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Erster Band
I
Der Wolfsjägermeister Sr. Hoheit
ОглавлениеEr war ein gewaltiger Jäger, der edle Herr Jean, Baron von Vez.
Wenn ihr in dem schönen Thal hingehet, das von Berval nach Longpré führt; so erblicket ihr links einen alten Thurm, der euch um so höher und furchtbarer erscheinen wird, als er ganz vereinzelt steht.
Gegenwärtig gehört er einem alten Freunde des Erzählers dieser Geschichte, und Jedermann ist dermaßen an seinen furchtbaren Anblick gewöhnt, daß der nächste beste Bauer im Sommer eben so furchtlos den Schatten seiner hohen Mauern sucht, wie die Dohlen mit ihren großen schwarzen Flügeln und ihrem gellen Geschrei, und die sanft zwitschernden Schwalben die alljährlich ihre Nester hier aufhängen.
Aber zur Zeit, von welcher wir sprechen, d.h. gegen das Jahr 1780, bot das Herrenhaus von Vez nicht dasselbe Bild dar und gewährte, man muß es sagen, nicht dieselbe Sicherheit. Es war ein düsteres, strenges Gebäude aus dem 12. oder 13. Jahrhundert, und äußerlich wenigstens hatte die Reihenfolge der Jahre Nichts von seiner schreckenerregenden Physiognomie weggenommen. Allerdings ging keine Schildwache mehr in gemessenem Schritt und blankem Helm auf den Wällen hin und her; kein Bogenschütze mit gellem Horn wachte mehr auf seinem Thurme; am Schlupfthor standen keine zwei Bewaffnete mehr, um beim mindesten Lärmzeichen das Schutzgatter fallen zu lassen und die Brücken aufzuziehen. Aber schon die Einsamkeit des Gebäudes, wo sich alles Leben in den Mittelpunkt zurückgezogen zu haben schien, verlieh dem düstern Granitriefen, besonders bei Nacht, die furchtbare Majestät stummer Unbeweglichkeit.
Gleichwohl war der Herr dieser alten Burg kein böser Geselle, und, wie seine genaueren Bekannten sagten, die ihm mehr Gerechtigkeit widerfahren ließen als Andere, es war bei ihm mehr Geschrei als Wolle, und er jagte den Christenmenschen mehr Angst ein, als er ihnen Leid anthat.
Wir sagen wohlverstanden den Christenmenschen, denn den Thieren des Waldes war er ein erklärter und unversöhnlicher Todfeind.
Er war Wolfsjägermeister des Herrn Ludwig Philipp von Orleans, des vierten seines Namens, und dieses Amt gestattete ihm, seiner zügellosen Leidenschaft für die Jagd nach Herzenslust zu fröhnen.
In allen Dingen, obschon es nicht so leicht ging, war es noch möglich den Baroit Jean Vernunft beizubringen; aber hatte sich der würdige Herr einmal in Jagdangelegenheiten eine Idee in den Kopf gesetzt, dann mußte er auch um jeden Preis seinen Willen durchsetzen.
Er hatte, sagte man, eine natürliche Tochter des Prinzen geheirathet, was ihm, außer seinem Titel als Wolfsjägermeister, eine beinahe unbeschränkte Gewalt über die Waldbesitzungen seines erlauchten Schwiegervaters verschaffte, eine Gewalt, die ihm auch Niemand zu bestreiten sich einfallen ließ, besonders seit der Herzog von Orleans, nach seiner abermaligen Vermählung mit Frau von Montesson im Jahre 1773, sein Schloß zu Villers-Coterets beinahe gänzlich verlassen hatte und in seinem reizenden Hause in Bagnolet blieb, wo er die Schöngeister der Zeit empfing und Comödie spielte.
