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5. Strategien sensorischer Intelligenz.

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Eine erste Strategie sensorischer Intelligenz ist Entwicklung von Diversität und Komplexität, aber auch Reduktion von Komplexität durch eine Antwort. Der evolutionäre Trend hin zu Differenzierung und Komplexität zeigt sich bereits in der Entwicklung von Instinkten. Instinkte sind genetisch festgelegte- und direkte Reiz-Antwort Reaktionen. Gleichzeitig sind sie hoch komplexe endokrin- oder neuronal bearbeitete Verhaltensmuster, mit denen Tier und Mensch ihre Ernährung sichern, ihr Überleben ermöglichen und ihre Fortpflanzung organisieren. Die Komplexität eines Schlüsselreizes wird von der Intelligenz des Gehirns, - für Instinkte ist dies der Hirnstamm -, mit einem unterschiedlichen-, mit einem topischen oder phobischen Verhalten beantwortet. Im Instinkt werden aus direkten Reiz- Reaktionen hochkomplexe Abfolgen von Assoziationen, welche z.B. zu einem Nestbau, zu Ritualen der Partnersuche oder der Brutpflege führen. Sie folgen einem gelenkten Zusammenspiel , für das wir in unseren Tagen das Wort „Algorithmus“ benutzen. Algorithmen sind Handlungs-anweisungen zur Lösung eines Problems oder einer Klasse von Problemen. Sie bestehen aus vielen wohldefinierten- und festgelegten Einzelschritten und werden als Handlungsanweisungen oder Programme zusammen gefasst. Algorithmen sind eindeutig, sind festgelegt und haben eine Lösung als Ziel. All diese Eigenschaften zeigen Instinkte auch. Ihre Einzelschritte sind Assoziationen und deren Zusammenfassung in einen Algorithmus ist neuronal oder hormonal entworfen und genetisch verankert. Ziel ist ein Verhalten, das ein Überleben ermöglicht.

Evolutionäre Intelligenz macht aus einem Schlüsselreiz eine unterschiedliche Antwort in Form von topisch- oder phobisch reagierenden Instinkten und schafft eine tierische Vielfalt oder Diversität. Nicht weniger häufig wählt evolutionäre Intelligenz den entgegengesetzten Weg und entwirft aus einer großen Zahl sensorischer Informationen e i n e Antwort. Aus einer Vielzahl sensorischer Wahrnehmungen macht die biologische Evolution einen Algorithmus, eine Handlungsanweisung als Instinkt. In der menschlichen Sprache als einem Schlüsselelement menschlicher Kultur beobachten wir gleichartige Verfahrensweisen: Mit einem Wort werden nicht selten ganz unterschiedliche Bedeutungen ausgedrückt und andererseits werden viele Worte und deren Bedeutung zu einer Kategorie zusammengefasst und damit Vielfalt und Komplexität reduziert. Menschliche Kultur folgt nicht selten den von der biologischen Evolution benutzten Mustern: Die Entwicklung von Diversität ist ein biologisches Phänomen und die Reduktion oder der Umgang mit Komplexität genauso. Menschliche Intelligenz übernimmt von evolutionärer Intelligenz die Entwicklung von Diversität und kann deren Komplexität in e i n e n Handlungsaspekt des menschlichen Bewusstseins zurückführen. Heute sind Algorithmen die Basis für künstliche Intelligenz. Das Auftauchen von Phänomenen der evolutionären Intelligenz in der menschlichen Intelligenz sollte uns demütig machen und uns davon abhalten, die schöpferische- oder kulturelle Intelligenz des Menschen zu überschätzen.


