Читать книгу Die Gräfin von Charny Denkwürdigkeiten eines Arztes 4 - Александр Дюма - Страница 19
Drittes bis sechstes Bändchen
XIX
Mirabeau
ОглавлениеGilbert sah, daß er einen Kampf zu bestehen hatte, doch er war vorbereitet.
»Mirabeau,« wiederholte er, »ja, Sire, Mirabeau.
« Der König wandte sich gegen das Portrait von Karl I. um und fragte dieses poetische Gemälde von Van Dyck:
»Was würdest Du geantwortet haben, Karl Stuart, wenn in dem Augenblicke, wo Du die Erde unter Deinen Füßen zittern fühlest, man Dir vorgeschlagen hätte, Dich auf Cromwell zu stützen?«
»Karl Stuart würde sich geweigert haben, und er hätte wohl daran gethan,« sagte Gilbert, »denn es findet keine Aehnlichkeit zwischen Cromwell und Mirabeau statt.«
»Ich weiß nicht, wie Sie die Dinge ansehen, Doctor. Für mich gibt es keine Stufe beim Verrath: ein Verräther ist ein Verräther, und ich kann keinen Unterschied zwischen dem machen, der es ein wenig ist, und dem, der es sehr ist.«
»Sire,« erwiederte Gilbert mit tiefer Ehrsurcht, aber zugleich mit unüberwindlicher Festigkeit, »weder Cromwell, noch Mirabeau sind Verräther.«
»Was sind sie denn?« rief der König.
»Cromwell ist ein rebellischer Unterthan, und Mirabeau ist ein unzufriedener Edelmann.«
»Unzufrieden, worüber?«
»Ueber Alles . . .über seinen Vater, der ihn in das Schloß If und in den Thurm von Vincennes hat einsperren lassen, über den König, der sein Genie verkannt hat und es noch verkennt.«
»Das Genie des Politikers ist die Ehrlichkeit, Herr Gilbert,« versetzte lebhaft der König.
»Die Antwort ist schön, Sire, würdig eines Titus, eines Trajan, eines Marcus Aurelius; leider gibt ihr die Erfahrung Unrecht.«
»Wie so?«
»War es ein ehrlicher Mann, dieser Augustus, der die Welt mit Lepidus und Antonius theilte, und Lepidus verbannte und Antonius tödtete, um die Welt für sich allein zu haben? War es ein ehrlicher Mann, dieser Karl der Große, der seinen Bruder Karlmann, um hier zu sterben, in ein Kloster schickte, und um ein Ende mit seinem Feinde Witekind zu machen, welcher ein beinahe ebenso großer Mann als er, den Sachsen alle Köpfe abschnitt, welche die Höhe seines Schwertes überragten? War es ein ehrlicher Mann, dieser Ludwig XI., der sich gegen seinen Vater empörte, um ihn zu entthronen, und der, obgleich er scheiterte, dem armen Karl VII. einen solchen Schrecken einflößte, daß er aus Furcht, vergiftet zu werden, Hungers starb? War es ein ehrlicher Mann, dieser Richelieu, der in den Alcoven des Louvre und auf den Treppen des Palais-Cardinal Conspirationen machte, die er aus dem Grève-Platze entwickelte? War es ein ehrlicher Mann, dieser Mazarin, der nicht nur eine halbe Million und fünfhundert Mann Karl II. verweigerte, sondern ihn auch aus Frankreich wegjagte? War es ein ehrlicher Mann, dieser Colbert, der Fouquet, seinen Protector, verrieth, anklagte, stürzte und sich während man diesen lebendig in einen Kerker warf, aus dem er nur als eine Leiche herauskommen sollte, unverschämt und stolz in seinen noch warmen Lehnstuhl setzte? Und dennoch haben, Gott sei Dank, weder die Einen noch die Ändern den Königen oder dem Königthum Eintrag gethan!«
»Aber, Herr Gilbert, Sie wissen wohl, daß Herr von Mirabeau nicht mir angehören kann, da er, dem Herzog von Orleans angehört.«
»Ei! Sire, da der Herzog von Orleans verbannt ist, so gehört Herr von Mirabeau Niemand mehr.«
»Wie soll ich mich einem käuflichen Menschen anvertrauen?«
»Indem Sie ihn kaufen . . .Können Sie ihm nicht mehr geben, als irgend Jemand in der Welt?«
