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Erster Band
III
Agnelette
ОглавлениеHerr Jean nahm die Waffe aus Engoulevents Händen und betrachtete den Spieß lange von der Spitze bis zum Stiel, ohne ein Wort zu sagen.
Dann zeigte er dem Holzschuhmacher einen kleinen Holzschuh, der in den Griff eingeschnitten war und die Bestimmung hatte, daß Thibault sein Eigenthum daran erkennen sollte.
Dieser Holzschuh war sein Zeichen als Handwerksgesell.
»Ha, ha, Schlingel,« sagte der Wolfsjägermeister, »sieh, dieses Ding da zeugt furchtbar gegen Dich. Weißt Du auch, daß dieser Spieß verdammt nach Wild schmeckt? Ich habe Dir also bloß noch Folgendes zu sagen: Du hast gewildert, und das ist ein grobes Verbrechen; Du hast einen Meineid geschworen, und das ist eine grobe Sünde; deßhalb wollen wir Dich jetzt zum Heil Deiner Seele, bei welchem Du geschworen hast, für alles das büßen lassen.«
Darauf wandte er sich gegen den Oberrüdenknecht zurück und sprach:
»Markotte, nimm zwei Koppeln und binde mir diesen Gesellen da, nachdem Du ihm Wamms und Hemd ausgezogen, an einen Baum; dann miß ihm mit Deinem Schultergehänge sechsunddreißig Hiebe auf, ein Dutzend für den Meineid und zwei Dutzend für das Wildern; doch nein, damit ich’s recht sage, im Gegentheil ein Dutzend für das Wildern und zwei Dutzend für den Meineid; wir müssen dem lieben Gott den Vorrang lassen.«
Dieser Befehl war ein freudiges Ereigniß für das Bedientenpack, das laut aufjubelte, einen armen Sünder zu haben, an dem es seinen Aerger über das heutige Mißgeschick auslassen konnte.
Vergebens betheuerte und schwor Thibault bei allen Heiligen im Kalender, daß er weder einen Hirsch noch eine Hirschkuh, weder einen Bock noch eine Geiß getödtet habe; man zog ihm sein Wamms aus und band ihn fest an einen Baumstamm.
Sodann begann die Execution.
Der Rüdenknecht schlug so derb darauf, daß der arme Sünder, obschon er im StilIen geschworen hatte, nicht zu klagen, und obschon er auf seine Lippen biß, um diesen Schwur halten zu können, schon beim dritten Schlag seinen Mund öffnete und einen Schrei ausstieß.
Herr Jean war, wie man bereits ersehen konnte, vielleicht der brutalste Herr auf zehn Meilen in der Runde, aber dennoch nicht hartherzig; das immer stärker werdende Jammergeschrei des Mißhandelten war ihm peinlich.
Da jedoch die Wilderei in den Forsten Sr. Hoheit mit jedem Tag frecher wurde, so war er entschlossen, das Urtheil vollstrecken zu lassen.
Nur beschloß er sich vom Schauplatz zu entfernen und drehte sein Pferd, um wegzureiten.
Im Augenblick, wo er dieses Manöver ausführte, warf sich ein junges Mädchen, das aus dem Schlag hervortrat, vor seinem Pferd auf die Kniee und schlug ihre großen schönen Augen thränenfeucht zu Herrn Jean auf.
»Gnädiger Herz« sagte sie, »Um Gottes Barmherzigkeit willen, Gnade für diesen Mann!«
Herr Jean senkte seine Augen auf das junge Mädchen.
Es war in Wahrheit ein allerliebstes Kind; kaum sechzehn Jahre alt, zart und schlank gebaut, ein Gesichtchen wie Milch und Blut, große blaue Augen voll Sanftmuth und Zärtlichkeit, und ein so üppiges blondes Haar, daß es trotz der schlechten schwarzen Leinwandhaube, die ihren Kopf bedeckte, von allen Seiten herabwallte.
Obschon das Costüm der schönen Bittstellerin im höchsten Grad bescheiden war und aus ganz einfachem Linnen bestand, so bemerkte doch Herr Jean alles das, und da er hübschen Gesichtern keineswegs abhold war, so beantwortete er den beredten Blick der reizenden Bauerndirne mit einem Lächeln.
