Читать книгу Akrons Crowley Tarot Führer - Akron Frey - Страница 35
Weiterführende Bemerkungen
Оглавление1 Die Hohepriesterin ist eine der interessantesten Karten im ganzen Deck. Sie ist das wunderbare Ergebnis der Frieda Harris von Olive Whicher vermittelten projektiven Geometrie, die sie 1937 in London erfuhr.5 Es handelt sich um den Versuch, die starre euklidische Geometrie durch den so genannten mathematischen Mystizismus »aufzubrechen«. Das erinnert auch an die von M. C. Escher in den dreißiger und vierziger Jahren entwickelte geometrisch-künstlerische Methode zur Flächenfüllung und zur Darstellung des Unendlichen, die ebenso auf raffinierte Verbiegungen und außergewöhnliche Blickwinkel setzt: Die perspektivische Verkürzung des Raums, der auf der Karte der Hohepriesterin beispielsweise wie eine »Laufmasche« herunterfällt, liegt exakt auf ihrem Solarplexus. Es ist das »weiße Loch«, das den Kosmos aus sich hervorbringt. Dieser feierliche Akt wird durch die Bewegung ihrer Arme dirigiert, die den Einstieg öffnen, durch den der Reisende eintreten kann. Sie verkörpert die Weise, welche die Sterne regiert, die ihr folgen, und in dieser Haltung repräsentiert sie Nuit, die Herrin der Sterne.
2 Somit ist die Hohepriesterin der unbewusste Impuls zum schöpferischen Willen des Magus: die Idee zur Handlung, bevor sich die Tat in den Raum ergießt, die namenlose Unendlichkeit, die sich zu einem Schöpfungsakt zusammenballt. Es ist die unbewusste Absicht, die ihm die Fähigkeit, durch den Willen Dinge aus dem scheinbaren Nichts heraus zu erschaffen, einhaucht. Für alles, was er kraft seiner Vorstellung beschwört, wird sie zur verwandelten Quelle seiner Schöpfung und bildet als deren abgetrennter Rückstand den Gegenpol, der stumm und geduldig auf die Wiedervereinigung der getrennten Pole wartet. Auch der Begriff Intuition wird in einer oft zu materiellen und irdischen Bedeutung mit dieser Karte in Verbindung gebracht. Der oft mit wahrer Intuition verwechselte Geistesblitz Heureka! – Ich hab’s! ist selten mehr als ein erster Gedanke aus der Schmiede des Magus, ein Prototyp. Erkenntnisse des Männlichen entspringen der Konzentration auf einen Punkt, die alles andere aus seinem Bewusstsein verbannen. Die Hohepriesterin jedoch blendet jede Fokussierung auf diesen einen Punkt aus und schafft damit Platz für die wahrhaft intuitiven Eingebungen. Zur Unterscheidung dieser beiden Prinzipien ist es hilfreich, von aktiver, männlicher Kraft zu sprechen (solarer Merkurzeichen), die sich selbst zu erschaffen in der Lage ist, und von weiblicher Energie (lunarer Merkurzeichen), die dem Wirken des Magus unbewusst zugrunde liegt.
3 Am Fuße der Statue der Isis in Sais steht geschrieben: Ich bin alles, was war, was ist und was jemals sein wird. Kein Sterblicher wird je entdecken können, was unter meinem Schleier liegt.6 So scheint sie nur in Träumen oder Phasen überirdischer Eingebungen erreichbar zu sein; kein Weg führt zu ihr hin und keiner von ihr weg, denn sie ist im wahrsten Sinne des Wortes überall und nirgends. Crowleys Göttin der Nacht, Nuit, repräsentiert die gleiche Kraft, durch die wir uns selbst als Teil eines Größeren erkennen, und dieses Größere ist der Impuls des Lebens selbst. Deshalb kann sie in ihrem Geheimnis intuitiv erahnt, aber weder emotional erfahren noch mental erfasst werden, ist sie doch selbst die Quelle, aus der die Urmuster unserer Gefühle und Gedanken strömen. Da sie all dies selbst gebiert, ist sie – ohne selbst Bild zu sein – die hinter den Bildern wirkende Bilde-Kraft, die unsere Vorstellung nährt. Erst in der Karte Ausgleichung kann ihr Potential, das hier (noch) als Idee existiert, zur Quelle eines Neuen Æons verdichtet werden, zur befriedigten Frau, mit der sich der Mensch verschmelzen kann: Liebe ist das Gesetz – Liebe unter Willen!7
Ich bin Sie, erwidert Coph Nia8, die Tochter der Schleier und Priesterin der Nacht, und alles, was ihr wahrnehmt, ist Sie in der Form, in der ihr Sie erfahrt. Sie ist es, die in euch und durch euch den heiligen Wein trinkt, und Sie ist der Wein. Es ist die ewig-alte Frage nach dem Lebenssinn: Wo liegt der Sinn des Werdens, das aus seinem eigenen Ende immer wieder neu hervorgehen muss? Die Hohe Sphinx kann das Rätsel lösen: Er liegt in der Sehnsucht des Lebens nach sich selbst!