Es war daher eine große Seltenheit, wenn nicht jeden Tag, den Gott gab, ob nun die Sonne die Erde erfreute, ob der Regen ihr ein trübes Aussehen gab, ob der Winter die Felder mit seinem weißen Leichentuch bedeckte, ob der Frühling seinen grünen Teppich über die Wiesen breitete, es war, sage ich, eine große Seltenheit, wenn nicht jeden Morgen zwischen acht und neun Uhr das Hauptthor des Schlosses seine beiden Flügel öffnete, worauf dann der Zug in nachstehender Ordnung sieh hinaus ergoß. Zuerst kam der Baron Jean, dann sein Oberrüdenknecht Markotte, dann die andern Rüdenknechte, dann die angekoppelten Hunde, am Riemen gehalten von den Hundejungen und unter die Oberaufsicht des Meisters Engoulevent gestellt, eines zukünftigen Rüdenknechts, der, wie einst der Scharfrichter in Deutschland, als der letzte unter den Edelleuten und der erste unter den Bürgern allein hinter dem Adel und vor der Bürgerschaft einherschritt, seinerseits unmittelbar nach den Rüdenknechten und vor den Hundejungen kam, denn er war der erste unter den Hundejungen und der letzte unter den Rüdenknechten.
Es war ein stattlicher Aufzug: englische Pferde, französische Hunde; zwölf Pferde, vierzig Hunde.
Zuvörderst müssen wir berichten, daß der Baron Jean mit diesen zwölf Pferden und diesen vierzig Hunden auf alle Thierarten Jagd machte.
Aber ohne Zweifel that er es seinem Titel zu Lieb, daß er vorzugsweise gern dem Wolf zu Leibe ging. Aechte Jäger mögen die Feinnäsigkeit und Tüchtigkeit seiner Hunde daraus erkennen, daß er, nach dem Wolf, dem wilden Schwein den Vorzug ertheilt; nach dem wilden Schwein kam der Hirsch, dann der Damhirsch, dann das Reh. Endlich, wenn die Hundejungen das Nest leer fanden, koppelte er auch aufs Gerathewohl los und band mit dem nächsten besten Hasen an; denn, wie schon gesagt, er jagte alle Tage, der würdige Herr, und er wäre lieber einen ganzen Tag ungegessen und ungetrunken geblieben, obschon er häufig Durst litt, als daß er vierundzwanzig Stunden zugebracht hätte, ohne seine Hunde laufen zu sehen.
Aber man weiß es ja, die Pferde mögen noch so schnell, die Hunde mögen noch so fein sein, die Jagd hat nun einmal ihre guten und ihre bösen Viertelstündchen.
Eines Tags erschien Markotte ganz verdutzt auf dem Platze, wo der Baron Jean ihn erwartete.
»Nun, Markotte,« fragte der Baron Jean mit gerunzelten Brauen, »was gibts denn wieder, ich sehe Dir’s an, daß die Jagd heute schlecht ablaufen wird.
Markotte schüttelte den Kopf.
»Ei so sprich doch!,« drängte der Baron mit ungeduldiger Geberde.
»Nun ja, gnädiger Herr, ich habe von dem schwarzen Wolf Wind bekommen.«
»Ah schön, schön!« rief der Baron Jean mit funkelnden Augen.
Und in der That war es schon das fünfte oder sechste Mal, daß der würdige Herr besagtes, an seinem ungewohnten Pelz so leicht erkenntliches Thier aufgetrieben hatte, ohne daß es ihm gelingen wollte, in Schußweite zu kommen oder es mit den Hunden zu fangen.
»Ja,« fuhr Markotte fort, »aber die Teufelsbestie hat ihre Nacht so gut angewandt, sie hat ihre Fährten dermaßen gekreuzt und vermischt, daß ich, nachdem ich den halben Wald durchstreift hatte, wieder auf meinen Ausgangspunkt zurückkam.«
»Du glaubst also, Markotte es sei keine Hoffnung vorhanden, dem Thier an den Pelz zu kommen?«
»Ich glaube nicht.«
»Alle Teufel!« rief Herr Jean, der größte Flucher, der seit dem seligen Nimrod auf dem Erdboden erschienen, »und doch ist es mir heute gar nicht recht just zu Muthe, es muß also unter allen Umständen irgend ein Thier aufgetrieben werden, um meine Lebensgeister zu erfrischen. Sag, Markotte, was können wir statt dieses verdammten schwarzen Wolfes jagen?«
»Leider,« antwortete Martern, »habe ich mich so gänzlich mit ihm beschäftigt, daß ich kein anderes Thier aufgetrieben habe.
