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Analyse

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Crowley zeigt uns den Magus als eine goldene Gestalt mit einem Flügelpaar an den Füßen, der im Gegensatz zum »hängenden« Narren wie eine Primaballerina auf dem Berg der Dualitäten balanciert.1 Dieser tanzende Schelm schöpft sich mit einem Lächeln im Gesicht eine scheinbare Welt nach seiner eigenen Vorstellung, was auf einer anderen Ebene auch dem Griff nach dem Paradiesapfel entspricht: Wenn du den Apfel isst, wirst du wie Gott, versprach die Schlange. Und sie hat nicht zu viel versprochen. Jeder Mensch wurde zwar zu Gott, doch weil es plötzlich zu viele Götter gab, die sich gegenseitig bekriegten, wurden die evolutionären Systeme seither auf raffinierte Verteidigungsstrategien fokussiert, um die vielen »Magier« gegenseitig in Schach zu halten. Anders herum formuliert: Da sich jedes Ego als kleiner Gott herauskristallisiert, der sich sein eigenes Paradies geschaffen hat, haben wir zum Schluss Milliarden kleiner Götter in ihren paradiesischen Superstar-Vorstellungen, die von den gemeinsamen Zielen gerade durch die gleichen Ziele der anderen getrennt sind.


Doch zur Karte zurück. Am unteren Rand sehen wir den blauen Strahl der Erkenntnis, der den spitzen Kegel, auf dem der Magus wippt, erst senkrecht durchläuft, dann durch seinen Körper strömt und ihm als ein von den Uräusschlangen, den königlichen Schlangen Ägyptens, umwundenes Zepter aus dem Scheitel(-Chakra) dringt. Dieser stilisierte Caduceus oder Merkurstab, in dem Crowley den ägyptischen Einfluss (Tahuti oder Thoth) mit dem griechischen (Hermes) verbindet, ähnelt den im ägyptischen Symbolismus gebräuchlichen Hadit-Schwingen, eine geflügelte Scheibe, die uns noch mehrfach beschäftigen wird. Zusätzlich hat er das ägyptische Auge des Horus mit der Friedenstaube als Symbol christlicher Erleuchtung kombiniert. Damit bekommen wir einen ersten Vorgeschmack auf die Verbindung Taube-Schlange, die ein wichtiges Element in der Crowley’schen Überlieferung darstellt.1 Diese multikulturelle Verschmelzung assoziiert die unterschwellige Sehnsucht nach dem Göttlichen, denn trotz aller egoistischen Querelen und Winkelzüge strebt das Ich nach Verschmelzung und Entwicklung, was sich nicht zuletzt in den Fußfesseln zeigt, deren Musterungen mit denen der Schlangen auf seinem Kopf identisch sind.2 Auch die mächtigen (Jugendstil-)Flügel an den Fußgelenken, die die nur mühsam gehaltene Balance unterstreichen, sind interessant. Sie zeigen, dass der Magus zwar alle »beflügelnden« Erkenntnisse zu haben glaubt, diese aber selbst nur an den überlieferten kollektiven Prägungen kleben (was die instabile Gestalt fixiert und im Gleichgewicht festhält) und selbst keine eigene Wahrheit beinhalten. Obgleich er ahnt, dass er am Ende genauso klug wie vorher ist: Der jugendliche Held muss lernen, diesen Apparat, wenn nicht zu beherrschen so doch wenigstens zu bedienen, wenn er in der Welt etwas bewirken will. Die zu einem geometrischen Netzwerk angeordneten goldenen Fäden im Hintergrund, die sich in der Karte der Hohepriesterin zum Schleier der Isis verdichten, zeigen das Konstrukt der kollektiven Vorstellung und der menschlichen Kultur, die der Homo sapiens in Tausenden von Jahren entwickelt hat.

Mit dem Stab erzeugt Er.

Mit dem Kelch erhält Er.

Mit dem Dolch zerstört Er.

Mit der Scheibe erlöst Er.2


Um ihn herum fliegen oder tanzen die magischen Werkzeuge herum, die da sind: Stab, Kelch, Dolch, Scheibe sowie das geflügelte Ei als Symbol für das fünfte Element, wie Crowley bemerkt. Sie sind Zeugnisse für das Inventar, mit denen er seine Leere mit Sinn füllen kann. Der Pfeil über der Hand steht für Ausweitung und Erkenntnisdrang, Schreibgriffel und Schriftrolle für die Gabe, Wissen festhalten und vergleichen zu können. Das Zepter mit Phönixkopf (Was-Zepter) neben seiner Hand illustriert das Wunder der sich immer wieder erneuernden Kraft, die den ganzen Kosmos beseelt, und das Triebwesen im Untergrund, das schäumend vor Zorn und blind vor Wut von unten rechts ins Bild drängt, verkörpert die oft auf der Merkurebene verloren gegangene Instinktnatur. Der erwachte Schatten sieht, dass das Werk des Magiers nicht vollkommen ist, solange er die Triebnatur auszuschließen versucht, deshalb wird er den Magus im Verlauf seiner Reise, bis er reif und weise geworden ist, noch das eine oder andere Mal schmerzhaft damit konfrontieren.3


Urteil der Götter

Jeder Mensch ist eine Manifestation des Universums und trägt die Summe aller Möglichkeiten genauso in sich, wie er selbst aus der Summe aller dieser Möglichkeiten geschaffen ist: Ergo ist der Magus das sich aus sich selbst heraus schöpfende Potential, das sich grenzenlos ausdehnen kann, da es gleichermaßen Schöpfer wie Geschöpftes, d. h. sein eigenes Universum oder Universum für sich selbst ist.

Einspruch des Advocatus Diaboli

Wenn der Narr der noch formlosen Leere entspricht, verkörpert der Magus das Feuer des Antriebs und den Spiegel des Selbstbildes. Steht die Hohepriesterin für die spirituelle Weisheit und die Sehnsucht nach den Seelengründen, symbolisiert der Magus den Willen, der beginnt, sich ein Bild von sich selbst zu machen. Im Grunde ist er der zwischen die vorangegangene und die nachfolgende Karte eingepferchte Geist, der sich gezwungen sieht, ein eigenes Wissensinventar zu erstellen, um den beiden nebulösen Wächtern zu entkommen. Vergeblich! Zwar verbindet ihn Crowley mit den vier (apokalyptischen) Reitern unserer abendländischen Kultur: dem Willen, der Weisheit, dem Wort und dem Logos, aus deren Zauberhüten wenn nicht die Welt, so doch zumindest unsere Vorstellung von der Welt erschaffen wurde, was sich zu dem ausgewachsen hat, was wir heute haben. Und doch: Im Grunde beruht der Wille des Magus auf den Verdrängungen der Visionen des Narren, und die Hohepriesterin ist die Quelle, die die Erkenntnisse des Magus durch ihre Ahnungen ergänzt.

Akrons Crowley Tarot Führer

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