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KAPITEL 2

RÜCKKEHR

Misakis Augen folgten dem kleinen roten Punkt, der sich langsam durch die Schwärze bewegte, die alles war, was auf dem Bildschirm von der Weite zwischen dem Planeten Legba und der Umlaufbahn des Mondes Cyberia angezeigt wurde.

»Einen Moment lang dachte ich ja, sie würden geradewegs nach Cyberia fliegen«, sagte Oswin, der neben Misaki saß und sich auf seinem Drehstuhl ständig von rechts nach links drehte. Er grinste.

»Ich finde diese Vorstellung nicht witzig«, sagte Jerram. Mit verschränkten Armen stand er neben seinen beiden Freunden.

Oswin hob beschwichtigend die Hände. »Sie sind ja vorbeigeflogen.«

»Schon zum zweiten Mal«, bemerkte Jerram mit finsterem Blick.

»Vermutlich gibt es keine Neuigkeiten dazu, was sie auf Cuchulain gewollt haben könnten?«, fragte Misaki und drehte sich zu Jerram um, der so intensiv auf den Bildschirm blickte, als hoffe er, den Punkt kraft seiner Gedanken verschieben zu können.

Er schüttelte den Kopf. »Sie haben eine Gau-Hauptstadt auf dem Planeten angeflogen und knapp zwei Stunden dort verbracht. Soweit wir sagen können, nur um Aufzutanken und ein paar Waren an Bord zu holen, ehe sie auf fast demselben Weg wieder nach Legba zurückgeflogen sind.«

»Eine Gau-Hauptstadt.« Misaki verzog das Gesicht. »Auf Cuchulain klingt einfach alles martialisch. Was meint ihr denn, welche Art von Waren das gewesen sein könnten?«

»Äxte, Schwerter, Wolfsfelle, Leder aus Menschenhaut, …«

»Oswin!« Jerrams Stimme hatte einen warnenden Unterton.

»Was denn?«, fragte Oswin mit unschuldigem Blick. »Ich kenn mich aus mit den Handelswaren, die Cuchulain an irre Reisende vertickt!«

Jerram rollte mit den Augen, wandte sich dann aber an Misaki, als habe es den Einwurf ihres Kollegen nie gegeben. »Das versuchen unsere Leute auf Cuchulain noch herauszufinden. Bisher deutet alles darauf hin, dass es sich um gewöhnliche Lebensmittel gehandelt hat – Reis, Brot, ein paar Früchte.«

»Das ergibt einfach keinen Sinn.« Oswins Grinsen war wie weggefegt. »Das alles findet man auch auf Legba. Ich kann mir nicht vorstellen, dass die Liminalen extra nach Cuchulain fliegen, nur um exotisches Obst abzuholen, das bis Legba ohnehin ungenießbar sein wird. Meint ihr nicht … also, wäre es nicht denkbar, dass Renovas an Bord aufgeflogen ist und sie das Signal nur noch nutzen, um uns zu verwirren?«

Misaki musste schlucken. »Sag doch sowas nicht«, flüsterte sie.

»Wir gehen allen Möglichkeiten nach, die uns einfallen«, sagte Jerram tonlos. »Ich denke aber nicht, dass sie sich mit solchen Spielchen aufhalten würden. Wenn sie von Renovas’ Doppelrolle wüssten, befände sich sein Sarg schon auf dem Weg zu uns. Ich denke eher …« Er verstummte.

»Was?«, fragte Misaki beunruhigt.

»Es gibt vieles, was wir in Betracht ziehen sollten. Möglicherweise haben die Liminalen wirklich nur ihre Vorräte für die Rückreise aufgestockt. Vielleicht haben sie auch jemanden abgeholt oder etwas abgeliefert, oder vielleicht versuchen sie, Spuren zu verwischen.«

»Spuren verwischt man doch nicht, indem man über eine der Hauptrouten eine Großstadt anfliegt!«, hielt Misaki dagegen und zwirbelte geistesabwesend eine lange schwarze Strähne um ihren Zeigefinger. »Und mit Sicherheit haben sie auch Transporter auf Cuchulain, die was auch immer nach Legba bringen könnten.«

Jerram nickte langsam. »Ich bin mir der Probleme in meinen Überlegungen bewusst.«

Misaki fragte sich, ob in seinem Kommentar eine Maßregelung lag. Seit sieben Jahren arbeitete sie mit Jerram zusammen und noch viel länger zählte sie ihn zu ihren Freunden – eine Zeit lang war er für sie sogar noch mehr als das gewesen. Dennoch fiel es ihr inzwischen immer schwerer, zu deuten, was hinter seinen Aussagen lag. Dass er sich Sorgen machte, war offensichtlich – das machten sie sich alle. Nicht nur wegen der seltsamen Route der Liminalen, sondern vor allem, weil Renovas bei ihnen an Bord war, anstatt gemeinsam mit seinen Freunden im Büro zu sitzen. Im Prinzip unternahm er nur eine Dienstreise, wie er es schon unzählige Male zuvor getan hatte. Nur konnte dieses Mal keiner sagen, wohin sie führte.

