Читать книгу Die Türme von Eden - Alessandra Reß - Страница 16
ОглавлениеKAPITEL 3
FURCHT
»Misaki!«
Sie schreckte hoch. »Was … was ist los?«
»Du bist dran«, sagte Nhan, der sich offenbar ein Lächeln verkniff.
Misaki blinzelte und sah auf ihre Spielkarten. Nhan und Yusei waren nach längerer Zeit endlich wieder für ein paar Tage nach Cyberia gekommen. Essensreste und Weinflaschen – ein teurer Luxus auf Cyberia – kündeten von der Party, die für die beiden im Gange gewesen war. Inzwischen waren jedoch nur noch die beiden Piloten sowie Jerram, Oswin, Misaki und Noemi übrig, die auf der ausladenden Couchgarnitur saßen und Kvasirs Lächeln spielten.
»Zu viel Wein oder anstrengenden Tag gehabt?«, fragte Yusei Misaki, die ihre Karten anstarrte, ohne einen Zug zu machen.
»So ist sie in letzter Zeit dauernd«, erklärte Noemi. Aus ihrem Sessel heraus warf sie Misaki einen missmutigen Blick zu. »Ständig sitzt sie bloß herum und träumt vor sich hin. Wir sind schon seit Wochen nicht mehr weggegangen und selbst auf der Arbeit braucht sie ewig für die einfachsten Aufgaben!«
»Ist ja schon gut«, murmelte Misaki und warf eine Karo-Sieben auf den Tisch. Den Blicken der anderen nach zu urteilen nicht die beste Idee, doch es war ihr egal. Normalerweise mochte sie das Spiel, aber heute fühlte es sich falsch an – ebenso wie diese Party.
»Liebeskummer?«, erkundigte sich Nhan, noch immer mit einem schiefen Lächeln.
Noemi schüttelte den Kopf. »Renovas«, sagte sie finster.
»Ah«, machte Nhan. Und fügte nach einem Moment der Stille hinzu: »Also doch Liebeskummer?«
Yusei und Noemi lachten laut auf, sodass Misakis empörtes »Er ist mein Bruder!« beinahe untergegangen wäre.
»Adoptivbruder«, erinnerte Noemi sie ungerührt. »Und ist ja nicht so, dass ihr zusammen aufgewachsen wärt oder so. Wie alt warst du, als du ihn kennengelernt hast? Neunzehn? Zwanzig?«
Misaki warf ihr einen giftigen Blick zu und ging nicht auf die Frage ein. Noemi hatte nie verstanden, wie viel Renovas ihr bedeutete. Aber im Moment konnte sie die Kommentare ihrer Freundin noch weniger gebrauchen als sonst.
»Na ja, Reno wäre ja auch etwas zu alt für sie«, sagte Nhan in versöhnlichem Tonfall und machte seinen Zug.
Noemi schnaubte ungnädig auf. »Da kennt sie nichts. Immerhin hatte sie auch was mit Jerram, und der ist älter als Reno!«
»Lass gut sein«, mischte sich nun Oswin ein und fuhr sich durch den dichten Bart.
Neben ihm studierte Jerram scheinbar unbeeindruckt seine Karten. Seine angespannte Körperhaltung verriet Misaki jedoch, dass die Worte ihn ebenso wenig kalt ließen wie sie. Die beiden hatten sich im Guten getrennt, es hatte einfach nicht mehr gepasst. Aber gerade deshalb mochte Misaki es nicht, dass die anderen sie immer wieder mit ihrer vergangenen Beziehung aufzogen, und sie vermutete, dass es Jerram ähnlich ging.
Ihre Freundin verzog das Gesicht, sparte sich aber weitere Kommentare.
»Gibt es Neuigkeiten von Reno?«, wechselte Yusei das Thema mit gesenkter Stimme. Jeder im Raum wusste, was Renovas tat, doch auf Cyberia lernte man, auch in vertrauter Runde über Bestimmtes nicht zu laut zu sprechen. Unter den Suchenden schickten sich Geheimnisse nicht, aber man konnte sich auch in der eigenen Wohnung nie sicher sein, ob nicht noch jemand anderes mithörte.
