Читать книгу Klinische Hypnose und Hypnotherapie - Agnes Kaiser Rekkas - Страница 21
2.4 Unsere Kollegen in den USA – was machen sie anders, was sollten wir übernehmen?
ОглавлениеAn einem meiner Ausbildungscurricula nimmt eine Anästhesistin nur deshalb teil, weil sie mal in den USA ein Flugzeug benutzte. Sonst kommt man da ja auch nicht vom Fleck. Natürlich passierte dabei etwas. Sie saß neben einem Mann. In amerikanisch aufgeschlossener Art kamen die beiden ins Gespräch. Er fragte sie unter anderem nach ihrem Beruf. Aha, Anästhesistin. Er schien beeindruckt. Wieviel Hypnose sie in ihrer Arbeit anwende? Hypnose? Sollte das ein Scherz sein? Sie hätte keine Ahnung von Hypnose. Als Anästhesistin nichts über Hypnose wissen? Nein, das sei nicht möglich. Vor kurzem sei seine Frau in Hypnose hysterektomiert worden. Die Anästhesistin konnte es nicht fassen, fragte aber interessiert nach. Und abends kam per Zufall in ihrem Hotelzimmer-TV ein Bericht über Hypnose in der Schmerzbehandlung; das hat ihrer beruflichen Laufbahn den entscheidenden ‚Kick‘ gegeben: Ihre Habilitation wird „Hypnose und Immunsystem“ zum Thema haben.
Meine USA-Erfahrungen bescheiden sich auf einen Besuch in San Diego zu einem Hypnosekongreß. Bis ich kurz vor meiner Abreise endlich alle Bus- und Trolleylinien aus dem Kopf wußte, pflegte ich auch mit dem Taxi vorwärts zu kommen. Von Billy berichte ich am Ende des Buches. Aber auch alle meine anderen Taxifahrer entpuppten sich im Laufe der Gespräche, auf überdimensionalen Highways dahinrauschend, als erfahrene und begeisterte Selbsthypnotiseure. Der italienischstämmige George brachte mit Hypnose die Durchblutung seiner unteren Extremitäten, was auch immer er damit meinte (und ich hielt mich zurück, näher nachzufragen), in Gang. Rico brauchte sie zum Einschlafen, Arthur einfach als eine Art täglicher Konzentrationsübung. Vielleicht waren alle diese Begegnungen auch Zufall, aber auffällig war es allemal. Sobald ich auf Anfrage berichtete, aus welchem Grunde ich in San Diego weilte, wußte dort jeder ‚Eingeborene‘ seine Erfahrungen mit Hypnose zum besten zu geben.
Beeindruckend ist für uns sicher die in den USA herrschende Selbstverständlichkeit in der Inanspruchnahme von Psychotherapie allgemein und der Anwendung von Hypnose im besonderen. Dafür spricht auch die Unmenge von Selbsthilfebüchern auf diesem Sektor. Diese Hypnoserenner sind gespickt mit wundervoll tönenden Slogans, wie z. B. in der Schmerztherapie: „Love the part which hurts“ oder in der Sexualtherapie: „Focus on pleasure, not on performance“. Klingt gut und ist richtig. Leider können wir das hier im Deutschen nicht so direkt verwenden, sondern bringen es weit weniger keß und eher etwas verknotet an den Mann/die Frau: „Nach allem, was Sie an Schmerzen ertragen mußten, ist es Ihnen eigentlich noch möglich, ein positives Gefühl für diesen Körperbereich zu entwickeln?“ Oder im zweiten Fall: „Achten Sie mehr auf den Genuß, als darauf, was Sie für eine Figur dabei abgeben.“ Na, so besonders überzeugend wirkt das dann wohl doch nicht. Es läßt sich im Amerikanischen einfach prägnanter ausdrücken. Das sitzt und wird verstanden. Auch die guten Interventionen von David Cheek aus dem Buch „Mind-Body Therapy, Methods of Ideodynamic Healing in Hypnosis“ – übersichtlich in Boxen aufgelistet („Stop that bleeding now, don’t waste your precious blood!“) – lassen sich nicht einfach übersetzen und anwenden. Es hört sich nämlich komisch, manchmal zu simpel und meist einfach nicht passend an. Wir sollten bei unserer eigenen Sprache bleiben und trotzdem immer offen hinhören, ob nicht doch dieses oder jenes unser Spektrum bereichern könnte.
