Читать книгу Die Gräfin von Charny Denkwürdigkeiten eines Arztes 4 - Александр Дюма - Страница 7
Erstes und zweites Bändchen
VII
Die vier Kerzen
ОглавлениеSobald die Kinder gegessen hatten, bat Marie Antoinette den König um Erlaubniß, sich in ihr Zimmer zurückziehen zu dürfen.
»Sehr gern, Madame,« sagte der König, »denn Sie müssen müde sein; nur, da es unmöglich ist, daß Sie von jetzt bis Morgen keinen Hunger bekommen, lassen Sie sich etwas bereiten und in Ihr Zimmer stellen.«
Die Königin entfernte sich, ohne ihm zu antworten, mit ihren Kindern.
Der König blieb bei Tische, um sein Abendbrod vollends zu verzehren. Madame Elisabeth, deren Ergebenheit selbst das alltägliche Wesen von Ludwig XVI. bei gewissen Gelegenheiten nicht vermindern konnte, blieb beim König, um ihn mit den kleinen Aufmerksamkeiten zu umgeben, welche selbst den am besten abgerichteten Bedienten entgehen.
Die Königin, sobald sie in ihrem Zimmer war, athmete; keine von ihren Frauen war ihr gefolgt, da sie ihnen besohlen, Versailles nicht eher zu verlassen, als bis sie Nachricht erhalten hätten.
Sie beschäftigte sich damit, ein Canapé oder einen großen Lehnstuhl für sich zu suchen, da sie ihre zwei Kinder in ihrem Bette schlafen zu lassen gedachte.
Der kleine Dauphin schlummerte schon; kaum hatte das arme Kind seinen Hunger gestillt, als es vom Schlaf erfaßt worden war.
Madame Royale schlief nicht und hätte, wenn es nöthig gewesen wäre, die ganze Nacht nicht geschlafen: es war viel von der Königin in Madame Royale.
Nachdem man den kleinen Prinzen in einen Lehnstuhl gelegt hatte, forschten Madame Royale und die Königin auch nach den Mitteln, die sie nicht finden konnten.
Die Königin näherte sich zuerst einer Thüre: sie war im Begriff, sie zu öffnen, als sie jenseits dieser Thüre ein leichtes Geräusch hörte. Sie horchte und vernahm einen zweiten Seufzer; sie bückte sich bis zum Schlosse und erblickte durch das Schlüsselloch Andrée, welche aus einem niedrigen Stuhle kniete und betete.
Sie wich aus den Fußspitzen zurück und betrachtete immer die Thüre mit einem seltsamen Ausdruck von Schmerz.
Dieser Thüre gegenüber war eine andere. Die Königin öffnete sie und befand sich in einem sanft erwärmten und durch eine Nachtlampe beleuchteten Zimmer; beim Scheine dieser Lampe erblickte sie mit einem freudigen Beben zwei Betten frisch und weiß wie zwei Altäre.
Da schwoll ihr Herz ab, eine Thräne befeuchtete, ihr trockenes, glühendes Augenlid.
»Oh! Weber, Weber,« murmelte sie, »die Königin hat dem König gesagt, es sei ein Unglück, daß man aus Dir nicht einen Minister machen könne, doch die Mutter sagt Dir, Du verdienest etwas Besseres.«
Dann, da der kleine Dauphin schlief, wollte sie damit anfangen, daß sie Madame Royale zu Bette brächte. Doch mit der Ehrfurcht, welche sie immer gegen ihre Mutter gehabt hatte, bat Madame Royale die Königin um Erlaubniß, ihr helfen zu dürfen, damit sie selbst sich rascher zu Bette begeben könne.
Die Königin lächelte traurig; ihre Tochter dachte, sie könne schlafen nach einer solchen Nacht der Bangigkeiten, nach einem solchen Tage der Demüthigungen! Sie wollte sie in diesem süßen Glauben lassen.
Man fing also damit an, daß man den Herrn Dauphin zu Bette brachte.
Dann kniete Madame Royale nach ihrer Gewohnheit nieder und verrichtete ihr Gebet am Fuße ihres Bettes.
Die Königin wartete.
