung zur Selbständigkeit des Patienten als Tragbalken der Therapie fungieren kann, gegeben.
In bestimmten Bereichen, wie in der Kindertherapie, in der Therapie bei Menschen mit Depressionen oder bei psychosomatisch Erkrankten, unterscheiden sich die Konzepte im Vorgehen oft grundsätzlich oder weisen der Erfahrung nach besondere Eigenarten auf. Das Lehrbuch versucht, dieser Tatsache mit entsprechenden Kriterien und Beispielen für die Anwendung von Hypnose gerecht zu werden. Zu jedem Themenbereich finden sich außerdem Hinweise auf weiterführende Literatur.
Die Übungsbeschreibungen und Anleitungen im Wortlaut sollten als Beispiele und Anregungen verstanden werden. Man achte aber sensibel darauf, nichts zu übernehmen, was im Konzept oder inhaltlichen Bild nicht stimmig mit der eigenen Persönlichkeit ist. Dann sollte man den Text entsprechend abwandeln oder sich animiert fühlen, etwas ganz Neues zu erfinden. Generell ist es das Anliegen dieses Lehrbuches, die Basis der hypnotherapeutischen Strategien und Methoden zu beschreiben; auf dieser Grundlage will es seine Leser ermutigen, im Rahmen des eigenen Repertoires und/oder Therapieansatzes zu experimentieren und sich Neuland zu erobern.
In einem Anhang bieten fünf Fragebögen ausreichend Material, um sowohl in der Ausbildungs- und Supervisionsgruppe als auch in der persönlichen Reflexion wesentliche Kriterien in der Arbeit mit Hypnotherapie zu überprüfen. Mit jeweils unterschiedlicher Intention setzt jeder Fragebogen einen anderen Fokus, um das ganze Spektrum von der Eigenbefindlichkeit des Therapeuten bis hin zu strukturiertem Vorgehen in der Gestaltung der Hypnosesitzung abzudecken.
Agnes Kaiser Rekkas
München, August 1998
* Ich bin eine Frau, sicher eine bewußte Frau, eine Therapeutin, ein weiblicher Therapeut, und natürlich habe ich Patientinnen. Der Einfachheit halber schreibe ich aber im weiteren von dem Therapeuten und dem Patienten. Die Lösung mit „TherapeutIn“ etc. halte ich nicht für überzeugend. Ich weiß, daß ich damit Kritik provozieren werde; mein Anliegen ist aber die Vermittlung von Konzepten und Techniken in einer Form, die möglichst wenig kompliziert ist.