Читать книгу Die Gräfin von Charny Denkwürdigkeiten eines Arztes 4 - Александр Дюма - Страница 13

Drittes bis sechstes Bändchen
XIII
Ein bekannter Weg

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Es war wirklich der Doctor Gilbert mit dem König in den Augenblick eingeschlossen gewesen, wo, nach dem Befehle von Isidor und auf die Bitte von Sebastian, der Huissier sich erkundigt hatte.

Nach ungefähr einer halben Stunde ging Gilbert weg. Der König faßte immer mehr Vertrauen zu ihm; das redliche Herz des Königs schätzte, was an Biederkeit im Herzen von Gilbert war.

Sobald er herauskam, meldete ihm der Huissier, er werde im Vorzimmer der Königin erwartet.

Er war eben in den Corridor eingetreten, der dahin führte, als ein paar Schritte von ihm eine Nebenthüre geöffnet wurde, aus der ein junger Mann trat, welcher, ohne Zweifel mit der Oertlichkeit nicht vertraut, zögerte, ob er rechts oder links gehen sollte.

Dieser junge Mann sah Gilbert auf sich zukommen und blieb stehen, um ihn zu befragen.

Plötzlich blieb Gilbert auch stehen: die Flamme einer Laterne traf gerade auf das Gesicht des jungen Mannes.

»Herr Isidor von Charny!  . . .« rief Gilbert.

»Der Doctor Gilbert! . . .« erwiederte Isidor.

»Erwiesen Sie mir die Ehre, nach mir zu fragen?«

»Ja, Doctor, ja, ich  . . .und dann noch  . . .«

»Wer?«

»Einer, den Sie mit Vergnügen wiedersehen werden,« fuhr Isidor fort.

»Sollte es indiscret sein, Sie zu fragen, wer?«

»Nein! doch es wäre grausam, Sie länger aufzuhalten  . . . Kommen Sie  . . .oder führen Sie mich vielmehr in denjenigen Theil der königlichen Vorzimmer, welchen man den grünen Salon nennt.«

»Bei meiner Treue,« sagte Gilbert lächelnd, »ich bin selbst nicht viel stärker in der Topographie der Paläste, und besonders in der des Palastes der Tuilerien, dennoch aber will ich es versuchen, Ihr Führer zu sein.«

Gilbert ging voran und drückte nach einigem Umhertappen eine Thüre auf. Diese Thüre führte in den grünen Salon.

Nur war der grüne Salon leer.

Isidor suchte mit den Augen umher und rief nach einem Huissier. Die Verwirrung war noch so groß im Palaste, daß sich, gegen alle Regeln der Etiquette, kein Huissier im Vorzimmer fand.

»Einen Augenblick Geduld,« sprach Gilbert; »dieser Mensch kann nicht fern sein, und mittlerweile, mein Herr, wenn sich dieser Mitteilung nicht etwas widersetzt, sagen Sie mir, ich bitte Sie, wer mich erwartete,«

Isidor schaute unruhig umher.

»Errathen Sie nicht?« fragte er.

»Nein.«

»Einer, den ich auf der Landstraße traf, und der besorgt über das, was Ihnen begegnet sein konnte, zu Fuße nach Paris ging  . . . Einer, den ich hinter mich aus mein Pferd nahm und hierher führte.«

»Sie sprechen nicht von Pitou?«

»Nein, Doctor. Ich spreche von Ihrem Sohne, von Sebastian.«

»Von Sebastian!  . . .« rief Gilbert. »Nun! wo ist er denn?«

Und sein Auge durchlief rasch alle Winkel des großen Salon.

»Er war hier; er versprach, mich zu erwarten. Ohne Zweifel wird ihn der Huissier, dem ich ihn empfohlen, da er ihn nicht allein lassen wollte, mit sich genommen haben,«

In diesem Augenblick kehrte der Huissier zurück. Er war allein.

»Was ist aus dem jungen Menschen geworden, den ich hier gelassen habe?« fragte Isidor.

»Welchen jungen Menschen meinen Sie?« versetzte der Huissier.

Gilbert besaß eine ungeheure Selbstbeherrschung. Er fühlte, wie er bebte, doch er bewältigte sich.

Er trat ebenfalls hinzu.

»Ah! mein Gott!« murmelte unwillkürlich der Baron von Charny, von einem Anfange von Besorgnis, ergriffen.