»Mir scheint, Dein Gebet dauert länger als gewöhnlich?« sagte die Königin zur jungen Prinzessin, »Mein Bruder, das arme Kind, ist eingeschlafen, ohne daß er daran dachte, das seinige zu verrichten,« antwortete Madame Royale, »und da er gewohnt war, jeden Abend für Sie und den König zu beten, so sage ich sein Gebetchen nach dem meinigen, damit nichts an dem fehlt, was wir von Gott zu erflehen haben.«
Die Königin nahm Madame Royale und drückte sie an ihr Herz. Die schon durch die Bemühungen des guten Weber geöffnete und durch das Mitleid von Madame Royale wiederbelebte Thränenquelle entstürzte ihren Augen, und es flössen Zähren tief traurig, aber ohne Bitterkeit an ihren Wangen herab.
Sie blieb unbeweglich wie der Engel der Mütterlichkeit beim Bette von Madame Royale bis zu dem Augenblick stehen, wo sie, durch den Schlaf erschlafft, die Muskeln ihrer Hände, welche die ihrigen mit einer so zärtlichen und so tiefen kindlichen Liebe preßten, sich abspannen sah.
Dann legte sie sachte die Hände ihrer Tochter an ihren Leib, bedeckte sie mit dem Betttuche, damit sie nicht durch die Kälte leide, wenn sich das Zimmer in der Nacht abkühlte, senkte aus die entschlummerte Stirne der zukünftigen Märtyrin einen Kuß leicht wie ein Hauch und sanft wie ein Traum, und kehrte in ihr Zimmer zurück.
Dieses Zimmer war durch einen Candelaber mit vier Kerzen erleuchtet.
Dieser Candelaber stand aus einem Tisch.
Dieser Tisch war mit einem rothen Teppich bedeckt.
Die Königin setzte sich an diesen Tisch und ließ ihren Kopf zwischen ihre zwei geschlossenen Fäuste fallen, ohne etwas Anderes zu sehen, als den vor ihr ausgebreiteten Teppich.
Wiederholt schüttelte sie den Kopf bei diesem blutigen Reflex; es schien ihr, als unterliefen sich ihre Augen mit Blut, als schlügen ihre Schläfe vom Fieber, und als brausten ihre Ohren.
Dann ging ihr ganzes Leben, wie ein beweglicher Nebel, an ihr vorüber.
Sie erinnerte sich, daß sie am 2. November 1755, am Tage des Erdbebens von Lissabon, das fünfzig tausend Personen getödtet und den Einsturz von zweihundert Kirchen verursacht hatte, geboren war.
Sie erinnerte sich, daß in dem ersten Zimmer, wo sie in Straßburg geschlafen, die Tapete die Ermordung der unschuldigen Kindlein vorstellte, und daß es ihr in eben dieser Nacht beim flackernden Lichte der Nachtlampe geschienen hatte, als flösse Blut aus den Wunden aller dieser armen Kinder, während das Gesicht der Mörder einen so entsetzlichen Ausdruck annahm, daß sie erschrocken um Hilfe rief und den Befehl gab, bei Tagesanbruch aus dieser Stadt abzureisen, welche ein so furchtbares Andenken an die erste Nacht, die sie in Frankreich zugebracht, in ihr zurücklassen mußte.
Sie erinnerte sich, daß sie, ihren Weg gegen Paris verfolgend, im Hause des Baron von Taverney angehalten hatte, daß sie hier zum ersten Mal den elenden Cagliostro getroffen, der seitdem bei der Halsband-Geschichte einen so erschrecklichen Einfluß auf ihr Geschick geübt, und daß er ihr bei diesem Halt, – der ihrem Gedächtnisse so gegenwärtig, daß es ihr schien, als wäre dieses Ereigniß vom vorhergehenden Tag, obgleich seitdem zwanzig Jahre verlaufen waren, – auf ihre dringende Aufforderung in einer Caraffe etwas Ungeheures, eine fürchterliche, unbekannte Todesmaschine und am Ende dieser Maschine einen Kopf gezeigt hatte, der vom Rumpfe gelöst hinrollte und kein anderer war, als der ihrige.
Sie erinnerte sich, daß ihr Madame Lebrun, als sie das reizende Portrait von ihr, einer schönen, noch glücklichen jungen Frau, machte, aus Unbeachtsamkeit ohne Zweifel, – eine erschreckliche Vorbedeutung, – die Stellung gegeben hatte, welche Frau Henriette von England, die Gemahlin von Karl I., auf ihrem Portrait hat.
