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Erstes und zweites Bändchen
XI
Mann und Frau

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In Trauer um seinen Bruder, der zwei Tage vorher getödtet worden, war der Graf von Charny ganz schwarz gekleidet.

Dann, da diese Trauer, wie die von Hamlet, nicht nur aus den Kleidern, sondern im Grunde des Herzens war, zeugte sein bleiches Gesicht von den Thränen, die er vergossen, und von den Schmerzen, die er erduldet.

Die Gräfin umfaßte dieses Ganze mit einem einzigen Blick. Nie sind die schönen Gesichter so schön, als nach ihren Thränen. Nie war Charny so schön gewesen.

Sie schloß einen Moment ihre Augen, warf leicht den Kopf zurück, als wollte sie ihrer Brust die Fähigkeit zu atmen geben, und drückte ihre Hand aus ihr Herz, das sie dem Brechen nahe fühlte.

Als sie ihre Augen wieder öffnete, – und dies geschah ungefähr eine Secunde, nachdem sie dieselben geschlossen hatte, – stand Charny aus demselben Platze.

Der Blick und die Geberde von Andrée fragten ihn zu gleicher Zeit und so sichtbar, warum er nicht eingetreten sei, daß er ganz natürlich aus diesen Blick und diese Geberde antwortete;

»Madame, ich wartete.«

Er machte einen Schritt vorwärts.

Der Concierge trat wieder ein und sagte, zu seiner Frage durch den Bedienten des Grafen veranlaßt;

«Soll man den Wagen des Herrn Grafen fortschicken?«

Ein Blick von einem unbeschreiblichen Ausdruck sprang aus dem Augenstern des Grafen hervor und richtete sich aus Andrée, welche wie geblendet die Augen zum zweiten Mal schloß und unbeweglich, mit gehemmtem Athem, blieb, als hätte sie die Frage nicht gehört, als hätte sie den Blick nicht gesehen.

Die eine und der andere waren indessen gerade bis in ihr Herz eingedrungen.

Charny suchte an dieser ganzen Bildsäule ein Zeichen, das ihm andeutete, was er antworten sollte. Dann da der Schauer, der Andrée entschlüpfte, ebensowohl von der Furcht, daß der Graf nicht gehe, als von dem Wunsche, daß er bleibe, herrühren konnte, antwortete er:

»Sagen Sie dem Kutscher, er soll warten.«

Die Thüre schloß sich wieder, und zum ersten Male vielleicht seit ihrer Verheirathung fanden sich der Graf und die Gräfin allein beisammen.

Der Graf brach zuerst das Stillschweigen.

»Verzeihen Sie, Madame,« sagte er, »sollte meine unerwartete Anwesenheit indiscret sein? Ich stehe noch, der Wagen ist vor der Thüre, und ich gehe wieder, wie ich gekommen bin.«

»Nein, mein Herr,« antwortete Andrée lebhaft.

»Ich wußte, daß Sie gesund und unverletzt sind, bin aber darum nach den Ereignissen, welche vorgefallen, nicht minder glücklich, Sie wiederzusehen.«

»Sie haben die Güte gehabt, sich nach mir zu erkundigen?« fragte der Graf.

»Allerdings  . . .gestern und heute Morgen, und man hat mir geantwortet, Sie seien in Versailles; heute Abend, und man hat mir geantwortet, Sie seien bei der Königin.«

Waren diese letzten Worte einfach ausgesprochen worden oder enthielten sie einen Vorwurf?

Der Graf selbst, da er nicht wußte, was er zu denken hatte, beschäftigte sich in seinem Innern offenbar einen Augenblick hiermit.

Doch wahrscheinlich der Folge des Gespräches die Sorge, den einen Augenblick vor seinem Geiste heruntergelassenen Schleier aufzuheben, überlassend, erwiederte er alsbald:

»Madame, eine traurige und fromme Pflicht hielt mich gestern und heute in Versailles zurück; eine andere Pflicht, die ich als heilig erachte in der Lage, in der sich die Königin befindet, hat mich sogleich bei meiner Ankunft in Paris zu Ihrer Majestät geführt.«

Nun suchte Andrée sichtbar in ihrer ganzen Wirklichkeit die Intention der letzten Worte des Grafen aufzufassen.

Dann erwiederte sie, da sie dachte, sie sei besonders den ersten eine Antwort schuldig:

»Ja, mein Herr. Ach! ich habe den entsetzlichen Verlust erfahren, den . . .«

Sie zögerte einen Augenblick.

