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KAPITEL 4

ERKENNTNIS

Als die Liminalen Keri in den Schlafsaal brachten, wäre sie am liebsten sofort wieder umgedreht. Sie wusste nicht, was sie erwartet hatte. Eine dunkle Kammer in einem der großen Engelstempel auf Legba vielleicht oder eine Kabine auf einer Raumstation? Vielleicht sogar einen herrschaftlichen Raum auf Eden, falls es diesen Planeten wirklich gab.

Stattdessen saß sie nun in einem Raum mit Linoleumboden, einfachen Holzbetten und staubigen Fenstern, die zu einem Innenhof hinausgingen. Außer ihr waren noch fünfzehn andere in dem Raum; Novizen wie sie, die darauf warteten, was nun mit ihnen geschah. Keri hatte nicht damit gerechnet, dass es so viele sein würden. Wenn sie ehrlich war, hatte sie bisher sogar geglaubt, die Einzige zu sein.

Die Novizen hatten nichts gemein mit den kalten Gestalten, die Keri verhört und später abgeholt hatten. Lachend und schwatzend saßen sie in kleinen Gruppen zusammen, kaum jemand blieb für sich. Die meisten von ihnen waren Erwachsene, doch kaum einer schien älter als Mitte Zwanzig zu sein.

In den letzten Jahren hatte Keri sich Mühe gegeben, anderen Menschen aus dem Weg zu gehen. Normalerweise war das auch nicht schwierig gewesen, denn wer gab sich schon mit einer Unglücksbringerin ab? Doch kaum hatte sie sich hier ein freies Bett ausgesucht, war eine hochgewachsene Frau mit schwarzem Pferdeschwanz und schräg stehenden Augen neben sie getreten. Sie sah sich durch Keris Schweigen offenbar nicht im Mindesten entmutigt, in ihrem schon seit ihrer Begrüßung andauernden Wortschwall fortzufahren. »Du musst wissen«, erzählte sie gerade mit leichtem Akzent, »daheim auf Adad gibt es zwar an jeder Ecke irgendeinen Tempel, aber versuch mal, Liminale aufzutreiben! Als ich endlich welche gefunden hatte, wollten sie mich abwimmeln, sie dachten wohl, ich würde es nicht ernst meinen. Aber ich hab mich durchgebissen und jetzt bin ich hier. Hoffe, das war den ganzen Stress wert. Ich meine«, sie senkte die Stimme und nickte zu den Fenstern, »wenn das da draußen Eden ist, überleg ich mir noch mal, ob das hier wirklich ein Job für mich ist.«

Keri sah zum Innenhof und lächelte müde. Nein, das war sicher nicht Eden. Es hieß, der verborgene Planet Eden sei ein Paradies aus Alabaster, auf dem der Himmel aus Diamanten bestehe und sich die Türme bis über die Wolken erhoben. Dort lebten die Liminalen und jene, denen sie dienten – die Engel.

»Entweder dort oder nirgends«, flüsterte Keri.

»Hm?«, fragte ihre Nachbarin, wartete aber keine Entgegnung ab, sondern sagte: »Guck mal, die beiden dahinten!«

Sie zeigte auf eine Gruppe von fünf jungen Männern, doch Keri ahnte, auf welche beiden die Bemerkung ihrer Gesprächspartnerin abzielte. »Cuchulainer«, stellte Keri fest. »Die Tätowierungen am ganzen Körper und die Undercuts sind Stammessymbole und weisen sie als Kriegsjungen aus.«

Während sie das sagte, hob einer der beiden den Kopf. Einen Moment lang trafen sich ihre Blicke und Keri sah schnell zur Seite, zum angrenzenden Bett. Ein Mann lehnte dort mit verschränkten Armen und musterte Keri kurz. Sie hatte das unangenehme Gefühl, dass er sie zuvor schon beobachtet hatte. Zu viele Menschen!

