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Kapitel 5

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Lieutenante Giroudin stand am Steuerrad des kleinen Bootes und raste in Richtung Arcachon. Luc stand neben Anouk am Heck, neben sich die beiden toten Jungen, bedeckt mit einer Plane. Das Wasser spritzte über die Reling. Der Commissaire bemerkte, wie die beiden Gendarmen Diallo und Arnoult immer wieder zu ihnen nach hinten sahen, von dort vorne, wo sie Wache hielten. Das Ganze war ihnen schrecklich unheimlich, so schien es. Leichen an Bord, das war kein gutes Omen. Luc verstand sie.

Eben fuhren sie an den prachtvollen Villen von Pyla vorbei, feinste Bäderarchitektur, mit Türmchen und Erkern und Zinnen. Wer hier wohnte, der hatte keine Wünsche mehr.

»Es könnte so ein wunderschöner Ausflug sein«, sagte Anouk und zeigte mit der Hand auf die Küste. »Diese Luft, diese Weite und dieser Wald. Herrlich. Ich hab mich schon beinahe daran gewöhnt, immer hier zu sein.«

Luc sah sie fragend an. »Du klingst ja beinahe wehmütig. Du willst doch nicht etwa die Aquitaine verlassen? Das kann ich als Ihr Boss nicht erlauben, Mademoiselle Filipetti«, sagte er und grinste, doch sie reagierte nicht, sah ihm nicht in die Augen, fummelte stattdessen eine rote Gauloise aus der Jackentasche und zündete sie an.

Komisch, dachte Luc. Vor drei Tagen am Flughafen war sie voller Freude gewesen – was sollte sich denn geändert haben?

Eben raste das Boot an der Altstadt und der Strandpromenade von Arcachon vorbei, das prachtvolle Casino zur Rechten, dann kam die Einfahrt zum Hafen in Sicht. Lieutenante Giroudin bremste das Boot ab, und sie fuhren in die enge Rinne. Links und rechts lagen die großen Jachten und größeren Fischerboote vor Anker, dann kamen die kleinen Freizeitboote und die Flotte der Amateurfischer.

Diallo und Arnoult gingen routiniert zu Werke, als Lieutenante Giroudin das Boot passgenau an seinen Anleger manövrierte. Sie warfen die Leinen und zurrten sie an den Pollern fest.

Luc erkannte die Kamera schon von weitem. »Merde«, murmelte er und wies mit dem Kopf in die Richtung, Anouk folgte seinem Blick und sagte: »Hm, sind wir wohl nicht ganz unbemerkt geblieben.«

»Kein Wunder. Warum stehen denn da drei Gendarmerie-Karren rum. Und dann noch zwei Wagen der Police Nationale. Ich hab gesagt, die sollen kein Aufhebens machen. Verdammt.«

Er bückte sich. »Hilf mir mal.«

Anouk und Luc zuppelten die Planen so zurecht, dass nicht zu sehen war, dass zwei Leichen darunter lagen.

»Lieutenante Giroudin«, sagte der Commissaire, »warten Sie noch mit den Toten. Wir rufen den Leichenwagen erst, wenn hier entweder alles abgesperrt oder die Presse weg ist. Ich will keine News à la ›Mord auf dem Bassin‹.«

»Verstanden, Commissaire.«

Luc blickte wieder zum Quai, da hellte sich seine Miene auf. »Wartet hier, ja?«

Er sprang von Bord, wie er es als Kind immer gemacht hatte, als er die Leinen vom Boot seines Vaters festgemacht hatte. Dann ging er auf den jungen Mann zu, der lässig rauchend an einem Clio lehnte.

»Robert«, sagte er und begrüßte den Zeitungsreporter mit einem Lächeln und einer Umarmung.

»Mon commissaire«, entgegnete Robert und freute sich sichtlich über die vertrauliche Begrüßung. Doch schon wurden sie unterbrochen, als der andere Reporter, ein älterer dicker Mann mit einer Kamerafrau im Schlepptau auf sie zutrat.

»Monsieur Verlain, Commissaire«, stotterte der Dicke, »wir arbeiten für France 3 Aquitaine. Was ist passiert auf dem Bassin? Hier ist ja ganz schön viel los …«

»Wer hat Sie denn gerufen?«, fragte Luc kalt.

»Niemand. Wir haben gerade Winterbilder gedreht, hier auf dem Markt, und da haben wir all die Cops gesehen. Und so eine Kracherstory, die will ich mir nicht entgehen lassen.«

Der Mann grinste schleimig, die Glatze trotz der Kälte voll Schweiß.