Wenn der gnädige Herr vielleicht aufs Gerathewohl loskoppeln und das erste beste Thier, das aufstößt, jagen wollte?«
Der Baron Jean wollte eben Markotte antworten, daß ihm dies genehm sei, als er den kleinen Engoulevent mit dem Hut in der Hand herankommen sah.
»Warte,« sagte er, »da kommt Meister Engoulevent, der uns, wie es scheint, einen Rath zu ertheilen hat.«
»Ja; habe einem edlen Herrn, wie Ihr seid, einen Rath zu ertheilen,« antwortete Engoulevent; indem er seinem schlauen, verschmitzten Gesichte einen demüthigen Ausdruck gab, »aber es ist meine Pflicht, zu melden, daß ich ganz in der Nähe einem schönen Damhirsch auf die Spur gekommen bin.«
»Den wollen wir näher sehen, Engoulevent,« antwortete der Wolfsjägermeister, »und wenn Du Dich nicht getäuscht hast, so bekommst Du einen neuen Thaler.«
»Wo ist Dein Damhirsch?« fragte Markotte. »Aber nimm Deine Haut in Acht, wenn wir Deinetwegen vergebens lostoppeln müssen.«
»Gebt mir den Matador und den Jupiter, dann wollen wir bald sehen.«
Matador und Jupiter waren die zwei besten Angriffshunde des edlen Herrn von Vez.
Engoulevent war auch noch keine hundert Schritte mit ihnen im Gebüsch vorgedrungen, als er bereits aus ihrem Gewedel und Gebell ersehen konnte, daß sie die Fährte aufnahmen.
Und in der That stieß der Damhirschs ein prächtiger Zehnender, beinahe augenblicklich den Hunden auf. Die ganze Meute wurde losgekoppelt und schloß sich den beiden Veteranen an. Markotte rief: Aufgeschaut! gab mit dem Horn das Signal, daß ein Thier aufgejagt war, und nun begann die Jagd, zur großen Befriedigung des edlen Herrn von Vez, der obschon er seinen schwarzen Wolf nicht verschmerzen konnte, dennoch auch mit einem Damhirsch von zehn Enden vorlieb nahm.
Die Jagd währte schon zwei Stunden und der Damhirsch hielt noch immer Stand. Er hatte die Jagd aus dem Wäldchen von Haramont bis auf den Galgenweg und von da bis an’s äußerste Ende von Oigny verlockt, und er trug noch immer seinen Kopf hoch, denn er war keines von diesen Thieren des Flachlandes, die sich von elenden Dachshunden am Schwanze zupfen lassen.
Aber als es auf den Boden von Bourgfontaine kam, da mochte sich das Thier doch unbehaglich fühlen, denn es verzichtete jetzt auf die großen Kraftanstrengungen, wodurch es bisher seinen Vorsprung gewonnen hatte, und begann zu wechseln.
Zuerst sprang es in den Bach, der aus dem Teich von Baisemont in den Teich von Bourg führt, und watete ihn eine Viertelstunde weit hinauf, obschon ihm das Wasser bis an die Kniee ging; dann machte es einen Sprung nach rechts, sprang von Neuem in den Bach, machte einen Sprung nach links und jagte nun in so gewaltigen Sätzen, als ihm der Rest seiner Kräfte nur immer gestattete, weiter.
Aber die Hunde des edlen Herrn Jean ließen sich durch solche Kleinigkeiten nicht irre machen.
