Читать книгу Die Ketzer von Antiochia - Alexander L. Cues - Страница 15

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IX Im Sommer desselben Jahres gab es in einer Nacht noch einmal ein kleineres Beben mit mehreren Erdstößen, das die Menschen vor dem Hintergrund der in ihren Gedanken ständig präsenten Katastrophe erneut in Angst und Schrecken versetzte. In ihrer Panik rannten viele auf die Straßen, verharrten dort wie gelähmt und warteten auf das Ende der Zeiten. Erst als mehrere Minuten lang große Stille geherrscht hatte, löste sich die Schreckensstarre und wich einem Freudengeschrei, das immer mehr anschwoll und zu einem wahren Choral erlöster Seelen wurde. Diesmal waren keine nennenswerten Schäden zu verzeichnen. Die Menschen lagen sich in den Armen und waren nur noch erleichtert über den glücklichen Ausgang dieser Nacht. Warum aber zürnten die Götter immer noch, hatte man sie etwa nicht genug besänftigt? Am nächsten Tag beschloss der Magistrat daher, eine Prozession zu Ehren der Götter zu veranstalten und an ihren Bildern zu opfern. Mit diesem Beschluss hatte die Ratsversammlung ein beinahe einhelliges Bedürfnis der Bevölkerung aufgegriffen, weshalb sich die Menschen sofort mit großem Eifer an die Arbeit machten, um Blumenschmuck und Opfertiere bereitzustellen. Fast drei Monate dauerten die Vorbereitungen. Das Ergebnis war ein großartiges Fest für Augen und Ohren. Auf großen Wagen, die mit Blumen und Girlanden geschmückt waren und von Sklaven gezogen wurden, waren Bilder der Götter und Opfergaben aufgebaut. Auf dem Wagen der Griechen stand Apollo, der im Gedenken an Daphne und seine unerfüllte Leidenschaft den Lorbeer trug. Ihm zur Seite stand seine Zwillingsschwester Artemis, von Jungfrauen und Jagdhunden begleitet. Die Syrer führten Bilder mit von Atargatis, die ihren Granatapfel präsentierte, und Hadad, dem Wettergott, der zwei Stierbilder zur Seite hatte. Saturn, der Gott des Ackerbaus, war auf dem römischen Wagen zu sehen; daneben das Stierbild des Mithras, Beherrscher des Kosmos, den die Legionäre und Veteranen verehrten. Die Phönizier hofften auf Fruchtbarkeit des Landes und zeigten Baal und Astarte, die Liebesgöttin, deren reich geschmückte Wagen von Priestern in kostbaren Gewändern begleitet wurden. In feierlicher Prozession zog man durch die Kolonnadenstraße, die von jubelnden Menschen gesäumt war. Ziel der Prozession war der Platz vor dem kaiserlichen Palast, wo Ummidius residierte. Hier kamen die Wagen in einem Halbkreis zum Stehen, so dass ein Pantheon entstand, vor dem mit riesigen Steinen ein prachtvoller Altar errichtet worden war, der durch das Entzünden lodernder Feuer eindrucksvoll in Szene gesetzt wurde. Imposante Fanfarenstöße begleiteten das Geschehen. Dann wurden die Schlachttiere, Stiere, Böcke und Schafe, herbeigeführt und von den Priestern und ihren Helfern in Empfang genommen. Diese schlachteten mit viel Geschick und fingen das Blut der Tiere in großen Schalen auf. Mit dem noch warmen Blut besprengten sie den Altar und boten den Göttern die Opfertiere dar. Auch die mitgeführten Feldfrüchte wurden mit feierlichen Gebärden vor den Altar gebracht, bevor die Priester die Wünsche für eine gute Ernte vortrugen: „Auf das Ackerland komme der Regen Baals, und für das Feld der Regen des Höchsten! Süß sei für das Ackerland der Regen des Baal, und für das Feld der Regen des Höchsten! Süß sei er für den Weizen in der Furche, im Neubruch wie Wohlgeruch, auf der Ackerfurche wie Kräuterduft!