Das eigene Überleben zu sichern, dafür benötigt eine biologische Kreatur wiederum Strategien einer Verarbeitung sinnlicher Wahrnehmungen: Um zu überleben braucht es zunächst einen gesunden Körper. Regelmäßige-, aus dem eigenen Körper stammende Rückmeldungen müssen sein Wohlbefinden registrieren oder Krankheiten und Defizite melden, die behoben werden können. Ein gesunder Körper und eine sich wohlfühlende Seele sind notwendig, um in einem gegebenen Umfeld bestehen zu können. Neben der Wahrnehmung des eigenen Körpers muss ein biologischer Akteur auch wissen, was das Umfeld mit ihm vorhat. Eine Strategie ist eine Intensivierung sinnlicher Wahrnehmung durch eine Optimierung der dafür entwickelten Sinnesorgane und deren Anpassung an ein gegebenes Umfeld. Eine weitere Strategie der Evolution ist eine intelligente neuronale Verarbeitung oder Interpretation sensorischer Wahrnehmungen und deren Zusammenführung zu einem umgreifenden Gesamtbild. Die erste Strategie schuf eine Vielfalt von Tieren oder Individuen, die auf Grund unterschiedlicher sinnlicher Wahrnehmung ein jeweils eigenes Bild von ihrem Umfeld entwerfen. Die zweite sensorische Strategie verarbeitet ihre begrenzten sinnlichen Wahrnehmungen hormonal oder neuronal . Beide Strategien kommen zu einem ähnlichen Ergebnis in Bezug zur äußeren Welt: Die wahrgenommene Welt ist in beiden Strategien eine bearbeitete- oder interpretierte Welt, die sich von der realen Welt unterscheidet. Tiere und Menschen leben alle in einer individuellen- oder „subjektiven Sicht“ auf die Welt. Alle leben wir in unserer eigenen Welt und geben auch individuelle- oder subjektive Antworten.

Mit der ersten Strategie, einer sensorischen Intelligenz durch eine Vielfalt sensorischer Organe und deren funktioneller Intensivierung, einer „sensorischen Intelligenz der Wahrnehmung“, ist eine Buntheit tierischer Individuen entstanden, die jeden Menschen in Erstaunen versetzen oder demütig machen muss, der sich in diese Welt der Tiere vertieft. Jede einzelne Art oder jedes Individuum entwickelt mit der Hilfe einer dem Umfeld angepassten sensorischen Funktion jene Intelligenz, die das Überleben sichert. Um zu überleben benutzen Tiere und Menschen einmalige- oder arteigene sensorische Fertigkeiten, mit deren Hilfe sie überleben. Von Sinnesorganen ausgehende sensorische Intelligenz und deren Intensivierung (Strategie 1) ist eine allein von der biologischen Evolution entworfene Intelligenz und bringt jeden Biologen oder Freund der Tiere zum Staunen. Noch immer ist die biologische Wissenschaft damit beschäftigt in der Welt der Tiere nach bisher unbekannten Methoden der Wahrnehmung oder der Orientierung zu suchen. Als Nichtbiologe bin ich auf Wikipedia angewiesen, wenn ich einige Wahrnehmungen von Tieren ansprechen möchte, die jedes menschliche Wahrnehmen übertreffen: Katzen, so lese ich, können in der Nacht fünf mal besser sehen als Menschen. Ihre Augen sind „Restlichtverstärker“ und Tasthaare ergänzen ihr Sehvermögen. Der Wolf benutzt das Zusammenspiel eines intensiven Gehörs und eines noch intensiveren Geruchssinnes zur Orientierung. Der Steinadler kann eine Maus aus 1000 m Entfernung erkennen, indem er seine flexible Linse der Lichtsituation anpasst. Vögel orientieren sich auf ihren langen Flügen von Nord nach Süd und wieder zurück am Magnetfeld der Erde und eine ähnliche Orientierung benutzen auch die Aale im Wasser. Fledermäuse sind Künstler der nächtlichen Jagd, indem sie mit Ultraschallwellen oder einem Echolot die Umgebung abtasten und ausloten. Ultraschall benutzen auch Wale und Delphine: Sie verständigen sich mit Ultraschalllauten und erkennen am Spektrum des Schallreflexes die Zusammensetzung der beschallten Objekte. Einige Fische benutzen elektrische Felder für ihre Orientierung. Käfer können im Infrarot-Spektrum wahrnehmen. Bienen und Schmetterlinge benutzen ihren intensiven Geruchssinn zur Ortung von Pflanzen, indem sie deren Pheromone riechen. Ihre Information geben Bienen durch einen Bienentanz an ihre Genossinnen weiter. Diese kurze Zusammenstellung sensorischer Fähigkeiten von unterschiedlichen Tieren möge genügen. Sie demonstriert: Die Benutzung unterschiedlicher physikalischer Phänomene bei sensorischen Wahrnehmungen, die Spezialisierung von Sinnesorganen, die zeitgleiche Benutzung unterschiedlicher sinnlicher Wahrnehmungen und schließlich deren Orientierung an den vom Umfeld gesetzten Notwendigkeiten erschuf in der biologischen Welt eine jeweils eigene-, nur vom einzelnen Tier oder seiner Art wahrgenommene Welt.

