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III

Am dritten Tag der Woche vor dem Geburtstag des Mithras bekam Menachem Besuch. Alexander erkundigte sich, ob seine Empfehlung an den Baumeister erfolgreich war. Als Menachem ihm erzählte, was inzwischen geschehen war, gratulierte er ihm und lud ihn ein, die Synagoge der Christianer demnächst zu besuchen: „Am besten, du kommst zur nächsten Versammlung. Bring´deine Familie mit. Wir haben unseren Gästen nicht viel anzubieten. Aber das wenige, was wir haben, teilen wir gerne mit euch. Berenike wird auch dabei sein.“ Als Menachem seiner Mutter von der Einladung erzählte, war sie sehr erfreut über die Gelegenheit, ihre Retter wiederzusehen, um ihnen noch einmal danken zu können. Von dem Gespräch mit dem Baumeister hatte er ihr noch gar nichts erzählt, denn sie würde wohl erst einmal nicht schlafen vor Aufregung und sich große Sorgen um ihren Sohn machen. Aber er hatte nun die Stelle des Vaters eingenommen und trug große Verantwortung für sie und die anderen Kinder. Aus diesen Gründen würde er zuerst mit dem Onkel darüber sprechen und ihn fragen, ob er sich für die Zeit seiner Abwesenheit um die Familie kümmern würde. Am Abend nach dem Sabbat brachen sie frühzeitig auf, denn sie hatten einen beschwerlichen und gefährlichen Weg ins jüdische Viertel vor sich. Es war fast schon dunkel, und so hatte sich Menachem eine Fackel besorgt, die ihnen Licht spendete. Bei Dunkelheit trauten sich nicht viele Menschen auf die Straße, aus Angst vor Dieben und Räubern. Die Kinder fanden das alles jedoch ziemlich spannend, da es für sie der erste Ausflug nach langer Zeit gewesen war. Viele Monate lang waren sie mehr oder weniger eingesperrt in der kleinen Wohnung, so dass ihnen diese Abwechslung sichtlich gefiel. Die Mutter trug ihren Jüngsten, der ebenfalls neugierig auf die vielen neuen Bilder in der zerstörten Stadt reagierte. Solange es noch ein wenig hell war, konnten sie gut sehen, dass die Überlebenden sich eingerichtet hatten, so gut es ging. Wo auch nur kleine Mauerreste stehen und Dächer heil geblieben waren, hausten die Menschen in Räumen, die oft nur noch Löcher waren. An vielen Stellen hatten sie begonnen, den Schutt wegzuräumen, um Platz zu schaffen für ihr Tagewerk: das Flicken von Kleidern, die Reparatur von Schuhen, ein wenig Handel mit Gemüse und die Zubereitung von Essen. Überall waren jetzt in der Dunkelheit Feuerstellen zu sehen. Dasselbe Bild bot sich ihnen im jüdischen Viertel. Hier war der Platz vor der großen Synagoge, die auch eine Mikwe hatte, geräumt worden. Jetzt traf man sich bei Sabbatanfang wegen der starken Schäden am Dach der Synagoge unter freiem Himmel zum Gebet. Als sie die Synagoge der Christianer erreichten, drängte sich eine kleine, bunte Menge in das Haus, in dem Menachem und die Seinen nach ihrer Bergung versorgt und gepflegt worden waren. Männer und Frauen jeden Alters, Familien mit Kindern, Sklaven und Freie, Handwerker und Vornehme, Judäer, Griechen und Syrer, alle waren sie hier vertreten. Menachem erkannte sogar einen römischen Veteranen mit seiner Ehefrau aus seiner Nachbarschaft. Als das Gebet für den ersten Tag der Woche begann, hatten alle einen Platz gefunden: „Gepriesen seist du, Ewiger, unser Gott und Gott unserer Väter, Gott Abrahams, Gott Isaaks und Gott Jakobs.“ Judäer und Fremde beteten hier gemeinsam mit Worten, die ihm wohl vertraut waren. „Du bist groß und mächtig. Dir gebührt unsere Ehrfurcht. Du bist über alles erhaben. Du vollbringst Wohltaten. Alles hältst du in deiner Hand.“ Menachem erinnerte sich, auch früher schon in der Synagoge Menschen gesehen zu haben, die keine Judäer waren. Man nannte sie „Gottesfürchtige“, die an den Gottesdiensten teilnahmen und den Sabbat feierten. Sie waren in der Synagoge gern gesehene Gäste, trugen sie doch zum Unterhalt der Gemeinde bei. Der Vorbeter fuhr fort: „Du erinnerst dich an die Frömmigkeit unserer Vorfahren und bringst deshalb liebevoll ihren Enkeln Erlösung um deines Namens willen.“ Das hier waren allerdings ungewöhnlich viele „Gottesfürchtige“. Menachem schätzte, dass mindestens die Hälfte der Anwesenden Fremde waren. Die Synagoge schien also aus irgendeinem Grund viele Menschen anzuziehen. Was war ihr Geheimnis? Das Gebet ging zu Ende: „Du regierst und hilfst, du bist Rettung und Schutzschild. Gepriesen seist du, Ewiger, unser Gott, Schutzschild Abrahams.