Als verständige Hunde und von guter Rate theilten sie sich von selbst in die Aufgabe. Die einen liefen am Bach hinauf, die andern hinab; die einen schnüffelten rechts, die andern schnüffelten links, bis sie sich endlich aus den Ränken des Thieres zurechtfanden und seine Fährte wieder bekamen; beim ersten Schrei, den einer von ihnen ausstieß, sammelten sie sich dann um diesen, Und nun begannen sie ihre Verfolgung aufs Neue mit einem Feuereifer, als ob der Damhirsch zwanzig Schritte vor ihnen stände.
In beständigem Galopp, unter beständigem Blasen und Gebell, kamen Baron Jean, die Rüdenknechte und die Meute an die Teiche von Saint-Antoine, einige hundert Schritte von dem Waldsaum von Oigny.
Hier, zwischen dem Waldsaum von Oigny und der Hecke von Osoraies, erhob sich die Hütte des Holzschuhmachers Thibault.
Sagen wir mit ein paar Worten, wer der Holzschuhmacher Thibault, d. h. der eigentliche Held unserer Geschichte, war.
Vielleicht wird man mich fragen, wie ich, der ich Könige auf den Schauplatz beschieden, der ich Prinzen, Herzöge und Barone gezwungen habe, untergeordnete Rollen in meinen Romanen zu spielen, wie ich jetzt auf einmal dazu komme, einen simpeln Holzschuhmacher zum Helden dieser Geschichte zu erkiesen.
Ich antworte fürs Erste, daß es in meinem lieben Villers-Coterets mehr Holzschuhmacher als Barone, Herzoge und Prinzen gibt, und daß ich, wenn ich einmal die Absicht hatte, den umliegenden Wald zum Schauplatz der Ereignisse zu machen, die ich erzählen will, schlechterdings einen der wirklichen Bewohner desselben nehmen mußte, da ich keine Fantasiebilder, wie die Incas des Herrn den Marmontel oder die Abencerragen des Herrn von Florian, zum Besten geben möchte.
Ferner nimmt der Autor sein Sujet nicht, sondern das Sujet nimmt ihn, und so ist es mir mit diesem ergangen, mag man es nun gut oder schlecht finden.
Ich will also ein Bild des Holzschuhmachers Thibault zu entwerfen versuchen, und werde auf das Conterfei dieses ganz simpeln Sterblichen so fiel Fleiß verwenden, als ein Maler auf ein Portrait, das ein regierender Fürst seiner Braut schicken will.
Thibault war ein Mann von fünf- bis siebenundzwanzig Jahren, groß, schlank, kräftig, aber mit einer natürlichen Hinneigung zur Wehmuth. Diese Wehmuth entsprang bei ihm aus einer kleinen Dosis Neid, den er, vielleicht ohne Willen und Wissen, gegen seinen vom Glück mehr Begünstigten Nebenmenschen empfand.
Sein Vater hatte einen Fehler begangen, der zu allen Zeiten schwer ist, aber in jener Epoche des Absolutismus, wo Niemand sich über seinen Stand emporzuschwingen vermochte, noch weit schwerer war, als in unserer Zeit, wo ein fähiger Bursche es zu Allem bringen kann.
Er hatte ihm eine Erziehung geben lassen, die weit über seine sociale Stellung hinausging. Thibault war beim Abbé Fortier, dem Lehrer von Villers-Coterets, in die Schule gegangen; er konnte lesen, schreiben und rechnen; er hatte sogar etwas Latein gelernt, worauf er sich nicht wenig einbildete.
Thibault hatte viel Zeit auf das Lesen verwendet. Er hatte besonders diejenigen Bücher gelesen, die am Ende des vorigen Jahrhunderts an der Tagesordnung waren. Ein ungeschickter Chemiker, hatte er das Gute vom Schlechten nicht zu scheiden verstanden, oder vielmehr, er hatte das Schlechte ausgeschieden, hatte dieses hauptsächlich in großen Dosen verschlungen und das Gute auf den Grund des Glases hinabsinken lassen.
Freilich hatte Thibault mit zwanzig Jahren von etwas ganz Anderem geträumt, als daß er Holzschuhmacher werden sollte. Er dachte einen Augenblick an den Kriegerstand.