Gehen wir vom bewußten zum unbewußten Sprachgebrauch über, können wir dagegen sehr wohl viel übernehmen, und zwar was den selbstverständlichen Gebrauch von Fingerzeichen anbelangt. Die Nutzung ideomotorischer Signale, die hier manchmal fast noch als anrüchig gilt, weil nicht weit entfernt vom Pendel und damit wieder nicht weit von Esoterik und allem, was dazugehört, ist ‚drüben‘ ein fester Bestandteil der Therapie und in der Anwendung selbstverständlich. Diese Methode wird einfach immer benutzt, und dann merkt man schon von alleine, wo sie sich erschöpft oder ihre Grenzen hat. Aufgrund meiner Erfahrung in der Arbeit mit ideomotorischen Signalen möchte ich dringend diese hervorragende, die Therapie intensivierende, den Patienten stimulierende und den Therapeuten entlastende Methode empfehlen.
Die Hypnose hatte nach dem 2. Weltkrieg in den USA einen ganz anderen Nährboden als bei uns in Europa. Große therapeutische Schulen wuchsen unter den Händen befähigter Menschen heran. Die einzelnen Disziplinen, wie die Psychoanalyse, die Verhaltenstherapie, die sich neu formierenden Therapierichtungen wie die Gestalttherapie, die systemische Therapie, die Bioenergetik und die Körpertherapien, sind nun aber nicht im Alleingang, sondern in der Konfrontation und der Begegnung miteinander gewachsen. So auch die Hypnose. Und da in Amerika nun sowieso immer ein bißchen mehr möglich ist, hat die Hypnose auch nicht so um ihr Image kämpfen müssen, sondern wurde einfach mehr und mehr, erfolgreicher und erfolgreicher angewendet. Befruchtet im Zusammenspiel mit den anderen Therapieverfahren, erwuchsen viele schöne neue und griffige Methoden, wobei Milton H. Erickson wohl ohne Zweifel ‚den Vogel abschoß‘. Aber auch seine Hypnotherapie ist zweifellos das Ergebnis äußerst produktiver Kooperation der ganzen Therapeutengeneration, die unentwegt experimentierte und nichts unprobiert ließ. Aber man tut Erickson unrecht, würde man ihn nicht als den begabtesten und intuitivsten aller Hypnotherapeuten mit großem Charisma einschätzen. Er ist auch nicht nachzuahmen. Er war und bleibt ‚unique‘. Und trotzdem können und sollten wir sowohl die Anregung zu neuen Einfällen beherzigen als auch die Grundannahmen des Ericksonschen Ansatzes in unser Therapiekonzept aufnehmen. Diese lauten:
Hypnose ist ein natürliches Phänomen.
Hypnose ist ein erlebnishafter Prozeß, bei dem innere Ideen und Bilder ausgetauscht werden.
Jede Person ist einzigartig, und diese Einzigartigkeit ist zu schätzen.
Jede Person hat Entwicklungsressourcen im geistigen und psychischen Bereich.
Die Hypnose stärkt und erweitert diese Ressourcen.
Die Hypnotherapie korrigiert nicht Fehler, sondern unterstützt neue Lernerfahrungen auf der Basis vorhandener Fähigkeiten.
Diese Ansicht über den anderen Menschen, der zufällig unser Patient ist, ist in der Seele humanistisch und im Herzen amerikanisch. Sie hätte hier in Europa nicht so formuliert werden können. Lassen wir uns trotzdem von diesen Prinzipien leiten und inspirieren von Experimentierfreude, Spaß, Humor und der Selbstverständlichkeit und Natürlichkeit in der Intervention und dem unendlichen Pioniergeist, Hypnose immer wieder neu und für alle Bereiche nutzbringend einzusetzen!