»Mein Herr,« sprach Gilbert mit fester Stimme zum Huissier, »sammeln Sie alle Ihre Erinnerungen  . . .Dieser Knabe ist mein Sohn  . . .er kennt Paris nicht, und ist er unglücklicher Weise aus dem Schlosse weggegangen, so läuft er, da er Paris nicht kennt, Gefahr, sich zu verirren.«

»Ein Knabe?« sagte ein zweiter Huissier, der gerade eintrat.

»Ja, ein Knabe, beinahe ein junger Mann.«

»Etwa fünfzehn Jahre alt?«

»So ist es.«

»Ich habe ihn in den Gängen gesehen; er folgte einer Dame, welche von Ihrer Majestät herauskam.«

»Und diese Dame, wissen Sie, wer es war?«

»Nein. Sie trug ihre Mante auf die Augen vorgeschlagen.«

»Aber was that sie denn?«

»Sie schien zu fliehen, und das Kind verfolgte sie und rief: »»Madame!««

»Gehen wir hinab,« sprach Gilbert, »der Concierge wird uns sagen, ob er sich entfernt hat.«

Isidor und Gilbert gingen durch denselben Corridor, durch den eine Stunde vorher Andrée, verfolgt von Sebastian, gelaufen war.

Man kam zu der Thüre des Prinzenhofes und befragte den Concierge.

»Ja, in der That,’ antwortete er, »ich habe eine Frau gesehen, welche so rasch ging, daß sie zu fliehen schien; ein Knabe kam hinter ihr  . . .Sie flieg in den Wagen; der Knabe stürzte ihr nach und erreichte sie.«

»Hernach?« fragte Gilbert.

»Hernach zog die Dame den Knaben in den Wagen, umarmte ihn voll Leidenschaft, gab ihre Adresse, schloß wieder den Schlag, und der Wagen fuhr ab.«

»Haben Sie die Adresse behalten?« fragte Gilbert mit Bangigkeit.

»Ja, vollkommen: Rue Coq-Héron, Nr. 9, der erste Thorweg von der Rue Platrière aus.«

Gilbert bebte.

»Ei!« sagte Isidor, »diese Adresse ist die meiner Schwägerin, der Gräfin von Charny.«

»Verhängniß!« murmelte Gilbert.

In jener Zeit war man zu philosophisch, um zu sagen: Vorsehung.

Dann fügte er bei:

»Er wird sie erkannt haben.«

»Nun,« sprach Isidor, »lassen Sie uns zur Gräfin von Charny gehen,«

Gilbert begriff, in welche Lage er Andrée brächte, würde er bei ihr mit dem Bruder ihres Gatten erscheinen.

»Mein Herr,« erwiederte er, »sobald mein Sohn bei der Frau Gräfin von Charny ist, befindet er sich in Sicherheit, und da ich die Ehre habe, sie zu kennen, so glaube ich, daß es, statt mich zu begleiten, geeigneter wäre, wenn Sie sich aus den Weg begeben würden, denn nach dem, was ich beim König habe sagen hören, nehme ich an, daß Sie es sind, der nach Turin reist.«

»Ja, mein Herr.«

»So empfangen Sie meinen Dank für das, was Sie für Sebastian zu thun die Güte gehabt haben, und reisen Sie, ohne eine Minute zu verlieren.«

»Aber, Doctor  . . .«

»Mein Herr, sobald ein Vater Ihnen sagt, er sei unbesorgt, reisen Sie. An welchem Orte Sebastian nun sein mag, bei der Gräfin von Charny oder anderswo, befürchten Sie nichts, mein Sohn wird sich wiederfinden.«

»Da Sie es wollen, Doctor  . . .«

»Ich bitte Sie darum.«

Isidor reichte die Hand Gilbert, der sie ihm mit mehr Herzlichkeit drückte, als er dies bei den Menschen von seiner Klasse zu thun pflegte, und während Isidor ins Schloß zurückkehrte, gelangte er auf den Carousel-Platz, von da in die Rue de Chartres, ging schräge über den Platz des Palais Royal, dann an der Rue Saint- Honoré hin, und, einen Augenblick in diesem Irrsaal von Gäßchen verloren, befand er sich bald an der Ecke von zwei Straßen.

Das waren die Rue Platrière und die Rue Coq-Héron.