»Den Sie erlitten haben.«

Andrée war aus dem Punkte zu sagen, den wir erlitten haben. Doch sie wagte es nicht und fuhr fort:

»Sie haben das Unglück gehabt, Ihren Bruder, den Baron George von Charny zu verlieren.«

Man hätte glauben sollen, Charny erwarte im Vorüberziehen die zwei Worte, welche wir unterstrichen haben, denn er bebte in dem Augenblick, wo jedes derselben ausgesprochen wurde.

»Ja, Madame,« antwortete er, »es ist, wie Sie sagen, für mich ein entsetzlicher Verlust, der Verlust dieses jungen Mannes, – ein Verlust, den Sie zum Glück nicht schätzen können, da Sie den armen George so wenig gekannt haben.«

Es lag ein sanfter, schwermüthiger Vorwurf in den Worten: zum Glück.

Andrée begriff ihn, doch kein äußeres Zeichen offenbarte, daß sie darauf gemerkt hatte.

»Eines würde mich indessen über diesen Verlust trösten, wenn ich getröstet werden könnte,« fügte Charny bei: »daß der arme George gestorben ist, wie Isidor sterben wird, wie ich wahrscheinlich sterben werde, – in Erfüllung seiner Pflicht.«

Die Worte: wie ich wahrscheinlich sterben werde, ergriffen Andrée tief.

»Ach!« fragte sie, »glauben Sie denn, die Dinge stehen so verzweifelt, daß es noch neuer Blutopfer bedürfe, um den himmlischen Zorn zu entwaffnen?«

»Madame, ich glaube, daß die Stunde der Könige, wenn sie noch nicht gekommen ist, doch wenigstens demnächst schlagen wird. Ich glaube, daß es einen bösen Genius gibt, der die Monarchie zum Abgrunde hintreibt. Ich denke, daß sie, wenn sie in denselben hineinfällt, von allen denjenigen in ihrem Sturze begleitet werden muß, welche an ihrer Herrlichkeit Theil gehabt haben.«

»Das ist wahr,« sprach Andrée, »und wenn der Tag gekommen ist, glauben Sie mir, er wird mich bereit zu jeder Hingebung finden.«

»Oh! Madame, Sie haben zu viel Beweise von Hingebung in der Vergangenheit abgelegt, als daß irgend Jemand, und ich am wenigsten, an dieser Hingebung in der Zukunft zweifeln könnte, und ich habe um so weniger das Recht, an der Ihrigen zu zweifeln, als die meinige, zum ersten Male vielleicht, vor einem Befehle der Königin zurückgewichen ist,«

»Ich verstehe nicht, mein Herr  . . .« sagte Andrée.

»Bei meiner Ankunft von Versailles fand ich den Befehl, sogleich bei Ihrer Majestät zu erscheinen.«

»Oh!« machte Andrée traurig lächelnd.

Dann, nachdem sie einen Augenblick geschwiegen, sagte sie:

»Das ist ganz einfach, die Königin sieht wie Sie die Zukunft geheimnißvoll und düster und will um sich alle Männer versammeln, aus die sie zählen kann.«

»Sie täuschen sich, Madame,« erwiederte Charny, »nicht um mich ihr zu nähern, rief mich die Königin, sondern um mich von ihr zu entfernen.«

»Sie von ihr entfernen!« versetzte lebhaft Andrée, indem sie einen Schritt gegen den Grafen machte.

Dann, nach einem Augenblick, da sie wahrnahm, daß der Graf seit dem Anfang des Gesprächs bei der Thüre stehen geblieben war, sagte sie, aus einen Lehnstuhl deutend:

»Verzeihen Sie, ich lasse Sie stehen, Herr Graf.«

Und während sie diese Worte sprach, fiel sie selbst, unfähig, sich länger aufrecht zu halten, aus das Canapé, wo sie einen Augenblick vorher mit Sebastian gesessen hatte.

»Sie entfernen!« wiederholte sie mit einer Gemüthsbewegung, welche nicht ganz von Freude frei war, denn sie dachte, Charny und die Königin würden getrennt werden. »Und zu welchem Zwecke?«

»Zu dem Zwecke, daß ich in Turin eine Sendung beim Herrn Grafen d’Artois und beim Herrn Herzog von Bourbon, welche Frankreich verlassen haben, vollziehe.«

»Und Sie haben angenommen?«

Charny schaute Andrée fest an.

»Nein, Madame,« erwiederte er.

Andrée erbleichte dergestalt, daß Charny einen Schritt gegen sie machte, als wollte er ihr Hilse leisten; doch bei dieser Bewegung des Grafen raffte sie ihre Kräfte zusammen und kam wieder zu sich.

