Читать книгу Die Gräfin von Charny Denkwürdigkeiten eines Arztes 4 - Александр Дюма - Страница 12

Drittes bis sechstes Bändchen
XII
Das Schlafzimmer

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Charny stützte sich aus die Lehne des Canapé und stieß einen Seufzer aus.

Andrée ließ ihren Kopf auf ihre Hand fallen.

Der Seufzer von Charny hatte ihren Seufzer in die tiefste Tiefe ihrer Brust zurückgedrängt.

Was in diesem Augenblick im Herzen der jungen Frau vorging, läßt sich durchaus nicht beschreiben.

Seit vier Jahren an einen Mann verheirathet, den sie anbetete, ohne daß dieser, beständig mit einer andern Frau beschäftigte, Mann je eine Idee von dem furchtbaren Opfer gehabt, das sie ihn heirathend gebracht, hatte sie, mit der Verleugnung ihrer doppelten Pflicht als Frau und als Unterthanin, Alles gesehen, Alles ertragen, Alles in sich selbst verschlossen; endlich, seit einiger Zeit, schien es ihr nach einigen sanfteren Blicken ihres Gatten, nach einigen härteren Worten der Königin, ihre Ergebenheit sei nicht ganz unfruchtbar. Während der jüngst vergangenen Tage, entsetzlicher Tage voller unablässiger Bangigkeiten für Jedermann, hatte Andrée, allein vielleicht inmitten aller dieser Höflinge und unter diesen erschrockenen Dienern, freudige Gemüthsbewegungen und süße Schauer empfunden; dies war so, wenn in äußersten Momenten Charny sich durch eine Geberde, durch einen Blick, durch ein Wort mit ihr zu beschäftigen, sie unruhig zu suchen, zu seiner Freude wiederzufinden schien; es war ein leichter, verstohlener Händedruck, der ein von der Menge, die sie umgab, unbemerktes Gefühl mittheilte und für sie allein einen gemeinschaftlichen Gedanken leben machte: es waren köstliche Empfindungen, unbekannt diesem Schneekörper und diesen Demantherzen, welches von der Liebe nur das gekannt hatte, was sie Schmerzlichstes hat: die Einsamkeit.

Und plötzlich, in dem Augenblick, wo das arme vereinzelte Geschöpf ihr Kind wiedergefunden hatte und wieder Mutter geworden war, erhob sich etwas wie eine Liebesmorgendämmerung an ihrem bis dahin traurigen, düsteren Horizont, Nur, – seltsames Zusammentreffen, was bewies, daß das Glück nicht für sie gemacht war, – nur combinirten sich diese zwei Ereignisse auf eine Art, daß das eine das andere zerstörte, und daß unvermeidlich die Rückkehr des Gatten die Liebe des Kindes vertrieb, weil die Gegenwart des Kindes die entstehende Liebe des Gatten tödtete.

Dies konnte Charny nicht errathen in dem dem Munde von Andrée entschlüpften Schrei, in der Hand, die ihn zurückgestoßen, und in dem Stillschweigen voll Traurigkeit, das aus diesen Schrei, der so ähnlich einem Schmerzensschrei, während es doch ein Liebesausruf war, und auf diese Bewegung folgte, von der man hätte glauben können, sie sei vom Widerwillen eingegeben, indeß sie nur die Angst veranlaßt hatte.

Charny betrachtete ein paar Secunden lang Andrée mit einem Ausdruck, in dem sich die junge Frau nicht getäuscht haben würde, hätte sie ihre Augen zu ihm aufgeschlagen.

Charny stieß einen Seufzer aus und fragte dann, das Gespräch da wieder ausnehmend, wo er es verlassen hatte:

»Was soll ich dem König melden, Madame?«

Andrée bebte beim Tone dieser Stimme; dann schlug ihr klares, durchsichtiges Auge zum Grafen auf und erwiederte:

