Читать книгу DIE SIEBTE SÄULE (Project 3) - Alex Lukeman - Страница 10
Kapitel 5
ОглавлениеCarter und Selena verließen das PROJECT und fuhren zurück in die Innenstadt. Sie hatten einen neuen Mercedes bekommen, um den zu ersetzen, den die Chinesen zusammengeschossen hatten. Ein Coupe. Schnell, burgunderrot, beinahe die Farbe von Blut. Innen hatte der Wagen eine Lederausstattung, komfortabel und warm. Draußen hatte es zu schneien begonnen. Das Wispern der Wischerblätter und das leise Hintergrundgeräusch der Klimaanlage konnten Selenas ohrenbetäubendes Schweigen nicht übertönen. Nick behielt diese Erkenntnis für sich. Als sie schließlich etwas sagte, klang ihre Stimme angespannt. »Warum glaubst du, dass ich nicht selbst auf mich aufpassen kann?«
»Das denke ich gar nicht.«
»Doch, tust du. Du hast mich da drinnen als Anfängerin bezeichnet.«
»Weil du noch ganz am Anfang stehst. Afrika ist ein einziges Chaos. Dort kann praktisch alles passieren. Du weißt nicht, wie es ist, dort draußen als Agent zu operieren. Du musst davon ausgehen, dass jeder dich umbringen will.«
»In Tibet haben sie sich redlich bemüht.«
»Das war etwas anderes. Ronnie und ich haben Erfahrung mit verdeckten Operationen und es war diese Art von Mission. Genau wie Argentinien. Da hast du dich gut geschlagen, sehr gut sogar. Aber Undercover-Ermittlungen sind etwas anderes. Damit hast du noch keine Erfahrungen.«
»Du vergisst, dass meine Forschungen mich immer wieder an gefährliche Orte führten, ohne dass ich dabei verletzt wurde. Auch nach Afrika.«
»Hör mal, da draußen kannst du niemandem vertrauen. Du kannst dich nicht darauf verlassen, dass die Dinge so sind, wie sie scheinen. Du musst immer auf der Hut sein. Du musst alles mit anderen Augen sehen, auf eine verborgene Geste oder ein falsches Wort achten. Auf ein verborgenes Messer. Du musst immer davon ausgehen, dass jemand dir auf den Fersen ist, selbst wenn alles ruhig aussieht.«
»Es ist doch nur eine Bibliothek.«
»Eine Bibliothek in einem muslimischen Land voller Terroristen, in der wir nach Hinweisen über eine Gruppe terroristischer Attentäter suchen wollen. Wenn es dort etwas zu finden gibt, dann wissen die es auch. Denkst du, dass sie einen solchen Ort nicht im Auge behalten? Du musst mit so etwas rechnen, denn wenn du es nicht tust, könntest du draufgehen.«
Selena wurde wütend. Nick erkannte die Vorzeichen. »Warum denkst du, dass ich darauf nicht von allein gekommen wäre?«
Carter spürte, wie seine eigenen Züge sich verhärteten, wie sein Blutdruck stieg. »Verdammt, Selena, darum geht es doch gar nicht. Wie ich schon sagte, es ist das erste Mal für dich. Du denkst, du weißt alles, aber das tust du eben nicht.«
»Doch nur ein dummes Weibchen, nicht wahr?«
»Verdammt nochmal …«
Sie waren nur noch ein paar Blocks von Nicks Apartment in D.C. entfernt. Selena bremste energisch und brachte den Wagen zum Stehen. »Ich denke, von hier aus findest du allein nach Hause.«
Nick stieg aus und knallte die Tür hinter sich zu. Selena raste mit durchdrehenden Reifen in einer Wolke aus Schnee und Tauwasser davon. Der Pförtner sah nur einmal hoch, als Nick hereinkam und steckte den Kopf dann wieder in seine Zeitung. Nick grummelte vor sich hin, während der Aufzug nach oben fuhr. Er schloss die Wohnungstür auf und ging auf direktem Weg zur Bar. Dort schenkte er sich einen doppelten Irish Whisky ein und stürzte ihn in einem Zug hinunter. Er stellte sich ans Fenster, sah ins Schneetreiben hinaus und wartete darauf, dass der Whisky seine Arbeit tat.