»Nein,« stammelte sie, »Sie haben nein auf einen Befehl der Königin geantwortet . . .Sie, mein Herr!«

Die drei letzten Worte wurden mit einem Ausdruck des Zweifels und des Erstaunens gesprochen, der sich nicht beschreiben läßt.

»Ich antwortete, ich glaube, meine Gegenwart, in diesem Augenblicke besonders, sei in Paris nothwendiger als in Turin: Jedermann könne die Sendung vollbringen, mit der mich zu beauftragen man mir die Ehre erweisen wolle, und ich habe gerade in diesem Moment hier einen Bruder, der so eben aus der Provinz angekommen, um sich Ihrer Majestät zu Befehl zu stellen, und der bereit sei, statt meiner abzureisen.«

»Und die Königin ist ohne Zweifel glücklich gewesen, den Stellvertreter anzunehmen?« rief Andrée mit einem Ausdruck von Bitterkeit, den sie nicht zurückzuhalten vermochte, und der Charny nicht zu entgehen schien.

»Nein, Madame, im Gegentheil; denn diese Weigerung schien sie tief zu verletzen. Ich wäre also genöthigt gewesen, abzureisen, wäre nicht zum Glück in diesem Augenblick der König eingetreten, und hätte ich ihn nicht zum Richter gemacht.

»Und der König gab Ihnen Recht, mein Herr?« versetzte Andrée mit einem ironischen Lächeln, »und der König war, wie Sie, der Ansicht, daß Sie in den Tuilerien bleiben müssen? . . Oh! wie gut ist Seine Majestät!«

Charny veränderte sein Gesicht nicht im mindesten und erwiederte:

»Der König sagte, mein Bruder Isidor eigne sich ganz zu diesem Posten, um so mehr, als man, da er zum ersten Mal an den Hof und beinahe zum ersten Mal nach Paris komme, seine Abwesenheit nicht bemerken werde, und er fügte bei, es sei grausam von der Königin, zu verlangen, daß ich mich in einem solchen Augenblick von Ihnen entferne.«

»Von mir!« rief Andrée, »der König hat gesagt von mir?«

»Ich wiederhole Ihnen seine eigenen Worte, Madame. Dann suchte er mit den Augen um die Königin her und fragte, indem er sich an mich wandte: »Aber wo ist denn die Gräfin von Charny? ich habe sie seit gestern Abend nicht gesehen!« Da an mich hauptsächlich die Frage gerichtet war, so antwortete ich: »«Sire, ich habe so wenig das Glück, Frau von Charny zu sehen, daß es mir in diesem Augenblick unmöglich wäre, Ihnen zu sagen, wo die Gräfin ist; wünscht aber Eure Majestät hierüber unterrichtet zu werden, so wenden Sie sich an die Königin; die Königin weiß es; die Königin wird antworten. Und ich drang hierauf, weil ich, da ich die Königin die Stirne falten sah, dachte, es sei etwas mir Unbekanntes zwischen Ihnen und ihr vorgefallen.«

Andrée schien, mit einer so glühenden Gierde zu hören, daß es ihr nicht einmal einfiel, etwas zu erwiedern.

Da fuhr Charny fort:

»»Sire,«« antwortete die Königin, »»die Frau Gräfin von Charny hat die Tuilerien vor einer Stunde verlassen.«« »»Wie,«« fragte der König, »»die Frau Gräfin von Charny hat die Tuilerien verlassen?«« »»Ja, Sire,«« »»Doch um bald wieder hierher zurückzukommen?«« »»Ich glaube nicht,«« »»Sie glauben nicht, Madame?«« versetzte der König; »»welchen Grund hat denn Frau von Charny, Ihre beste Freundin, gehabt, Madame . . .«« Die Königin machte eine Bewegung. »»Ja, ich sage es, Ihre beste Freundin,«« wiederholte der König,’ »»um in einem solchen Augenblicke die Tuilerien zu verlassen?«« »»Ich glaube, sie findet, sie wohne hier schlecht,«« erwiederte die Königin. »»Sie wohne schlecht? allerdings, wenn es unsere Absicht gewesen wäre, sie in dem an das Ihrige anstoßenden Zimmer zu lassen; doch bei Gott! wir hatten eine Wohnung für sie gefunden! eine Wohnung für sie und für den Grafen. Nicht wahr, Graf, und ich hoffe, Sie hätten sich nicht zu schwierig gezeigt?«« »»Sire,«« erwiederte ich, »»der König weiß, daß ich mich immer für befriedigt durch den Posten halten werde, den er mir anweist, wenn mir dieser Posten nur Gelegenheit gibt, ihm zu dienen.«« »«Ei! das wußte ich wohl,«« sagte der König; »»somit hat sich die Frau Gräfin also zurückgezogen, und wohin, Madame? wissen Sie es?«« »»Nein, Sire, ich weiß es nicht.«« »»Wie! Ihre Freundin verläßt Sie, und Sie fragen sie nicht, wohin Sie gehe?«« »»Verlassen mich meine Freunde, so sieht es ihnen frei, zu gehen, wohin sie wollen, und ich bin nicht so indiscret, sie zu fragen, wohin sie gehen,«« »»Gut!«« sagte der König zu mir, »»Weiberzwist!  . . .Herr von Charny, ich habe ein paar Worte mit der Königin zu sprechen: erwarten Sie mich in meinem Zimmer und stellen Sie mir Ihren Bruder vor. Er wird noch heute Abend nach Turin abreisen: ich bin Ihrer Ansicht, Herr von Charny, ich bedarf Ihrer und ich behalte Sie.«« Ich schickte nach meinem Bruder, der so eben angekommen war und mich, wie man mir hatte sagen lassen, im grünen Salon erwartete.«

Bei den Worten im grünen Salon kehrte Andrée, welche Sebastian beinahe vergessen hatte, so viel Interesse schien sie an der Erzählung des Grafen zu nehmen, im Geiste zu Allem dem zurück, was zwischen ihr und ihrem Sohne vorgefallen war, und schaute mit Bangigkeit nach der Thüre des Schlafzimmers, wo sie ihn eingesperrt hatte.

»Verzeihen Sie, Madame,« sagte Charny, »ich befürchte, ich erzähle Ihnen von Dingen, die Sie nur wenig interessiren, und ohne Zweifel fragen Sie sich, warum ich hier sei, und was ich hier machen wolle.«

»Nein, mein Herr,« erwiederte Andrée, »ganz im Gegentheil, was Sie mir zu erzählen die Güte haben, ist für mich äußerst interessant; und was Ihre Gegenwart bei mir betrifft, so wissen Sie, daß nach den Befürchtungen, die ich in Beziehung auf Sie gehegt habe, diese Gegenwart, welche beweist, daß Ihnen persönlich kein Unglück zugestoßen ist, mir nur sehr angenehm sein kann. Ich bitte also, fahren Sie fort, der König hieß Sie ihn in seinem Zimmer erwarten, und Sie ließen Ihren Bruder benachrichtigen.«

»Wir begaben uns in das Zimmer des Königs; zehn Minuten nach uns kam er zurück. Da die Sendung an die Prinzen dringend war, so fing der König mit ihr an. Sie hatten zum Zwecke, Ihre Hoheiten von den Ereignissen, welche so eben vorgefallen, zu unterrichten. Eine Viertelstunde nach der Rückkehr Seiner Majestät war mein Bruder nach Turin abgereist. Wir blieben allein. Der König ging einen Augenblick nachdenkend auf und ab; plötzlich blieb er vor mir stehen und sagte: »»Herr Graf, wissen Sie, was zwischen der Gräfin und der Königin vorgefallen ist?«« »»Nein, Sire,«« antwortete ich. »»Es muß aber etwas vorgefallen sein,«« fügte er bei, »»denn ich habe die Königin in einer mörderischen Laune und sogar, wie es mir schien, ungerecht gegen die Gräfin gefunden, was nicht ihre Gewohnheit bei ihren Freunden ist, welche sie, wie Sie wissen, vertheidigt, selbst wenn sie Unrecht haben.«« »»Ich kann Eurer Majestät nur wiederholen, was ich ihr zu sagen die Ehre gehabt habe,«« versetzte ich. »»Ich weiß durchaus nicht, was zwischen der Königin und der Gräfin vorgefallen ist, und nicht einmal, ob etwas vorgefallen ist. Immerhin aber, Sire, wage ich es, zu behaupten, daß, wenn auf der einen oder der andern Seite ein Unrecht ist, vorausgesetzt, eine Königin könne ein Unrecht begehen, dieses Unrecht nicht von der Seite der Gräfin kommt.««

»Ich danke Ihnen, mein Herr, daß Sie so gut von mir gedacht haben,« sprach Andrée.

Charny verbeugte sich.

