Читать книгу Die Türme von Eden - Alessandra Reß - Страница 9
ОглавлениеKAPITEL 5
RUINEN
»Du hättest nicht herkommen sollen«, sagte Talane. »Ich wollte dich vor diesem Schicksal bewahren.«
Sie stand im Staub, barfuß, und sah genauso aus wie an dem Tag, als er sie das erste Mal getroffen hatte. Das lange weiße Kleid mit den braunen Borten. Die ungewöhnliche hellrosa Haut. Die roten Locken, die in einer sanften Brise wehten, obgleich es windstill war.
»Warum?«, fragte er. »Warum hast du mich weggelockt?«
»Warum hast du dich weglocken lassen?«, entgegnete sie, wobei ihre Figur langsam verblasste, eins wurde mit dem Staub und Nebel um sie herum.
Wieder ließ sie ihn allein. Verschwand einfach aus seinem Leben und ließ ihn zurück zwischen Trümmern und Ruinen.
Als Dante erwachte, lagen ihm die Gerüche des Traums noch in der Nase. Asche. Moder. Verdunsteter Regen. Ein entfernter Hauch nach Pfirsich und Durian.
Er blinzelte, um die letzten Traumbilder loszuwerden, und der fruchtige Geruch verschwand. Der Rest blieb, hing fest zwischen den Steinritzen an der Decke, durch die hier und da Wasser tropfte.
Steinritzen?
Mit einem Ruck setzte er sich auf – ein Fehler, denn sogleich begann sich alles um ihn herum zu drehen. Er kniff die Augen zusammen und atmete tief ein, um seinen Puls zu beruhigen. Es gelang ihm auch halbwegs, doch sein Atem ging schwerfällig und ein pelziges Gefühl breitete sich in seinem Mund aus. Ihm war, als wollte etwas in der Luft verhindern, dass er Sauerstoff bekam.
Dante hielt die Augen weiter geschlossen, während er seine Umgebung mit anderen Sinnen wahrnahm. Ein feiner Schweißfilm zog sich über seine Haut. Wasser plätscherte und irgendwo gurrte ein Vogel. Sein Ruf klang vertraut, obwohl sich Dante sicher war, ihn nie auf Cyberia gehört zu haben.
Aber ich bin nicht mehr auf Cyberia, rief er sich ins Gedächtnis. Ich bin bei den Liminalen.
Und offenbar nicht mehr im Schlafsaal.
Nun öffnete er doch die Augen. Er saß auf einer Steinliege und außer dem Laken darauf erinnerte nichts mehr an das Zimmer, in dem er eingeschlafen war.
Stattdessen befand er sich in einem kleinen, von dunklen Steinen eingefassten Raum. Moos und tropische Gräser hatten sich ihren Weg hineingebahnt und im hinteren Teil, in dem ein Stück der Wand weggebrochen war, floss ein steter, dünner Wasserstrahl den Stein entlang. Mattes Licht schien durch die Tür, die schief in ihren Angeln hing. Verkohlte Scherben und verbogenes Metall sprachen von einer Zeit, in der dieser Raum mehr als eine Ruine gewesen war.
Dante wusste, wo er sich befand. Im Grunde war es ihm schon beim Aufsetzen klar gewesen.
Nicht alles war so, wie er es in Erinnerung hatte. Bei seinem letzten Besuch hatte er nichts von der Welt außerhalb seines Schutzanzugs riechen können, und zuvor hatte dieser Ort nicht Staub und Asche gehört. Doch das stete Plätschern, der Ruf des Vogels, das Gefühl der feuchten Luft auf seiner Haut – all das war Thot. Jenes Thot, das er vor vierzehn Jahren verlassen hatte, nicht wissend, dass es ein Abschied für immer sein würde.
Die Ruinen, die Dante draußen erblickte, waren dagegen das Thot, das er vor neun Jahren wiedergesehen hatte. Und doch waren sie es auch nicht.
Er betrat den Platz, der einst das Herz des Dorfes ausgemacht hatte, in dem er aufgewachsen war. Dante verband zwei Erinnerungen mit ihm: Die Erste war die eines tagsüber stets von Dutzenden Menschen belagerten Platzes, umgeben von kleinen Läden, Restaurants und Cafés. Einmal die Woche waren die Händler aus der Umgebung und aus der Hauptstadt gekommen, deren Vororte nur wenige Kilometer entfernt begannen, und hatten dem ohnehin lebendigen Platz selbst in der Zeit des Krieges Lebensfreude beschert. Das Gebäude, in dem Dante erwacht war, hatte damals als Gedenkstätte für die Schweigenden gedient – es verwunderte ihn nicht, dass ihn die Liminalen ausgerechnet dorthin gebracht hatten.
Die zweite Erinnerung war von Tod durchdrungen. Obwohl der verheerende Krieg mit Cuchulain Jahre zurücklag, waren seine Spuren noch überall sichtbar gewesen. Zwar hatte Erebos, das interplanetarische Unternehmen, das noch bis vor fünf Jahren abenteuerlustigen Reisenden und verstörten Angehörigen Trips in die lebensfeindlichen Trümmer des Ruinenplaneten ermöglicht hatte, ein paar der Hauptstraßen freiräumen lassen. Doch außerhalb dessen wurde kein Finger gerührt. Selbst die sterblichen Überreste der Bürger von Thot waren hier und da noch sichtbar gewesen, wenngleich die meisten vom Giftstaub zersetzt worden waren.