Was zum Teufel war nur mit den Frauen los? Es war doch ganz einfach. Er wusste, was er tat und sie eben nicht. Warum konnte sie das nicht einsehen? Er wollte ihr doch nur helfen und sie nicht kritisieren. Er musste ihr das irgendwie klarmachen, bevor sie nach Mali gingen. Es war immer schwierig, das Geschäftliche und das Private auseinanderzuhalten. Als ihr Boss konnte er nicht zulassen, dass sie seine Anweisungen ignorierte. Es konnte ihre ganze Mission scheitern lassen. Und als ihr Liebhaber war er einfach nur angefressen. Er schenkte sich noch einen Whisky ein, dachte darüber nach, etwas zu essen, aber sein Magen war wie zugeschnürt. Er stand auf und machte die Musik an. Miles Davis. Er mochte Davis und Coltrane, Horace Silver und John Desmond.
Carter lehnte sich in seinem Sessel zurück und nippte an dem Whisky. Verdammt, er war nicht mal nahe dran, die Frauen in seinem Leben zu verstehen. Außer Megan. Megan war anders. Aber Megan war tot. Er sah auf das Bild, das vor ein paar Monaten von seiner Mutter, seiner Schwester Shelley und ihm gemacht worden war. Seine Mutter blickte abwesend und seine Schwester sah aus, als habe sie etwas Falsches gegessen. Er musste an seine Mutter denken. Sie hatte Alzheimer und es ging schnell mit ihr bergab. Vor ein paar Wochen hatte er einen schlimmen Streit mit Shelley und ihrem Arschloch von Ehemann gehabt. Sie wollten sie in ein Heim stecken und ihr Haus verkaufen. Bestes Bauland in Palo Alto. Sie konnten es gar nicht erwarten, an das Geld zu kommen, doch ohne ihn ging das nicht. Stattdessen hatten sie einer Vollzeitpflegekraft vor Ort zustimmen müssen. Carter konnte es sich jetzt leisten. Wenigstens hatte Shelley aufgehört, ihn wegen seiner Arbeit zu löchern. Jetzt, wo sie wusste, dass er nicht nur irgendein Sesselfurzer in Washington war. Nach Jerusalem war es unmöglich gewesen, sie weiter im Dunkeln zu lassen. Sie wusste nicht genau, was er tat, aber Schreibtischtäter tauchten nicht auf CNN auf, trugen Waffen und sprachen mit dem Präsidenten. Doch Waffen hin oder her, sie verteidigte weiterhin ihren Vater. Und sie spielte sich Nick gegenüber immer noch als große Schwester auf. Sie war eine Nervensäge. Er wünschte, sie hätten ein besseres Verhältnis. Noch so ein Frauenproblem. Carter war es leid, darüber nachzudenken.
Er stand auf, öffnete den Kühlschrank, fand Reste vom Chinesen und aß sie, ohne sie aufzuwärmen. Er schenkte sich noch einen Whisky ein, sank in seinen Sessel und versuchte etwas zu lesen. Die Worte verschwammen vor seinen Augen. Zum Teufel mit allem. Er war seit drei Uhr morgens auf den Beinen. Er zog sich aus und legte sich ins Bett … und träumte den Traum.
