Читать книгу DIE SIEBTE SÄULE (Project 3) - Alex Lukeman - Страница 19
Kapitel 14
ОглавлениеAuf dem Treppenabsatz wartete Carter auf Harmon. Das Hotel de Colombe lag direkt an Timbuktus Variante des Times Square. Zwei breite Straßen aus festgebackenem Sand formten ein Y und rahmten den ungepflasterten Platz vor dem Hotel ein. Mehrere hohe Bäume wuchsen in dem Dreieck zwischen den Straßen. Flachdachhäuser und Ladenzeilen aus Lehmziegeln reihten sich an den Seiten auf. Eine magere Kuh stand reglos und mit hängendem Kopf mitten auf der Straße. Eine lange Reihe Holzpfosten, die sich in der Ferne verloren, trugen ein einzelnes Stromkabel. Kleine Staubteufel tanzten in der Morgenhitze. Die Sonne brannte auf seinen Kopf herunter. Ein großer, hagerer Mann in einem dunkelbraunen Kaftan und mit weißer Kufi stand wie verzaubert bei einem Haufen Lehmziegel an der Kreuzung. Ein Stück die Straße hinunter lehnte sich ein alter Mercedes schwer in seine durchgeschlagene Federung. Eine echt belebte Gegend. Ein zerbeulter weißer Peugeot hoppelte auf das Hotel zu, eine Staubwolke hinter sich herziehend. Er hielt vor ihm an. Ein junger, dunkelhäutiger Mann stieg aus dem Wagen und lächelte ihn an. Er trug einen langen Kaftan und eine einfache Kopfbedeckung. Carter ging die Treppe hinunter, als Harmon ausstieg.
»Wo ist Ihre Freundin?«
»Sie kommt nicht mit.«
»Das ist Moussa.« Harmon zeigte auf den Fahrer. »Moussa, das ist der Mann, der das Flugzeug deines Onkels mieten möchte.«
»Mein Onkel wird sehr glücklich sein.« Moussas Stimme war tief und freundlich.
Sie zwängten sich gemeinsam in das Auto. Moussa legte den Gang ein. Aus seinem Lächeln wurde ein Grinsen, sein Blick war starr auf die Straße gerichtet. Er sah aus wie ein Kamikaze-Pilot. Sie rasten durch die Stadt, über Schlaglöcher hinweg, um freilaufende Tiere herum und wichen einem wütenden Polizisten aus, der seinen Schlagstock nach ihnen warf. Zwanzig Minuten später hielten sie vor einem großen, dreistöckigen Lehmziegelbau am Rande der Wüste. Alle Ziegel waren mit einem einfachen, geometrischen Muster verziert, welches über das Mauerwerk mäanderte.
Carters verkrampfte Hände lösten sich von dem Sitz, an den er sich geklammert hatte. Die Vordertür des Gebäudes war aus verwittertem Holz und mit einer komplexen Anordnung von Metallbändern verziert. Ein eindrucksvoller, polierter Messingring diente als Türklopfer. Moussa klopfte an, öffnete die Tür für sie und verbeugte sich, als sie eintraten. Im Inneren war es kühl und dunkel. Sie befanden sich in einem Vorraum mit niedrigen Bänken, Kissen und einem kleinen Holztisch. Schwere Vorhänge aus tiefrotem Stoff trennten ihn vom hinteren Teil des Hauses. Die Vorhänge teilten sich für einen kleinen, dunkelhäutigen Mann, den Carter auf etwa siebzig schätzte. Sein Gesicht war wie die Borke eines knorrigen Baumes. Er hatte kurzgeschnittenes, graues Haar unter einer hellen Kufi. Sein Bart war ordentlich gepflegt, seine Augen jedoch waren milchig weiß. Carter blickte auf seine Hände. Kräftige Finger mit dicken, kurz geschnittenen Nägeln, die Knöchel vernarbt und von Arthritis gezeichnet. Die Hände eines alten Mechanikers.
»Salaam Aleikum, Onkel.«
»Aleikum Salaam, Neffe. Du hast deine neuen Freunde mitgebracht?« Er sprach Englisch mit einem starken Akzent.
»Ja, Onkel.« Moussa stellte sie vor.
»Ich würde mir das Flugzeug gern ansehen«, sagte Carter.
Moussas Onkel blickte einen Moment lang in die Ferne, während der Jüngere auf den Boden starrte.
»Natürlich. Bitte folgen Sie mir.« Ibrahim verschwand hinter dem Vorhang.
»Das war unhöflich«, flüsterte Harmon ihm zu.
»Wieso das?«
»Niemand beginnt hier ein Gespräch mit dem eigentlichen Geschäft«, erklärte er. »Erst plaudert man bei Tee oder Kaffee. Dann kommt man zum Geschäftlichen.« Sie gingen durch den Vorhang und betraten einen kleinen, offenen Innenhof. Wasser plätscherte in ein kleines, gekacheltes Becken, das von roten Blumen eingerahmt war. In drei Richtungen zweigten Türen ab. Moussa und Ibrahim warteten auf sie. Carter ging zu dem alten Mann hinüber.