Auch heute noch erzählte der Platz von der Zerstörung des Krieges: Kein einziges Gebäude war intakt, die meisten bestanden nur mehr aus ihren Fundamenten, wenn überhaupt etwas von ihnen übrig war. Aber der angrenzende Regenwald hatte sich das Gebiet zurückerobert. Die klaffenden Wunden waren inzwischen vom Moos verarztet, Feigengewächse mit Luftwurzeln und Bromelien an den Ästen schmiegten sich an Gebäudefragmente, Farne bevölkerten den Boden. Während Dante das alles in sich aufnahm, ging ein seltsames Flirren durch das Bild, doch es verschwand, als er blinzelte.
Es war ein melancholischer und zugleich paradiesischer Anblick.
»Ist das euer Eden?«, flüsterte Dante. Er war sich sicher, dass die Liminalen ihn beobachteten, irgendwie. Aber sie antworteten ihm nicht.
Er ging über den Platz, kletterte dabei über Trümmer und dicke Wurzeln. Den Blick gen Himmel vermied er. Hier unten wirkte es, als habe Thot seinen Frieden gefunden. Doch der grün gefärbte Himmel würde Dante daran erinnern, dass der Planet noch auf Jahrhunderte ein lebensfeindlicher Ort war.
Weshalb hatten die Liminalen ihn hierhergebracht? Gewiss hing es mit seiner Prüfung zusammen. Aber wenn hier etwas geschehen sollte, musste es bald sein, andernfalls war Dante dem Tode geweiht. Wenn er das jetzt nicht ohnehin schon war. Noch immer fühlte er sich schummrig und ein dumpfer Schmerz am Oberarm verriet ihm, dass ihm etwas gespritzt worden war. Vielleicht hatten die Liminalen ein Antiserum gegen das cyberianische Gift gefunden, den Schweigenden Tod, mit dem Cuchulain den Krieg auf grausame Weise für sich entschieden hatte?
Ein Teil der Flora und Fauna hatte sich offenbar an die neuen Gegebenheiten anzupassen gewusst. Für die Menschen galt das nicht – sie waren restlos vom Schweigenden Tod dahingerafft worden. Eine ganze Abteilung der Suchenden von Cyberia beschäftigte sich zwar mit den Gerüchten, nach denen einige Bewohner überlebt und neue Siedlungen gegründet haben sollten. Aber soweit Dante wusste, war diese Abteilung bisher noch erfolgloser gewesen als seine eigene. Es war schwer, einen Planeten zu erforschen, auf dem man nicht atmen konnte und dessen Wissen vernichtet worden war.
Vielleicht hatten die Liminalen hier tatsächlich eine Basis. War Thot das neue Eden? Das von Toten beherrschte Jenseits?
Eine Theorie, die ihren Charme hatte, auch wenn Thot nicht zu den Vorstellungen passte, die von Eden verbreitet wurden. Was natürlich nicht viel heißen musste. Der Planet Eden mit seinen angeblichen Bewohnern, den Engeln, war lediglich ein Mythos, wenn ihn auch die meisten Regierungen der vier bewohnten Planeten als Fakt anpriesen. Die tatsächliche Wahrheit herauszufinden, oblag den Suchenden – und damit auch Dante, seit er sich ihnen vor sechs Jahren angeschlossen hatte.
Wenn sich die Liminalen auf Thot niedergelassen hatten, mochte das auch erklären, weshalb die Suchenden nie einen sechsten Planeten gefunden hatten. Dante schüttelte den Gedanken ab. Falls er sich tatsächlich die ganze Zeit über schon auf Thot befand, würde der Chip in seinem Bein es den anderen Suchenden melden. Für ihn war im Moment anderes wichtiger.
Noch immer lief er über den ehemaligen Marktplatz. Wie oft war er hier über die Pflastersteine gelaufen, die längst überwuchert waren von Zeit und Natur! Er seufzte. Mehr als sechs Jahre war es her, seit er sich geschworen hatte, die Identität von Twi Dante Feyn zu begraben. Er war nach Cyberia gezogen, hatte offiziell seinen neuen Namen angenommen, war Teil einer neuen Familie geworden, die ihn adoptiert hatte, sodass er ein vollwertiger Bürger Cyberias werden durfte. Und lange Zeit hatte es tatsächlich den Anschein gehabt, als könne er die Vergangenheit hinter sich lassen.
Doch nun kam alles wieder – sein alter Name, die Fragen nach Thot. Sogar Talane tauchte wieder in seinen Träumen auf. Er hatte sie nicht vermisst.
Er war einverstanden gewesen, für seine Mission bei den Liminalen zu seinem alten Ich zurückzukehren. Dennoch wünschte er sich, all die Erinnerungen wären geblieben, wo sie waren. Hoffentlich fand er genug raus, damit es das alles wert war.