Das Echo der Rotorengeräusche hallt von der anderen Seite des Tals wider. Das Dorf ist wieder da, dieselbe staubige Ansammlung armseliger Hütten. Es ist heiß im gleißenden Sonnenlicht Afghanistans, das durch die scharfkantige Hügelkette fällt, die es umgibt. Eine einzelne, unbefestigte Straße führt hindurch. Wie gewohnt springt er aus dem Helikopter und rennt die Straße hinunter. Wie gewöhnlich hat er das M4 im Anschlag, seine Marines sind direkt hinter ihm. Die Hütten reihen sich auf beiden Seiten der Straße auf. Zu seiner Linken ist ein Marktplatz, einfache Stände mit Stoffwänden. Über dem Stand des Metzgers ballt sich eine Wolke von Fliegen. Dann steht er mitten auf dem Marktplatz. Er kann seinen eigenen Schweiß riechen, den Geruch der Furcht darin. Er hält sich von den Stoffwänden fern. Irgendwo schreit ein Kleinkind. Die Straße ist verlassen. Auf den Dächern erscheinen Männer und beginnen auf ihn zu schießen. Die Marktstände verwandeln sich in flammende Trümmer, Mörtel und Steinsplitter regnen von den umstehenden Gebäuden. Ein Kleinkind läuft auf ihn zu, ruft etwas von Allah. Es hat eine Granate. Carter zögert. Der Junge hebt seinen Arm und wirft, als Nick auf ihn schießt. Der Schädel des Jungen verschwindet in einer Fontäne aus Blut und Knochen. Die Granate fliegt wie in Zeitlupe durch die Luft … dann wird alles grellweiß …
Carter erwachte schreiend und schweißnass. Die Granatsplitter haben Narben auf seinem Körper hinterlassen. Und in seinem Verstand haben sie unsichtbare Narben hinterlassen, die man nicht so einfach erkennen konnte. Die Flashbacks kamen nicht mehr so oft wie früher, außer wenn er schlief. Er stand auf und wankte nackt ins Bad. Er duschte, rasierte sich, zog sich an und machte Kaffee.
Er hasste diesen Traum. Er hasste es, dieses Kind getötet zu haben. Es half nicht, sich einzureden, dass es nur Selbstverteidigung gewesen war und dass im Krieg schlimme Dinge geschahen. Es brachte nichts, wenn er sich einredete, dass er keine Wahl gehabt hatte. Carter war nicht gläubig. Er glaubte nicht daran, dass er für die Taten in seinem Leben Trost in den Worten von Menschen finden konnte, selbst wenn diese angeblich von Gott gesegnet waren. Das war doch genau das, was auch die Jihadisten glaubten. Und was kam dabei heraus? So etwas wie Erlösung gab es nicht, außer man fand sie in sich selbst. Wenn sie auch in ihm steckte, dann hatte er sie noch nicht gefunden. In der Zwischenzeit versuchte er, jene Menschen aufzuhalten, die Kinder mit Granaten in der Hand losschickten. Einen Terroristen nach dem anderen. Vielleicht lag darin seine Erlösung. Er wartete auf den Morgen. Sein Telefon klingelte.
»Ja?«
»Ich bin's.«
Er wusste nicht, was er sagen sollte. »Wo bist du?«
»Im Hotel.« Selena hatte noch immer eine Hotelsuite im Mayflower. Keiner von ihnen war jetzt schon bereit, für immer zusammenzuziehen. Vielleicht würden sie das auch nie.
»Tut mir leid wegen vorhin«, sagte sie. »Ich glaube, ich bin zurzeit ziemlich unter Druck.«
»Ich versuche nicht, dir vorzuschreiben, wie du dein Leben führen solltest.«
»Ich weiß.«
»Ich mache mir Sorgen um dich. Ich will nicht, dass du draufgehst. Vielleicht nehme ich dich zu hart ran.«
»Ist das eine Entschuldigung? Wir wussten doch, dass es dazu kommen würde. Ist nicht das erste Mal. Ich weiß, worauf ich mich eingelassen habe. Und ich weiß auch, dass ich noch viel lernen muss. Ich bin nicht dumm.«
»Du bist alles andere als dumm.«
»Dann behandle mich auch so.«
»Du musst …« Er verstummte und begann von Neuem. »Es ist wichtig, dass du es nicht in die falsche Kehle bekommst, wenn ich dir eine Anweisung erteile. Ich mache das jetzt schon eine ganze Weile. Ich muss dich wie jeden anderen Neuling behandeln. Daran ändert auch nicht, dass wir uns verliebt haben.«
»Was soll das heißen, Nick? Sind wir jetzt verliebt, weil wir miteinander schlafen?«
»Ich denke schon.«
»Vielleicht ist es mehr als das.« Sie legte auf.