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1. Der Anfang der menschlichen Linie bleibt verborgen.

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Verhaltensforschung an nichtmenschlichen Primaten, neuro-physiologische Erkenntnisse und archäologische Anthropologie haben unsere Vorstellungen zur Entwicklung des Menschen geschaffen und vor allem Beiträge geliefert für die mentale Entwicklung des Menschen, die einer archäologischen Forschung weniger zugänglich sind. Die Verhaltensforschung an Menschenaffen beschreibt wie sich das Gehirn von Menschenaffen, über Australopithecus zu den Hominiden kontinuierlich vergrößert und eine zunehmende Intelligenz entwickelt. Diese Größenzunahme des menschlichen Gehirn durch eine permanente Mehrbelastung, entstanden durch eine immer komplexer werdende Bearbeitung sensorischer Wahrnehmungen erhält mit dem „aufrechten Gang“ des Menschen einen kräftigen Schub. Aus vierfüßig sich bewegenden Primaten wird ein aufrecht gehender Greifer oder Hominide. Der „aufrechte Gang“ des Menschen wird zu einem Wendepunkt: Aus einer senso-reaktiven- und körperzentrierten Evolution zum aufrecht gehenden Hominiden wird schließlich eine mentale Evolution hervorgehen. Aus körperlicher Intelligenz wird eine „mentale Intelligenz“, aus einem reagierenden- wird ein handelndes Geschöpf. Wie wichtig dieser Schritt in den aufrechten Gang, in die „Aufrichtigkeit“ nicht nur für die mentale Evolution des Menschen, sondern auch für unser heutiges Bewusstsein ist, demonstriert eine non-verbale Organsprache: Wir sprechen vom „aufrechten Menschen“, von „Rückgrat haben“, von „Kopf hoch halten“, von „in Gang setzen“, von „Halt verlieren“, von „Zusammenbrechen“ oder vom „Steh auf Männchen“. Gleiches gilt für Wortschöpfungen wie „Selbständigkeit“, Standfestigkeit“, „Gebrechlichkeit“, „Aufrichtigkeit“ oder „Hinfälligkeit“. Der aufrechte Mensch wird zur Metapher für eine psychologische Charakterisierung des Menschen.

Physiologisch bleibt der Hominide ein Säuger auf zwei Beinen. Mit dem beginnenden Wachstum seines Gehirns in den Millionen Jahren der Umstellung auf zwei Beine wird der Hominide nach weiteren zwei Millionen Jahren schließlich zu einem fühlenden- und denkenden Säuger werden. Mentale Evolution und die Entwicklung einer mentalen Intelligenz werden schließlich den Menschen formen und sind der Lernfunktion einer evolutionären Intelligenz geschuldet. Wie aber schafft das Gehirn eine Intelligenz, die eine Abfolge von Entwicklung ist, von den Menschenaffen ausgehend bis hin zum Homo sapiens? Haben biologische Evolution und das Primatenhirn eine gleichartige Entwicklungsgrundlage?

Seit Darwins Theorie der Evolution aus dem Jahre 18564 ist aus einem religiös- oder philosophisch gedeuteten Menschen ein Objekt historischer Forschung geworden, ein Objekt zunächst einer archäologischen Anthropologie. In vielen Regionen unserer Erde werden erhalten gebliebene Schädel- und Skelettreste von nichtmenschlichen Primaten, von Hominiden und von verbindenden „links“ ausgegraben. Aus Veränderungen der Schädelform oder anderen Skelettresten erstellt die archäologische Forschung Stammbäume des Menschen von vierfüßigen Primaten ausgehend, über den auf zwei Beinen gehenden Australopithecus, über den aufrecht gehenden Greifer Homo habilis und über Homo erectus schließlich zum Homo sapiens führend. Auch Skelettreste werden gefunden, die sich einer vermuteten Entwicklungsreihe entziehen, zu neuen Entwicklungslinien führen oder wieder verschwindende Seitenlinien offenbaren. Eine in den letzten Jahren möglich gewordene Altersbestimmung entdeckter Skelettreste erlaubt deren zeitliche Unterbringung im Stammbaum. Trotzdem ist archäologische Forschung noch immer im Fluss, zumal neue Funde nicht selten auch neue Fragen aufwerfen.