Aber seine Kameraden, welche die doppelte Livree des Königs und Frankreichs getragen hatten und als Soldaten in den Dienst getreten waren, hatten sämmtlich als Gemeine den Abschied bekommen und sich in fünf- oder sechsjähriger drückendster Knechtschaft nicht einmal die Corporalsborten erwerben können.
Thibault dachte einen Augenblick an den Marinedienst.
Aber eine Laufbahn in der Marine war den Plebejern noch weit strenger verschlossen als in der Landarmee.
Nach fünfzehn bis zwanzig Jahren, voll von Gefahren aller Art, von Stürmen und Kämpfen, konnte er es im besten Fall bis zum Bootsmann bringen.
Nun war Thibaults Ehrgeiz nicht aus das kurze Wamms und die Hose von Segeltuch gerichtet, sondern auf den königsblauen Frack, die rothe Weste und die goldene Epaulette, die einer Katzenpfote gleicht.
Aber es war nicht ein einziges Beispiel vorhanden, daß der Sohn eines Holzschuhmachers Fregattencapitain, oder auch nur Lieutenant, ja selbst Fähnrich geworden wäre.
Er mußte auf den Marinedienst verzichten.
Thibault wäre auch nicht ungern Notar geworden. Er dachte einen Augenblick daran, bei Herrn Niquet, dem königlichen Gerichtsschreiber, als Laufjunge einzutreten und sich mit seinen Kniekehlen und der Federspitze seine Grade zu erwerben.
Aber wenn er es einmal bis zum Oberschreiber mit hundert Thalern jährlich gebracht hatte, woher sollte er dann die dreißigtausend Franken nehmen, die selbst das armseligste Dorfbureau kostet?
Es war also ehenso unmöglich, Gerichtsschreiben als Land- oder Marineoffizier zu werden.
Mittlerweile starb Thibaults Vater.
Er hinterließ wenig baares Geld, blos ungefähr die Beerdigungskosten.
Man beerdigte ihn also, und da blieben für Thibault noch drei oder vier Pistolen übrig.
Thibault verstand sein Handwerk sehr gut: er war ein ausgezeichneter Holzschuhmacher. Aber die beständige Beschäftigung mit dem Bohrer und dem Holzmesser sagte seinen Neigungen nicht zu.
So geschah es denn, daß er, nachdem er in einer letzten Regung von Klugheit das Handwerkszeug seines Vaters bei einem Freund in Verwahrung gegeben, alle seine Möbel, vom ersten bis zum letzten, verkaufte und mit dem Erlös, der sich auf 540 Franken belief, die sogenannte Tour durch Frankreich zu machen beschloß.
Thibault blieb drei Jahre unterwegs. Er hatte auf seiner Wanderschaft kein Glück gemacht, aber er hatte Mancherlei gelernt, was er noch nicht gewußt, und sich Talente erworben, die er noch nicht besessen hatte.
Er hatte gelernt, daß es zwar schicklich und räthlich sein möge, einem Geschäftsmann gegenüber sein Wort: einzulösen, daß es aber ganz und gar unnöthig sei, einem Mädchen einen Liebesschwur zu halten.
So viel von seiner moralischen Ausbildung.
Was seine physische Entwickelung betraf, so war er ein Meister im Guiguentanz geworden, hatte das Stockfechten so gut gelernt, daß er sich gegen vier Mann vertheidigen konnte, und führte den Spieß trotz dem besten Jägerburschen.
Alles das hatte nicht: wenig dazu beigetragen, Thibaults angebornen Stolz noch zu vergrößern, und da er sah, daß er schöner, kräftiger und gewandter war, als mancher Adelige, so fragte er die Vorsehung: »Warum bin ich nicht als Edelmann geboren worden, und warum ist dieser und jener Edelmann nicht als Bauer auf die Welt gekommen?«
Aber da es der Vorsehung gar nicht einfiel, auf Thibaults Interpellationen Rede zu stehen, da er ferner mit seinem Tanzen, Stockfechten und Spießwerfen sich nur ermüdete, ohne für seines Leibes Nothdurft und Nahrung zu sorgen, so dachte er zuletzt wieder an sein altes bescheidenes Handwerk und sagte zu sich, so gut es den Vater ernährt habe, so gut werde es wohl auch den Sohn ernähren.