Ein Rascheln riss ihn aus seinen Gedanken. Erschrocken sprang er zur Seite und betrachtete argwöhnisch den Farn, in dessen Richtung er den Ursprung des Geräuschs vermutete. Erneut ein Rascheln, dann huschte etwas über den Boden, zu schnell, als dass er Einzelheiten erkannt hätte. Eine verwilderte Katze vielleicht oder ein Aguti – diese Nagetiere waren früher die reinste Plage für das Dorf gewesen.
Dante entspannte sich etwas und lachte leise über sich selbst.
Was hatte er erwartet? Dass ein Mutant aus dem Dickicht hinter der alten Apotheke brach? Gut, in Anbetracht der Prüfung und des Ortes, an dem er sich befand, war das nicht einmal auszuschließen. Aber Dante schätzte die Liminalen so ein, dass sie subtilere Prüfungen gegenüber dem Kampf mit einem Monster bevorzugten.
›Morgen wird sich zeigen, ob euer Herz, euer Verstand und eure Seele eins sind. Ihr müsst die Engel überzeugen.‹
Dante glaubte nicht an die Engel, jedenfalls nicht auf die Art wie die Liminalen und die Regierungen der vier Hauptplaneten sie darstellten. Er war mit Oswin und Misaki vor dreizehn Monaten auf Demeter gewesen, an jenem Tag, an dem der Welt das erste Mal offiziell ein Engel präsentiert wurde. Sie hatten nicht besonders nahe an den Ort des Geschehens vordringen dürfen. Aber die wahrscheinlich nur allzu einkalkulierten ›heimlichen‹ Fotos und Videos des strahlenden, haarlosen Etwas, das als Engel bezeichnet wurde, waren um die Welt gegangen, hatten vermutlich selbst die abgelegenste Insel auf Adad erreicht. Die Präsentation war der Höhepunkt eines perfekt inszenierten Spektakels gewesen, das seit knapp zehn Jahren andauerte und Zweiflern und Skeptikern endgültig den Wind aus den Segeln hatte nehmen sollen.
Zum Schaden der Suchenden zeigte dieses Ansinnen Erfolg. Zuvor war Eden eine Mär gewesen, um Altruismus zu lehren. Es hieß, wer bereit war, sein Leben für andere zu opfern, der würde als Neophyt nach Eden gebracht werden, um als Engel wiederaufzuerstehen. Die perfekte Basis für eine Ethik, welche die Gemeinschaft des Sternensystems Aditi nicht erst seit dem Krieg zwischen Thot und Cuchulain gut gebrauchen konnte. Doch viel mehr als Erzählungen über diesen paradiesischen Ort über den Wolken hatte es nie gegeben.
Sicher, die Liminalen waren Gewissheit und immer mal wieder hatte jemand behauptet, er sei einem Engel begegnet. Aber hätten nicht die meisten offiziellen Regierungen den Mythos zur Realität erhoben, er wäre nie bekannter geworden als all das andere Gerede um lebende Schweigende, unsterbliche Propheten und wiedergeborene Muttergöttinnen. Und selbst mit den Beteuerungen der Regierungen hatten noch viele an der Geschichte von Eden gezweifelt – oder es hatte sie schlichtweg nicht interessiert. Wozu mit etwas beschäftigen, was das eigene Leben nicht betraf?
Solange Dante ein Kind gewesen war, war Eden daher für ihn nur eine Gute-Nacht-Geschichte gewesen. Doch je mehr die Engel in seinem Umfeld zur Religion wurden, je häufiger ihnen Tempel gewidmet und Lieder geschrieben wurden, desto stärker war seine Abneigung gegen sie gewachsen. Anfangs hatte er sie sich selbst nicht erklären können. Was war schon falsch an der Ethik der Engel? Richtig klar geworden war ihm das erst nach seinem Umzug nach Cyberia. Als er die Listen der verschwundenen Novizen durchging, die Reden der Regierungsvertreter und die Aufzeichnungen der Liminalen.
Doch je kritischer er Eden gegenüberstand, desto realer schien der Ort zu werden. Erst waren da die Berichte über das Mädchen auf Adad, das einen Jungen aus der stürmischen See gerettet hatte, dabei aber selbst schwerstverletzt worden war. Die Liminalen hatten sie nach Eden geflogen. Als nächstes holten sie den jungen Mann aus Demeter, der seine Schwester gerettet hatte. Jenen Mann, der vor dreizehn Monaten als Engel zurückgekehrt war.
An diesem Tag hatte offenbar ganz Aditi beschlossen, Eden nicht weiter als Mythos, sondern als Realität zu betrachten. Und Dante hatte sich bereit erklärt, als Spion zu den Liminalen zu gehen, um endlich die Wahrheit über Eden und die Engel herauszufinden – gleich, was es ihn kosten würde.
Während er durch seine zerstörte Heimatstadt ging, war er sich allerdings über den Kostenpunkt nicht mehr so sicher.