»Ein Unersättlicher, der eine Million fordern wird!«
»Verkauft sich Mirabeau für eine Million, Sire, so verschenkt er sich. Glauben Sie, er sei zwei Millionen weniger werth, als ein oder eine Polignac?«
»Herr Gilbert!«
»Der König verzeiht mir das Wort,« sagte Gilbert, indem er sich verbeugte, »ich schweige.«
»Nein, im Gegentheil, sprechen Sie.«
»Ich habe gesprochen, Sire,«
»So lassen Sie uns die Sache erörtern.«
»Sehr gern. Ich weiß meinen Mirabeau auswendig, Sire.«
»Sie sind sein Freund?«
»Leider habe ich nicht diese Ehre; übrigens hat Herr von Mirabeau nur einen Freund, welcher zugleich der der Königin ist.«
»Ja, ich weiß es, der Herr Graf von der Mark; wir werfen es ihm alle Tage genug vor.«
»Eure Majestät müßte im Gegentheil bei Todesstrafe verbieten, sich je mit Mirabeau zu entzweien.«
»Von welcher Bedeutung soll denn beim Gewichte der öffentlichen Angelegenheiten ein Strohjunker wie Herr Riquetti von Mirabeau sein?«
»Vor Allem, Sire, erlauben Sie mir, Ihnen zu sagen, daß Herr von Mirabeau ein Edelmann und kein Strohjunker ist. Es gibt wenig Edelleute in Frankreich, welche aus dem 11. Jahrhundert datiren, da unsere Könige, um einige um sich zu haben, so nachsichtig gewesen sind, von denjenigen, welchen sie die Ehre bewilligen, in ihre Carrossen zu steigen, nur Proben von 1399 zu fordern. Nein, Sire, man ist kein Strohjunker, wenn man von den Arrighetti von Florenz abstammt, wenn man in Folge einer Niederlage der Gibellinen nach der Provence gekommen ist und sich hier niedergelassen hat. Man ist kein Strohjunker, weil man einen Vorfahren gehabt hat, der in Marseille Handel getrieben, denn Sie wissen, Sire, daß der Adel von Marseille, wie der von Venedig, das Privilegium hat, Handel zu treiben, ohne dadurch des Adels verlustig zu werden . . .«
»Ein Wüstling,« unterbrach der König Gilbert, »ein Henker seinem Rufe nach, ein Geldabgrund!«
»Ah! Sire, man muß die Menschen nehmen, wie sie die Natur gemacht hat; die Mirabeau sind stets stürmisch und ungeordnet in ihrer Jugend gewesen; aber sie reifen, wenn sie älter werden. Als junge Leute sind sie leider so, wie Eure Majestät sagt; als Familienhäupter sind sie gebieterisch, hoffärtig, aber streng. Der König, der sie mißkennen würde, wäre ein Undankbarer, denn sie haben der Landarmee unerschrockene Soldaten, dem Seeheere verwegene Seeleute geliefert. Ich weiß wohl, daß sie in ihrem provinzialen Geiste, der gegen jede Centralisation gehässig ist, in ihrer halb feudalen, halb republikanischen Opposition von ihren festen Schlössern herab,der Autorität der Minister, zuweilen sogar der der Könige trotzten; ich weiß wohl, daß sie mehr als einmal in die Durance die Agenten des Fiscus, welche auf ihren Gütern operiren wollten, geworfen haben; ich weiß wohl, daß sie die Höflinge und die Schreiber, die Generalpächter und die Gelehrten in derselben Geringschätzung vermengten, mit derselben Verachtung bedeckten, und nur zwei Dinge in der Welt achteten: das Eisen des Schwertes und das Eisen des Pfluges; ich weiß wohl, daß Einer von ihnen geschrieben hat: »»Die Knechterei ist instinctartig bei den Hofleuten mit gipsenem Gesicht und gipsenem Herzen, wie bei den Enten das Plätschern im Schlamme.«« Doch Alles dies, Sire, riecht durchaus nicht nach dem Strohjunker; Alles dies ist vielleicht nicht von der redlichsten Moral, sicherlich aber hat es das Gepräge des höchsten Adels.«