Jerram schüttelte den Kopf. »Wo auch immer er sich befindet, er ist offenbar nicht in der Lage, von dort Kontakt aufzunehmen.«
Etwas an seinem Tonfall warnte die anderen davor, das Thema zu vertiefen. Und für den Rest des Spiels sprach tatsächlich niemand mehr darüber.
»Noemi geht mir im Moment einfach nur auf die Nerven«, fauchte Misaki und stellte den eben abgetrockneten Teller so entschlossen ab, dass ein Stück abbrach.
»Verdammt!« Unwillig betrachtete sie den Schaden.
»Macht nichts«, sagte Jerram, während er eine Schale ausspülte. »Ich habe noch mehr davon.«
»Noemi geht uns allen im Moment auf die Nerven«, meinte Oswin und nahm Misaki die Bruchstücke des Tellers ab. »Vielleicht sollten wir sie mal woanders stationieren. Cyberia wird anscheinend zu eng für sie.«
»In einem hat sie allerdings Recht«, sagte Jerram bedächtig und stellte die Schale in das Trockengestell.
»Was?«, fragte Misaki. »Womit?«
Statt einer Antwort verließ Jerram die Küche und ging zurück in den weitläufigen Wohnraum. Oswin folgte ihm und nach kurzem Zögern ging auch Misaki hinterher.
Die meisten Spuren der Party hatten die drei inzwischen weggeräumt. Nur hier und da standen noch Stühle verloren im Weg herum und ein Kissen hatte sich auf den Boden verirrt.
Jerram hob es auf und warf es auf die Couch, ehe er sich dort niederließ. Er rieb sich die Augen, während die Uhr an der Wand davon kündete, dass in jenem Teil Legbas, an dem sich Cyberia zeitlich orientierte, gerade die Sonne aufging.
Oswin stellte sich an die Fensterfront, vor der es zwei weitere Tage lang dunkel bleiben würde. Das hieß, so dunkel, wie es in der Metropole eben wurde – tatsächlich war die Stadt von zahlreichen Lampen und Laternen hell erleuchtet. Der westliche Teil des Zentrums war von Jerrams Apartment aus gut sichtbar. Die pyramidenförmige, in ein eisiges Blau getauchte Zentrale der Suchenden stach einem von hier aus sofort ins Auge.
Misaki blieb unschlüssig in der Öffnung zwischen Küche und Wohnraum stehen.
»Bitte setz dich«, bat Jerram.
Zögernd kam sie seinem Wunsch nach und setzte sich auf die Kante des Sessels, in dem zuvor Noemi Platz genommen hatte. Misaki fragte sich, ob Jerram sie auf die Arbeit ansprechen würde. Sie wusste, dass sie nachgelassen hatte. Anstatt die Dokumente durchzuarbeiten, in denen Augenzeugen von angeblichen Engelssichtungen berichteten, saß sie stundenlang herum und malte sich aus, wie es Renovas bei den Liminalen ergehen mochte. Misaki hatte damit gerechnet, einige Tage nichts von Renovas zu hören. Aber monatelang?
»Du träumst schon wieder«, sagte Jerram mit einem traurigen Lächeln, mied dabei aber Misakis Blick. Damit war für sie klar, dass was auch immer er sagen wollte nichts mit der Arbeit zu tun hatte. Es bereitete ihm keine Probleme, seinen Angestellten bei unangenehmen Angelegenheiten in die Augen zu sehen. Bei seinen Freunden war das aber etwas anderes.