Es war eine Sache, auf Cyberia zu sitzen und sich auszumalen, was die Liminalen mit ihren Novizen anstellen mochten. Über Trümmer und Ruinen zu klettern, im Wissen, dass eine zwielichtige Organisation, die offenbar selbst große Teile der Regierungen von Legba, Cuchulain, Adad und Demeter hinter sich wusste, einen einer mysteriösen Prüfung unterziehen wollte, war allerdings etwas ganz anderes. In diesem Moment wünschte sich Dante fast, seine Prüfung bestände nur aus einem Mutanten im Wald. Wer wusste schon, was die Liminalen für psychologische Tricks beherrschten, um in die Seelen ihrer Novizen zu blicken. Besaß Dante überhaupt die Macht, darüber zu entscheiden, wie viel er von sich preisgab?
Er bog in eine der Straßen ein, die sternenförmig vom Marktplatz wegführten. Bewusst mied er dabei die Abzweigungen, von denen er wusste, dass sie zum Haus seiner Familie führten. Seiner Familie …
Er schüttelte den Gedanken ab. Misaki, Oswin, Jerram und die anderen Suchenden waren nun seine Familie. Im Falle von Misaki sogar wortwörtlich, schließlich hatten ihre Eltern ihn adoptiert. Die Suchenden hatten Dante aufgenommen, als er ziellos durch das Sternensystem geirrt war, und ihm nicht nur eine neue Heimat gegeben, sondern auch eine neue Identität.
Dante wollte zwar nicht vergessen, was gewesen war – schon gar nicht, wer gewesen war. Aber er wollte auch nicht mehr Twi Dante Feyn sein, der Flüchtling aus einer untergegangenen Welt.
Wenige Schritte vor sich hörte er erneut ein Rascheln. Zögernd, schwankend zwischen Neugier und Vorsicht, hielt er dieses Mal darauf zu. Wieder kletterte er über gewaltige Wurzeln, umrundete ein großes Trümmerstück – und dann stand sie da.
Locker lehnte sie an einer von Rankenpflanzen umwucherten Wand. Dieses Mal trug sie nicht das weiße Kleid mit den braunen Borten. Sie war auch nicht barfuß. Stattdessen war sie in eine kurze blaue Tunika mit schwarzen Ornamenten gekleidet und die braune Hose darunter endete in braunen Lederstiefeln. Es war das erste Mal, dass sie ihre cuchulainische Herkunft nicht vor Dante verbarg.
Unaufgeregt blickte sie Dante entgegen und es kam ihm vor, als habe sie hier all die Jahre auf ihn gewartet, zwischen Moos und Leben, Trümmern und Tod.
»Talane.« Tonlos sprach er ihren Namen aus, seltsam unberührt von dem Auftauchen dieser Frau, die ihm fremd und unangenehm vertraut zugleich war. Wäre sie ihm vor einer Woche auf Cyberia begegnet, ihr Anblick hätte ihn vermutlich völlig aus der Bahn geworfen. Vielleicht wäre er rasend vor Wut geworden oder weinend zusammengebrochen. In jedem Fall hätte er nicht glauben können und wollen, ihr nun, nach all den Jahren, wiederzubegegnen.
Anfangs hatte er noch damit gerechnet. Auf Legba hatte er wochenlang auf sie gewartet. Darauf, dass sie zurückkam, ihm erklärte, dass alles ein Missverständnis und sie noch immer die sei, für die er sie gehalten hatte. Und selbst später, nachdem Dante sich längst eingestanden hatte, dass sie nicht zurückkehren würde und es die Talane, die er kannte, nie gegeben hatte – selbst da war er nachts manchmal in der Erwartung hochgeschreckt, sie stünde neben seinem Bett.
Aber sie war verschwunden, wortlos, an dem Tag, an dem die Nachrichten die Meldung vom Ende Thots brachten. Und irgendwann war sie endlich auch aus seinen Träumen verschwunden.
In den letzten Stunden aber war Dante so oft mit der Erinnerung an Thot konfrontiert worden, dass es ihn nicht mehr überraschte, sie hier anzutreffen. Auf eine seltsam klare Weise passte nun alles zusammen. Es schien alles Sinn zu ergeben, was ihn fort vom verlorenen Thot und über Legba, Adad und Cyberia bis zu diesem Garten Eden gebracht hatte. Er war mit Lügen gekommen, um Wahrheiten zu finden. War es da nicht logisch, dass nun ausgerechnet Talane, die Dante die Lügen gebracht hatte, der Schlüssel zur Wahrheit sein sollte?
»Warum bist du hier?«, fragte er.
Talane ließ sich Zeit mit ihrer Antwort. »Warum bist du hier?«, entgegnete sie schließlich. Ihre Stimme klang kräftiger, als Dante sie in Erinnerung hatte.
Er hatte nicht mehr vor, sich auf ihre Spielchen einzulassen. »Arbeitest du jetzt für die Liminalen?«, fragte er mit harter Stimme.
