Читать книгу Von alten Herzen und Schwertern - Aka Mortschiladse - Страница 16
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ОглавлениеDie Sache mit dem Meer verhält sich so: Nur eine Handvoll Menschen aus Ostgeorgien hat jemals das Meer gesehen, während es in Westgeorgien jeder kennt. Zwischen den beiden Landesteilen liegt eine gewaltige Bergkette, die weder die Seeluft nach Osten noch den Nebel tief hängender Wolken oder die Einöde des Graslands nach Westen durchlässt. Mitten durch das Land verläuft also dieser Felsenkamm, sodass es schien, als gäbe es zwei verschiedene Länder. Über die Jahre und Jahrhunderte gab es durch historische Ereignisse mal ein Georgien, mal gab es zehn, aber jeder, der einmal darüber nachdachte, wusste, dass es immer eins war, und alle wussten, dass die Menschen im Osten das Meer nicht kannten.
Georgien war natürlich ein einziges Land, nur schien es, als hätte jemand entlang der Berge einen Spiegel aufgestellt, sodass sich die Menschen in Ost und West selbst gespiegelt sahen.
Weil es so tief lag, war das Meer im Spiegel nicht zu sehen. Selbst wenn das eine Georgien also etwas Ungewöhnliches an sich selbst entdeckt hätte, sobald es in das Glas blickte, würde es nie darauf kommen, dass sich dort ein ganz anderes Bild zeigte. Nein, es hätte sich gewundert, dass es an diesem Tag so seltsam aussah und versucht, sich ein wenig zurecht zu machen.
Und so wusste auch Baduna Pavneli nicht, was das Meer eigentlich war. Er hat nie eine Zeichnung davon in einem Buch gesehen oder irgendetwas darüber gelesen, bis auf die wenigen Erwähnungen in der Heiligen Schrift. Er war ein Edelmann und eine Landratte, die nie auf Abenteuer fern von zu Hause aus war. Tatsächlich hatte er beizeiten bei der georgischen Miliz angeheuert, weil dies bedeutete, an der Seite der Russen gegen marodierende Plünderer aus dem Volk der Lesginen zu kämpfen. Baduna Pavneli hatte es geschafft, hinreichend Abenteuer dort zu finden, wo er war, und sich dieses Talent bewahrt. Selbst in seiner Kindheit hatten seine Paten gefunden, es sei etwas Gefährliches an ihm. Tadia war der Stille, Baduna der Gefährliche.
Nun gut, in den letzten Jahrhunderten gab es kaum einen Pavneli, der nicht gefährlich gewesen wäre. Zu Hause hatte Baduna Unterlagen, auch historische, die belegten, dass die Pavnelis einst eine wohlhabende und einflussreiche Familie gewesen waren. Er konnte sie nicht alle lesen, da er die altgeorgische Schrift nicht kannte, aber Pater Nimos las sie ihm vor und erklärte ihm alles. Das älteste Dokument begann mit diesen Worten: In den Zeiten, als wir in Bardawi kämpften, wurde ein Pavneli – ein wahrer Löwe – getötet, einer überlebte, ein dritter wurde gefangen genommen.
Baduna Pavneli kannte die Worte auswendig und glaubte aus irgendeinem Grund, dass jeder nachfolgende Pavneli für solcherlei Abenteuer bestimmt war.
Als Baduna zurückging, um sein Pferd bei Pater Nimos zu holen, spürte er, dass der Priester mit ihm reden wollte und bereits den Weg der Buße für ihn vorausgeplant hatte, aber die Art, wie Baduna Pavneli dem Priester auf die Brust schlug, zeigte, dass diese Geste nicht nur Begrüßung, sondern auch Abschied hieß.
Baduna musste Tadia finden. Das beunruhigte den Geistlichen sehr, er sagte aber nichts. Er segnete den Besucher für seine Reise und rief ihm nach, dass auch er in das Dorf kommen würde. Aber ihn lähmte zugleich auch ein neuer Gedanke, denn er bemerkte, dass kein Dokument der Russen Baduna aufhalten würde … Der junge Baduna Pavneli streichelte sein Pferd, das er so vermisst hatte, stieß seine Stirn verspielt gegen die des Pferdes und saß auf.
Er machte sich auf zur Straße nach Tiflis, Richtung Westen.
Der Geruch von verbranntem Öl hing über Tiflis: Die Straßenlaternen waren schon angezündet.