»Die Frisur sieht bescheuert aus«, sagte die Schwarzhaarige. »Erinnert mich an Streifenhörnchen. Huch, der eine kommt rüber.«

Keri sah wieder nach vorne und tatsächlich kam gerade der Cuchulainer herüber, dessen Blick sie zuvor begegnet war.

»Hallo«, begrüßte er sie. »Wollt ihr euch nicht zu uns setzen?« Er wies zu den anderen.

Keris Sitznachbarin stand auf. »Sie hier sagt, du kämst von Cuchulain. Stimmt das? Ich hab noch nie jemanden von dort getroffen.«

»Das ist jetzt gleich«, erwiderte der Mann nach kurzem Zögern. »Wir sind alle Kinder Edens.«

Hinter Keri ertönte ein Lachen und als sie sich umdrehte, bemerkte sie wieder den Mann, der am Bett lehnte.

»Hast du ein Problem?«, fragte der Cuchulainer ihn unwirsch.

Der andere schüttelte den Kopf. »Aber wir sind noch nicht auf Eden.«

Der Cuchulainer entgegnete nichts darauf und wandte sich wieder den Frauen zu. »Also, wenn ihr mögt …« Er deutete mit dem Kopf in Richtung seiner Freunde und ging zu ihnen zurück.

»Komm schon«, forderte Keris Sitznachbarin sie auf und folgte ihm.

Mit einem Seufzen erhob Keri sich, als sie erneut den Blick des Mannes auf dem Bett bemerkte.

»Ist was?«, fragte sie.

»Nein. Tut mir leid.« Sein Grinsen war verschwunden. »Ich dachte nur – du kamst mir bekannt vor.«

Keri musterte den Mann genauer. Er schien ihr einer der ältesten im Raum zu sein, sie schätze ihn auf Mitte dreißig. Seine halblangen Haare und der Dreitagebart waren von einem dunklen Braun, sein Teint hatte einen Bronzeton. Er war größer als der Cuchulainer, aber nicht so muskulös.

»Wie heißt du?«, fragte sie.

»Dante.«

»Woher kommst du?«

Ein kurzes Zögern. »Legba.«

»Ich kenne keinen Dante aus Legba.« Sie wandte sich um und folgte den anderen beiden. Sie war sich sicher, dem Mann nie begegnet zu sein. Aber gut möglich, dass er sie schon einmal gesehen hatte.

Keri musste schlucken. Sie hatte bisher nicht daran gedacht, aber was, wenn alle Novizen hier sie schon einmal gesehen hatten? Die Aufnahmen und Interviews waren damals um die Welt gegangen und wäre es nicht logisch, dass jemand, der sich für die Liminalen interessierte, sie sich noch einmal ansah?

Sie atmete tief ein und brachte nur ein kurzes Lächeln zustande, als die Gruppe um die beiden Cuchulainer ihr Platz machte, damit sie sich zu ihnen setzen konnte. Neugierige Blicke, jemand gab ihr die Hand. Aber keine Fragen mehr, ob man einander kenne, niemand sah sie zu lange an.

Nein, bestimmt erkannte sie hier niemand.

Sie wagte es nicht, zu Dante zurückzusehen. Vielleicht nur ein Missverständnis oder er hatte nach einem Weg gesucht, sie anzusprechen.

»Wir haben uns gerade gefragt, wie es nun weitergeht«, sagte ein schlaksiger, bleicher und rotwangiger junger Kerl aus der Gruppe um die Cuchulainer. Seine grüngefärbten kurzen Haare zogen zwangsläufig die Blicke auf sich. »Ob wir noch hierbleiben oder es bald weiter nach Eden geht.«

»Vielleicht trainieren sie uns hier? Sicher werden sie uns nicht einfach so nach Eden lassen«, vermutete der Cuchulainer, der Keri eben hergebeten hatte. »Das ist eine Ehre, die man sich verdienen muss.«

»Wo sind wir hier überhaupt?«, fragte die Schwarzhaarige.