Sie erinnerte sich, daß an dem Tage, wo sie zum ersten Male nach Versailles kam, als sie, aus ihrem Wagen gestiegen, den Fuß aus das unselige Pflaster des Marmorhofes setzte, wo sie am vorhergehenden Tage so viel Blut hatte fließen sehen, ein so fürchterlicher Donnerschlag erscholl und ein so gräulicher Blitz die Luft zu ihrer Linken durchfurchte, daß der Herr Marschall von Richelieu, der doch nicht leicht zu erschrecken war, den Kopf schüttelte und: »Ein schlimmes Vorzeichen!« murmelte.
Und sie erinnerte sich aller dieser Umstände, während sie vor ihren Augen den röthlichen Dunst, der ihr immer dichter geworden zu sein schien, wirbeln sah.
Diese Art von Verdüsterung war so fühlbar, daß die Königin die Augen bis zu dem Candelaber aufschlug und bemerkte, daß ohne irgend eine Ursache eine von den Kerzen erloschen war.
Sie bebte, die Kerze rauchte noch und nichts gab diesem Erlöschen ein Motiv.
Während sie den Candelaber mit Erstaunen anschaute, kam es ihr vor, als erbleichte die Kerze zunächst der erloschenen langsam, und als würde ihre Flamme allmälig von weiß roth und von roth bläulichroth; dann verdünnerte und verlängerte sich die Flamme, dann schien sie der Docht zu verlassen und zu entfliegen; dann schaukelte sie sich einen Augenblick, wie von einem unsichtbaren Hauche bewegt, und erlosch.
Die Königin schaute diesem Todeskampfe der zweiten Kerze mit stieren Augen zu; ihre Brust keuchte immer mehr, ihre ausgestreckten Hände näherten sich immer mehr der Kerze, je mehr die Kerze dem Erlöschen nahe war. Endlich, als sie erloschen war, schloß sie die Augen, warf sich in ihren Lehnstuhl zurück und fuhr mit ihren Händen über ihre Stirne, die sie von Schweiß triefend fand.
Sie blieb so mit geschlossenen Augen ungefähr zehn Minuten, und als sie dieselben wieder öffnete, gewahrte sie zu ihrem Schrecken, daß das Licht der dritten Kerze wie das der zwei ersten abzunehmen anfing.
Marie Antoinette glaubte Anfangs, es sei dies ein Traum und sie leide unter der lastenden Gewalt einer Sinnentäuschung. Sie versuchte es, auszustehen, doch es schien ihr, als wäre sie an ihren Stuhl gekettet. Sie versuchte es, Madame Royale zu rufen, welche sie zehn Minuten vorher nicht um eine zweite Krone aufgeweckt hätte, doch die Stimme erlosch in ihrer Kehle; sie versuchte es, den Kopf umzudrehen, doch ihr Kopf blieb starr und unbeweglich, als hätte diese sterbende dritte Kerze ihren Blick und ihren Athem an sich gezogen. Endlich, wie die zweite die Farbe gewechselt hatte, nahm die dritte Kerze verschiedene Töne an, erbleichte, verlängerte sich, flackerte von rechts nach links, dann von links nach rechts, und erlosch.
Da ließ der Schrecken die Königin eine solche Anstrengung machen, daß sie fühlte, die Sprache komme ihr wieder; mit Hilfe dieser Sprache wollte sie sich den Muth verleihen, der ihr fehlte, und sie sagte laut:
»Ich beunruhige mich nicht über das, was diesen drei Kerzen widerfahren ist, doch wenn die vierte erlischt wie die drei andern, oh! Wehe! wehe mir!«
Plötzlich, ohne die Vorbereitungen, welche bei den anderen stattgefunden hatten, ohne daß die Flamme die Farbe wechselte, ohne daß sie sich zu verlängern oder zu schaukeln schien, erlosch die vierte Kerze, als ob sie der Flügel des Todes im Vorüberziehen berührt hätte.
Die Königin stieß einen schrecklichen Schrei aus, stand auf, drehte sich zweimal um sich selbst, schlug die Luft und die Finsterniß mit ihren Armen und fiel ohnmächtig nieder.
