Читать книгу Winteraustern - Alexander Oetker - Страница 7
Flughafen Bordeaux-Mérignac, Rollfeld
Le dimanche 29 novembre, 8:42
ОглавлениеAls er die Gangway herunterkam, erlöste ihn die Wintersonne. In Paris war er unter einem wolkenverhangenen Himmel gestartet, einem Himmel, der ausgesehen hatte, als würde er die Hauptstadt gleich verschlingen wollen.
Der Regen hatte auf der Fensterscheibe dicke Schlieren hinterlassen. Von Orly aus hatte der Airbus einen Bogen über Paris gemacht, die prachtvollen Boulevards der Haussmann-Ära hatten trüb und eintönig dagelegen.
Nun spürte Luc die Sonne im Gesicht, sie wärmte seine Haut, und er schloss die Augen, als er vor der Air-France-Maschine stand. Kurz nur, dann ging er rasch die paar Meter bis zum Terminal des Aéroport Bordeaux-Mérignac. So überstürzt wie die Abreise gewesen war, hatte er keinen Koffer dabei, nur die große braune Ledertasche, die er früher immer für Wochenendreisen mit Delphine benutzt hatte. Aufs Gepäck warten entfiel also.
Noch wenige Meter, eine Rolltreppe nach oben und dann immer in Richtung Sortie, die Schiebetür öffnete sich – und da stand sie. Er beschleunigte seinen Schritt, und schon fiel sie ihm um den Hals, er ließ die Tasche zu Boden fallen, hob Anouk leicht an, sodass ihre Fußspitzen nur noch knapp den Boden berührten. Dann spürte er ihre Lippen auf seinen – der Rest war pure Freude. Endlich die Wärme, die er so herbeigesehnt hatte.
Es waren schreckliche Wochen gewesen. Sie hatten ihn noch am Freitagabend angerufen. Als die Explosionen vor dem Stade de France zu hören waren, dort und in allen Wohnzimmern und Kneipen, in die das Fußballspiel übertragen worden war, das bis dahin weit entfernt von Anouk und Luc stattgefunden hatte. Sie hatten längst auf Anouks Bett in der kleinen Wohnung am Place Canteloup gelegen.
Als der Anruf kam, war noch nicht klar, wie schlimm die Nacht ausgehen würde. Der Einsatzleiter am Quai des Orfèvres hatte offenbar eine Vorahnung. Er ließ die höchste Terrorwarnstufe ausrufen und trommelte seine besten Leute zusammen. Auch die, die in alle Winde verstreut waren. Luc war ans Telefon gegangen – und was er hörte, war keine Bitte: In dreißig Minuten würde eine kleine Maschine der Flugbereitschaft der Armée de l’Air, der französischen Luftwaffe, in Mérignac warten. Und zwar nur auf ihn.
Luc hatte nichts erklären müssen, sie stand schon an der Tür, um ihn zu verabschieden, weil sie während seines Telefonats die Nachrichten gecheckt hatte. Er war im Taxi zum Flughafen gerast, und als er in Mérignac ankam, war klar, dass auch im Musikclub Bataclan irgendetwas vor sich ging. »Geiselnahme« hieß es beim Radiosender France Inter, mehr sollte er erst in Paris erfahren. Eine Stunde und fünfzehn Minuten später landete Luc in Orly, da waren bereits fünfzehn Tote bekannt. Und dann begannen drei Wochen im Ausnahmezustand. Mit der unmittelbaren Tatortarbeit und mit aufreibenden Ermittlungen in Paris und bis hinauf nach Belgien. All die Toten, all die Verletzten, dieser entsetzliche Terror.
Und nun umarmte ihn Anouk, hielt ihn ganz fest. Natürlich war sie zum Flughafen gekommen, um ihn abzuholen. Nach diesem langen Monat des Vermissens und des Begehrens.