“ Auch Saturn und Hadad wurden um ihren Beistand angerufen, da man deren Hilfe für Saat und Ernte erhoffte. Als das geschehen war, zerlegten die Priester das Fleisch und legten es auf den Altar, was die Menge mit großem Jubel wahrnahm. Während das Fleisch im Feuer briet, zogen die Menschen in einer langen Schlange am Altar vorbei und jubelten dem Pantheon der Gottheiten zu. Schließlich wurde ein Teil des Fleisches vom Feuer genommen, in Portionen aufgeteilt und unter die Menschen verteilt. Die Stimmung dieses Tages war ausgelassen. Wein, mit Wasser gemischt, floss in Strömen und ließ die Menschen auf den Straßen feiern und tanzen. Im jüdischen Bezirk feierte man an diesem Tag wie gewöhnlich den Sabbat. Niemand nahm an den Gräueln der Götzenanbetung teil. Nach dem Gottesdienst am Morgen waren die Familien zusammen und aßen von dem, was am Vortag zubereitet worden war. In den notdürftig wiederhergestellten Häusern und Wohnungen brannten die Kerzen. Diejenigen, die sich zur Synagoge der Christusgläubigen zugehörig hielten, bereiteten sich vor auf den Gottesdienst am Abend. Kurz vor dem Ende des Sabbattages verbreitete sich eine bedeutende Nachricht in der Stadt wie ein Lauffeuer: Claudius Augustus war tot, sein Nachfolger als Imperator war Tiberius Claudius Nero Drusus Germanicus Caesar! Diese Nachricht ließ die Jubelstimmung in der Stadt noch einmal deutlich anschwellen, denn ein neuer Kaiser weckte große Hoffnungen bei den Menschen. Doch auch Claudius hatte schon viel für den Wiederaufbau der Stadt getan, besonders nach dem großen Erdbeben im Jahre 37. Theater und Hippodrom waren wiederhergestellt. Auch einige der Bäder um den Palast herum waren wieder in Betrieb. Jetzt erwartete man im Magistrat die Vollendung angefangener oder geplanter Bauvorhaben, vor allem der Kolonnadenstraße und der Stadtmauer. Die größten Anstrengungen würde aber der Aufbau zerstörter Wohnviertel erfordern, vor allem im syrischen und im griechischen Bezirk. Die Menschen dort litten immer noch unter mangelhafter Wasserversorgung aufgrund der Schäden an den Aquädukten, deren Wiederaufbau sich schwierig gestaltete. Von Nero wusste man in Antiochia nicht viel. Es war bekannt, dass er der Stiefsohn des Augustus war und an erster Stelle in der Thronfolge stand. In der nächsten Zeit konnte man hören, dass er vor allem der Favorit der Prätorianer gewesen war, die ein Prinzipat des jüngeren Sohns von Claudius, Britannicus, verhindern wollten. Der Legat der Provinz Syria, Ummidius Quadratus, sandte dem neuen Herrscher mit dem schnellsten Schiff eine Ergebenheitsadresse mit Geschenken. Die jüdische Bevölkerung erhoffte sich von dem neuen Princeps in erster Linie, dass er das Edikt seines Vorgängers aus dem Jahre 41 garantieren würde, in dem ihnen bestätigt worden war, was schon Augustus ihnen zugestanden hatte. Sie wollten ihr Leben weiterhin nach den Gesetzen und Sitten ihrer Väter führen und hofften darauf, dass sie in Antiochia ein Bürgerrecht erhielten wie die Judäer in Alexandria. Ein eigener Gemeinderat sollte die Angelegenheiten der Judäer selbst regeln. Sie fürchteten aber auch, dass sich neue Feindseligkeiten entzündeten und man sie zwingen könnte, das Opfer für die Götter zu erbringen, wenn sie die gleichen Rechte haben wollten wie die übrige Bevölkerung.

Die Ketzer von Antiochia

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