Trotzdem, im Moment war es nicht nur die Sorge um Renovas, die Jerram so verbissen machte.

»Nun, inzwischen haben sie ihre Route geändert und fliegen nicht mehr wie auf dem Hinweg«, sagte Oswin und strich sich durch den hellbraunen Bart. »Seht ihr?« Er richtete sich auf und fuhr auf dem Bildschirm die grüne Linie nach, die den Flug der Liminalen dokumentierte. »Bis hierhin«, er zeigte auf eine Stelle, »haben sie noch denselben Weg genommen, danach sind sie abgewichen.«

Jerram zuckte mit den Schultern. »Wenn sie zurück nach Make wollen, ist das nicht so verwunderlich.«

»Ich habe meine Zweifel, dass sie dorthin zurückfliegen. Bald treten sie in die Atmosphäre von Legba ein und derzeit deutet nichts darauf hin, dass sie auch nur entfernt planen, die Stadt anzusteuern.«

»Anscheinend haben sie eine komplizierte Art des intraplanetarischen Flugs gewählt«, sagte Misaki mit einem schiefen Lächeln.

Jerram ging darauf nicht ein, sondern betrachtete schweigend den Punkt, der sich weiter dem blauen Planeten Legba näherte.

»Wie dem auch sei«, sagte er schließlich. »Ich habe einen Termin mit Behzad. Oswin, du wertest weiter die Aufnahmen aus Adad aus. Misaki behält Renovas und seine Liminalen im Auge.«

Er stand auf und begann, seine Sachen zusammenzusuchen. Oswin seufzte hörbar, tat es seinem Vorgesetzten aber gleich.

Misaki wandte sich wieder dem Bildschirm zu, wo nun am Rande Legba sichtbar wurde, der größte und bevölkerungsreichste Planet Aditis. Dorthin flog Renovas – gemeinsam mit Mitgliedern eben jener Organisation, die er so verabscheute.

Jerram hatte Bedenken gehabt, ausgerechnet ihn auf diese Mission zu schicken. Nicht nur, dass die Folgen nicht absehbar waren, was mit Renovas geschehen würde, wenn die Liminalen entdeckten, dass sie einen Spion unter sich hatten. Das Problem lag auch bei Renovas selbst. Niemand in Jerrams Abteilung war den Liminalen besonders zugetan – selbst, wenn man von ihren schrägen Ansichten absah, gab es dafür einfach zu viele ungeklärte Verbrechen, die in Richtung der Organisation wiesen. Doch Renovas’ Abneigung ging tiefer, grenzte an Verachtung. Und das mochte ihn zu voreingenommen machen, zu unvorsichtig. Wie sollte er sich einer Organisation unterordnen, für die er keinerlei Verständnis aufbrachte?

Misaki schüttelte den Gedanken ab, während Jerram und Oswin den Raum verließen. Es nutzte nichts, wenn sie sich endlos diese Fragen stellte – Jerram hatte schließlich nachgegeben und Renovas war aufgebrochen. Der rote Punkt war im Moment alles, was Misaki von ihm geblieben war.

Inzwischen zeigte er an, dass der Transporter mit Renovas und den Liminalen an Bord in die Atmosphäre Legbas eingedrungen war. Als er zum Landeanflug ansetzte, zoomte Misaki die Karte näher heran und langsam wurden Einzelheiten des Planeten sichtbar. Kontinente, Ozeane, sogar Gebirge konnte Misaki ausmachen, bis …

Schlagartig richtete sie sich auf, ihre Augen bewegten sich hektisch über den Bildschirm. Wo war das Signal hin?

Misaki zoomte die Karte noch näher heran, bis sie sogar Flüsse und Großstädte erkennen konnte. Die grüne Linie, die Renovas’ Flug seit Cuchulain markierte, war wie üblich verschwunden, sobald der Transporter die Atmosphäre erreicht hatte. Das Signal hätte aber weiter sichtbar sein sollen, doch es gab keine Spur mehr davon.

Schweißperlen traten auf Misakis Stirn. Der Kontakt zu Renovas war endgültig abgebrochen.

Die Türme von Eden

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