»Mein Herr, ich habe so sehr gelitten, seitdem ich am Hofe wohne, daß ich, da die Königin die Güte gehabt hat, mir meinen Abschied zu geben, diesen Abschied mit Dank annehme. Ich bin nicht geboren, um in der Weit zu leben, und ich habe immer in der Einsamkeit, wenn nicht das Glück, doch wenigstens die Ruhe gefunden. Die glücklichsten Tage meines Lebens sind die Tage, die ich, ein junges Mädchen, im Schlosse Taverney zugebracht, und später die, welche ich in der Zurückgezogenheit im Kloster von Saint-Denis bei jener edlen Tochter von Frankreich, die man Madame Louise nannte, verweilt habe. Mit Ihrer Erlaubniß aber, mein Herr, werde ich diesen Pavillon bewohnen, der für mich voll von Erinnerungen, die, obgleich traurig, nicht ganz ohne Süßigkeit sind.«

Bei dieser Erlaubniß, um die ihn Andrée bat, verbeugte sich Charny wie ein Mensch, der bereit ist, nicht nur eine Bitte zu gewähren, sondern auch einem Befehle zu gehorchen.

»Madame,« sagte er, »das ist also ein gefaßter Entschluß?«

»Ja, mein Herr,« antwortete Andrée sanft, aber fest.

Charny verbeugte sich abermals und sprach:

»Nun, Madame, habe ich Sie nur noch Eines zu fragen: wird es mir gestattet sein, Sie hier zu besuchen?«

Andrée heftete aus Charny ihr großes, durchsichtiges, gewöhnlich ruhiges und kaltes, nun aber von Erstaunen und sanfter Freundlichkeit erfülltes Auge und erwiederte:

»Allerdings, mein Herr, und da ich Niemand sehen werde, so werde ich, erlauben Ihnen die Pflichten, die Sie in den Tuilerien zu erfüllen haben, ein paar Augenblicke zu verlieren, immer dankbar sein, wenn Sie dieselben mir widmen, so kurz sie auch sein mögen.«

Charny hatte nie so viel Holdseligkeit im Auge von Andrée gesehen, er hatte nie diesen Ausdruck von Zärtlichkeit in ihrer Stimme bemerkt.

Es durchlief etwas wie jener zarte Schauer, den eine erste Liebkosung gibt, seine Adern.

Er heftete seinen Blick auf den Platz, den er neben Andrée eingenommen, und der, seitdem er aufgestanden, leer geblieben war.

Charny würde ein Jahr von seinem Leben gegeben haben, um sich dahin zu setzen, ohne daß Andrée ihn zurückgestoßen hätte, wie sie es das erste Mal gethan.

Aber, schüchtern wie ein Kind, wagte er es nicht, ohne dazu ermuthigt zu werden.

Andrée hätte nicht ein Jahr, sondern zehn Jahre gegeben, um hier an ihrer Seite denjenigen zu fühlen, welcher so lange von ihr entfernt gewesen war.

Leider kannte keines von ihnen das andere, und jedes verhielt sich unbeweglich, in einer beinahe schmerzlichen Erwartung.

Charny brach abermals zuerst das Stillschweigen, dem nur derjenige, welchem es gestattet ist, im Herzen zu lesen, seine wahre Deutung geben konnte.

»Sie sagen, Sie haben viel gelitten, seitdem Sie am Hofe wohnen, Madame?« fragte er. »Hatte der König nicht immer für Sie eine Achtung, welche bis zur Verehrung ging, und die Königin eine Zärtlichkeit, welche bis zur Abgötterei ging?«

»Ach! ja, mein Herr,« erwiederte Andrée, »der König ist stets vortrefflich gegen mich gewesen.«

»Erlauben Sie mir, zu bemerken, Madame, daß Sie nur auf einen Theil meiner Frage antworten: sollte die Königin minder vortrefflich gegen Sie gewesen sein, als es der König war?«

Die Kinnladen von Andrée preßten sich zusammen, als sträubte sich die empörte Natur gegen eine Antwort. Endlich aber sprach sie mit einer Anstrengung:

»Ich habe der Königin nichts vorzuwerfen, und es wäre unbillig von mir, wenn ich Ihrer Majestät nicht alle Gerechtigkeit widerfahren ließe.«

»Ich sage Ihnen das, Madame,« fuhr Charny fort, »weil seit einiger Zeit  . . .ich täusche mich ohne Zweifel  . . .doch mir scheint, die Freundschaft, die sie für Sie hegte, hat eine Erschütterung erlitten.«

»Das ist möglich, mein Herr,« versetzte Andrée, »und darum wünsche ich, wie ich Ihnen zu sagen die Ehre gehabt habe, den Hof zu verlassen.«

»Aber, Madame, Sie werden sehr allein, sehr vereinzelt sein!«

»Bin ich es nicht immer gewesen, mein Herr,« erwiederte Andrée mit einem Seufzer, »als Kind  . . .als Mädchen  . . .und als  . . .«

Andrée hielt inne: sie sah, daß sie zu weit zu gehen im Begriffe war.