»Es tut mir leid«, sagte Misaki trotzdem und spielte mit ihren Fingern. »Ich weiß, in letzter Zeit war ich im Büro nicht zu gebrauchen.«
Jerram machte eine wegwerfende Handbewegung. »Wir haben alle Zeiten, in denen wir abbauen«, sagte er. »Ich weiß, wenn es sein muss, kann ich mich dennoch auf dich verlassen. Das ist es nicht, worüber ich mit dir sprechen will.«
»Sondern?«, fragte Misaki.
»Ich mache mir Sorgen um dich.« Endlich schaute er sie an und Misaki sah die Aussage seiner Worte in seinem Blick bestätigt. Betreten wandte sie sich ab, was Jerram nicht daran hinderte, fortzufahren.
»Du bist nicht mehr dieselbe, Misaki. Du gehst nicht mehr weg, du träumst vor dich hin und bist eine miserable Spielerin geworden.« Das Letzte sagte er in übertrieben strengem Tonfall.
»Reno hat uns das Spiel beigebracht«, murmelte Misaki. »Es fühlt sich nicht richtig an, es ohne ihn zu spielen.«
Jerram seufzte. »Du weißt, dass es nicht um das Spiel geht.«
»Du hast selbst gesagt, wir haben alle mal einen Durchhänger!«
»Aber keine sieben Monate!«
»Also geht es doch um die Arbeit?«
»Nein.« Jerram klang tadelnd. »Hör zu, wir alle machen uns Sorgen um Renovas. Es vergeht kaum ein Tag, an dem ich mich nicht frage, ob es falsch war, ihn loszuschicken. Und ich bin heilfroh, dass mich die Arbeit so sehr in Anspruch nimmt, dass ich es mir nicht leisten kann, mich ständig dieser Frage zu widmen. Wir dürfen uns davon nicht aus der Bahn werfen lassen. Das würde Renovas nicht wollen.« Er lehnte sich zurück. »Davon abgesehen glaube ich nicht, dass ihm etwas passiert ist. Wenn, würden die Liminalen die Gelegenheit nutzen, es uns unter die Nase zu reiben. Nein, ich bin mir sicher, dass er macht, was seine Aufgabe ist. Und irgendwann werden die Liminalen ihn wieder in bewohnte Gebiete schicken und wir werden Kontakt zu ihm aufnehmen können.«
»Wahrscheinlich hast du recht«, sagte Misaki leise. »Aber ich hasse es, hier tatenlos herumzusitzen, während er Tag für Tag den Launen der Liminalen ausgesetzt ist. Wir wissen doch, was ihnen für Verbrechen nachgesagt werden. Wenn auch nur die Hälfte davon stimmt …« Sie schüttelte den Kopf. »Ich habe einfach Angst um Reno. Und ich fühle mich so nutzlos, wenn ich Gesprächsprotokolle durchgehe und Videoaufnahmen anstarre, während er sein Leben riskiert. Ich weiß natürlich, dass auch meine Arbeit getan werden muss, es ist nur …« Sie zuckte mit den Schultern.
Jerram nickte. »Ich verstehe, was du meinst. Und deshalb will ich dir ein Angebot machen.«
Misaki hob den Kopf und musterte Jerram neugierig.
»Dae und Tabeo waren nicht untätig auf Legba«, sagte er bedächtig. »Sie haben einen Bereich ausgemacht, den sie … vielversprechend finden. Sie wollen ihn näher untersuchen und könnten dabei Hilfe gebrauchen.«
»Du meinst, ich soll nach Legba reisen?« Misaki sah Jerram mit großen Augen an.
»Du musst nicht, wenn du nicht willst. Ich weiß, dass der Außendienst nicht zu deinen Lieblingsaufgaben gehört.« Ein kurzes Lächeln huschte über Jerrams Gesicht. »Aber es würde dir vielleicht helfen, auf diese Weise aktiv an Renovas’ Mission teilzuhaben.«
»Wie stellst du dir das vor?«, fragte Oswin. Er hatte bisher schweigend am Fenster gestanden, kam nun aber zu den beiden rüber. »Und was heißt das, sie finden den Bereich vielversprechend? Was ist dort?«
Jerram ließ sich Zeit mit einer Antwort. »Offenbar gibt es da ein Industriegebiet, in dem sich ungewöhnlich viele Liminale herumtreiben und unsere Technik sehr störanfällig wird.«
»Wann haben Tabeo und Dae dir davon berichtet?«, fragte Misaki. Kerzengerade saß sie auf der Kante. Es waren die ersten Neuigkeiten, die sie von der Mission rund um Renovas erfuhr.
