Читать книгу Die Ketzer von Antiochia - Alexander L. Cues - Страница 9

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IV In jenen Tagen hatte Kaiser Claudius einen neuen Legaten für die Provinz Syria ernannt. Dieser war noch nicht in Antiochia eingetroffen, aber seine Ernennung zeigte das große Interesse des Reiches an, die Stadt wieder aufzubauen und ihr die Stellung zurückzugeben, die sie vor der Katastrophe gehabt hatte. An den Grenzen wurde es unruhig. Immer wieder versuchten die Parther, Teile der Provinz unter ihre Herrschaft zu bringen. Das machte schnelles und entschlossenes Handeln unumgänglich. Es war Frühjahr, und fast zwei Jahre waren vergangen, seit die Erde bebte. In der Stadt hatte man mittlerweile alle Leichen geborgen, die meisten davon verbrannt und die Reste unter die Erde gebracht. Auch die Seuchengefahr schien endlich vorüber zu sein. Wieviel Überlebende es wohl noch gab? Armselige Hütten waren überall entstanden, erbaut aus den Resten, die die Trümmer freigegeben hatten. Der neu gebildete Magistrat versuchte zwar immer wieder, das Bauen zu reglementieren, konnte aber nicht verhindern, dass die Menschen sich der Materialien bedienten, die sie aus dem Schutt bargen. Menachem, der inzwischen wieder ohne Krücken laufen konnte, hatte die Vorbereitungen für seine Abreise fast abgeschlossen. Nun ließ sich das Gespräch mit seiner Mutter nicht länger hinauszögern. Sie hatte mit der Versorgung der drei jüngeren Kinder alle Hände voll zu tun. Wenn er nicht mehr da war, würde sie den Einkauf von Gemüse und Mehl alleine bewältigen müssen. Darüber sorgte er sich sehr, denn der Weg aus der Stadt heraus war nach wie vor beschwerlich und gefährlich. Hilfe kam indes von Alexander, den er in seine Pläne eingeweiht hatte: „Wir werden deine Mutter und deine Geschwister mitversorgen, denn wir besuchen einmal in der Woche einen kleinen Gemüsemarkt im syrischen Bezirk.“ So konnte Menachem auf die Unterstützung des Freundes bauen, dessen Vater bis zu seinem Tod mit Bauholz gehandelt hatte. Alexander selbst hatte die Beziehungen zu Lieferanten im Umland wieder aufgenommen und konnte nach einigen Monaten das Geschäft seines Vaters unter bescheidenen Verhältnissen fortführen. Deshalb war auch er guten Mutes und blickte positiv nach vorne: „Ich erwarte, dass es sich gut entwickeln wird, wenn die Stadt wieder aufgebaut wird.“ Mit der Mutter, die längst gespürt hatte, dass ihren Sohn etwas bewegte, suchte er an diesem Tag das Gespräch, als die Geschwister eingeschlafen waren. Sie hörte ihn ruhig an und antwortete überraschend: „Was du tun möchtest, solltest du tun. Mit Gottes Hilfe wird es dir gelingen. Ich hoffe und wünsche, dass wir dich gesund wiedersehen werden. Dein Vater kann dich zum Abschied nicht mehr segnen. Also werde ich es tun.“ Und so segnete sie ihren Sohn, der vor Freude weinte und seiner Mutter um den Hals fiel. „Und das hier gebe ich dir zum Abschied mit auf deine Reise. Es ist das Amulett deines Vaters. Du siehst das Sternzeichen des Löwen auf ihm: Arie, der Löwe, hieß dein Vater. Sein Mut, seine Kraft und seine Besonnenheit werden in diesem Amulett deine Begleiter sein.“ Menachem legte das Amulett sorgfältig in seinen Lederbeutel, den er immer um seinen Hals trug. Es sollte ihn nach Rom und Alexandria sowie sein ganzes Leben lang begleiten und ihn schützen vor Krankheit, vor Einsamkeit und Armut. Er versprach der stolzen und dennoch besorgten Mutter, eine Nachricht aus Rom zu schicken, sobald er dort eine Unterkunft gefunden hatte. Der Tag des Abschieds stand jetzt unmittelbar bevor. Porphyrios händigte ihm Empfehlungsschreiben an die Stadtverwaltungen und an berühmte Baumeister in Rom und Alexandria aus. Vor seinem Aufbruch wollte er noch einmal die besuchen, denen er Dank schuldete, weil sie ihm und seiner Familie das Leben gerettet hatten. Alexander hatte