Diese Straßen hatten beide für Gilbert erschreckliche Erinnerungen; hier, gerade an dem Orte, wo er sich befand, hatte sehr oft sein Herz noch heftiger vielleicht geschlagen, als es zu dieser Stunde schlug; er schien auch einen Augenblick zwischen den zwei Straßen zu zögern, doch er entschloß sich dann rasch und wählte die Rue Coq-Héron.

Die Thüre von Andrée, dieser Thorweg des Hauses Nr. 9 war ihm wohl bekannt: also nicht, weil er sich zu täuschen befürchtete, blieb er hier stehen. Nein, er suchte offenbar einen Vorwand, um in dieses Haus einzudringen, und da er diesen Vorwand nicht gefunden hatte, so suchte er ein Mittel.

Die Thüre, an welche er gedrückt, um zu sehen, ob sie nicht durch eines von den Wundern, die der Zufall zuweilen zu Gunsten von Leuten thut, welche in Verlegenheit sind, offen sei, hatte widerstanden.

Er ging längs der Mauer hin.

Die Mauer war zehn Fuß hoch.

Diese Höhe kannte er wohl; doch er suchte, ob nicht ein von einem Fuhrmann längs dieser Mauer vergessener Karren ihm das Mittel gebe, die Firste zu erreichen.

Einmal auf der Firste angelangt, würde er, behende und kräftig, wie er war, leicht in das Innere gesprungen sein.

Es war kein Karren an der Mauer,– folglich auch kein Mittel, um hineinzugelangen.

Er näherte sich der Thüre, streckte die Hand noch dem Klopfer aus und hob diesen auf; aber, den Kopf schüttelnd, ließ er ihn sachte und ohne daß ein Geräusch unter seiner Hand erwachte, wieder fallen.

Offenbar hatte ein neuer Gedanke, eine beinahe verlorene Hoffnung zurückführend, einen Schimmer in seinen Geist geworfen.

»Im Ganzen,« murmelte er, »das ist möglich!«

Und er schritt wieder gegen die Rue Platrière hinauf und auf der Stelle auch in diese hinein.

Im Vorübergehen warf er einen Blick und einen Seufzer nach dem Brunnen, in welchen er, sechszehn Jahre früher, mehr als ein Mal das schwarze, harte Brod getaucht hatte, das er der Großmuth von Therese und der Gastfreundschaft von Rousseau verdankte.

Rousseau war todt, Therese war todt: er war groß geworden, zu Ansehen, zu Ruf, zu Vermögen gelangt. Ach! war er glücklicher, weniger bewegt, weniger voller Bangigkeiten in Betreff der Gegenwart und der Zukunft, als zur Zeit, wo er, entzündet von einer tollen Leidenschaft, sein Brod in diesen Brunnen getaucht hatte?

Er ging weiter.

Endlich, blieb er, ohne Zögern, vor einer Gangthüre flehen, deren oberer Theil vergittert war.

Er schien an seinem Ziele angekommen zu sein.

Einen Augenblick jedoch lehnte er sich an die Wand, mochte ihn nun die Summe der Erinnerungen, welche diese kleine Thüre in ihm zurückrief, fast erdrücken, mochte er, bei dieser Thüre angekommen, hier eine Täuschung zu finden befürchten.

Endlich strich er mir der Hand über diese Thüre, und mit einer unaussprechlich freudigen Empfindung fühlte er an der Mündung eines kleinen runden Loches das Schnürchen hervorstehen, mit dessen Hülse man am Tage die Thüre öffnete.

Gilbert erinnerte sich, daß man zuweilen dieses Schnürchen bei Nacht einzuziehen vergaß, und daß er eines Abends, wo er, nachdem er sich verspätet, hastig nach der Mansarde zurückkehrte, die er bei Rousseau bewohnte, dieses Vergessen benützt hatte, um hineinzugelangen und sein Bett zu erreichen.

Wie einst, schien das Haus von Leuten bewohnt zu sein, welche arm genug waren, um die Diebe nicht zu fürchten: dieselbe Sorglosigkeit hatte dasselbe Vergessen herbeigeführt.

Gilbert zog die Schnur an. Die Thüre öffnete sich, und er befand sich in dem finstern, feuchten Gange, in dessen Hintergrunde, wie eine aus ihrem Schwanze sitzende Schlange, die klitschige, klebrige Treppe sich erhob.

Gilbert schloß die Thüre sorgfältig wieder, und tappend erreichte er die ersten Stufen der Treppe.

Als er zehn Stufen hinausgestiegen war, blieb er stehen.