In dem Lächeln, das sie ihm zuwarf, lag etwas Selbstsicheres und Herablassendes. Seiten an ihr, die Dante unbekannt waren. Doch sie brauchte sich nun ja nicht mehr zu verstellen. Musste sich keine Mühe mehr geben, Dante zu gefallen. »Und wenn? Hasst du mich dafür?«
»Dafür?« Dante runzelte die Stirn. »Nein. Ich hasse dich für die Rolle, die du im Krieg gespielt hast. Ich verachte dich dafür, dass du meine Familie und mich verraten hast. Ich verachte dich dafür, dass du uns benutzt hast, um am Ende meiner Heimat mitzuwirken. Und ich verachte dich dafür, mich nach Legba gebracht zu haben. Wenn du für die Liminalen arbeitest …«
Bestätigt das nur meine Meinung über sie und dich, vollendete er den Satz in seinen Gedanken. Doch er zögerte, es laut auszusprechen. Talanes Auftauchen hatte ihn abgelenkt, aber er durfte nicht vergessen, weshalb er hier war. Ob Talane eine Liminale war oder nicht, dieses Zusammentreffen war gewiss kein Zufall, sondern Teil seiner Prüfung. Natürlich – welche bessere Art bot sich den Liminalen, in seine Seele zu blicken, als ihn mit dieser Frau zu konfrontieren?
Dass sie so weit in die Trickkiste griffen, beunruhigte Dante zwar, aber seine Verbindung zu Talane war kein großes Geheimnis. Schließlich war er damals mit ihr nach Legba gereist und falls es noch Informationen über sein Leben auf Thot gab, wussten die Liminalen auch von seiner Verlobung mit dieser Frau, von der er selbst wahrscheinlich nicht einmal den wahren Namen kannte.
»Dass du für die Liminalen arbeitest, enttäuscht mich nur«, schloss er den Satz daher. »Du bist ihrer nicht würdig.«
Talanes Blick flackerte kurz, doch dann hatte sie sich wieder im Griff.
»Wie kannst du so etwas sagen?«, fragte sie, plötzlich anklagend. »Du kennst mich nicht. Du weißt nichts über mich. Ich habe gehört, du hättest Suchende beauftragt, mehr über mich herauszufinden. Aber sie konnten dir auch nichts sagen, nicht wahr? Sie wissen ebenso wenig über mich wie du.«
Bei der Erwähnung der Suchenden stockte Dante einen Moment lang der Atem. Er war sich sicher, sie nirgendwo in dem Lebenslauf erwähnt zu haben, den Oswin und Misaki mit ihm konstruiert hatten. Sie hatten Cyberia zwar nicht vollkommen ausgespart, aber in seiner ersonnenen Biographie hatte Dante den Mond nur für wenige Wochen besucht. Jeglichen Kontakt zu den Suchenden hatte er völlig verschwiegen. Undenkbar, dass die Liminalen jemanden aufnehmen würden, der bei einer Organisation arbeitete, die so beharrlich versuchte, ihre Geheimnisse zu lüften.
Andererseits war es auch nicht ungewöhnlich, dass sich Privatpersonen an die Suchenden wandten, und als Dante erstmals Kontakt zu ihnen aufgenommen hatte, war es tatsächlich wegen Talane gewesen.
»Du hast recht«, erwiderte er daher ruhig, »ich weiß kaum etwas über dich. Ich kannte einmal eine Frau, die dein Gesicht trug. Aber dich habe ich nie kennengelernt, und das ist wahrscheinlich auch gut so. Denn alles, was ich über dich weiß, ist, dass du den Tod der Menschen billigend in Kauf genommen hast, die dir ein Heim geboten haben. Ja, du hast ihren Tod sogar mitverantwortet. Warum du das getan hast, ist mir gleich. Du warst eine Spionin. Du hast uns benutzt, um unseren Untergang vorzubereiten. Das ist alles, was ich wissen muss.«
Er drehte sich um. So lange hatte er gehofft, Talane würde zurückkehren und seine Fragen beantworten. Doch nun wollte er nur noch möglichst viel Abstand zwischen sich und diese Frau bringen. Zwischen sich und die Vergangenheit, die er abgelegt hatte.
Talane ließ das nicht zu.
»Ich habe deinen Tod nicht in Kauf genommen«, erinnerte sie Dante. »Im Gegenteil: Indem ich dich gebeten habe, mich nach Legba zu begleiten, habe ich dir das Leben gerettet. Ich war gewarnt worden, dass der finale Angriff bevorstand, und ich wollte dich in Sicherheit wissen.«
Dante blieb stehen, drehte ihr jedoch weiter den Rücken zu.
»Warum?«, fragte er so, wie er es auch in seinem Traum getan hatte.
»Spielt das eine Rolle? Obwohl du doch weißt, dass ich nur eine Spionin war?« Dante hörte nicht, wie sie näherkam, aber als sie weitersprach, klang es, als stünde sie direkt hinter ihm. »Natürlich spielt es eine Rolle«, flüsterte sie und Dante erschauerte unwillkürlich.