»Nun, Monsieur …«

»Pic. Jean Pic. Freier Reporter für France 3.«

»Nun, Monsieur Pic, da muss ich Sie enttäuschen. Eine simple Übung. Wir haben auf dem Bassin die Zusammenarbeit von Gendarmerie und Police Nationale geprobt. Sie wissen, im Zuge der Sparmaßnahmen der République Française sind wir gezwungen, neue Kooperationen auszuprobieren. Und dazu gehören eben auch gemeinsame Trainings.«

»Aber Commissaire, all diese Wagen. Und vorhin war auch viel Blaulicht unterwegs.«

»Monsieur Pic, Sie wissen doch, wir trainieren so realistisch wie möglich.«

Der Mann sah nicht aus, als glaube er Luc auch nur ein Wort. Er überlegte, entschied sich dann aber für den Weg des geringsten Widerstandes.

»Gut, dann werden wir mal die Wetterbilder in die Redaktion fahren.«

»Tun Sie das. Und wenn es eines Tages eine echte Story gibt, dann wende ich mich ganz bestimmt an Sie.«

Lucs Stimme triefte vor Ironie, doch Monsieur Pic verstand die offenbar nicht.

»Das wäre wunderbar. Eine exklusive Story, wunderbar. Hier, nehmen Sie meine Karte.«

Luc griff danach und nahm sich vor, sie gleich in den Mülleimer zu werfen. Dann verschwand der Reporter endlich.

Robert sah Luc belustigt an. »Eine gemeinsame Übung von Gendarmerie und Police Nationale. Ehrlich? Na, da freue ich mich ja schon über die Aussage des Verteidigungsministeriums in Paris dazu, wenn ich dort nachfrage.«

Robert grinste. Natürlich war eine solch spontane Geheimübung nicht vorstellbar – nicht bei den Streitigkeiten und dem Kompetenzgerangel, das zwischen Polizei und Gendarmerie herrschte. Schließlich waren die einen Zivilisten und unterstanden dem Innenministerium, während die Gendarmen Soldaten waren und dem Verteidigungsminister gehorchten. Das hatte dem Polizeireporter der regionalen Zeitung Sud Ouest nicht entgehen können. Luc hatte Robert Dubois schon bei seinem ersten Fall in der Aquitaine kennengelernt. Beim zweiten Fall, einem Mord an einem Winzer aus Saint-Émilion, hatte der junge Mann ihm sogar entscheidende Tipps gegeben, die zur Lösung des Falles beigetragen hatten. Dafür hatte Robert die exklusive Story über den Fall bekommen. Seitdem verband die Männer eine enge Freundschaft, sie hatten im letzten halben Jahr einige Flaschen feinsten Médoc-Weines zusammen geleert, entweder am Strand vor Lucs Holzhütte in Carcans-Plage oder auf dem Marktplatz von Saint-Émilion, wo Robert wohnte.

»Was machst du hier, Robert?«

»Ich unterstütze gerade die Redaktion in Arcachon. Die haben einen riesigen Krankenstand. Und dann wollte ich vorhin eigentlich zum Apéro, weil schon Redaktionsschluss war – und dann sehe ich hier diesen Aufmarsch. Also, Monsieur le Commissaire, was ist hier los?«

Luc fuhr sich unwillkürlich durch die Haare, was er immer dann machte, wenn er einen Augenblick zum Überlegen brauchte.

»Ich will dich nicht verarschen, Robert, dafür hab ich dich zu gern. Aber ich kann es dir noch nicht sagen. Tut mir leid, aber diesmal geht es wirklich nicht.«

Robert zuckte mit den Schultern. »Gut, Luc. Dann werde ich aber ein bisschen rumfragen müssen. Ist schließlich mein Job.«

»Tu, was du nicht lassen kannst. Aber ich sag’s mal so: Wenn du ein bisschen wartest und mich erst mal meine Arbeit machen lässt, dann schreibst du die große Geschichte. Versprochen.«

»Es ist eine große Geschichte?« Roberts Augen leuchteten.

»Es ist eine große und scheußliche Geschichte.«

»Mord?«

Luc legte den Finger an den Mund, tat, als schließe er ab, dann warf er den Schlüssel weg und sah Robert ernst an.

»Gut, ich verstehe. Ich verschwinde. Und passe auch auf, dass der Schmierfink von France 3 nicht hinter der Hausecke da drüben steht und heimlich filmt. Okay? Aber dafür … Na, du weißt schon. Los Luc, such deinen Mörder.«

Damit drehte er sich um und ging winkend davon.

Was für ein kluger Typ, Luc mochte diesen Robert Dubois wirklich sehr. Er wandte sich zum Boot um und ging auf Anouk zu.

»Sie sollen noch ein paar Minuten warten, dann können sie die Leichen umladen. Sagst du das der Lieutenante?«

»Klar, Luc.«

»Und dann fahren wir zu den Eltern.«

»Ich hasse das.«

»Wer würde das nicht hassen?«

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