Für höher entwickelte Säugetiere, für nichtmenschliche Primaten und auch für den Menschen entwickelt die Evolution eine 2. Strategie des Umganges mit sensorischen Wahrnehmungen. Eine sensorische Intelligenz durch neuronale- oder hormonale Bearbeitung von sinnlichen Wahrnehmungen entsteht. Orientiert sich die sinnliche Wahrnehmung weniger an einer angepassten Spezialisierung von Sinnesorganen, wie wir dies für Strategie 1 annehmen und bleiben sinnliche Wahrnehmungen für die große Gruppe der Primatenreihe mehr oder weniger die gleichen, so muss eine intelligente mentale Analyse der Wahrnehmung ein adäquates Reagieren möglich machen. Jedes tierische-oder menschliche Agieren vollzieht sich in einem Umfeld, das nach Antworten verlangt. Senso-motorisches Reagieren wird davon abhängen, ob eine sensorische Organfunktion eine notwendige Differenzierung leisten kann oder ob diese von einer neuronalen- oder hormonalen Bearbeitung des Wahrgenommenen geleistet wird. In der Reihe höherer Säugetiere und der Primaten bestimmt v.a. eine mentale Bearbeitung sensorischer Wahrnehmungen das Reagieren oder Handeln.

Sehen, Hören, Riechen, Schmecken, Fühlen beginnen als „Wahrnehmung“ von etwas und Wahrnehmung ist eine erste Realisierung eines außerhalb von mir existierenden Objektes. Mit Wahrnehmung wird für Tier und Mensch ein existierendes Umfeld begründet, dessen Objekte noch charakterisiert und bewertet werden müssen. Tier und Mensch realisieren: Etwas existiert außerhalb von mir, dessen Bedeutung mental erschlossen werden muss. Mit dem „Erkennen“ des Gesehenen, Gehörten, Gerochenen, Geschmeckten und Gefühlten beginnt eine zweite Stufe einer intelligenten Bearbeitung des Wahrgenommenen. Erste Unterscheidungen entstehen. Muster für Bedrohung oder Gefahr, für Überlegenheit oder Stärke, aber auch für Sicherheit und Schutz werden nicht nur wahrgenommen, sondern erkannt und mit einer Reaktion beantwortet. Diese Intelligenz des Erkennens v.a. von Gefahr wird über weite Epochen der biologischen Evolution das tierische Reagieren bestimmen und zur Entwicklung von Trieben und Instinkten führen, die auch noch den Menschen lenken, wenn er in eine Notwehrsituation gerät. Aus dem Erkennen sinnlicher Wahrnehmungen wird als nächster Schritt deren “Verstehen“. Aus dem erkennenden- wird ein verstehendes-, ein eine Situation und das Gegenüber analysierendes erstmaliges Subjekt und macht aus dem Gegenüber ein sympathisches- und vertrauenswürdiges-, gehasstes oder abgelehntes Objekt. Sinnliches „Erfahren“ ist schließlich eine letzte Form einer intelligenten Bearbeitung sinnlicher Wahrnehmungen. Diese werden einer subjektiven Bewertung unterzogen und als unter-schiedliche Gefühle erfahren. Sinnliche Wahrnehmungen werden zu seelischen Qualifizierungen. Sie werden als schön oder heiter, aber auch als furchteinflößend oder abstoßend erlebt, werden zu Gefühlen der Freude, der Lust, der Hoffnung, des Stolzes oder der Angst und der Wut. Sie werden als Gefühle selbst erfahren und jetzt auch bewusst erlebt. Menschliches Bewusstsein ist mit der Erfahrung sinnlicher Wahrnehmungen aufgekommen und ist die Voraussetzung, diese auch in Anderen zu verstehen. Aus einem bewusst gewordenen- und verstehenden Gruppenwesen ist ein mitfühlendes Individuum, ein empathischer Primat oder Mensch geworden, der genießt und leidet und beides auch in Anderen erkennt.

Sensorische Intelligenz, ob als Wahrnehmung durch Sinnesorgane, als neuronale Bearbeitung von Wahrnehmungen oder als Kompromiss aus beiden, nimmt wahr was für unser Überleben wichtig oder unwichtig ist. Sensorische Intelligenz interpretiert das Umfeld, entwirft Bilder und produziert „Vorstellungen“.