ihm nach dem Gottesdienst beim ersten Besuch geschildert, wie er und seine Familie zum Glauben an Christus gekommen waren: „Meine Mutter hat uns damals erzählt, dass die Christusgläubigen einander helfen, wie die Judäer es tun. Jesus hätte sie gelehrt, die Menschen zu achten, weil sie vor Gott gleich sind. Das nähmen sie ganz wörtlich. Sie machten deshalb keine Unterschiede zwischen Sklaven und Freien, Männern und Frauen, Judäern und Griechen. Sie würden es auch ablehnen, Neugeborene auszusetzen und ihre Sklavinnen zu zwingen, ihnen zu Willen zu sein. Das hat uns neugierig gemacht, und so haben wir angefangen, ihre Treffen zu besuchen. Wir wussten nicht, ob sie eigentlich Judäer oder Syrer oder Griechen sind. Aber wir merkten schnell: Das spielte keine Rolle, obwohl sie sich in einer Synagoge treffen.“ An diese Sätze Alexanders musste Menachem immer wieder denken, als er auf dem Weg zu den Christusanhängern war. Er hoffte aber vor allem, Berenike noch einmal wiederzusehen. Die letzte Begegnung mit ihr nahm sein Herz gefangen. Mit ihrem Blick hatte sie ihn gemeint, da war er sich sicher. Ob er sich Hoffnung machen konnte, sie zu gewinnen? Er entschloss sich, um sie zu werben, wenn er aus Rom zurückgekehrt war. Als er die Synagoge erreichte, war der Gottesdienst schon im Gang. Er stellte sich neben den Eingang und suchte mit seinen Augen bekannte Gesichter. Bald traf sein Blick auf Alexander, Berenike und die anderen Geschwister. Als die Gläubigen den Segen über dem Brot sprachen, wurde das bereits vertraute Ritual jäh unterbrochen, als plötzlich die Tür der Synagoge aufschlug. Drei Bewaffnete stürmten nach vorn und fragten nach Kleopas, der sich sofort meldete. „Vorführung beim Stadtrichter,“ rief einer der drei, „Ihr werdet verdächtigt, Eure Herkunft zu verschleiern.“ Sie nahmen eine drohende Haltung ein und fesselten den Armenpfleger an den Händen. Als sie Kleopas abgeführt hatten, breitete sich eine bedrückende Stille aus. Dann fingen einige Frauen an zu schluchzen, andere weinten still vor sich hin. An eine Fortführung des Gottesdienstes war nach diesem Schockerlebnis nicht mehr zu denken. Menachem wandte sich an Alexander: „Warum hat man ihn verhaftet?“ „Er hat sich geweigert, den Göttern zu opfern. Sie prüfen nach, ob er wirklich ein Judäer ist und das Tempelgeld zahlt.“ Menachem wusste, dass Judäer vom Opfer befreit waren. „Sie vermuten, dass viele unter uns keine Judäer sind und wollen sie zum Opfer zwingen. Sie werden wiederkommen und noch andere von uns verhaften.“ „Und du und deine Familie – was ist mit euch? Seid ihr Judäer geworden?“ Alexander zögerte mit der Antwort: „Nein, wir haben uns taufen lassen. Einige aus der Gemeinde fordern aber, dass ich mich auch beschneiden lasse.“ „Und wirst du das Opfer für die Götter leisten, wenn der Stadtrichter dich dazu zwingt?“ „Das kann ich nicht. Es ist ein Gott, der Jesus von den Toten auferweckt hat.“ „Dann seid also auch ihr in Gefahr, wenn sie euren Armenpfleger verurteilen.“ In dieser Nacht erzählte Alexander ihm die Geschichte des Rabbi Jehoshua, den sie vor zwanzig Jahren in Jerusalem als Aufrührer ans Kreuz schlugen, so wie es die Römer mit allen Unruhestiftern zu tun pflegten. „Aber Gott hat ihn auferweckt. Frauen haben das leere Grab in Jerusalem gesehen.“ „Das klingt unglaublich. Wer hat euch davon berichtet?“ „Unsere Lehrer, die auch Paulus aus Tarsos kennengelernt haben, der ein Schüler des weisen Gamaliel gewesen ist. Sie erklären uns die heiligen Bücher der Judäer. Darin steht schon alles geschrieben, was mit Jesus von Nazareth geschehen ist.“ „Und warum nennt ihr ihn den Kyrios?“ „Weil er an der Seite Gottes herrscht und bald wiederkommen wird in Herrlichkeit!