Читать книгу Schwertmeister der Magie: Drei Fantasy Sagas auf 2500 Seiten - Alfred Bekker - Страница 27

Kapitel 9: Steine

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Es war bereits Nacht, und der Mond stand hoch am Himmel, als sie die Lichtung mit dem Tempel der alten Götter erreichten.

„Ich sehe keinen Tempel“, gestand Beliak.

„Das geht jedem so“, erwiderte Gorian. „Genau aus diesem Grund wählte mein Vater diesen Platz als Versteck für Sternenklinge und Schattenstich.“

„Ein eigenartiger Ort ...“

„Du musst lernen, auf besondere Weise zu sehen, dann wirst du auch den Tempel erblicken.“

„Und was ist mit den Frostkriegern? Können sie nicht auch lernen, auf diese besondere Weise zu sehen?“

„Mein Vater hätte die Schwerter hier nicht aufbewahrt, wären sie an diesem Ort nicht absolut sicher gewesen“, widersprach Gorian. „Schließlich wusste er, dass diese Waffen auf keinen Fall Morygor in die Hände fallen dürfen.“

Der Adh feixte. „Ich erkenne mein eigenes Argument, mit dem ich dich hierher gelockt habe. Jetzt benutzt du es gegen mich.“

„Weil du auf einmal eben jene Zweifel äußerst, die du zuvor bei mir zerstreut hast.“ Gorian grinste zurück. „Konzentrier dich einfach, dann wirst du den Tempel sehen.“

„Umgekehrt hast du die Wassergeister auch nicht sehen können“, gab Beliak zu bedenken. „Vielleicht unterscheiden sich Menschen und Adhe gar nicht so sehr durch ihre Magie voneinander, sondern durch die grundverschiedene Natur ihrer Augen.“

Gorian winkte ab, dann ging er ein paar Schritte vor. Für ihn war das Säulenportal des Tempels deutlich zu sehen. Auf der unbewachsenen, zuvor leeren Fläche inmitten der Lichtung war vor seinen Augen längst die Ruine dieser uralten heiligen Stätte aufgetaucht, und Gorian fröstelte bei dem Gedanken, wie nahe er auch dem Grab des Gargoyle war.

„Führe mich“, sagte Beliak. „Ich werde wie ein Blinder neben dir herlaufen müssen, und du musst mir den Weg weisen.“

„Vielleicht hilft dir dies.“ Gorian bedeckte mit den Händen die Augen des Adh und sagte jene Worte in alt-nemorischer Sprache zu ihm, die sein Vater gesprochen hatte, als er ihn zum ersten Mal an diesen Ort mitgenommen hatte. Aber entweder war Gorians Magie nicht stark genug, um die Formel wirken zu lassen, oder der Zauber, mit dem dieser Ort belegt war, hatte sich verändert. Oder die Formel wirkte einfach nicht bei einem Adh. Die Magie der Menschen und des gnomenhaften Volkes, dessen Angehörige aus der Tiefe der Erde geboren wurden, unterschied sich tatsächlich sehr voneinander.

„Siehst du wenigstens die freie Fläche auf der Lichtung, wo kein Gras wächst?“, fragte Gorian.

„Tut mir leid, ich sehe nur eine feuchte Wiese, auf der man wahrscheinlich genau darauf achten muss, nicht in die Hinterlassenschaften von Großelchen zu treten.“

„Die Magie von Menschen und Adhen scheint noch unterschiedlicher zu sein, als ich dachte“, murmelte Gorian.

„Also ich habe mich über diesen Punkt niemals irgendwelchen Illusionen hingegeben ...“

Großelche waren zum ersten Mal in Thisilien gesichtet worden, als Gorians Großvater das hundertste Jahr erreichte. Meister Erian hatte darin ein Zeichen des Unheils gesehen, und tatsächlich hatte sich durch den Schattenbringer das Frostreich immer weiter ausgebreitet, und Tiere und Pflanzen, die zuvor nur sehr weit im Norden anzutreffen gewesen waren, waren seine Vorboten.

Die Bauern der Umgebung jedoch hatten die teils miserablen Ernten mit der Jagd auf dieses Wild ausgleichen können und dem Verborgenen Gott in dessen Tempeln dafür gedankt. Was dies in Wirklichkeit für das Land bedeutete, wollte niemand wahrhaben; Meister Erians Ansicht, wonach die Gnade des Verborgenen Gottes in diesem Fall in einer Warnung und nicht in der Lieferung von leicht erjagbarem Fleisch bestand, hatte niemand ernst nehmen wollen.

––––––––




Gorian führte Beliak durch das Tempelportal mit den Säulen. Das magische Kraftfeld, das schon vor sechs Jahren bestanden hatte, war immer noch vorhanden, und Gorians Dolch leuchtete auf ähnliche Weise auf wie damals Sternenklinge und Schattenstich.