»Gut, gut, Herr Gilbert,« sprach mit einer Art von Aerger der König, welcher die bedeutenden Männer seines Reiches besser als irgend Jemand zu kennen glaubte, Sie haben es gesagt, Sie wissen Ihren Mirabeau auswendig. Da dies bei mir nicht der Fall ist, so fahren Sie fort. Ehe man sich der Leute bedient, lernt man sie gern kennen.«
»Ja, Sire,« erwiederte Gilbert, gestachelt durch die Ironie, die er in der Betonung, mit der der König zu ihm sprach, erkannte, »und ich sage Eurer Majestät: Es war ein Mirabeau, jener Bruno von Riquetti, welcher an dem Tage, wo Herr de la Feuillade aus der Place de la Victoire seine Statue der Victoria mit ihren vier gefesselten Nationen einweihte, mit seinem Regimente, dem Garde-Regiment, Sire, vorüberziehend, auf dem Pont Neuf anhielt, sein Regiment vor der Statue von Heinrich IV. Halt machen ließ und sagte: »»Meine Freunde, grüßen wir diesen, denn dieser ist so viel werth, als ein Anderer!«« Es war ein Mirabeau, jener François von Riquetti, der im Alter von siebenzehn Jahren von Malta zurückkommt, seine Mutter Anna von Pontèves in Trauer findet und sie fragt, warum diese Trauer, da sein Vater seit zehn Jahren todt sei. »»Weil ich beleidigt worden bin,«« antwortet die Mutter. »»Durch wen?«« »»Durch den Chevalier von Griasque.«« »»Und Du Hast Dich nicht gerächt?«« fragt François, der seine Mutter kannte. »»Ich hatte große Lust! Eines Tages traf ich ihn allein; ich setzte ihm eine geladene Pistole an den Schlaf und sagte: »»Wenn ich allein aus der Welt wäre, so würde ich Dir eine Kugel durch den Kopf jagen, was ich, wie Du siehst, thun kann; aber ich habe einen Sohn, der mich ehrenvoller rächen wird!«« »»Daran hast Du wohl gethan, Mutter,«« erwiedert der junge Mann. Und ohne die Stiefeln auszuziehen, nimmt er wieder seinen Hut, schnallt seinen Degen um und sucht den Chevalier von Griasque, einen Raufer, auf, fordert ihn heraus, schließt sich mit ihm in einen Garten ein, wirft die Schlüssel über die Mauer und tödtet ihn. Es war ein Mirabeau, jener Marquis Jean Antoine, der eine Höhe von sechs Fuß, die Schönheit von Antinous, die Stärke von Milon hatte, zu dem aber dennoch seine Großmutter sagte: »»Ihr seid keine Männer mehr, Ihr seid nur Diminutive von Männern,«« und der, von dieser Virago erzogen, wie es seitdem sein Enkel gesagt, die Federkraft und den Appetit des Unmöglichen hatte; der, Musketier mit achtzehn Jahren, immer im Feuer, die Gefahr leidenschaftlich liebend, wie Andere das Vergnügen lieben, eine Legion von Männern, furchtbar hitzig, unbezähmbar wie er, befehligte, so daß die andern Soldaten, wenn sie dieselben vorüberziehen sahen, sagten: »»Siehst Du die rothen Aufschläge? Das sind die Mirainbaux, das heißt, eine Legion von Teufeln befehligt von Satan.«« Und sie täuschten sich über den Commandanten, wenn sie ihn Satan nannten, denn es war ein sehr frommer Mann, so fromm, daß er, als eines Tags einer seiner Wälder in Brand gerieth, statt Befehl zu geben, daß man ihn durch gewöhnliche Mittel zu löschen suche, das heilige Sacrament dahin bringen ließ, wonach das Feuer erlosch. Allerdings war diese Frömmigkeit die eines feudalen Barons, und der Kapitän fand zuweilen Mittel, den Devoten aus einer großen Verlegenheit zu ziehen, wie es ihm eines Tags begegnete, daß Desserteurs, die er erschießen lassen wollte, sich in die Kirche eines italienischen Klosters geflüchtet hatten. Er befahl seinen Leuten, die Thüren einzustoßen, und sie waren im Begriffe, zu gehorchen, als die Thüren sich von selbst öffneten und der Abt in pontificatibus, mit dem heiligen Sacramente in den Händen, erschien.«
»Nun?« fragte Ludwig XVI., offenbar gefesselt durch diese Erzählung voll Leben und Farbe.