»Ich habe die Nachricht heute Mittag von Dae erhalten«, erklärte Jerram ruhig. »Ich wollte aber erst darüber nachdenken und die Party nicht damit belasten. Wir können derzeit alle etwas Abstand vom Berufsalltag gebrauchen.«
»So ein Unsinn!«, rief Misaki. »Du hättest uns direkt davon erzählen sollen! Renovas kann schließlich auch nicht einfach Abstand von seiner Tätigkeit nehmen!«
»Nhan und Yusei haben es verdient, dass wir ihren freien Abend nicht mit Beruflichem verderben«, entgegnete Jerram unnachgiebig.
Misaki öffnete den Mund, um zu widersprechen, doch Oswin kam ihr zuvor.
»Darüber zu diskutieren, bringt jetzt nichts«, sagte er. »Mich beschäftigt etwas anderes: Wenn dort tatsächlich Liminale sind, ist es nicht ungefährlich, das Gebiet weiter auszukundschaften!«
Jerram runzelte die Stirn. »Nein, ungefährlich ist es sicher nicht. Das hat auch niemand erwartet. Aber wer wären wir, wenn wir deshalb so eine Chance verstreichen lassen würden? Wir sind Suchende. Wir dienen der Wahrheit. Und unsere Späher wurden dazu ausgebildet, in ihrem Namen auch Gebiete auszukundschaften, die ein Risiko beinhalten.«
»Misaki ist aber keine Späherin!«, entgegnete Oswin. »Sie dort unten hinzusenden, ist viel zu gefährlich – sowohl für sie selbst als auch für die Mission!«
»Misaki ist übrigens hier«, erinnerte sie ihn.
»Sie soll die beiden ja auch nicht als Späherin unterstützen«, sagte Jerram, ohne auf Misaki zu achten. »Sie haben Aufnahmen von dem Gebiet gemacht, die jemand analysieren muss. Misaki ist wie geschaffen für diese Aufgabe.«
»Die kann sie von hier aus erfüllen!«
Jerram nickte. »Ich möchte aber jemanden dort unten haben, der in direktem Kontakt mit unseren Spähern steht, wenn sie das Kerngebiet auskundschaften.«
»Aber wie soll Misaki mit ihnen in Kontakt bleiben, wenn unsere Technik dort versagt?«, fragte Oswin zweifelnd.
»Und betrifft das nicht einen sehr großen Bereich?«, fügte Misaki hinzu. »Wir haben das Signal schließlich weit über dem Boden verloren.«
»Tabeo und Dae experimentieren noch mit unseren Möglichkeiten“, erklärte Jerram. „Wie gesagt, unsere Standard-Technik funktioniert dort unten nicht, aber vielleicht finden sie einen anderen Weg. Und was das Signal angeht …«
»Was soll das für ein Weg sein?«, unterbrach Oswin ihn.
Jerram warf ihm einen tadelnden Blick zu. »Das wird sich zeigen. Wenn wir es nicht schaffen, die Störung mit unseren Methoden zu durchbrechen, werde ich den Wahrheitsrat darum bitten, Ruinenplanet-Technik anwenden zu dürfen. Allerdings sollten wir dafür Material …«
»Du willst Magie anwenden?« Oswin klappte sprichwörtlich die Kinnlade herunter.