Da er sie aber bloß ansah, ohne ihr laut zu antworten, und da die Prügelei inzwischen ihren Fortgang nahm, so fuhr sie mit noch flehentlicheren Geberden fort:
»Gnade, um«s Himmels willen, gestrenger Herr! Sagt Euern Leuten, daß sie diesen armen Mann gehen lassen, denn sein Geschrei zerreißt mir das Herz.
»Tausend Karren voll grüne Teufel!« antwortete der Wolfsjäger; »Du interessirst Dich also für diesen Kerl, mein schönes Kind? Ist er denn Dein Bruder?«
»Nein, gnädiger Herr.«
»Dein Vetter?«
»Nein, gnädiger Herr.«
»Dein Geliebter?«
»Mein Geliebter? Ew. Gnaden belieben zu scherzen.«
»Warum denn nicht? In diesem Fall, mein schönes Kind, gestehe ich, daß ich ihn beneiden würde.«
Das Mädchen schlug die Augen nieder.
»Ich kenne ihn nicht, gnädiger Herr, und ich sehe ihn heute zum ersten Mal.«
»Und zwar nur von hinten,« erfrechte sich Engoulevent hinzuzusetzen, der den Augenblick zu einem schlechten Spaß gekommen glaubte.
»Halt’s Maul, Bursche!« schnauzte der Baron ihn an.
Dann wandte er sich lächelnd gegen das schöne Mädchen zurück und sagte:
»Nun wahrhaftig, wenn er weder Dein Verwandter noch Dein Geliebter ist, so bin ich doch begierig, wie weit Du Deine Menschenliebe treibst.
Laß uns einen Handel schließen, schönes Kind.«
»Welchen, gnädiger Herr?«
»Ich begnadige den Lümmel, wenn Du mir einen Kuß gibst.«
»O von Herzen gern!« rief das junge Mädchen. »Ein Menschenleben mit einem Kuß erkaufen! Ich bin überzeugt, daß der Herr Pfarrer selbst dies für keine Sünde erklären wird.«
Und ohne abzuwarten, bis Herr Jean sich herabbückte, um selbst zu nehmen, was er begehrte, schleuderte sie ihren Holzschuh von sich, stemmte ihr zierliches Füßchen auf den Stiefel des Wolfsjägers, nahm die Mähne seines Pferdes in die Hand, schnellte sich mit einer Kraftanstrengung bis in die Höhe vom Gesicht des rauhen Jägers empor und bot seinen Lippen von selbst ihre runden, frischen Wangen, so sammtzart wie der Flaum einer Augustpfirsiche zum Kusse dar.
Herr Jean war für einen Kuß handelseins geworden, nahm aber zwei; sodann gab er, um seinen Schwur treu zu halten, Markotte ein Zeichen, daß er die Execution einstellen solle.
Markotte zählte die Schläge gewissenhaft, der zwölfte schwebte in der Luft, als; er den Befehl bekam innezuhalten. Markotte glaubte ihn nicht zurückhalten zu müssen; Vielleicht mochte es ihm sogar angemessen erscheinen, ihm den Werth von zwei gewöhnlichen Schlägen zu verleihen, um gutes Maß und den dreizehnten obendrein zu geben; jedenfalls ist so viel gewiß, daß der letzte Hieb die Schultern Thibaults noch ärger zerfetzte als die andern.
Es ist wahr, daß man ihn unmittelbar darauf losband.
Während dieser Zeit plauderte Baron Jean mit dem jungen Mädchen.
»Wie heißest Du denn, meine holde Dirne?«
»Georgine Agnelet, gnädiger Herr, meiner Mutter nach; aber die Leute in der Gegend nennen mich bloß Agnelette.»
»Ei zum Teufel! Agnelette, Lämmlein, das ist ein schlimmer Name, mein Kind,« sagte der Baron.
»Warum, gnädiger Herr?« fragte das Mädchen.
»Weil er Dich dem Wolf verspricht, meine Holde. Und woher bist Du denn, Agnelette?«
»Aus Preciamont, gnädiger Herr.«
»Und Du kommst so ganz allein in den Wald, mein Kind? Dass ist sehr keck für ein Lämmlein.»
