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Gendarmerieboot »Pherousa« im Hafen von Arcachon
Le samedi 28 novembre, 22:03
ОглавлениеVor sieben Minuten hatte sie die Yamaha-Motoren angeworfen, vor vier Minuten hatte Oberbootsmann Diallo die Leinen losgemacht, woraufhin Lieutenante Giroudin das Boot gewendet und vom Liegeplatz in Richtung Hafenausfahrt gesteuert hatte.
Sie liebte Pünktlichkeit. Wenn sie jetzt den Blick wendete, sah sie die Stege im Hafen von Arcachon nur noch schemenhaft. Die weißen Boote dagegen leuchteten durch die Dunkelheit, genau wie die Lichter im Santa Maria, dem einzigen Restaurant am Hafen, das so spät im Jahr noch geöffnet hatte. Die Lichter auf der Mole blinkten grün und rot, und sie waren Giroudin so vertraut wie die automatische Beleuchtung, die anging, wenn sie ihr blaues Gendarmerie-Motorrad auf ihr geliebtes Grundstück steuerte, so wie es nachher sein würde, in neun Stunden, wenn der Morgen langsam graute.
Doch nun war erst mal Dienstbeginn. Siebeneinhalb Stunden auf dem Bassin. Sie hatten eine Aufgabe. Sie und ihre Jungs. Da war Oberbootsmann Diallo, ein kräftiger Schwarzer, dessen Eltern aus dem Senegal stammten. Er selbst war aber in Bordeaux geboren und aufgewachsen. Ein sehr erfahrener Marinemann, der schon während der Einsätze in Mali und am Horn von Afrika für Frankreich zur See gefahren war. Neben ihm am Heck stand Bootsmann Arnoult. Er war in Dieppe aufgewachsen, im Norden Frankreichs. Ein junger Gendarm mit dunklen kurzen Haaren, der viel schwieg und noch mehr anpackte. Es war seine erste Station bei der Gendarmerie. Das war wirklich besonders an der französischen Armeeeinheit: Ihre Mitglieder kamen aus allen Ecken des Landes.
Giroudin würde Arnoult ohne zu zögern ihr Boot anvertrauen. Genau wie Diallo. Doch ihr Arbeitsplatz war nicht mehr so gefährlich wie einst, als sie während ihres Einsatzes in Libyen auf einem Flugzeugträger nahe der Küste diente und nie so recht wusste, welcher Stamm gerade die Oberhand hatte und sie als Nächstes beschießen würde. Statt Krieg zu führen, tat sie nun etwas ungleich Wichtigeres – obwohl ihr klar war, dass Menschen im Ausland sie wohl nicht verstehen, geschweige denn diesen Dienst als etwas Wichtiges begreifen würden.
Aber das war er. Sie bewachte ein französisches Kulturgut. Hier draußen auf dem Bassin d’Arcachon. Nein, keine Kunstwerke. Oder altertümliche Statuen. Sondern ganz lebendiges Kulturgut. Die Austern des Bassins. Die zu Weihnachten bei Millionen von Franzosen auf dem Tisch erwartet wurden. Als traditionellster Bestandteil des Menüs.
Früher war die Zeit der Austern von September bis April gewesen, im Sommer gab es wegen der Kühlprobleme keine Meeresfrüchte. Doch auch wenn die Regel, wonach Austern nur in Monaten mit R im Namen gegessen werden dürfen, längst überholt war – immer noch war die Zeit rund um Weihnachten die unangefochtene Austern-Hochzeit. Und es oblag Lieutenante Giroudin und ihren zwei Männern, dass das so bleiben konnte. Es war keine Übertreibung, dass sie die Last dieser Aufgabe auf ihren Schultern spürte. Vorherige Kriegseinsätze hin oder her.
Sie stand in der kleinen Kabine und steuerte das Boot so schnurstracks und wendig, als wäre es draußen taghell – und nicht stockfinster. Denn sie kannte diese 155 Quadratkilometer sozusagen wie ihre Badewanne, wusste, wo die Untiefen waren und die Priele, wo die Vogelschutzinsel lag und wo sich die Zuchtbecken für die Austern befanden. Und genau dorthin steuerte sie jetzt. Wie es schien, war das Bassin menschenleer, bis auf ihr kleines weißes Boot mit der blauen Aufschrift Gendarmerie.