Für einen Augenblick umflorte das Licht auch die beiden Gefährten, und erst dann konnte auch der Adh das Gebäude erblicken. Er schreckte regelrecht zusammen, als er die Mauern des Tempels plötzlich vor und neben sich aufragen sah.

„Bei allen Helden der Adhe und allen orxanischen Schurken, die sie erschlugen!“, entfuhr es ihm. „Das ist in der Tat eine Tarnung, die nur schwer zu durchschauen ist. Oder hast du mit irgendeiner Magie nachgeholfen, ohne dass ich davon etwas bemerkt hätte?“

„Es kommt darauf an, richtig zu sehen“, wiederholte sich Gorian, doch dann gab er zu: „Und ja, ich habe gerade eine Formel gemurmelt, die mir mein Vater vor einem halben Jahr verriet und die nur stumm angewendet werden darf. Nur dadurch können wir diesen Ort betreten.“

Gorian erinnerte sich noch genau daran, wie ihn sein Vater in der Anwendung dieses Zaubers unterwiesen hatte. Es war erst geschehen, nachdem Gorian ihn immer wieder dahingehend gedrängt hatte, zunächst jedoch ohne Erfolg – und im Nachhinein verstand Gorian auch den Grund für Nhorichs Zögern: Er hatte offenbar gefürchtet, Gorian würde irgendwann zum Tempel zurückkehren, weil ihn der Gargoyle dazu verführte.

„Eines Tages wirst du stark genug für dieses Wissen sein“, war Nhorichs monotone Antwort auf Gorians Drängen gewesen, doch schließlich war der ehemalige Schwertmeister offenbar zu dem Schluss gelangt, es nun wagen zu können, seinem Sohn den Zauber zu verraten. Vielleicht war ihm auch nicht verborgen geblieben, wie intensiv Gorian in den Schriften über die Magie der Alten Götter las, aus denen auch er selbst sein Wissen über den Tempel und die ihm innewohnenden Mächte erlangt hatte. „Versprich mir, niemals nur aus reiner Neugier dorthin zurückzukehren. Es ist ein Ort, um sich selbst zu verstecken oder Gegenstände wie Sternenklinge und Schattenstich, die für längere Zeit verborgen bleiben sollen.“

Oder die steinernen Bruchstücke eines Gargoyle, ergänzte Gorian die in der Erinnerung nachklingenden Worte seines Vaters.

Doch Ar-Don hatte Nhorich nicht erwähnt, und vermutlich war die Tatsache, dass sich das Grab des Gargoyle ganz in der Nähe des Tempels befand, der eigentliche Grund für ihn gewesen, seinem Sohn zunächst das Wissen vorzuenthalten, das es ihm ermöglichte, diesen Ort zu betreten. Erst vor einem halbe Jahr hatte er Gorian offenbar die nötige innere Stärke zugetraut, den Einflüsterungen dieser Kreatur zu widerstehen.

„Nie waren wir uns näher“, wisperte deren Stimme in Gorians Gedanken, und tatsächlich fühlte dieser auf einmal eine große Kraft in sich. „Es wäre so leicht für dich, den Bann zu lösen. Du müsstest nur die kleinen magischen Hürden überwinden, die dein Vater errichtete, damit ich niemals gefunden werde. Nur ein paar Schritte ...“

„Nein!“

Gorians Gedanke hatte fast schon die Intensität eines Kraftschreis, obwohl seine Lippen fest aufeinander gepresst blieben und ihm nicht ein einziger Laut entfuhr.

Der Gargoyle verstummte.

Beliak und Gorian traten in den Hauptraum des Tempels. Durch die Löcher im Dach der Ruine fiel Mondlicht, und dies auf eine Weise, dass Gorian der Gedanke kam, diese Öffnungen seien keineswegs zufällig entstanden und nicht Ergebnis eines allmählichen Zerfallsprozesses, sondern ihre Anordnung wäre mit Bedacht gewählt worden, damit der Mondschein in bestimmten Nächten genau auf diese besondere Art eingefangen wurde.

Die Strahlen fielen durch die Öffnungen, nahmen dabei einen bläulichen Schimmer an, was wohl durch das magische Kraftfeld bedingt war, das den gesamten Bau umschloss, und wurden dadurch anscheinend deutlich verstärkt. Zudem trafen sich die Strahlen in der Mitte des Raumes, an einem Punkt auf dem quaderförmigen Altar, in dessen Inneren Nhorich einst die Schwerter Sternenklinge und Schattenstich verborgen hatte.

Was mochte dort noch sein?, überlegte Gorian. Dinge, von deren Existenz sein Vater vielleicht nur eine vage Ahnung gehabt hatte. Dinge, die seit der Zeit, als man die Alten Götter verehrte, hier schlummerten ...