»Ich muß wohl, gnädiger Herr. Wir haben drei Ziegen, von denen wir leben, nämlich meine Großmutter und ich.«
»Dann gehst Du also Deiner Ziegen wegen in’s Gras?«
»Ja, gnädiger Herr.«
»Und Du hast keine Angst, so ganz allein, ein so schönes junges Mädchen?«
»Manchmal kommt mich allerdings ein Zittern an, gnädiger Herr.«
»Und warum zitterst Du?«
»Seht, gnädiger Herr, man erzählt an den Winterabenden so viele Geschichten von Währwölfen, daß mich, wenn ich mich ganz allein mitten unter den Bäumen sehe, und wenn ich gar Nichts höre, als den Westwind, der sausend durch die Aeste fährt, ein kalter Schauder überläuft und mir die Haare zu Berg stehen. Wenn ich dann Euer Jagdhorn und das Gebell Eurer Hunde höre, so bin ich sogleich wieder beruhigt.«
Diese Antwort gefiel dem Baron Jean ungemein: er strich wohlgefällig seinen Bart und versetzte:
»Es ist wahr, daß wir den Herren Wölfen ziemlich scharf zu Leibe gehen; aber beim Blute Gottes, mein schönes Kind, es gibt ein Mittel, das Dich für die Zukunft aller solchen Beängstigungen überhebt. Komm in’s Schloß Vez, da ist noch nie ein Währ- oder sonstiger Wolf anders als an einem Strick und einer Stange über den Graben und zum Schlupfthor hineingekommen.«
Agnelette schüttelte den Kopf.
»Du willst nicht? Und warum weigerst Du Dich?»
»Weil ich dort noch schlimmere Dinge finden würde als den Wolf.«
Ueber diese Antwort schlug Baron Jean ein lustiges Gelächter auf, und die ganze Jägerbande machte, als sie ihren Herrn lachen sah, Chorus.
In der That hatte Agnelette’s Erscheinung dem edlen Herrn von Vez seine ganze gute Laune wieder gegeben, und vielleicht würde er noch lange gelacht und mit ihr geplaudert haben, wenn nicht Markotte, der zum Rückzug geblasen und die Hunde angekoppelt, den gestrengen Herrn ehrerbietigst erinnert hätte, daß ihnen noch ein langer Ritt bis in’s Schloß bevorstand. Herr Jean machte dem jungen Mädchen ein freundlich drohendes Zeichen mit dem Finger und zog mit seinem Gefolge ab.
Agnelette blieb allein bei Thibault zurück.
Wir haben erzählt, was Agnelette für Thibault gethan hatte, und wie hübsch sie war.
Gleichwohl war Thibaults erster Gedanke, als er sich mit dem Mädchen allein sah, nicht voll Liebe auf seine Retterin, sondern vielmehr voll Haß und Rachedurst auf seine Quäler gerichtet.
Wie man sieht, wandelte Thibault seit dem Morgen offen auf der Bahn der Sünde.
»Ha, verwünschter Edelmann!» rief er, seine Faust gegen die eben verschwindende Jagd ballend, »wenn mich der Teufel diesmal erhört, so bezahle ich Dir Alles, was Du mir heute gethan hast, mit Wucher heim. Wart nur, Kerl!»
»Ei wie möget Ihr Euch so versündigen!» sagte Agnelette, indem sie ihm näher trat. »Der Baron Jean ist ein guter Herr, sehr mildthätig gegen die armen Leute und immer höflich gegen die Frauenzimmer.«
»Am Ende bin ich ihm wohl gar noch Dank schuldig für die Prügel, die er mir aufmessen ließ?«
»Seid aufrichtig, Gevatter,» sagte das junge Mädchen lachend; »gestehet nur, daß Ihr diese Prügel nicht so ganz unverdient bekommen habt.«
»Ha ha!« machte Thibault, »es scheint, daß der Kuß des Herrn Jean Euch ganz den Kopf verrückt hat, schöne Agnelette?»
»Ich hätte nie geglaubt, daß Ihr mir diesen Kuß zum Vorwurf machen würdet; aber ich bleibe bei meiner Behauptung: Herr Jean war in seinem Recht.«
»Indem er mich halb todtprügeln ließ?»