“ Nach dem Gebet wurde der Segen über Wein und Brot gesprochen und alle bekamen davon ab. Und wieder fielen die Worte, die er schon einmal gehört hatte: „Verkündigt den Tod des Herrn, bis dass er kommt.“ Dann bat ein Judäer, den Menachem als den wiedererkannte, der seinen schwer verletzten Vater geborgen hatte, alle Besucher, sich zu setzen oder zu legen, wie es gerade möglich war. Einige Helfer brachten daraufhin zu essen und zu trinken und alle nahmen von dem, was man ihnen anbot, Brot, Früchte und Wasser. Menachem glaubte vor Verwunderung zu träumen. Hier aßen und tranken Männer und Frauen, Sklaven und Freie, Judäer, Griechen und Syrer gemeinsam in einer Synagoge. Galten hier nicht die jüdischen Speisegebote? Wie konnte das sein, dass ein Helfer, der ein Freigelassener war, einen Sklaven bediente? Und als wäre das alles noch nicht genug an Ungewöhnlichem, nahm ein Judäer die Tora-Rolle und las aus den Psalmen Davids in griechischer Sprache: „Du wirst mich nicht dem Tode lassen und nicht zugeben, dass dein Heiliger verwese.“ Dann ergriff die Syrerin das Wort und legte die Schrift aus: „Sie haben Jesus von Nazareth, der durch Gottes Ratschluss dahin gegeben war, durch die Hand der Heiden ans Kreuz geschlagen und umgebracht. Diesen Jesus hat Gott auferweckt. Wir sind seine Zeugen. Das hat David vorausgesagt: Er ist nicht dem Tod überlassen. Sein Leib hat die Verwesung nicht gesehen. Ganz Israel soll wissen, dass Gott diesen Jesus, den sie gekreuzigt haben, zum Kyrios und zum Christus gemacht hat.“ Nach diesen Worten brach euphorischer Jubel aus unter den Besuchern, so dass die Kinder, die schon längst eingeschlafen waren, wieder wach wurden. Menachem verstand das alles nicht. Ein Gesalbter, der gekreuzigt wurde? Der gestorben und dann wieder zum Leben erweckt worden war? Was für eine merkwürdige Lehre! Zum ersten Mal hatte er von Jesus von Nazareth gehört, den sie hier den Gesalbten, den Christus, nannten. Zum Abschluss sprachen sie noch einmal den Segen über dem Wein. Alle tranken und fühlten sich gestärkt. Dann küssten sie einander und verabschiedeten sich mit ihrem Gruß „Kyrios Jesous“. Nicht alle gingen nach Hause in dieser Nacht. Diejenigen, deren Heimweg zu weit war, übernachteten in der Synagoge. Zu ihnen gehörten auch die Familien von Menachem und Alexander. Es wurde eine lange Nacht, denn Alexander musste dem verwunderten Freund viele Fragen beantworten. Und dann war da auch noch Berenike, die Menachem mit einem besonderen Gruß bedacht hatte, indem sie ihren Schleier für einen kurzen Moment zur Seite gezogen hatte. Das Bild ihres Gesichtes mit den feinen, ausdrucksvollen Zügen ließ ihn nicht mehr los, und der Blick ihrer schönen, dunkelbraunen Augen hatte ihn tief berührt. Galt ihr Gruß wirklich ihm, dem Judäer? Die Aussprache mit seinem Onkel gestaltete sich für Menachem schwieriger als erwartet. Jakob ben Zakkai war tief besorgt über den Gesundheitszustand seiner Frau. Sie hatte sich bei dem Beben mit den Kindern zwar noch rechtzeitig nach draußen retten können, dabei aber mehrere Brüche im rechten Oberschenkel und beiden Armen erlitten und war noch immer stark behindert. Außerdem war der Onkel nicht begeistert, als er von den Plänen Menachems hörte, in Rom und Alexandria zu studieren. „Du könntest hier römisches Recht studieren. Ich könnte dir helfen, Anwalt zu werden. Ich kann dir leider auch nicht versprechen, deiner Mutter und deinen Geschwistern beiseite zu stehen. Wie lange wirst du fortbleiben? Zwei Jahre oder drei? Kannst du sicher sein, dass Porphyrios sie so lange unterstützen wird? Er ist ein Fremder, und die Gojim schätzen es nicht besonders, wenn wir Judäer zu klug werden.“ „Aber Onkel, es war schließlich sein Vorschlag, mich studieren zu lassen. Er hat mir schon so viele Dinge beigebracht, die für den Aufbau der Stadt von großer Bedeutung sind.“ Menachem spürte, dass Jakob ben Zakkai in Wahrheit noch andere Gründe haben musste, ihn von seinem Vorhaben abzubringen. Doch warum sprach er nicht darüber? Der junge Mann schied ratlos von seinem Onkel und beschloss, der Mutter erst von seiner Abreise zu erzählen, wenn sie unmittelbar bevorstand.

Die Ketzer von Antiochia

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