Eine bis heute offene Frage ist, wie und wann der Weg zum Menschen beginnt. „Wir kennen den Menschen nicht, der als erster aufrecht ging… Anfänge sind keine Einfälle. Sie ziehen sich lange hin, sie erfolgen nicht über Nacht, sondern in unendlich kleinen Schritten“ schreibt Jürgen Kaube, als er „Die Anfänge von Allem“ analysiert22. Wendepunkte haben in der biologischen Evolution immer eine lange Vorlaufzeit, bis sich nach vielen Generationen erste wegweisende Veränderungen zeigen. Im Augenblick streiten sich Archäologen darüber, wann sich ein Primat mit ersten Hinweisen auf eine menschliche Linie von affenartigen Primaten wegentwickelt haben könnte. Liegt dieser Anfang vor ca. 11,7 Millionen Jahren, weil damals ein sog. Danuvius guggemosi zum Ursprungsglied zweier Entwicklungslinien wurde? Die Archäologin Madelaine Böhme sieht im 12 Millionen Jahre alten Danuvius guggemosi einen Primaten, von dem eine Entwicklungslinie zu nichtmenschlichen Primaten wie Orang Utan, Gorillas, Schimpansen und Bonobos ausgeht und eine zweite Entwicklungslinie zum aufrecht gehenden Hominiden führt mit einem ersten Fußabtritt vor 3,8 Millionen Jahren23. In bisher gängigen Vorstellungen ist der Mensch eine erfolgreiche Nebenlinie einer Entwicklungsreihe nichtmenschlicher- oder affenartiger Primaten: Vor ca. 5 bis 6 Millionen Jahren schert eine menschliche Linie von der Linie der affenartigen Primaten aus. Die Orangutangs oder Gorillas sind in dieser Vorstellung unsere Vorfahren, Schimpansen oder Bonobos sind unsere Nichten oder Neffen. Einmal beginnt die menschliche Entwicklungslinie vor ca.12 Millionen Jahren, dann wieder vor 6 Millionen Jahren. Beide Vorstellungen treffen sich in einer „East Side Story“: Sie besagt, dass vor ca. 6 Millionen Jahren tektonische Eruptionen den afrikanischen Graben schufen und eine Trennung zweier Entwicklungslinien bewirkte: Nicht menschliche Affen entwickelten sich in den Waldgebieten Afrikas westlich vom großen Graben. Die menschliche Linie bevorzugte die Savannen östlich des großen Grabens und wird dort zum Homo sapiens.

Wir wissen nicht, wann die Entwicklung zum Menschen beginnt. Noch weniger wissen wir, wie sie beginnt. An Skelettresten lassen sich erste Veränderungen kaum erkennen, die eine neue Entwicklungsreihe, eine Entwicklung zum Menschen auslösen. Genetische Mutationen bewirken biologische Veränderungen, die zum Zeitpunkt ihres Entstehens Nutzen oder Schaden, Überleben oder Tod bedeuten können. Evolutionäre Entwicklung blickt aber nicht in die Zukunft. Sie orientiert sich allein an der Gegenwart, in welcher das Umfeld festlegt, ob ein biologisches Geschöpf überleben- oder verschwinden wird. Von genetischen Mutationen vollzogene Veränderungen sind in der Regel nur sehr kleine Schritte. Sie sind zum Zeitpunkt ihres Entstehens noch nicht deutbar. Evolution ist eine langsame und in kleinen Schritten sich vollziehende Entwicklung. Sie ist nur im Rückblick begreifbar.

Vergleicht man aber Zwischenstufen einer Entwicklung, vergleicht man den aufrecht gehenden Hominiden mit nichtmenschlichen Primaten, so offenbart sich, wie viel in 6 bis 12 Millionen Jahren verändert werden musste, um aus nichtmenschlichen Primaten einen aufrechten Hominiden zu machen: Beim aufrecht gehenden Hominiden wird die Wirbelsäule S-förmig. Sie muss einen aufgerichteten Körper stabilisieren, der bei nichtmenschlichen Primaten unter der Wirbelsäule hängt. Das Rückenmark der Hominiden verlässt den Schädel an der Basis, wogegen bei nichtmenschlichen Primaten das Foramen occipitale an der Rückseite des Schädels sitzt. Beim Menschen werden die Vorderfüße zu Greifern und Stabilität bekommt der zweifüßige Geher, weil er beim Gehen ein Bein entlastet und dieses aus Stabilitätsgründen mitschwingt. Der zweifüßige Geher wird in den vielen Millionen Jahren vom nichtmenschlichen Primaten zum Hominiden auch zu einem schnellen Läufer: Das Fell der nichtmenschlichen Primaten verschwindet und Nacktheit entsteht. Nacktheit verhilft dem auf zwei Beinen Gehenden zum Schwitzen: Über lange Strecken kann er beim Laufen seine Körpertemperatur konstant halten und wird zum Langstrecken- oder Marathonläufer. Diese angesprochenen Veränderungen auf dem Weg zum Menschen sind vielleicht jene, die am meisten auffallen, aber nicht den gesamten Umbauprozess offenbaren. Nein, der gesamte Körper, jedes Glied und jedes Organ muss umgebaut werden, wenn aus einem nichtmenschlichen Primaten ein aufrecht gehender Hominide werden soll. Wie und wann aber diese Veränderung zum Menschen beginnt ist unbekannt, wird wohl auch im historischen Dunkel verborgen bleiben und ist allenfalls Anlass für Spekulation.

EINE EVOLUTION, ABER UNTERSCHIEDLICHE GESCHICHTEN?

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