»Er blieb einen Augenblick nachdenkend, denn die Lage der Dinge setzte ihn in Verlegenheit. Dann aber sagte er, plötzlich von einem Gedanken erleuchtet, zu seinem Standartenjunker: »»Dauphin, man rufe den Feldkaplan, und er nehme den guten Gott aus den Händen dieses Burschen da.«« Was frommer Weise durch den Feldkaplan mit Unterstützung der Musketen dieser Teufel mit den rothen Ausschlägen geschah, Sire.«
»In der That, ja,« sprach Ludwig XVl. »ich erinnere mich dieses Marquis Antoine. Sagte er nicht zum Generallieutenant Chamillard, welcher ihm nach einer Affaire, in der er sich ausgezeichnet hatte, versprach, von ihm mit seinem Bruder, dem Minister von Chamillard, zu reden: »»Ihr Herr Bruder ist sehr glücklich, daß er Sie hat, denn ohne Sie wäre er der dümmste Mann des Königreichs.««
»Ja, Sire: man machte auch eine Promotion von Feldmarschällen, wobei der Minister Chamillard sich wohl hütete, den Namen des Marquis auf die Beförderungsliste zu setzen.«
»Und wie endigte dieser Held, der mir der Condé vom Geschlechte der Riquetti zu sein scheint?« fragte lachend der König.
»Sire, aus ein schönes Leben folgt ein schöner Tod,« erwiederte Gilbert mit ernstem Tone. »In der Schlacht von Cossano beauftragt, eine von den Kaiserlichen angegriffene Brücke zu vertheidigen, ließ er nach seiner Gewohnheit seine Soldaten mit dem Bauche aus die Erde liegen, und er, ein Riese, blieb aufrecht stehen und bot sich als Zielpunkt dem Feuer des Feindes. Eine Folge hiervon war, daß die Kugeln wie Hagel um ihn zu pfeifen ansingen; aber er rührte sich ebenso wenig als ein Wegweiser. Eine von diesen Kugeln zerschmetterte vor Allem seinen rechten Arm; doch Sie begreifen, Sire, das war nichts. Er nahm sein Taschentuch, machte sich damit für seinen rechten Arm eine Binde und ergriff mit seiner linken Hand eine Art, seine gewöhnliche Waffe, denn er verachtete den Säbel und den Degen als zu unbedeutend in ihrer Anwendung; doch kaum hatte er dieses Manoeuvre vollführt, als ihn ein zweiter Schuß an den Hals traf und die Kehlader, sowie die Nerven des Halses abschnitt. Diesmal war es ernster. Trotz der gräßlichen Wunde blieb der Koloß noch einen Augenblick stehen; dann aber stürzte er wie ein Baum, den man entwurzelt, auf die Brücke nieder. Bei diesem Anblick wurde das Regiment entmuthigt und floh; mit seinem Chef hatte es seine Seele verloren. Ein alter Sergent, welcher hoffte, er sei nicht ganz todt, wirft ihm im Vorbeilaufen einen Fleischhafen aus den Kopf, und seinem Regimente nachsetzend, passirt das ganze Heer des Prinzen Eugen, Cavalerie und Infanterie, über seinen Leib. Als die Schlacht beendigt war, hatte man die Leichen zu begraben. Der prächtige Rock des Marquis machte, daß man ihn bemerkte. Einer von seinen Soldaten, den man gefangen genommen, erkannte ihn. Der Prinz Eugen, da er sah, daß er athmete oder vielmehr noch röchelte, befahl, ihn in das Lager des Herzogs von Vendome zurückzutragen. Der Befehl wird vollzogen. Man bringt den Körper des Marquis in das Zelt des Herzogs, wo sich zufälliger Weise der berühmte Wundarzt Dumoulin befindet. Das war ein Mann voll Phantasie: es erfaßt ihn die Idee diesen Leichnam in’s Leben zurückzurufen; die Cux reizt ihn um so mehr, als sie unmöglich scheint. Außer dieser Blessur, die ihm, abgesehen vom Rückgrath und einigen Fetzen Fleisch, den Kopf fast von der Schulter trennte, war sein ganzer Körper, über welchen dreitausend Pferde und sechstausend Fußgänger gezogen, nur eine Wunde. Drei Tage