Er holte also sein Handwerkszeug wieder und ging damit schnurstracks zum Intendanten der Güter des Herzogs Ludwig Philipp von Orleans. Er bat um Erlaubniß eine Hütte im Wald zu bauen, wo er sein Gewerbe treiben könnte, und dies wurde ihm gern gewährt, weil der Intendant aus Erfahrung wußte daß der Herr Herzog von Orleans ein sehr menschenfreundlicher Herr war und nicht weniger als 240,000 Franken jährlich den Armen schenkte. Warum sollte er also nicht einem brauen Handwerker, der arbeiten wollte, dreißig oder vierzig Fuß Land vergönnen?
Da es Thibault freigestellt wurde, seinen Wohnsitz an irgend einem beliebigen Platz in; Walde: aufzuschlagen, so wählte er den Kreuzweg von Osières, der in der schönsten Gegend des Waldes lag, eine Viertelstunde von Oigny und drei Viertelstunden von Villers-Coterets.
Der Holzschuhmacher baute also seine Werkstatt, halb mit den alten Brettern, die Herr Parisis, ein Holzhändler in der Nachbarschaft, ihm schenkte, halb Mit der Aesten, die ihm der Intendant im Wald abzuhauen erlaubte.
Die Hütte bestand aus einem wohlverwahrten Schlafzimmer, wo er im Winter, und einem Schirmdach, wo er im Sommer arbeiten konnte. Als sie fertig war, bereitete er sich auch ein Bett.
Dieses Bett war für den Anfang weiter nichts, als eine Streu von Farnkraut.
Nachdem er sodann etwa hundert Paar Holzschuhe gemacht und an den Krämer Bedeu in Villers-Coterets verkauft hatte, gab er von diesem ersten Gelde ein Draufgeld auf eine Matratze, zu deren Abbezahlung man ihm ein Vierteljahr Zeit ließ.
Die Bettstatt war nicht schwer herzustellen.
Thibault war nicht blos Holzschuhmacher, sondern auch ein wenig Schreiner. Er machte steh eine hölzerne Bettstatt, flocht aus Garten und Weidenzweigen eine Unterlage zusammen, legte seine Matratze darauf, und das Nachtlager war fertig.
Dann kamen allmählig und nach und nach die Betttücher und die Decken.
Hierauf das Kohlenbecken, um Feuer zu machen, die irdene Casserolle, um auf dem Kohlenbecken zu kochen, endlich das Fayencegeschirr, um das Gekochte darauf zu essen.
Nach Jahresfrist vermehrte sich Thibaults Mobiliar um eine schöne eichene Mulde und einen schönen Nußbaumschrank, zwei Stücke, die er, wie seine Bettstatt, ganz allein machte.
Und bei all dem ging das Handwerk, denn Thibault suchte Seinesgleichen, um aus einem Stück Buchenholz ein Paar Holzschuhe herauszubekommen und die Abfälle seiner Hauptarbeit noch zu Löffeln, Salzbüchschen, kleinen Mulden und dergl. zu verwerthen.
Thibault war also seit drei Jahren, d.h. seit seiner Rückkehr von seiner Reise durch Frankreich, in seiner Werkstatt eingerichtet, und während dieser ganzen Zeit hatte man ihm nur eins vorwerfen können, was wir Ihm bereits vorgeworfen haben, nämlich,daß er das Glück seiner Nebenmenschen mit neidischeren Augen ansah, als für sein Seelenheil ersprießlich sein mochte.
Aber diese Empfindung war bis jetzt noch so harmlos bei ihm, daß höchstens sein Beichtvater ein Recht hatte, ihm ein Verbrechen vorzuhalten, das in seiner Seele vorläufig erst im Stadium der Sünde existierte.