Ruckartig drehte er sich um. Talane stand so dicht vor ihm, dass ihre Lippen fast sein Kinn berührten. »Ich kenne dich, Dante. Ich kenne dich nur zu gut. Du bist besessen von der Suche nach Antworten, nicht wahr? Es reicht dir nicht, zu wissen, was war. Du willst auch den Grund wissen.«
Sie ging einen Schritt zurück und musterte ihn. Wieder erschien das Flirren vor Dantes Augen, aber es verschwand ebenso schnell wie zuvor. Ihm fiel auf, dass Talane seit ihrem letzten Treffen um keinen Tag gealtert schien. Allerdings ließ ihre Selbstsicherheit sie deutlich reifer wirken als damals.
»Mach dir nichts vor, Dante«, sagte sie. Dann drehte sie sich um und ging in die andere Richtung. Leichtfüßig stieg sie dabei über die Wurzeln und Steinbrocken am Boden. Dante hatte ihre Anmut immer bewundert, doch dieses Mal weckte sie Abneigung in ihm. Vielleicht, weil sie das Einzige an dieser Frau war, was mit dem Bild zusammenpasste, das er von seiner einstigen Verlobten hatte.
Dante blieb, wo er war und blickte Talane nach. Mit einer Hand umfasste sie die Reste einer steinernen Wand, bereit, mit dem nächsten Schritt aus Dantes Sichtfeld zu verschwinden. Doch sie hielt inne und wandte ihm ihr Gesicht zu. Das fahle Sonnenlicht spielte leise um ihr sonderbares Lächeln.
»Mach dir nichts vor«, wiederholte sie. »Wir wissen, dass du keine Ruhe finden wirst, bevor du Antworten hast. Aber keine Angst. Ich bin hier, um dir Antworten zu geben. Folge mir.« Sie verschwand hinter der Mauer.
Aufgewühlt blickte Dante ihr nach. Er verspürte den Drang, sich umzudrehen und in die andere Richtung zu laufen – weit fort von dieser Frau und diesem Ort, die ihn in eine Zeit zurückversetzten, mit der er doch abgeschlossen hatte. Allerdings … Sie hatte Recht, das musste er sich eingestehen. Der Traum hatte Dante unangenehm daran erinnert, dass ihm seine Vergangenheit noch immer näher war, als er sich selbst eingestehen wollte. Der Gedanke, erneut fraglos dieser Frau zu folgen, war ihm zuwider. Andererseits war es vielleicht die einzige Möglichkeit, die Situation hier hinter sich zu bringen. Schließlich war da ja auch noch die Prüfung …
Mit einem Seufzen setzte er sich in Bewegung und folgte Talane, die hinter der Mauer auf ihn wartete.
»Was ist nun, bist du eine Liminale?«, fragte Dante erneut. »Oder haben sie dich hergeholt, um …« Ja, um was eigentlich?, fragte er sich. Um mich mit dem Leben abschließen zu lassen, das ich hinter mir lassen soll?
»Ich werde dir die Antworten geben, nach denen du suchst«, entgegnete Talane geduldig. »Aber nicht hier.«
Sie sprang über eine Wurzel und umrundete ein Konstrukt aus Lianen und Metall, das vielleicht einmal ein Auto oder Bus gewesen sein mochte.
Dante folgte ihr schweigend.
In diesem Teil des Ortes erkannte er nichts wieder; die wenigen verbliebenen Mauern hätten zu jedem ihm bekannten Gebäude gehören können und es gab keine auffälligen Reliefs oder sonstige Erkennungszeichen, die als Wegweiser hätten dienen können. Je länger Dante Talane durch das grüne Labyrinth folgte, desto klarer wurde ihm jedoch, wohin sie ihn führte.
Er blieb stehen.
Talane bemerkte es erst an einer Weggabelung. Sie sagte nichts, sah ihn nur an, und er meinte, ein spöttisches Lächeln in ihrem Gesicht zu sehen. Er konnte sich denken, was sie dachte.
Wir wissen beide, dass du dich nicht ewig weigern wirst.
Äußerst widerwillig setzte sich Dante wieder in Bewegung, trottete hinter Talane her, die nur hier und da auf ihn wartete, um sicherzustellen, dass er den Weg nicht aus den Augen verlor.
Kurz vor dem Ziel erinnerte beim ersten Blick nichts mehr an den Ort, den Dante vor vierzehn Jahren verlassen hatte. Von dem Friseursalon war ebenso wenig geblieben wie von der kleinen Bäckerei, in der er sich mit seinen Geschwistern oder Freunden früher oft Teilchen gekauft hatte. Erst weiter hinten zeugten Steinwände, überwucherte Treppen, die ins Nichts führten, und die Überreste zerschmolzenen Metalls von den Häusern, die hier einmal gestanden hatten. Dieses Gebiet war den Angehörigen der Twi-Kaste vorbehalten gewesen, die die höchste gesellschaftliche Stellung unter den nicht-adligen Bürgern Thots eingenommen hatten. Nicht, dass die Hierarchie am Ende noch viel bedeutet hätte.
Gerade passierte Dante die ersten Fragmente der Twi-Gebäude, als ein heller Schrei die Luft durchschnitt.
Dante hielt inne und sah sich um. Das Geräusch war aus südöstlicher Richtung gekommen, doch er entdeckte dort nichts Verdächtiges.
»Worauf wartest du?«, rief Talane, die ein Stück die Straße hinauf zum Stehen gekommen war.