Ein schwacher, durch ein schmutziges Fensterwerk dringender Schein deutete an, daß die Wand an dieser Stelle durchbrochen und daß die, doch sehr finstere, Nacht weniger finster außen, als innen war.

Durch die Scheiben, so sehr sie getrübt, sah man die Sterne an einer Stelle des Himmels glänzen.

Gilbert suchte den kleinen Riegel, der das Fenster schloß, und stieg aus demselben Wege, dem er schon zweimal gefolgt war, in den Garten hinab.

Trotz des Verlaufes von fünfzehn Jahren, war der Garten dem Gedächtniß von Gilbert so gegenwärtig, daß er Alles wiedererkannte, Gänge, Bäume, Rabatten, Alles, bis aus die mit einer Rebe geschmückte Ecke, wo der Gärtner seine Leiter aufstellte.

Er wußte nicht, ob zu dieser Stunde der Nacht die Thüren geschlossen waren; er wußte nicht, ob Herr von Charny sich bei seiner Frau befand, oder in Ermangelung von Herrn von Charny ein Diener oder eine Kammerfrau.

Zu Allem entschlossen, um Sebastian wiederzufinden, war es doch in seinem Geiste festgestellt, er werde Andrée nur in der äußersten Noth compromittiren und zuerst Alles thun, was er könne, um sie allein zu sehen.

Sein erster Versuch galt der Thüre der Freitreppe: er drückte am Knopfe der Thüre, und diese gab nach.

Er muthmaßte demnach, da die Thüre nicht geschlossen sei, so müsse Andrée nicht allein sein.

Ist ihr Inneres nicht im höchsten Maße von anderen gewichtigen Dingen erfüllt und in Anspruch genommen, so versäumt es eine Frau, welche allein einen Pavillon bewohnt, nicht, die Thüre zu schließen.

Gilbert zog sie sachte und geräuschlos zu, – glücklich jedoch, daß er wußte, es bleibe ihm dieser Eingang als letztes Mittel.

Er stieg die Stufen der Freitreppe hinab und drückte sein Auge an jenen Sommerladen, der fünfzehn Jahre vorher, plötzlich unter der Hand von Andrée sich öffnend, ihn vor die Stirne gestoßen, – in der Nacht, wo er, wir den hunderttausend Thalern von Balsamo in der Hand, der Hoffärtigen sie zu heirathen angeboten hatte.

Dieser Laden war der des Salon.

Der Salon war erleuchtet.

Da aber Vorhänge an den Scheiben herabfielen, so war es nicht möglich, etwas im Innern zu erschauen.

Plötzlich schien es ihm, als sähe er auf der Erde und aus den Bäumen einen von einem offenen Fenster herkommenden schwachen Schein zittern.

Das offene Fenster war das des Schlafzimmers; dieses Fenster erkannte er auch, denn durch dasselbe hatte er das Kind geraubt, welches er heute suchte.

Er trat zurück, um aus dem durch das Fenster ausgeworfenen Lichtstrahl zu gehen und, in der Dunkelheit verborgen, sehen zu können, ohne gesehen zu werden.

Auf einer Linie angelangt, die ihm den Blick in das Innere des Zimmers zu tauchen erlaubte, sah er zuerst die Thüre des Salon offen; dann entdeckte sein Auge in dem Kreise, den es durchlief, das Bett.

Aus dem Bette war eine erstarrte, zerzauste, sterbende Frau; rauhe Kehltöne, wie die des Röchelns einer mit dem Tode Ringenden, kamen aus ihrem Munde hervor, von Zeit zu Zeit unterbrochen durch Schreie und durch Schluchzen.

Gilbert näherte sich langsam, die erleuchtete Linie umgehend, in welche einzutreten er aus Furcht, gesehen zu werden, zögerte.

Endlich lehnte er seinen bleichen Kopf an die Ecke des Fensters.

Es unterlag für Gilbert keinem Zweifel mehr; diese Frau war Andrée, und Andrée war allein.

Aber wie war Andrée allein? Warum weinte Andrée? Das konnte Gilbert nur erfahren, wenn er sie befragte.

Da stieg er geräuschlos durch das Fenster und befand sich hinter ihr in dem Augenblick, wo die magnetische Anziehungskraft, für welche Andrée so zugänglich, diese nöthigte, sich umzuwenden.

Die zwei Feinde waren also abermals beisammen.

Die Gräfin von Charny Denkwürdigkeiten eines Arztes 4

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