»Vollenden Sie, Madame,« sprach Charny.

»Oh! Sie haben mich errathen, mein Herr . . .ich wollte sagen: und als Frau  . . .«

»Sollte ich so glücklich sein, daß Sie mir einen Vorwurf zu machen die Güte hätten?«

»Einen Vorwurf, mein Herr!« versetzte Andrée lebhaft; »großer Gott! welches Recht hätte ich, Ihnen einen Vorwurf zu machen?  . . . Glauben Sie, ich habe die Umstände vergessen, unter denen wir uns verbunden?  . . .Ganz das Gegentheil von denjenigen, die sich am Fuße der Altäre gegenseitige Liebe, gegenseitigen Schutz schwören, haben wir uns ewige Gleichgültigkeit, völlige Trennung geschworen. Wir würden uns also nur einen Vorwurf zu machen haben, wenn eines von uns seinen Schwur vergessen hätte.«

Ein Seufzer, zurückgedrängt durch die Worte von Andrée, fiel aus das Herz von Charny.

»Ich sehe, daß Ihr Entschluß fest steht, Madame,« sprach er; »wollen Sie mit aber wenigstens erlauben, mich um die Art zu bekümmern, wie Sie hier leben werden? Werden Sie nicht sehr schlecht hier sein?«

Andrée lächelte traurig und sprach:

»Das Haus meines Vaters war so dürftig, daß, mit ihm verglichen, dieser Pavillon, so entblößt er Ihnen scheinen mag, mit einem Luxus ausgestattet ist, an den ich nicht gewöhnt war.«

»Aber  . . .der reizende Aufenthalt in Trianon  . . .das Schloß von Versailles . . .«

»Oh! ich wußte wohl, daß ich nur vorübergehend dort zu verweilen hatte.«

»Werden Sie wenigstens hier Alles haben, was für Sie nothwendig ist?«

»Ich werde Alles wiederfinden, was ich einst hatte.«

»Lassen Sie sehen,« sprach Charny, der sich eine Idee von der zukünftigen Wohnung von Andrée machen wollte und umherzuschauen anfing.

»Was wollen Sie sehen, mein Herr?« fragte Andrée, indem sie lebhaft aufstand und einen raschen, ängstlichen Blick nach dem Schlafzimmer warf.

»Wenn Sie nicht zu demüthig in Ihren Wünschen sind, Madame, so ist dieser Pavillon wahrhaftig keine Wohnung  . . .ich bin durch ein Vorzimmer gegangen; hier befinde ich mich im Salon; diese Thüre – und er öffnete eine Seitenthüre, – ah! ja, diese Thüre führt in ein Speisezimmer, und jene  . . .«

Andrée stellte sich behende zwischen den Grafen von Charny und die Thüre, auf welche er zuschritt und hinter der sie im Geiste Sebastian sah.

»Mein Herr,« rief sie, »ich bitte Sie inständig, keinen Schritt weiter.«

Und ihre ausgebreiteten Arme verschlossen den Durchgang.

»Ja, ich verstehe,« sagte Charny mit einem Seufzer, »das ist die Thüre Ihres Schlafzimmers.«

»Ja, mein Herr,« stammelte Andre« mit erstickter Stimme.

Charny schaute die Gräfin an; sie zitterte und war bleich; nie harte sich die Angst durch einen schärferen Ausdruck kundgegeben, als der war, welcher sich aus dem Gesichte von Andrée verbreitet hatte.