Anstatt zu antworten, suchte Dante mit den Augen weiter das Dickicht aus Bäumen hinter den Überbleibseln der Gebäude ab und lauschte auf weitere Geräusche. Doch außer dem meckernden Ruf eines Vogels und dem leisen Wasserplätschern, das hier überall herrschte, blieb es ruhig.
Talane kam nun doch zurück. »Was soll dort sein?«, wollte sie ungeduldig wissen, Dantes Blick folgend.
»Hast du den Schrei nicht gehört?«, fragte er gedämpft, um nichts zu übertönen.
»Eben den? Das war doch nur ein Vogel. Die führen hier ein munteres Leben, seit es keine Menschen mehr gibt, die sie jagen. Wenn du bei jedem Zwitschern stehen bleibst, hast du was zu tun.«
»Das klang nicht wie ein Vogel«, entgegnete Dante kühl. »Es klang wie … der Schrei eines Kindes. Eines Mädchens.«
Talane zuckte mit den Schultern. »Und? Die Vögel hier klingen so.«
Dante schüttelte den Kopf. »Ich weiß, wie die Tiere hier klingen. Ich kenne den Ruf des Arassari ebenso wie das Zwitschern des Quetzals. Aber einen solchen Laut stößt kein Vogel aus. Das war ein menschlicher Schrei!« Er verließ den Weg, wandte sich nach rechts, in Richtung des Dickichts aus Bäumen und Farn.
»Wo willst du hin?« Talane klang erschrocken. »Dante, die Vögel hier sind mutiert. Du kannst sie nicht mit den Tieren vergleichen, die du aus deiner Kindheit kennst. Sie klingen heute anders und sie verhalten sich auch anders. Du solltest den Wald nicht betreten.«
Es war das erste Mal seit ihrem Zusammentreffen, dass Talane ihre überlegene Selbstsicherheit ablegte. Vielleicht ging Dante deshalb weiter.
»Dante!« Eine schlanke Hand umfasste seinen Arm und er zuckte zusammen. Abrupt blieb er stehen und riss sich so ruckartig los, dass Talane stolperte und fast über eine Wurzel gestürzt wäre.
»Wag es nicht, mich anzufassen«, fauchte Dante und scherte sich nicht um den finsteren Blick, den ihm seine einstmalige Verlobte zuwarf.
»Du solltest mir dankbar sein«, entgegnete Talane hochmütig. »Du …«
Ein neuerlicher Schrei schnitt ihre Worte ab. Er klang anders als der Erste. Tiefer, aber ebenso menschlich.
»Dante«, sagte Talane eindringlich, »glaub mir, da sind keine Menschen. Wir sind auf dem Ruinenplaneten. Dieses Land ist vergiftet! Die ganze Atmosphäre ist vergiftet!«
»Wir sind hier«, erinnerte Dante sie und hielt wieder auf die Bäume zu. Ihm klangen die Theorien der Suchenden über Überlebende in den Wäldern von Thot in den Ohren. Was, wenn daran mehr wahr war, als er bisher geglaubt hatte? Aufregung überkam ihn, erfüllte ihn mit unbestimmten, nicht ausformulierten Hoffnungen.
Hier, hinter den steinernen Twi-Fassaden, wo einst prachtvolle Gärten gestanden hatten, war das Gebiet restlos vom Dschungel zurückerobert worden. Dante kam nur langsam voran. Noch immer befand er sich innerhalb der alten Ortsgrenzen.
»Wir werden von den Engeln beschützt«, hörte er Talanes Stimme irgendwo hinter sich.
»Dann schützen sie mich hoffentlich auch im Wald«, entgegnete Dante. Vielleicht klang das blasphemisch, doch in diesem Moment war es ihm egal. Wieder hörte er einen Schrei, und dieses Mal war er sich sicher, dass es kein Tier war, das da rief. Was an sein Ohr drang, klang nach einem Wort, auch wenn er die Sprache nicht verstand.
Er überwand ein von Moos überwuchertes Mäuerchen und erblickte dahinter einen etwas lichteren Bereich, hinter dem endgültig der Wald begann.
Talane war vor ihm da.
Verdutzt blieb Dante stehen, als sie zwischen den Bäumen hervortrat, auf die er gerade zuhielt. Er warf einen Blick hinter sich, erwartete fast, Talane habe einen Klon herzitiert. Doch hinter ihm war niemand mehr.
»Wie …«, begann Dante, doch sie unterbrach ihn.
»Bemerkst du das Flimmern?«, fragte sie. »Das Flackern, das hin und wieder durch die Landschaft streift?«
Dante nickte ungeduldig.
»Eine Nebenwirkung des Serums, das uns hier am Leben erhält«, erklärte sie.
»Ach, das ist der Schutz der Engel?«
Talanes bohrender Blick erinnerte Dante daran, dass er auf seinen Ton achtgeben musste.