Misaki konnte es ihm nachempfinden. Selbst auf Cyberia hatte man sich nach den Erfahrungen mit dem Tacid eingestehen müssen, dass sich die fremde Energie des Ruinenplaneten kaum beherrschen ließ. Wenigen war es gestattet, sie zu erforschen, und noch weniger durften sie anwenden und die mit ihr angetriebenen Gerätschaften nutzen.
»Magie!« Jerram spie das Wort förmlich aus und warf Oswin einen ungläubigen Blick zu. »Wie kannst du diesen Begriff benutzen?! Das ist Alternativtechnik. Ich bin kein Freund davon, sie einzusetzen, wenn es nicht nötig ist. Aber ich bin mir sicher, dass Dae und Tabeo verantwortungsvoll damit umgehen würden. Die Frage ist nur, ob der Wahrheitsrat das ähnlich sieht.«
Er wandte sich Misaki zu. »So oder so – magst du die beiden Späher auf Legba unterstützen? Ich kann ansonsten auch jemand von unseren Leuten bitten, die ohnehin auf Legba sind. Aber ich wollte zuerst dich fragen.«
Misaki zögerte. Die Vorstellung, nach Legba zu reisen, behagte ihr nicht. Es wäre nicht ihr erster Aufenthalt dort, aber bisher hatte sie sich auf den Planeten nie wohlgefühlt. Alles dort war so weitläufig und unsicher. Allein die Sache mit den wechselnden Temperaturen! Andererseits wäre sie dort gegenwärtig nützlicher als auf Cyberia. Und vielleicht würde es ihr tatsächlich helfen.
»Wann sollte ich denn zu ihnen stoßen?«, fragte sie.
»So bald wie möglich«, entgegnete Jerram.
»Aber welchen Sinn hätte das, wenn wir bisher gar nicht wissen, ob wir Alternativtechnik verwenden dürfen?«, wandte Oswin ein.
»Ich könnte trotzdem schon das Material von Dae und Tabeo durchgehen«, sagte Misaki nachdenklich. »Und die beiden könnten mir genau erklären, was sie bisher herausgefunden haben.«
»Das können sie auch so«, entgegnete Oswin hart.
»Was hast du eigentlich für ein Problem?« Jerram musterte seinen Freund aus zusammengekniffenen Augen.
»Was ich für ein Problem habe?«, echote der mit rotem Gesicht. »Ich frage mich, was du für ein Problem hast! Warum willst du Misaki auf eine so offenkundig gefährliche Mission schicken? Man könnte fast meinen, du …« Seine Stimme erstarb, er ließ den Satz unvollendet.
»Ich was?«, fragte Jerram mit einem warnenden Unterton.
Misaki blickte verwirrt zwischen den beiden Männern hin und her.
Oswin schüttelte den Kopf, sah zu Boden und schwieg.
Jerram blickte ihn noch eine Weile bohrend an, ehe er sich an Misaki wandte. »Ich weiß wirklich nicht, wo Oswin das Problem sieht. Keine unserer Unternehmungen außerhalb Cyberias ist völlig gefahrlos, das weißt du so gut wie ich. Aber du wirst wie gesagt ohnehin nicht an der Erkundung des verdächtigen Gebiets direkt teilhaben. Außerdem …«
»… kann ich nicht ewig in unserem Büro sitzen«, führte Misaki den Satz tonlos zu Ende.
»Das wollte ich nicht sagen.«
»Nein, aber so ist es doch. Ich bin die Einzige, die sich vor dem Außendienst sträubt.«
»Das ist nicht wahr«, sagte Oswin. »Es gibt viele Suchende, die ausschließlich auf Cyberia arbeiten und bislang nie einen Fuß auf die Planeten gesetzt haben.«
»Aber nicht in unserer Abteilung«, erwiderte Misaki. »Noemi war mehrere Monate auf Legba und Adad, du kommst sowieso ständig herum und bevor Jerram die Abteilung übernommen hat, war er Pilot, genauso wie Reno. Nur ich sitze ständig hier herum, während die anderen ihr Leben riskieren.«
»Du warst mit auf Demeter«, erinnerte Oswin sie, aber Misaki wischte den Einwand mit einer Geste zur Seite. »Das war eher Urlaub. Wir haben bloß herumgesessen und auf den Engel gewartet.«
»Wenn du Erfahrung auf den Planeten sammeln willst, finden wir bestimmt eine Mission für dich auf Cuchulain«, sagte Oswin.