“ Menachem hatte nach diesem Gespräch viel nachzudenken. Er wusste, dass viele Menschen seines Volkes auf den Messias hofften. Aber das würde einer sein, der Frieden ins Land bringen würde. Alle Fremdherrschaft, die die Judäer immer wieder erdulden mussten, hätte dann endlich ein Ende. Israel würde neu erstehen. Und für Gerechtigkeit würde er sorgen, der Gesalbte des Herrn. Der Herr Zebaoth würde ihm dabei helfen. So kannte er die Geschichte, die man sich seit Generationen in seinem Volk erzählte. Aber das war eine ganz andere Geschichte als die des Jesus von Nazareth! Ein Messias, der am Kreuz verblutet war? Nein, das war unvorstellbar. Aber konnte dieser Rabbi aus Nazareth vielleicht ein Nachfolger der Propheten sein? Oder ein Aufständischer, ein Zelot? Was er an diesem Tag hier erlebte hatte, beunruhigte Menachem sehr, weil er um das Leben Berenikes und ihrer Geschwister fürchtete. Als längst alle eingeschlafen waren, blieb er noch lange wach in der Synagoge der Christianer in dieser Nacht. Die Vorstellung, dass er die Frau, die er liebte, zurücklassen musste, brachte ihn um den Schlaf. Berenike hatte ihm zum Abschied einen Talisman in Form eines kleinen Kreuzes aus Silber geschenkt. „Das wird dich vor Dämonen beschützen, wenn du es bei dir trägst, denn Christus hat das Böse besiegt.“ Alexander hatte ihm noch auf den Weg gegeben, in römischen Synagogen nach Glaubensgeschwistern Ausschau zu halten. „Ich habe Nachrichten darüber, dass es auch in Rom Christusanhänger gibt. Sie werden dich mit Freuden aufnehmen.“ Am nächsten Morgen blieben noch zwei Tage, bis es endlich losgehen sollte. Schon seit vielen Wochen hatte er sich vorgestellt, was ihn in Rom wohl erwarten würde: die atemberaubende Architektur, die prachtvollen Hallenbauten, Hunderte von Statuen berühmter Bildhauer, Lusthaine, Theater und Tempel. In seinen Träumen saß er in der Schule und hörte berühmten Architekten zu, studierte die Baupläne der großen Insulae, in denen Hunderttausende von Menschen wohnten. Er stellte sich oft vor, wie groß die Stadt wohl sein musste. Porphyrios hatte ihm erzählt, dass es schwer zu sagen war, wo sie aufhörte. Sie mache den Eindruck, sich ins Unendliche auszudehnen. Die Freude auf so viel Neues und seine Wissbegierde konnten wenigstens zeitweise sein Gefühl überdecken, dass er doch eigentlich seine Familie nicht allein lassen durfte. Seine Mutter hatte es ihm zwar leicht gemacht, aber konnte er wirklich davon ausgehen, dass sie es ohne ihn schaffen würde? Er musste sich auf Alexander verlassen, der eigentlich mit der täglichen Sorge um seine Geschwister genug zu tragen hatte. Aber der hatte ja Berenike an seiner Seite, die auf ihn wartete. Es schien keinen klaren Ausweg aus seiner inneren Zerrissenheit zu geben. Doch er hatte sich entschieden, er würde seinen Weg gehen müssen. Menachem spürte, dass er viel zurückließ, und beschloss im Herzen, dass er die Seinen nicht enttäuschen würde. Der Abschied von seiner Mutter und seinen Geschwistern machte ihm das Herz noch einmal schwer, weil die Kleinen ihn nicht gehen lassen wollten und herzzerreißend zu weinen anfingen. Schließlich zog er in Begleitung von zwei Legionären los, die auch ein Pferd mitbrachten, das sein Gepäck trug. Es ging durch das zerstörte Brückentor über den Orontes auf die Straße nach Seleukia Pieria. Fünf bis sechs Stunden veranschlagte man unter günstigen Umständen für den Weg dorthin. Sie brauchten aber für diese Etappe fast den ganzen Tag, denn auch die Straße war in einem miserablen Zustand. Der Schutz durch die Soldaten erwies sich als bitter notwendig. Mehrfach stießen sie unterwegs auf Wegelagerer, die nur darauf warteten, wehrlose Reisende auszurauben. In Seleukia angekommen, sahen sie, dass das Erdbeben auch hier seine Spuren hinterlassen hatte. Im Hafen hatte schon das Schiff festgemacht, das Menachem zuerst nach Cypros und dann nach Ostia, dem Hafen Roms, bringen sollte.

Die Ketzer von Antiochia

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