»Bitte verzeihen Sie meine schlechten Manieren«, sagte er. »Ich kenne Ihre Bräuche nicht. Danke für die Einladung in Ihr Heim.«
Ibrahim entspannte sich sichtlich. Er berührte seine Brust mit der rechten Hand. »Kein Grund, sich zu entschuldigen. Mein Haus ist Ihr Haus. Vielleicht etwas Tee, bevor wir das Flugzeug besichtigen?«
Harmon warf ihm einen warnenden Blick zu. »Wir wären geehrt«, antwortete Carter.
Nach einer halben Stunde bei süßem Minztee und Small Talk gingen sie durch eine weitere Tür in einen großen, höhlenartigen Raum auf der Rückseite des Gebäudes. Die beiden großen Flügeltüren, die nach draußen führten, standen offen. Das Flugzeug war nur ein dunkler Umriss im gleißenden Sonnenlicht. Harmons Blick wanderte über die unverkennbare Form der freitragenden Flügel.
»Hol mich der Teufel. Es ist eine Mousquetaire.«
»Mausketier? Was ist das denn?«, fragte Carter.
»Mousquetaire. Das bedeutet Musketier auf französisch. Es ist eine Jodel D-140, komplett aus Holz gebaut. Die wurden in den Sechzigern und Siebzigern als fliegende Lazarette genutzt. Kommen mit einer kurzen Startbahn aus. Vier bis fünf Sitze und ein ziemlich ordentlicher Laderaum. Ich kenne einen Kerl in den Staaten, der so eine restauriert hat. Bin sie mal geflogen. Gutes Flugzeug. Perfekt für die Wüste.«
Ibrahim nickte erfreut. Die französische Militärkennung war überpinselt worden, aber noch erkennbar. Das feststehende Landefahrwerk war für die Wüste modifiziert worden: Die Räder waren größer und die Radkästen waren entfernt worden. Dadurch war es möglich, auf Sandpisten zu landen. Sie gingen um das Flugzeug herum. Die Reifen waren alt, verwittert und voller Trockenfäule. Sie hielten noch die Luft, aber es wäre lebensgefährlich, mit ihnen zu starten oder zu landen. Das große Buckelcockpit reflektierte den Sand in allen Facetten. Das Flugzeug war einmal weiß gewesen, doch mittlerweile war der Anstrich fadenscheinig und verblasst und begann an einigen Stellen abzublättern. Harmon öffnete das Cockpitdach. Die Kabine wirkte sauber und aufgeräumt. Das Leder der Sitze war rissig und matt. Im Laderaum war eine aufgerollte Trage über einer rechteckigen Kiste mit Rotkreuzmarkierung befestigt. Eine Feldapotheke, aber mindestens vierzig Jahre alt. Harmon öffnete sie. Leer.
»Sehen wir uns den Motor an.«
Der alte Mann sagte etwas auf Arabisch und Moussa ging auf die andere Seite des Hangars, um eine hölzerne Arbeitsbühne zum Flugzeug zu rollen. Carter half ihm und sie stellten sie neben der Maschine auf. Harmon kletterte hinauf und öffnete die Abdeckung. Der vierzylindrige Lycoming hatte keine Leckagen, soweit er sehen konnte. Jemand hatte eine Menge Arbeit hineingesteckt. Ibrahim, der blinde Mechaniker.
Ibrahim seufzte. »Es ist ein altes Flugzeug, aber der Motor ist in Ordnung. Ein bisschen müde vielleicht, aber in Ordnung. Die Steuerung ist noch präzise, obwohl ich die Maschine nie geflogen bin.« Es lag ein Hauch von Traurigkeit in der Stimme des alten Mannes. »Sie gehörte einem Franzosen, der vor Jahren hier ein Geschäft besaß. Ich habe sie für ihn gewartet. Wir sind oft gemeinsam über die Wüste geflogen. Als er starb, vermachte er sie mir. Seit zwanzig Jahren hat sie keiner mehr geflogen, aber ich habe sie in Schuss gehalten.«
Zwanzig Jahre. Eine lange Zeit. Harmon dachte an die 500 Dollar pro Tag. »Werfen wir sie an«, sagte er.
Der alte Mann kletterte mit geübter Leichtigkeit ins Cockpit. Er würde nie eine Maschine fliegen, aber er wusste, was er tat. Nick hörte das Pfeifen der Benzinpumpen. Dreißig Sekunden später krächzte der Anlasser und der Motor erwachte zum Leben. Der Luftstrom des Holzpropellers wirbelte Staub im Hangar auf. Nach einer kleinen Wolke aus schwarzem und weißem Rauch pendelte sich der Motor bei einem steten, kehligen Leerlaufgeräusch ein. Ibrahim betätigte die Pedale und den Steuerknüppel. Alles bewegte sich so, wie es sollte. Harmon verbrachte die nächste halbe Stunde damit, die Maschine zu checken. Das trockene Klima hatte das Flugzeug konserviert. Abgesehen von den Reifen war es flugtauglich. Aber ohne einen Probeflug konnten sie das nicht sicher sagen.
»Also?«, fragte Carter. »Was denken Sie?«
»Die Reifen taugen nichts. Wir brauchen neue. Die werden wir in Bamako bestellen müssen. Dauert ein bis zwei Tage. Ich werde etwa 1000 Euro brauchen.«
Carter musste nicht lange nachdenken. »Dann bestellen Sie mal die Reifen.«