bezweifelte man, ob er zum Bewußtsein kommen werde. Nach drei Tagen öffnet er ein Auge; zwei Tage nachher rührt er einen Arm; kurz, er unterstützt die Hartnäckigkeit von Dumoulin mit einer gleichen Hartnäckigkeit, und nach drei Monaten sieht man den Marquis Jean Antoine mit einem gebrochenen, von einer schwarzen Binde getragenen Arm, mit sieben und zwanzig auf seinem ganzen Leibe zerstreuten Wunden, – vier mehr, als Cäsar, – und den Kopf gestützt durch ein silbernes Halsband, wieder erscheinen. Sein erster Besuch galt Versailles, wohin ihn der Herr Herzog von Vendome führte, und wo er dem König vorgestellt wurde, der ihn fragte, warum er, da er die Probe von einer solchen Tapferkeit abgelegt, noch nicht Feldmarschall sei. »»Sire,«« antwortete der Marquis Antoine, »»wenn ich, statt auf der Brücke von Cassano zu ihrer Vertheidigung zu bleiben, an den Hof gekommen wäre, um ein leichtfertiges Weib zu bestechen, so hätte ich mein Avancement und weniger Wunden bekommen.«« Ludwig XIV. liebte es nicht, daß man ihm so antwortete; er wandte auch dem Marquis den Rücken zu. »»Jean Antoine, mein Freund,«« sagte zu diesem, als sie weggingen, Herr von Vendome, »»fortan werde ich Dich dem Feinde, aber nie dem König vorstellen.«« Einige Monate nachher heirathete der Marquis mit seinen sieben und zwanzig Wunden, mit seinem gebrochenen Arme und seinem silbernen Halsband Fräulein von Castellane Norante, mit welcher er zwischen sieben Feldzügen sieben Kinder zeugte. Zuweilen, aber selten, wie die wahren Braven, sprach er von der Affaire von Cassano, und wenn er davon sprach, so pflegte er zu sagen: »»Das ist die Schlacht, wo ich getödtet wurde.««
»Sie sagen mir wohl,« sprach Ludwig XVI. der sich sichtbar an dieser Aufzählung der Vorfahren von Mirabeau ergötzte, »Sie sagen mir wohl, mein lieber Doctor, wie der Marquis getödtet wurde, aber Sie sagen mir nicht, wie er gestorben ist.«
»Er ist gestorben im Schlosse Mirabeau, einem auf einem abschüssigen Felsen liegenden, einen doppelten, beständig vom Nordwinde gepeitschten, Paß versperrenden, herben, harten Aufenthaltsorte; er ist gestorben mit jener gebieterischen, rauhen Rinde, die sich auf der Haut der Riquetti, je mehr sie alt werden, bildet, seine Kinder in der Unterwürfigkeit und in der Ehrfurcht erziehend und sie in einer solchen Entfernung haltend, daß der älteste von seinen Söhnen sagte: »»Ich habe nie die Ehre gehabt, die Hand, die Lippen oder das Fleisch dieses ausgezeichneten Mannes zu berühren.«« Dieser älteste Sohn, Sire, war der Vater des gegenwärtigen Mirabeau, ein wilder Vogel, dessen Nest zwischen vier Thürmchen gemacht war, der sich nie, wie er sagte, enversailliren wollte, weshalb ihm ohne Zweifel Eure Majestät, die ihn nicht kennt, keine Gerechtigkeit widerfahren läßt.«
»Doch, mein Herr,« entgegnete der König, »doch, ich kenne ihn; im Gegentheil, er ist einer der Cheff der ökonomischen Schule. Er hatte Theil an der Revolution, welche in Erfüllung geht, indem er das Signal zu socialen Reformen gab und viele Irrthümer und einige Wahrheiten popularisirte, was um so strafbarer von ihm, als er die Lage vorhersah, er, der sagte: »»Es gibt heute keinen Frauenleib, der nicht einen Artevelle oder einen Masaniello trägt.««
»Sire, es ist in Mirabeau etwas, was Eurer Majestät widerstrebt oder sie erschreckt; lassen Sie mich ihr sagen, daß es der väterliche Despotismus und der königliche Despotismus sind, die Alles dies gethan haben.«
»Der königliche Despotismus!« rief Ludwig XVI.