»»In jedem Falle,«« sagte der König, »»wenn die Königin nicht weiß, wo die Gräfin ist, müssen Sie es wissen.«« Ich war eben so wenig unterrichtet, als die Königin, dennoch antwortete ich: »»Sire, ich weiß, daß die Frau Gräfin ein Absteigequartier in der Rue Coq-Héron hat, und dahin wird sie sich ohne Zweifel zurückgezogen haben.«« »»Ja, ohne Zweifel ist sie dort,«« sagte der König. »»Gehen Sie dahin, ich gebe Ihnen Urlaub bis morgen, unter der Bedingung, daß Sie uns morgen die Gräfin zurückbringen.««

Der Blick von Charny hatte sich, während er diese Worte sprach, so fest auf die Gräfin geheftet, daß es dieser ganz unbehaglich zu Muthe wurde, und daß sie, da sie fühlte, sie könne diesem Blicke nicht ausweichen, die Augen schloß.

»»Sie sagen ihr,«« fuhr Charny immer im Namen des Königs sprechend fort, »»Sie sagen ihr, wir werden eine Wohnung für sie finden, und müßte ich selbst suchen, eine Wohnung allerdings weniger groß als die, welche sie in Versailles hatte, jedoch hinreichend für einen Mann und eine Frau. Gehen Sie, Herr von Charny, gehen Sie; die Gräfin muß über Sie in Unruhe sein, und Sie müssen über die Gräfin in Unruhe sein.«« Als ich schon ein paar Schritte gegen die Thüre gemacht hatte, rief er mich dann zurück und sagte, indem er mir die Hand reichte, die ich küßte: »»Ah! Herr von Charny, da ich Sie in Trauer sah, so hätte ich hiermit anfangen müssen . . .. Sie haben das Unglück gehabt, Ihren Bruder zu verlieren; man ist, und wenn man auch König, unvermögend, bei einem solchen Unglück zu trösten; doch als König kann man sagen: »– War Ihr Bruder verheirathet? hatte er eine Frau, Kinder? Können diese Frau und diese Kinder von mir adoptirt werden? —« Dann, mein Herr, wenn solche vorhanden sind, bringen Sie mir sie, stellen Sie mir sie vor. Die Königin wird sich der Mutter annehmen, ich werde mich der Kinder annehmen.««

Und als bei diesen Worten Thränen am Rande der Augenlider von Charny erschienen, fragte Andrée:

»Ohne Zweifel wiederholte der König nur, was Ihnen die Königin gesagt hatte?«

»Die Königin,« antwortete Charny mit einer zitternden Stimme, »die Königin hatte mir nicht einmal die Ehre erwiesen, ein Wort in dieser Hinsicht an mich zu richten, und darum rührte mich die Erinnerung des Königs so tief, daß er, als er mich in Thränen ausbrechen sah, zu mir sagte: »»Ah! Oh! Herr von Charny, ich habe vielleicht Unrecht gehabt, hiervon mit Ihnen zu sprechen; doch ich handle beinahe immer unter der Eingebung meines Herzens, und mein Herz hieß mich thun, was ich gethan habe. Kehren Sie zu Ihrer theuren Andrée zurück, Graf; denn wenn uns die Leute, die uns lieben, auch nicht trösten können, so können sie doch mit uns weinen und wir können mit ihnen weinen, was immer eine große Erleichterung ist.«« Und so,« fügte Charny hinzu, »so bin ich aus Befehl des Königs gekommen, Madame . . .weshalb Sie mich vielleicht entschuldigen werden.«

»Ah! mein Herr,« rief Andrée, indem sie rasch aufstand und Charny ihre beiden Hände reichte, »zweifeln Sie daran?«

Charny ergriff lebhaft diese Hände und drückte seine Lippen darauf.

Andrée stieß einen Schrei aus, als wären diese Lippen ein glühendes Eisen gewesen, und fiel aus das Canapé zurück.

Doch ihre Hände hatten sich krampfhaft an die von Charny angeklammert, so daß sie, auf das Canapé zurückfallend, Charny nachzog, wodurch er sich, ohne daß sie es gewollt, ohne daß er es gewollt, neben ihr sitzend fand.

In diesem Augenblick entfernte sich Andrée, welche Geräusch im anstoßenden Zimmer gehört zu haben glaubte, so rasch von Charny, daß dieser, der nicht wußte, welchem Gefühle er sowohl den von ihr ausgestoßenen Schrei, als die rasche Bewegung, die sie gemacht, zuschreiben sollte, schnell sich erhob und sogleich wieder vor ihr stand.

Die Gräfin von Charny Denkwürdigkeiten eines Arztes 4

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