Читать книгу Von alten Herzen und Schwertern - Aka Mortschiladse - Страница 6
1
ОглавлениеIm Frühling des Jahres 1828 wurde in der Stadt Tiflis der Edelmann Baduna Pavneli im Alter von sechsundzwanzig Jahren aus dem Gefängnis entlassen. Es war Pfingsten.
Noch im Gefängnis bekam der Edelmann seine Waffen zurück: einen mit Silber verzierten Gürtel, einen silbernen Dolch und ein Schwert aus persischem Stahl mit versilberter Scheide – alles geerbt von seiner vor ihm gegangen Familie. Außerdem eine versilberte Pulverflasche, die noch nach Schießpulver roch.
Das Gefängnis war kein Gefängnis im eigentlichen Sinne, sondern eine Kaserne. In den fünfundzwanzig Jahren, seit sie Georgien kontrollierten, hatten die Russen in Tiflis kein Gefängnis gebaut, wahrscheinlich weil es keines bedurfte. Es gab Kerkerzellen in der alten Festung, das war alles.
Da aber der junge Pavneli von adliger Herkunft war, konnte er nicht zu den anderen Insassen in den Kerker geworfen werden. Nein, Edelmänner hielt man in einem kleinen Raum in der Kaserne fest.
Seine Entlassung kam unerwartet. Jemand musste sich beherzt genug gefühlt haben, beim Statthalter – oder sogar an höherer Stelle, beim Vizekönig – für ihn vorzusprechen. Es gab keine andere Möglichkeit für eine so vorzeitige Entlassung. Wenn die Art, wie Russen ihre Gefangenen behandeln, für ihn infrage gekommen wäre, hätte man ihm den Schädel und den Schnauzer halb geschoren und ihn für weiß der Himmel wie lange nach Sibirien verschleppt.
Damals kursierten in Tiflis haufenweise Geschichten über Sibirien, schreckliche Geschichten von dickem Eis und schweren Fußeisen. Ein Priester der Antschischati-Basilika predigte sogar, dass Sibirien tatsächlich die Hölle war.
So erwies es sich als sehr hilfreich, in der Familie einflussreiche Taufpaten zu haben. Der junge Pavneli ahnte nichts von dem Gespräch, das der Grund für seine Entlassung war. Einmal auf freiem Fuß, blieb er nicht allzu lange in der Kaserne. Er wurde, noch unbewaffnet, auf schnellstem Wege in das Dienstzimmer des Obersts geführt, wo er auf einen strengen, in dunkles Blau gekleideten Mann traf, den er zuvor zwar gesehen hatte, an dessen Namen er sich aber nicht erinnerte. Es war der Oberst, der Pavneli mehr als einmal verhört hatte.
Der Oberst klappte seine Schnupftabakdose mit einem Knall zu und wandte sich auf Russisch an Pavneli:
„Wir entlassen Euch auf Befehl Seiner Exzellenz. Ihr könnt Euren Landsleuten dafür danken, Euch aus unseren Fängen befreit zu haben. Ihr hättet eine härtere Strafe verdient … Unterzeichnet diese Urkunde. Ihr versteht doch Russisch, oder?“
Baduna Pavneli lächelte nur – die Worte des Obersts hatte er nämlich kaum verstanden –, setzte sich an den Tisch und beugte sich über die unverständliche Urkunde.
„Unterschreibt!“, forderte ihn der Oberst auf. „Unterschreibt, und Eure Haft hat ein Ende. Doch müsst Ihr die nächsten zehn Jahre in Eurem Dorf bleiben. Ihr dürft es nicht verlassen. Tiflis und auch alle anderen Orte sind Euch verboten.“
Der junge Edelmann verstand auch dies nicht, begriff aber, dass er entlassen werden sollte. Also schrieb er „Ich stimme zu“ in georgischer Schrift an den unteren Rand des Schriftstücks.
Der Oberst nahm an, dass dies seine Unterschrift sei. Entsprechend den örtlichen Gepflogenheiten nahm Pavneli seinen Siegelring vom kleinen Finger und hielt Ausschau nach Kohle, um die Urkunde zu besiegeln. Er erhob sich, ging zum Ofen, öffnete die Ofenklappe und schabte mit dem Ring an der Innenwand.
Der Oberst schaute ihn zornig an.
Pavneli drückte schwungvoll seinen Ring auf die Papiere, steckte ihn wieder an den Finger und erhob sich.
„Verschwindet“, sagte der Oberst und setzte sich an seinen Schreibtisch.
Mit einer Verbeugung nahm Pavneli Abschied, drehte sich um und ging. An der Tür erwartete ihn ein Mann mit einem Gewehr und brachte ihn in den Raum, wo man ihm seine Waffen aushändigte.
„Meine Pistole?“, fragte der ehemalige Häftling. „Wo ist meine Pistole?“
Die Russen schauten einander an und schüttelten die Köpfe.
Die Pistole gaben sie ihm nicht zurück.
Es war am Morgen. Am anderen Ufer des Flusses sah er, jenseits des Kasernentors, Tiflis.