»Allerdings, Sire; ohne den König vermochte der Vater nichts; denn welches Verbrechen hatte am Ende der Abkömmling dieses großen Geschlechtes begangen, daß ihn sein Vater mit vierzehn Jahren in eine Correctionsschule schickte, wo man ihn, um ihn zu demüthigen, nicht unter dem Namen Riquetti von Mirabeau, sondern unter dem Namen Bussières einschrieb? Was hatte er gethan, daß mit achtzehn Jahren sein Vater einen Geheimbrief gegen ihn erhielt und ihn aus der Insel Ré einsperrte? Was hatte er gethan, daß ihn sein Vater mit zwanzig Jahren in die Reihen eines Disciplinar-Bataillon schickte, um den Krieg in Corsica mitzumachen, mit der Weissagung seines Vaters: »»Er wird sich am 16. April auf der Ebene einschiffen, die sich ganz allein durchfurcht; Gott gebe, daß er dort nicht einen Tag rudere.«« Was hatte er gethan, daß nach einer einjährigen Ehe sein Vater ihn nach Manosque verbannte? Was hatte er gethan, daß nach einer Verbannung von sechs Monaten nach Manosque sein Vater ihn nach dem Fort Joux bringen ließ? Was hatte er endlich gethan, um nach seiner Entweichung in Amsterdam verhaftet und in den Thurm von Vincennes eingesperrt zu werden, wo als ganzer Raum ihm, der in der Welt erstickt, die väterliche Milde in Verbindung mit der königlichen Milde einen Kerker von zehn Quadratfuß gibt, wo fünf Jahre seine Jugend sich heftig bewegt, seine Leidenschaft brüllt, zu gleicher Zeit aber sein Geist wächst und sich erhöht und sein Herz sich stärkt? . . .Was er gethan hatte, will ich Eurer Majestät sagen. Er hatte seinen Professor Poisson durch seine Leichtigkeit, Alles zu lernen und Alles zu begreifen, verführt; er hatte tüchtig an der ökonomischen Wissenschaft angebissen; er hatte, da er die militärische Laufbahn ergriffen, sie fortzusetzen gewünscht; er hatte, aus sechstausend Livres Einkommen mit seiner Frau und einem Kinde beschränkt, ungefähr dreißig tausend Franken Schulden gemacht; er hatte seine Verbannung in Manosque gebrochen, um einen unverschämten Edelmann, der seine Schwester beschimpft, zu prügeln; er hatte endlich, – und das ist sein größtes Verbrechen, Sire, – den Verlockungen einer jungen und hübschen Frau nachgebend, diese Frau ihrem alten, hinfälligen, mürrischen, eifersüchtigen Manne entführt.«
»Ja, mein Herr, und zwar, um sie nachher zu verlassen.« sagte der König; »so daß die unglückliche Frau von Monnier, als sie mit ihrem Verbrechen allein geblieben war, sich den Tod gab.«
Gilbert schlug die Augen zum Himmel aus und stieß einen Seufzer aus.
»Sprechen Sie, was haben Sie hierauf zu antworten, mein Herr, und wie vertheidigen Sie Ihren Mirabeau?«
»Durch die Wahrheit, Sire, durch die Wahrheit, welche so schwer bis zu den Königen dringt, daß Sie, der Sie sie suchen, der Sie sie verlangen, der Sie sie herbeirufen, dieselbe beinahe nie kennen. Nein, Sire, Frau von Monnier ist nicht gestorben, weil Mirabeau sie verlassen, denn als er aus Vincennes herauskam, galt sein erster Besuch ihr. Er tritt als Hausirer verkleidet in das Kloster von Gien, wo sie ein Asyl gefordert hatte, ein; er findet Sophie kalt, gezwungen. Eine Erklärung findet statt; Mirabeau bemerkt, daß Frau von Monnier ihn nicht nur nicht mehr liebt, sondern daß sie sogar einen Andern liebt: den Chevalier von Raucourt. Diesen Andern ist sie, durch den Tod ihres Gatten frei geworden, zu heirathen im Begriffe. Mirabeau ist zu frühe aus dem Gefängniß gekommen; man zählte aus seine Gefangenschaft, man wird sich damit begnügen müssen, daß man seine Ehre tödtet. Mirabeau tritt den Platz seinem glücklichen Nebenbuhler ab, Mirabeau zieht sich zurück; Frau von Monnier ist, wie gesagt, im Begriffe, Herrn von Raucourt zu heirathen: Herr von Raucourt stirbt plötzlich! Die arme Frau hatte ihr ganzes Herz und ihr ganzes Leben in diese letzte Liebe gelegt. Vor einem Monat, am 9. September, schließt sie sich in ihr Cabinet ein und erstickt sich. Dann schrieen die Feinde von Mirabeau, sie sterbe, weil ihr erster Liebhaber sie verlassen, während sie aus Liebe für einen zweiten stirbt . . .. Oh! die Geschichte, die Geschichte, so schreibt man sie!«