»Ei warum jaget Ihr auf den Besitzungen der vornehmen Herrn?»
»Ist das Wild nicht für Jedermann da, für die Bauern so gut als für die vornehmen Herrn?«
»Nein, denn das Wild lebt in den Wäldern der vornehmen Herrn, es frißt ihr Gras, und Ihr habt kein Recht, Euern Spieß nach einem Damhirsch des Herrn Herzogs von Orleans zu werfen.«
»Wer hat Euch denn gesagt, daß ich meinen Spieß nach seinem Damhirsch geworfen habe?« antwortete Thibault, indem er mit beinahe drohender Geberde auf Agnelette zutrat.
»Wer mir’s gesagt hat? Meine Augen haben mir’s gesagt, und ich versichere Euch, daß die nicht lügen. Ich habe Euch Euern Spieß werfen sehen; Ihr standet dort und hattet Euch hinter dieser Buche versteckt.«
Die Sicherheit, womit das Mädchen ihn seiner Lüge überwies, besänftigte Thibaults Zorn sogleich.
»Ei was wäre es auch gewesen,« sagte er, »wenn ein armer Teufel sich einmal mit dem Ueberfluß eines vornehmen Herrn gütlich gethan hätte? Jungfer Agnelette denket Ihr vielleicht auch wie die Richter, daß ein Mensch um eines elenden Hasen willen den Galgen verdiene? Glaubt Ihr, daß der liebe Gott diesen Damhirsch eher für den Baron Jean erschaffen habe, als für mich?«
»Der liebe Gott, Herr Thibault, hat uns gesagt, daß wir uns nach den Gütern unseres Nächsten nicht gelüsten lassen sollen; befolget die Gebote des lieben Gottes, so wird es Euch wohl ergehen.«
»Ei wie, Ihr kennt mich also, schöne Agnelette da Ihr mich so mir Nichts Dir Nichts bei meinem Namen nennet?«
»Natürlich. Ich erinnere mich noch gut, wie ich Euch einmal bei der Kirchweihe von Boursonne gesehen habe; Ihr galtet für den schönsten Tänzer, und Alles schaarte sich um Euch.«
Dieses Compliment entwaffnete Thibault vollends ganz.
»Ja, ja,« sagte er, »ich erinnere mich jetzt auch, »daß ich Euch gesehen habe. Ei wahrhaftig, wir haben ja damals mit einander getanzt, nur waret Ihr damals noch nicht so groß wie jetzt; deßhalb erkannte ich Euch nicht gleich wieder, aber jetzt erkenne ich Euch ganz gut. Ja, Ihr truget einen rosarothen Rock und ein weißes Mieder; wir haben den Milchtanz mit einander getanzt. Ich wollte Euch küssen, aber Ihr wolltet es nicht leiden und sagtet, daß man blos seine Nachbarin küssen dürfe, aber nicht seine Tänzerin.«
»Ei, Ihr habt ein gutes Gedächtniß, Herr Thibault.«
»Wißt Ihr auch, Agnelette, daß Ihr in diesem Jahr denn es ist jetzt gerade ein Jahr her nicht blos viel größer, sondern auch noch weit schöner geworden seid? Ja, ja, Ihr versteht es, zwei Dinge auf einmal fertig zu bringen.«
Das Mädchen schlug erröthend die Augen nieder.
Ihre Röthe und ihre Verlegenheit gaben ihrem Gesicht erhöhten Reiz.
Thibault betrachtete sie jetzt aufmerksamer denn je.
»Habt Ihr einen Geliebten, Agnelette?« fragte er das Mädchen in einem Ton, der eine gewisse Bewegung verrieth.
»Nein, Herr Thibault,« antwortete sie; »ich habe keinen, und ich kann und will auch keinen haben.«
»Warum das? Ist denn die Liebe etwas so Schlimmes, daß Ihr Angst davor habt?«
»Nein, aber ein Geliebter ist es nicht, was ich brauche.«
»Was brauchet Ihr denn?«
»Einen Mann.«
Thibault machte eine Bewegung, welche Agnelette entweder nicht sah oder wenigstens nicht zu sehen sich den Anschein gab.