Die reale Welt oder das „Ding an sich“ in Kants oder Schopenhauers Diktion ist jetzt ein subjektives- und von jedem Tier und jedem Menschen unterschiedlich wahrgenommenes Produkt. Sensorische Funktionen und deren neuronale Kontrolle durch Erfahrung und Gedächtnis machen aus unseren sinnlichen Wahrnehmungen ein von der Realität sich unterscheidendes Konstrukt. Diese inzwischen allgemein akzeptierte Erkenntnis der Hirnphysiologie beschäftigt seit mehr als 2000 Jahren die abendländische Philosophie bis heute und führt in einen Streit um die Erfahrbarkeit der materiellen Welt und schließlich gar in einen Streit um deren Existenz oder Nichtexistenz. Mit Platons (427-348 v. Chr.) Höhlengeschichte wurde diese Diskussion eröffnet: In einer Höhle wirft das einfallende Licht von dort sitzenden Personen oder dort befindlichen Gegenständen ein Schattenbild an die Höhlenwand, aber kein reales Bild von beiden. Analoge Schattenbilder, so Platon, produziert auch unsere sensorische Intelligenz aus den uns zugehenden Wahrnehmungen. Umfeld und Welt sind für Platon zwar real vorhanden, doch werden sie nur als „Schatten“ oder als Konstrukte wahrgenommen. Die reale Welt oder deren wirkliche Gestalt ist allenfalls als menschliche Idee begreifbar. Mit dieser Vorstellung wird Platon zum Begründer eines europäischen Idealismus. Descartes (1596-1650) übernimmt die Thesen Platons und radikalisiert sie. Für Descartes existiert der Mensch in zwei Arten des in der Welt Seins: Er ist Körper und Geist, ist materielles Objekt und Bewusstsein, ist res externa und res cogitans und beide sind vollständig getrennt. Der Körper ist ein materielles Objekt und Teil der Natur. Bewusstsein und res cogitans sind ein göttliches Geschenk und nur dieses denkende Ich ist für Descartes gewiss: „Ich denke also bin ich“, sagt er. Mit dieser Philosophie wird Descartes zu einem Begründer des philosophischen Solipsismus oder eines radikalen Konstruktivismus. Eine Welt außerhalb meines Gedanken- und Ideen produzierenden Ichs existiert für Descartes allenfalls als Konstruktion und wir können noch nicht einmal sicher sein, ob sie real existiert oder nur in unserem Geist. Diesem radikalen Konstruktivismus widersprechen die englischen Aufklärer Locke (1632-1704) und Hume (1711-1776) und begründen Empirismus und Sensualismus. Für diese Philosophen beruht jede Erkenntnis des Menschen auf Erfahrungen, die er mit sensorischen Wahrnehmungen gewinnt. Erkenntnis ist dann ein Produkt aus Sinneswahrnehmungen und deren Bearbeitung durch Erfahrungen und Gedächtnis, ein Produkt aus Sensorik und Geist. Sie bleibt aber auch als Bild oder Vorstellung von der Welt noch eine reale Erkenntnis, denn sie vermittelt uns die Welt , in der wir leben.

Der von Descartes und von den ihm folgenden Konstruktivisten ausgelöste Philosophenstreit über eine Welt, die nur im menschlichen Geist existiert, ist heute überwunden. Von Darwins Evolution wissen wir, dass eine materiale- oder biologische Welt schon lange existierte bis in einem letzten Wimpernschlag der Evolutionsgeschichte der Mensch auftaucht und spekuliert, philosophiert oder träumt. Wer naturwissenschaftliche Forschung betreibt und die Physiologie von tierischer und menschlicher Sinneswahrnehmung kennt, weiß, dass Sinnesorgane von Tier und Mensch oder die Bearbeitung von Wahrnehmungen durch neuronale Bearbeitung ein für jedes Tier und für jeden Menschen jeweils unterschiedliches Bild der Welt entwerfen. Es sind vom Sehen, Hören, Riechen, Schmecken, Fühlen und deren neuronaler Bearbeitung gestaltete und entworfene Bilder, aber es sind Bilder einer existierenden Welt. Was immer Tier und Mensch mit ihren Sinnen wahrnehmen ist von der Welt in der wir leben ausgelöst, hat einen realen Hintergrund, auch wenn von diesem realen Hintergrund oder dem „Ding an sich“ unterschiedliche Bilder oder Gestaltungen entworfen werden.

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