Doch ob Talane nun zu den Liminalen gehörte oder nicht, sie beschloss offenbar, darüber hinwegzugehen. »Die Nebenwirkungen lassen nach einiger Zeit nach, aber du hast dich noch nicht an den Stoff gewöhnt«, erklärte sie weiter. »Ich habe die Schreie auch gehört und glaub mir, für mich klingen sie ganz und gar nach Tierstimmen. Aber du stehst noch unter dem Einfluss der Nebenwirkungen, deshalb glaubst du wohl, Stimmen zu hören. Es ist ja auch verständlich, wenn du dir wünschst, hier könnten noch immer Menschen leben. Dante, warte«, rief sie, denn er hatte sich von ihr abgewandt und machte Anstalten, den Wald zu betreten. »Du kennst den Ruinenplaneten nicht, das ist nicht mehr die Heimat deiner Kindheit!«, redete Talane auf ihn ein. »Aber ich bin schon eine Weile hier, ich habe gesehen, was nun in den Wäldern hier haust. Dante, es sind keine Schlangen, Raubkatzen und Krokodile mehr, vor denen du dich in Acht nehmen musst. Auf diesem Planeten wurden Kräfte freigesetzt, die niemals in menschliche Hände hätten gelangen dürfen, und die Engel können uns im Wald nicht …«
»Ich weiß, welche Kräfte hier angewendet wurden«, grollte Dante, »und ich erinnere mich auch, wer sie zum Einsatz gebracht hat.«
Talane nickte. »Es war ein abscheuliches Werk der Cyberianer.«
Wieder brachte sie Dante dazu, innezuhalten. Er musste sich zusammenreißen, um ihr darauf keine wütende Antwort zu geben. Er wusste um die unrühmliche Rolle, die Cyberia bei der Vernichtung Thots durch Cuchulain gespielt hatte. Cyberia genoss seine Unabhängigkeit, aber um diese zu erhalten, mussten seine Bewohner hin und wieder Kooperationen eingehen. Manchmal bedeutete es, dass das Wissen der Mondbewohner dazu verwendet wurde, Waffen zu entwickeln, welche es vermochten, die Bevölkerung eines ganzen Planeten auszulöschen. Dass Talane sie als die Hauptschuldigen bezeichnete, weckte dennoch Dantes Zorn. Es waren nicht die Cyberianer gewesen, die das Gift eingesetzt hatten.
Allerdings hielt Dante es gegenwärtig nicht für klug, sich auf eine Diskussion mit Talane einzulassen, und ein erneuter Schrei erinnerte ihn daran, dass er dafür ohnehin keine Zeit hatte. Vielleicht stimmte, was sie sagte, und Dante stand tatsächlich unter dem verwirrenden Einfluss dieses Antiserums. Aber er würde es sich nie verzeihen, wenn er untätig stehenblieb, während im Wald hinter dem Haus seiner Kindheit womöglich Menschen Hilfe benötigten.
»Wenn du diesen Wald betrittst, werde ich dir nicht folgen«, sagte Talane, ruhiger dieses Mal, aber sehr bestimmt. »Und ich weiß, dass du nicht zurückkehren wirst. Schon andere haben diesen Weg genommen. Abenteurer, die mit Erebos kamen, aber auch Suchende und sogar Liminale. Niemand ist zurückgekehrt, denn das, was in diesem Wald lebt, lässt niemanden mehr gehen. Du weißt, wie stark die Magie der Schweigenden hier schon immer war. Willst du wirklich wissen, was mit ihr geschehen ist, nachdem das Gift die Atmosphäre vergiftet hat?« Sie ging zurück in Richtung der überwucherten Häuserruinen. »Du hast die Wahl, Dante. Du kannst mir folgen und Antworten auf all deine Fragen erhalten. Oder du kannst in dein Verderben laufen. Es ist mir gleich.«
Sie unternahm keinen Versuch mehr, Dante zurückzuhalten, sondern kletterte über die Mauer, die auch er zuvor genommen hatte, und verschwand hinter Lianen und orchideenbewachsenen Ästen.
Unsicher blickte Dante ihr nach. Noch einmal erklang der Ruf aus dem Wald und auch, wenn er das Wort nicht kannte, so verstand er dennoch seine Bedeutung.
Hilfe.
Dante zögerte. Sprach Talane die Wahrheit? Die Schreie kamen nun häufiger, klangen verzweifelter, doch Dante blieb an Ort und Stelle. Talanes Erwähnung der Magie beunruhigte ihn, auch wenn er der Bezeichnung nicht viel abgewinnen konnte. Und er hatte das Flirren gesehen, von dem sie gesprochen hatte. Er stand hier, atmete die angeblich vergiftete Luft … Musste er Talane in dieser Sache nicht vertrauen? Offenbar wusste sie, weshalb er hier war. Und darüber hinaus war sie bereit, ihm Antworten zu geben. Antworten, mit denen er endlich würde abschließen können.
Es verging eine knappe Minute, in der die Schreie erst kurz hintereinander und dann gar nicht mehr erklangen, während Dante nur herumstand.
Aber dann erinnerte er sich daran, was geschehen war, als er zuletzt auf Talanes Worte gehört hatte.
Er drehte sich um und betrat den Wald.
Noch einmal würde er nicht jemanden im Stich lassen, um Talane hinterherzulaufen.