»Ah!« sagte der König, »darum hat er also diese Nachricht mit so großer Gleichgültigkeit aufgenommen?«
»Wie er sie ausgenommen, kann ich Eurer Majestät auch sagen, Sire, denn ich kenne denjenigen, welcher sie ihm mitgetheilt hat: es ist eines der Miglieder der Nationalversammlung. Fragen Sie ihn selbst, er wird es nicht wagen zu lügen, denn es ist ein Priester; es ist der Pfarrer von Gien, der Abbé, Vallet; er sitzt auf den Bänken, welche denen entgegengesetzt, wo Mirabeau seinen Platz einnimmt. Er durchschritt den Saal und setzte sich zum großen Erstaunen des Grafen zu diesem. »«Was Teufels wollen Sie hier«« fragte ihn Mirabeau. Ohne zu antworten, übergab ihm der Abbé Vallet einen Brief, der die unselige Kunde in allen ihren Einzelheiten mittheilte. Der Graf öffnete ihn und las lange, denn ohne Zweifel konnte er nicht an das Geschehene glauben. Dann las er ihn zum zweiten Mal, und während dieses zweiten Males entfärbte sich von Zeit zu Zeit sein Gesicht; er fuhr mit seinen Händen über seine Stirne, wischte sich zugleich die Augen ab, hustete, spuckte aus und versuchte es, wieder Herr über sich zu werden. Endlich mußte er nachgeben. Er stand aus, ging hastig hinaus und erschien drei Tage nicht mehr in der Versammlung. . . Oh! Sire, Sire, verzeihen Sie mir, daß ich in alle diese Einzelheiten eingehe; es genügt, ein Mann von gewöhnlichem Genie zu sein, um in allen Punkten und über jede Sache verleumdet zu werden; um so viel mehr, wenn der Mann von Genie ein Riese ist!«
»Warum ist es denn so, Doctor? und welches Interesse hat man, bei mir Herrn von Mirabeau zu verleumden?«
»Welches Interesse man habe, Sire? das Interesse, das jede Mittelmäßigkeit hat, ihren Platz beim Throne zu behalten, Mirabeau ist keiner von den Menschen, die in den Tempel eintreten können, ohne alle Verkäufer daraus zu verjagen. Mirabeau bei Ihnen, Sire, ist der Tod der kleinen Intriguen, die Verbannung der kleinen Intriganten. Mirabeau bei Ihnen ist das Genie, welches der Redlichkeit den Weg vorzeichnet. Was liegt Ihnen daran, daß Mirabeau schlecht mit seiner Frau gelebt hat? Was liegt Ihnen daran, daß Mirabeau Frau von Monnier verführt hat? Was liegt Ihnen daran daß Mirabeau eine halbe Million Schulden hat? Bezahlen Sie diese halbe Million Schulden, Sire; dann fügen Sie diesen fünfmal hundert tausend Franken eine Million, zwei Millionen, zehn Millionen bei, wenn es sein muß! Mirabeau ist frei, lassen Sie Mirabeau nicht entschlüpfen; nehmen Sie ihn, machen Sie einen Rath, einen Minister aus ihm; hören Sie, was seine mächtige Stimme Ihnen sagen wird, und was sie Ihnen gesagt hat, wiederholen Sie Ihrem Volke, Europa, der Welt!«
»Herr von Mirabeau, der Tuchhändler in Aix, geworden ist, um vom Volke ernannt zu werden, Herr von Mirabeau kann seinen Comittenten nicht dadurch lügen, daß er die Partei des Volkes verläßt, um zu der des Hofes überzutreten.«