»Ah! Madame,« murmelte er mit einer thränenvollen Stimme, »ich wußte wohl, daß Sie mich nicht liebten; aber ich wußte nicht, daß Sie mich so sehr hassen!«

Und unfähig, länger bei Andrer zu bleiben, ohne auszubrechen, schwankte er einen Augenblick wie ein Trunkener; dann aber raffte er alle seine Kräfte zusammen und stürzte aus dem Zimmer mit einem Schmerzensschrei, der bis im Grunde des Herzens von Andres wiederhallte.

Die junge Frau schaute ihm nach, bis er verschwunden war; sie horchte mit gespanntem Ohr, so lange sie das Geräusch seines Wagens, der sich immer mehr entfernte, unterscheiden konnte; dann, da sie fühlte, daß ihr Herz dem Brechen nahe war, und da sie begriff, daß sie nicht zu viel mütterliche Liebe hatte, um diese andere Liebe zu bekämpfen, eilte sie in das Schlafzimmer und rief:

»Sebastian! Sebastian!«

Aber keine Stimme antwortete der ihrigen, und auf diesen Schmerzensschrei forderte sie vergebens ein tröstendes Echo.

Beim Scheine der Nachtlampe, die das Zimmer erleuchtete, schaute sie ängstlich umher, und sie bemerkte, daß das Zimmer leer war.

Und sie konnte doch kaum ihren Augen trauen.

Zum zweiten Male rief sie: »Sebastian! Sebastian!«

Dasselbe Stillschweigen.

Nun erst gewahrte sie, daß das Fenster offen stand, und daß die äußere Luft, in das Zimmer eindringend, die Flamme der Nachtlampe zittern machte.

Es war dasselbe Fenster, das man schon offen gefunden, als, fünfzehn Jahre früher, das Kind zum ersten Mal verschwunden war.

»Ah! ganz richtig!« rief sie, »hat er mir nicht gesagt, ich sei nicht seine Mutter?«

Da begriff Andrée, daß sie zugleich Alles, Kind und Gatten, verlor, in dem Augenblick, wo sie beinahe Alles wiedergefunden hätte; sie warf sich, die Arme ausgebreitet, die Hände krampfhaft zusammengezogen, auf ihr Bett; nun waren ihre Kräfte, ihre Ergebung, ihre Gebete erschöpft.

Sie hatte nur noch Schreie, Thränen, Schluchzen und ein ungeheures Gefühl ihres Schmerzes,

Eine Stunde ungefähr verging in dieser tiefen Vernichtung, in diesem Vergessen der ganzen Welt, in diesem Wunsche nach allgemeiner Zerstörung!, der die Menschen in der Hoffnung erfaßt, in das Nichts zurückkehrend,werde sie die Welt mit sich fortreißen.

Plötzlich schien es Andrée, etwas noch Gräßlicheres als ihr Schmerz schlüpfe zwischen diesen Schmerz und ihre Thränen. Ein Gefühl, das sie nur drei oder viermal gehabt, und das immer den äußersten Krisen ihres Daseins vorhergegangen war, raubte ihr langsam Alles, was Lebendiges in ihr blieb. Durch eine von ihrem Willen beinahe unabhängige Bewegung erhob sie sich allmälig; ihre bebende Stimme erlosch in ihrer Kehle; wie unwillkürlich angezogen, drehte sich ihr ganzer Körper um sich selbst. Durch den feuchten Nebel ihrer Thränen glaubten ihre Augen zu unterscheiden, daß sie nicht allein war. Vertrocknend, fixirte sich ihr Blick und klärte sich auf: ein Mann, der über das Fenstergesims gestiegen zu sein schien, um in das Zimmer einzudringen, stand vor ihr. Sie wollte rufen, schreien, die Hand nach einer Klingelschnur ausstrecken, doch das war unmöglich  . . .sie empfand die unüberwindliche Erstarrung, welche ihr einst die Gegenwart von Balsamo bezeichnete. Endlich erkannte sie in dem vor ihr stehenden Mann, der sie mit dem Blicke und der Geberde bezauberte, Gilbert.

Wie befand sich Gilbert, der verfluchte Vater, am Platze des innig geliebten Sohnes, den sie suchte?

Dies beabsichtigen wir dem Leser zu erklären.

Die Gräfin von Charny Denkwürdigkeiten eines Arztes 4

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