»Ja,« wiederholte sie, »einen Mann. Die Großmutter ist alt und krank, und ein Geliebter würde mich nur zerstreuen, so daß ich sie nicht recht verpflegen könnte; ein Mann dagegen, wenn ich einen braven Burschen finde, der mich heirathen will, ein Mann wird mir helfen, sie in ihrem hohen Alter zu unterstützen; er wird die Aufgabe, die mir der liebe Gott auferlegt hat, ihre letzten Tage zu versüßen, mit mir theilen.«
»Aber,« sagte Thibault, »wird dieser Mann Euch erlauben, daß Ihr Eure Großmutter mehr liebet, als ihn selbst, und wird er nicht eifersüchtig auf die Zärtlichkeit sein, die Ihr der alten Frau erzeigen werdet?«
»O,« versetzte Agnelette mit einem anbetungswürdigen Lächeln, »du hat es keine Gefahr; ich werde ihm so viel zukommen lassen, daß er sich nicht zu beklagen braucht; je freundlicher und geduldiger er gegen die gute Frau ist, um so inniger werde ich mich ihm anschließen, um so fleißiger werde ich arbeiten, damit es unserem kleinen Haushalt an Nichts gebricht. Ich sehe elend und schwächlich aus, und Ihr trauet mir nicht viel Stärke zu; aber ich habe Kraft und Muth zur Arbeit, das dürft Ihr glauben. Wenn das Herz sein Wörtchen mitspricht, so kann man Tag und Nacht arbeiten, ohne müde zu werden. Ich werde denjenigen, der die Großmutter lieben wird, recht herzlich lieben. O ich versichere Euch, sie, mein Mann und ich, wir werden alle drei recht glücklich sein.«
»Das heißt, ihr werdet alle drei recht arm sein, Agnelette?«
»Ah bah! Ist denn die Liebe und Freundschaft der Reichen auch nur einen Pfennig mehr werth, als die der armen Leute? Wenn ich meine Großmutter recht gepflegt habe, Herr Thibault, wenn sie mich auf Ihren Schooß nimmt und mit ihren magern zitternden Armen umschlingt, wenn ihr gutmüthiges, altes, runzliges Gesicht sich an das meinige legt, wenn meine Wangen naß werden von den Thränen der Rührung, die aus ihren Augen strömen, da fange ich auch an zu weinen, und diese Tränen, Herr Thibault, sind so leicht und süß, daß ganz gewiß niemals eine Dame oder ein Fräulein, und wäre sie eine Königin oder eines Königs Tochter, in ihren glücklichsten Tagen eine so lebhafte Freude empfunden hat; und doch sind wir beide, meine Großmutter und ich, wahrlich die ärmsten Geschöpfe meilenweit in der Runde.«
Thibault hörte das alles, antwortete aber nicht, sondern blieb in jene nachdenkliche Träumerei versunken, die bei ehrgeizigen Menschen so eigenthürmlich ist.
Und gleichwohl hatte er inmitten seiner ehrgeizigen Pläne Augenblicke der Ermüdung und des Ueberdrusses.
Er, der so oft ganze Stunden damit vertändelt hatte, die schönen und edlen Damen am Hof des Herrn Herzogs von Orleans zu betrachten, wenn sie die Freitreppe herauf oder herab gingen; er, der so oft ganze Nächte lang zu den spitzbogigen Fenstern des Schloßthurms von Vez emporgeschaut, wenn sie in festlicher Beleuchtung erglänzten, er fragte sich seht, ob das, was so oft seinem Ehrgeiz als höchstes Ziel vorgeschwebt, eine vornehme Dame und ein prächtiges Haus, einem Strohdach mit diesem holden und schönen Kind, das sich schlechtweg Agnelette nannte, an Werth gleichkäme.«
Allerdings war dieses brave Mädchen auch so hübsch, daß alle Grafen und Barone der Umgegend ihn ganz gewiß um ihren Besitz beneidet haben würden.