»Mir geht es doch nicht darum, Cyberia zu verlassen«, erwiderte Misaki zornig. »Ich will nicht wegen eines nichtigen Grunds nach Cuchulain oder sonst wohin gehen. Aber wenn es einen Sinn hat, dass ich nach Legba gehe, dann mache ich das.« Sie nickte und sah Jerram fest in die Augen. »Ich reise nach Legba.«
»Bist du dir sicher?«, fragte er. »Du brauchst dich nicht heute zu entscheiden. Es ist schon spät.«
»Es wird nur später«, entgegnete Misaki und stand auf. »Sag mir, was ich tun muss.«
»Packen. Und vielleicht solltest du ein paar Besorgungen machen.« Jerram grinste schief. »In dem Gebiet, in das du reist, herrschen derzeit Temperaturen um die fünfzehn Grad.«
Daran mochte Misaki lieber nicht denken. Auf Cyberia wurde es in den Straßen nie kälter als zwanzig Grad.
»Ich möchte mit«, sagte Oswin.
Die beiden anderen wandten sich ihm überrascht zu.
»Was?«, fragte Misaki.
»Ich möchte auch mitkommen.«
Misaki runzelte die Stirn. »Ich möchte aber nicht, dass du mitkommst.«
»Warum nicht?«
»Es ist zu gefährlich für dich«, erwiderte sie spitz.
Oswin seufzte. »Misaki, ich wollte dich nicht …«
»Ich will’s nicht hören«, unterbrach sie ihn wütend. »Du redest von mir wie von einem fünfjährigen Kind. Ich habe die Ausbildung als Suchende durchlaufen, Oswin. Glaubst du wirklich, ich könnte mich nicht verteidigen?«
»Natürlich kannst du dich verteidigen«, erwiderte Oswin zerknirscht. »In einem offenen Kampf. Aber du musst bedenken … das sind die Liminalen!«
»Mit denen Renovas jeden Tag klarkommen muss«, sagte Misaki unbeeindruckt.
Oswin warf Jerram einen hilfesuchenden Blick zu. Der nickte nachdenklich. »Vielleicht ist das keine schlechte Idee.«
Misaki wollte widersprechen, doch Jerram hob die Hand. »Du weißt, wie Oswin wird, wenn man ihn zu lange hier in der Stadt einsperrt«, sagte er. »Ich denke, es ist ganz gut, wenn er mal wieder herauskommt. Und zwei Kontaktpersonen können ebenfalls nicht schaden.«
»Ich brauche keinen Babysitter«, maulte Misaki.
»Ich weiß«, erwiderte Jerram ernst. »Als solcher wird er dich auch nicht begleiten. Und nun hör auf zu schmollen. Es ist entschieden.«
Misaki warf ihm einen finsteren Blick zu. Eine leise Stimme in ihr gab Jerram im Grunde recht. Sie verstand nicht, welches Problem Oswin und Jerram miteinander hatten, aber wenn Oswin zu lange auf Cyberia eingesperrt war, wurde er tatsächlich oft grantig. Dasselbe galt für Renovas und alle anderen, die nicht auf Cyberia aufgewachsen waren. Davon abgesehen – Misaki hätte es nie zugegeben, aber insgeheim war sie froh, nicht alleine nach Legba zu müssen. Sie kannte Tabeo und Dae, aber die Vorstellung, mit dem eingeschworenen Team alleine auf einem fremden Planeten zu sitzen, behagte ihr wenig. Ganz egal, wie sehr sie sich daran erinnerte, dass sie das für Renovas tat.