»Es ist irrelevant, wo wir sind«, entgegnete der Cuchulainer. »Entscheidend ist, wo wir hinkommen.«

Ehe jemand darauf reagieren konnte, ging die Tür zum Schlafsaal auf und eine Liminale in Uniform trat ein.

Augenblicklich erstarben die Gespräche ringsum. Keri schlang unwillkürlich die Arme um sich. Ihr war, als sei die Temperatur um zehn Grad gefallen.

»Stellt euch auf«, befahl die Liminale.

Die Novizen erhoben sich und warfen einander unsichere Blicke zu.

»Jeder vor sein Bett!«, fauchte die Frau ungeduldig und die Novizen beeilten sich, der Forderung nachzukommen, bis sie einander in zwei Reihen gegenüberstanden.

»Ihr habt es weit geschafft«, begann die Liminale, sobald sich die Unruhe gelegt hatte. Langsam schritt sie den Mittelgang entlang, die Hände hinter ihrem Rücken verschränkt. »Weiter als die meisten anderen. Es ist euch gelungen, uns zu überzeugen, dass euer Herz und euer Verstand den Dienern der Welt gehören und ihr bereit seid, euch unserer Gemeinschaft und ihren Zielen unterzuordnen. Wir wissen das zu schätzen.« Ihr Blick und ihre Stimme ließen das allerdings bezweifeln. »Aber bevor ihr tatsächlich Teil unserer Gemeinschaft werdet, müsst ihr beweisen, dass auch eure Seelen dem Wunsch eures Herzens und eures Verstands folgen. Ihr müsst die Engel überzeugen.«

Keri beobachtete die Mienen ihrer Kameraden. Die Augen des Mannes ihr gegenüber glänzten, während er gebannt an den Worten der Liminalen hing, doch einige schauten verunsichert oder sogar ängstlich drein.

»Ihr werdet die Nacht hier verbringen«, sprach die Liminale derweil. »Euch wird Verpflegung gebracht werden und ihr erhaltet Hygieneartikel. Morgen erwarten euch dann die Prüfungen. Morgen wird sich zeigen, ob euer Herz, euer Verstand und eure Seele eins sind. Morgen wird sich zeigen, ob ihr die Kleidung der Dienersdiener tragen dürft und ob ihr eurer neuen Identität würdig seid. Morgen erst wird sich entscheiden, ob ihr würdig seid, zu uns zu gehören.«

Sie war am Ende der Reihen angekommen und musterte die Novizen noch einmal gründlich. »Ich hoffe, möglichst viele von euch wiederzusehen.« Mit diesen Worten ging sie den Weg zurück und verschwand durch die Tür.

Einen Moment lang blieb es ruhig, dann wurden die geordneten Reihen wieder zu einer Ansammlung kleiner Trauben und die Diskussionen fingen an.

»Ob sie einen Lügendetektor benutzen?«

»In Cuchulain ist es üblich, durch eine Tat seinen Mut zu beweisen. Bestimmt ist das hier ähnlich.«

»Es sind Götter oder wenigstens Halbgötter! Die brauchen keine Hilfsmittel, um uns in die Seelen zu schauen.«

Keri hörte den Gesprächen nur mit halbem Ohr zu. Mit einem leisen Seufzen ließ sie sich auf ihr Bett sinken.

Eine Prüfung also. Noch eine.

»Aber sie hat gesagt, die Engel prüfen uns!« Keri sah zu einem Mädchen, das vergeblich versuchte, sich Gehör bei einem der Grüppchen zu schaffen. Als sie Keris Blick bemerkte, sagte sie: »Die Frau hat doch gesagt, dass wir die Engel überzeugen müssen! Das heißt, wir werden tatsächlich Engel treffen!« Sie strahlte übers ganze Gesicht.

Keri zwang sich zu einem Lächeln. »Vielleicht hast du recht«, flüsterte sie viel zu leise dafür, dass das Mädchen sie hätte verstehen können. »Vielleicht werden wir einen Engel treffen.« Ihr Lächeln schwand.

Die Türme von Eden

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