»Je nun, Agnelette,« sagte Thibault, »wenn z.B. ein Bursche wie ich sich zu Eurem Mann anböte, würdet Ihr ihn nehmen?«
Wir haben bereits gesagt, daß Thibault ein hübscher Junge war, daß er schöne Augen und schöne schwarze Haare besaß, daß er sich auf seinen Reisen zu Etwas mehr als zu einem gewöhnlichen Handwerker herangebildet hatte. Ueberdies wird man Leuten, denen man Gutes gethan hat, bald hold, und Agnelette hatte höchst wahrscheinlich Thibault das Leben gerettet, denn so wie Markotte zerschlug, würde der Delinquent vor dem sechsunddreißigsten Hieb gestorben sein.
»Ja,« sagte sie, »wenn er gegen meine Großmutter gut wäre.
Thibault ergriff ihre Hand.
»Nun Wohl, Agnelette,« sagte er, »wir werden darauf zurückkommen, und zwar so bald wie möglich, mein Kind.«
»So bald Ihr wollt, Herr Thibault.«
»Und Ihr müßt mir schwören, daß Ihr mich recht lieben wollt, wenn ich Euch heirathe, Agnelette.«
»Kann man auch einen Andern lieben, als seinen Mann?«
Gleichviel; ich wünschte dennoch einen ganz kleinen Schwur, der ungefähr so lauten müßte: Herr Thibault, ich schwöre Euch, daß ich nie einen Andern lieben werde als Euch.«
»Was soll ein Schwur nützen? Das Versprechen eines braven Mädchens muß einem braven Burschen genügen.«
»Und wann soll die Hochzeit sein, Agnelette?« sagte Thibault, indem er seinen Arm um die Hüfte des Mädchens zu schlingen versuchte.
Aber Agnelette entwand sich sanft.
»Kommt zu meiner Großmutter,« sagte sie; »Sie hat darüber zu entscheiden; für heute Abend aber begnüget Euch damit, daß Ihr mir meinen Bund Haidekraut machen helfet, denn es wird spät, und ich habe beinahe eine Stunde nach Preciamont.«
Thibault half ihr wirklich ihren Bund zusammen machen, und begleitete sie dann, bis man den Kirchthurm ihres Dorfes sah.
Hier bat er die schöne Agnelette so lange, bis sie ihm erlaubte, auf Abschlag seines zukünftigen Glückes einen Kuß zu rauben.
Weit mehr bewegt von diesem einzigen Kuß, als von dem doppelten des Barons, eilte Agnelette ihres Wegs, obschon die Last, die sie auf ihrem Kopfe trug, für ein so schwächlich aussehendes Mädchen viel zu schwer schien.
Thibault schaute ihr noch eine Zeit lang nach, wie sie über die Heide ging.
Die schönen Arme des verführerischen Mädchens, womit sie die Last auf ihrem Kopfe festhielt, ließen ihren Wuchs in seiner ganzen Zierlichkeit hervortreten und schienen seine Biegsamkeit und Anmuth zu verdoppeln.
Ihre seine Silhouette zeichnete sich auf eine anbetungswürdige Art am blauen Grund des Horizontes ab.
Kurz und gut, das Mädchen war beinahe schon an den ersten Häusern, als sie auf einmal hinter einer Erhöhung den Blicken Thibaults entschwand.
Dieser stieß einen Seufzer aus und blieb einen Augenblick in seine Betrachtungen versunken.
Dieser Seufzer wurde seiner Brust nicht durch den wonnevollen Gedanken erpreßt, daß dieses gute und reizende Geschöpf sein werden könne.
Nein, er hatte Agnelette gewünscht, weil sie jung und schön war, und weil es in der unglückseligen Natur Thibaults lag, alles das zu wollen, was einem Andern gehörte oder gehören konnte.
Er hatte sich unter dem Eindruck der Naivität, womit sie zu ihm gesprochen hatte, diesem Wunsch hingegeben.
Aber Agnelettes Bild war in seinem Kopf und nicht in seinem Herzen.
Thibault war unfähig, so zu lieben, wie man lieben muß, wenn man, selbst arm, ein armes Mädchen liebt, d.h. ohne etwas Anderes im Auge zu haben oder zu begehren, als volle, innige Gegenliebe.
Nein, im Gegentheil, je weiter er sich von Agnelette, von seinem guten Engel, entfernte, um so heftiger regten sich in seiner Seele die neidischen Gelüste wieder, die ihn so häufig quälten.
Es war Nacht, als er nach Hause kam.