In der Secunde, wo das Geräusch ihres Körpers auf dem Boden erscholl, öffnete sich die Verbindungsthüre, und in ihrem batistenen Nachtgewande erschien Andrée, weiß und schweigsam wie ein Schatten, aus der Schwelle.
Sie blieb einen Augenblick stehen, als sähe sie inmitten dieser Finsterniß eine Art von Dunst in der Nacht hinziehen; sie horchte, als hätte sie in der Luft die Falten eines Grabtuches sich bewegen hören.
Dann senkte sie ihren Blick und gewahrte die Königin aus dem Boden ohne Bewußtsein ausgestreckt.
Sie machte einen Schritt rückwärts, als triebe sie eine erste Bewegung ihres Innern an, sich zu entfernen; doch alsbald sich selbst gebietend, ohne ein Wort zu sagen, ohne zu fragen, – eine Frage, welche übrigens unnütz gewesen wäre, – ohne die Königin zu fragen, was sie habe, hob sie diese in ihren Armen auf und trug sie auf ihr Bett mit einer Stärke, der sie sich nicht fähig gehalten hätte, nur geleitet durch die zwei Kerzen, welche ihr Zimmer erleuchteten, und deren Schein sich durch die Thüre bis in das Zimmer der Königin verlängerte.
Dann zog sie einen Flacon mit Riechsalz aus der Tasche und hielt ihn Marie Antoinette unter die Nase.
Trotz der Wirksamkeit dieses Salzes, war die Ohnmacht von Marie Antoinette so tief, daß sie erst nach zehn Minuten einen Seufzer von sich gab.
Bei diesem Seufzer, der der Fürstin Rückkehr ins Leben verkündigte, war Andrée abermals versucht, sich zu entfernen, doch auch diesmal, wie das erste Male, hielt sie das, bei ihr so mächtige, Pflichtgefühl zurück.
Sie zog nun ihren Arm unter dem Kopfe von Marie Antoinette hervor, den sie in die Höhe gehoben hatte, damit kein Tropfen von dem ätzenden Essig, mit dem das Salz befeuchtet war, auf das Gesicht oder die Brust der Königin fallen konnte. Dieselbe Bewegung ließ sie den Arm entfernen, der den Flacon hielt.
Nun aber fiel der Kopf auf das Kissen zurück, und nachdem der Flacon entfernt war, lag die Königin in eine Ohnmacht versunken, welche noch tiefer als die, aus der sie hervorgehen zu wollen geschienen hatte.
Immer kalt, beinahe unbeweglich, hob Andrée den Kopf von Marie Antoinette abermals auf und hielt ihr den Flacon zum zweiten Male unter die Nase: er brachte seine Wirkung hervor.
Ein leichter Schauer durchlief den ganzen Leib der Königin, sie stöhnte, ihr Auge öffnete sich; sie sammelte alle ihre Gedanken, sie erinnerte sich des erschrecklichen Vorzeichens, und eine Frau in ihrer Nähe fühlend, umschlang sie mit ihren Armen deren Hals und rief:
»Oh! vertheidigen Sie mich, retten Sie mich!«
»Eure Majestät bedarf keiner Vertheidigung in der Mitte ihrer Freunde,« erwiederte Andrée, »und sie scheint mir nun von der Ohnmacht gerettet, in die sie gefallen war.«
»Die Gräfin von Charny!« rief die Königin Andrée loslassend, welche sie umschlungen hielt und in einer ersten Bewegung beinahe zurückstieß.
Weder diese Bewegung, noch das Gefühl, das sie eingegeben, entgingen Andrée.
Doch im ersten Augenblick blieb sie unbeweglich bis zur Unempfindlichkeit.
Dann machte sie einen Schritt rückwärts und fragte:
»Befiehlt die Königin, daß ich ihr sich auskleiden helfe?«
»Nein, Gräfin, ich danke,« antwortete die Königin mit bebender Stimme, »ich werde mich allein auskleiden.«
»Ich will in mein Zimmer zurückkehren, nicht um zu schlafen, Madame,« sagte Andrée, »sondern um über dem Schlafe Eurer Majestät zu wachen.«
Und nachdem sie sich ehrerbietig verbeugt hatte, zog sie sich in ihr Zimmer zurück, mit dem langsamen, feierlichen Schritte, welcher der der Statuen wäre, wenn die Statuen gehen würden.