»Sire, Sire, ich wiederhole Ihnen, Sie kennen Mirabeau nicht: Mirabeau ist ein Aristokrat, ein Adeliger, ein Royalist vor Allem. Er hat sich vom Volke erwählen lassen, weil ihn der Adel verachtete, weil in Mirabeau das erhabene Bedürfniß war, welches die Männer von Genie quält, das Bedürfniß, durch irgend ein Mittel zum Ziele zu gelangen. Er werde die Volkspartei nicht der Hofpartei zu Liebe verlassen, sagen Sie? Ei! Sire, warum gibt es eine Volkspartei und eine Hofpartei? Warum bilden diese zwei Parteien nicht eine? Nun, das wird Mirabeau machen . . .Nehmen Sie Mirabeau, Sire! Durch Ihre Verachtung zurückgestoßen, wird sich Mirabeau morgen vielleicht gegen Sie wenden, und dann, Sire, dann, – ich sage Ihnen das, und dieses Bild von Karl I. wird es Ihnen nach mir sagen, wie dasselbe es Ihnen vor mir gesagt hat, – dann wird Alles verloren sein!«
»Mirabeau werde sich gegen mich wenden, sagen Sie? ist das nicht schon geschehen, mein Herr?«
»Ja, scheinbar vielleicht; doch im Grunde gehört Mirabeau Ihnen. Fragen Sie den Grafen von der Mark, was er ihm gesagt hat nach der Sitzung vom 21. Juni, denn Mirabeau allein liest mit erschrecklichem Scharfsinn in der Zukunft.«
»Nun, was sagt er?«
»Er ringt vor Schmerz die Hände und ruft aus: »»So führt man die Könige zum Schaffot!«« und drei Tage nachher fügt er bei: »»Diese Leute sehen die Abgründe nicht, die sie unter den Schritten der Monarchie graben! Der König und die Königin werden dadurch um das Leben kommen, und das Volk wird über ihren Leichen in die Hände klatschen.««
Der König schauerte, erbleichte, schaute das Portrait von Karl l. An, und schien einen Augenblick bereit, sich zu entschließen, plötzlich aber sagte er:
»Ich werde hierüber mit der Königin reden, vielleicht entschließt sie sich, mit Herrn von Mirabeau zu sprechen; aber ich, ich werde nicht mit ihm sprechen. Ich mag gern den Leuten, mit denen ich rede, die Hand drücken, wie ich die Ihrige in diesem Augenblick drücke, und ich möchte nicht um den Preis meines Thrones, meiner Freiheit, meines Lebens Herrn von Mirabeau die Hand drücken.«
Gilbert wollte etwas erwiedern; vielleicht wollte er weiter in den König dringen, doch in diesem Augenblick trat ein Huissier ein und meldete:
»Sire, die Person, welche Eure Majestät diesen Morgen empfangen soll, ist angekommen und wartet im Vorzimmer.«
Ludwig XVI, machte eine Bewegung der Unruhe, während er Gilbert anschaute.
»Sire.« sagte dieser, »wenn ich die Person, welche Eure Majestät erwartet, nicht sehen soll, so werde ich durch eine andere Thür gehen.«
»Nein, mein Herr,« erwiederte Ludwig XVI., »gehen Sie durch diese; Sie wissen, daß ich Sie für meinen Freund halte und kein Geheimniß für Sie habe; überdies ist die Person, welche ich erwarte, ein einfacher Edelmann, der früher im Hause meines Bruders angestellt war und von diesem mir empfohlen wurde. Er ist ein treuer Diener, und ich will sehen, ob es möglich ist, etwas, wenn nicht für ihn, doch wenigstens für seine Frau und seine Kinder zu thun. – Gehen Sie, Herr Gilbert, Sie wissen, daß Sie stets willkommen sind, so oft Sie mich besuchen wollen, selbst wenn Sie kämen, um von Herrn Riquetti von Mirabeau zu sprechen.«
»Sire,« fragte Gilbert, »muß ich mich also für völlig geschlagen betrachten?«
»Ich habe Ihnen gesagt, mein Herr, ich werde mit der Königin sprechen, ich werde es überlegen; später wollen wir sehen.«
»Später, Sire! von jetzt bis zu diesem Augenblick werde ich zu Gott beten, daß es frühe genug sein möge.«
»Ho! Ho! glauben Sie denn, die Gefahr sei so drohend?«
»Sire,« sprach Gilbert, »lassen Sie nie aus Ihrem Zimmer das Portrait von Karl Stuart wegnehmen, es ist ein guter Rathgeber.«
Und, sich verbeugend, ging er gerade in dem Augenblick weg, wo die vom König erwartete Person bei der Thüre erschien.
Gilbert konnte einen Schrei des Erstaunens nicht zurückhalten, – Dieser Edelmann war der Marquis von Favras, den er acht oder zehn Tage früher bei Cagliostro getroffen, und von welchem dieser ihm einen so erschrecklichen, nahe bevorstehenden Tod verkündigt hatte.