Als Beliak gedankenlos durch einen der Lichtstrahlen schritt, sprang er aufschreiend zurück. „Verfluchter Dämon des größten Schmerzes, was ist das denn?“, entfuhr es ihm. „Ich dachte, das wären einfache Lichtstrahlen, aber sie sind heißer als die Glut des Tiefen-Untererdreichs, aus dem meine Urahnen einst auszogen, da es ihnen dort zu ungemütlich wurde.“

Gorian vernahm die Worte des Gnomen kaum; er war zu sehr in seinen Gedanken und Erinnerungen gefangen. Zögernd trat er an den Steinquader und blickte auf jene Stellen, an der sich die Mondstrahlen trafen. Ein Zeichen leuchtete dort im Stein, aber es war nur dann zu sehen, wenn man aus einem bestimmten Winkel darauf blickte. Es bestand aus einer sehr hell aufscheinenden Linie, die von sieben anderen, gleichlangen Linien rechtwinkelig gekreuzt wurde. Gorian erinnerte sich, dieses Zeichen schon einmal in einer der Schriften seines Vaters gesehen zu haben. Es gehörte zu den Zeichen der Macht, dass der Orden für so genannte Tiefenzauber anwendete. Um Dinge in der Tiefe zu verbergen, entsann sich Gorian an das, was er dazu in einem Band mit der Bezeichnung Zeichen der Geheimen Macht gelesen hatte.

Wahrscheinlich hätte er dieses Zeichen gar nicht in seiner Erinnerung behalten, hätte er es nicht kurze Zeit später auf einem Stein entdeckt, der sich kaum eine Viertelmeile von Nhorichs Hof entfernt befand. „Das ist ein Grab“, war die Erklärung seines Vaters gewesen, als Gorian ihn darauf angesprochen hatte. „Es ist besser, du hältst dich davon fern.“

Erst sehr viel später hatte Nhorich seinem Sohn verraten, wer dort begraben lag: Es waren die steinernen Überreste von Branwulf, jenem Nemorischen Wolflingshund, der mit einem der Gargoyles verschmolzen war, als Nhorich die Schwerter Schattenstich und Sternenklinge geschmiedet hatte.

Gorian richtete den Blick auf jene Öffnung in der Wand, die er in Ar-Dons Gedanken gesehen hatte, allerdings von außerhalb des Tempels. Durch die Öffnung blickte er direkt auf einen knorrigen Baum am Waldrand, der von ein paar wuchernden Sträuchern umgeben war.

„Ja, du bist auf der richtigen Spur, Gorian. Befreie mich, und ich werde dich schützen. Denn die Mächte, die dich töten wollen, sind schon auf dem Weg hierher. Und sie werden dich finden. Glaube ja nicht, dass dich der Zauber dieses Ortes auf Dauer vor ihnen verbergen könnte. Das ist nicht möglich ...“

„Mir ist irgendwie nicht gut“, sagte Beliak in diesem Moment. Er hielt sich den Leib, und sein Gesichtsausdruck spiegelte deutlich wider, wie elend er sich fühlte.

Gorian sah ihn besorgt an. „Ich hoffe, du hast dir nicht mit deinen eigenen Beeren den Magen verdorben. Mir sind sie jedenfalls bekommen, auch wenn ich zugeben muss, dass ich inzwischen schon wieder Hunger habe. Aber das ist auch kein Wunder, so lange, wie wir bereits unterwegs sind.“

Doch Beliak schüttelte den Kopf. Er schritt durch den Tempel und ließ den Blick suchend umherschweifen. „Nein, es ist irgendetwas anderes“, erklärte er entschieden. „Es hat angefangen, als ich dieses Gebäude betreten habe, und wurde dann beständig schlimmer.“

„Hier ist Magie am Werk“, sagte Gorian. „Die Magie der Alten Götter – aber auch jene, die mein Vater anwendete, um die steinernen Überreste des Gargoyle zu bannen. Vielleicht hängt es damit zusammen.“

„Es fühlt sich wie ein ... wie ein Sog an.“

„Was meinst du damit?“

„Ich kann das einem Nicht-Adh schwer erklären. In Wahrheit begreife ich es selber kaum. Ich weiß nur, dass mir dieser Ort aus irgendeinem Grund nicht bekommt.“

„Dann verbirg dich doch im Untererdreich“, schlug Gorian ihm vor. „Das kannst du als Adh doch gefahrlos tun. Und ich bleibe hier und warte ab, bis diese Frostkrieger-Pestilenz vorübergezogen ist oder Frogyrr seine Kraft aufgebraucht hat, die er zweifellos benötigt, um in einem für seine Verhältnisse viel zu warmen Land nach mir zu suchen.“

„Nein!“, widersprach Beliak mit einer Heftigkeit, die Gorian überraschte.

„Wieso nicht? Gibt es hier etwa keine Durchgänge in das Untererdreich?“

„Doch... das schon, aber...“

„Aber was?“

„Dieser Sog... Ich glaube, ich könnte hier nur hinab in die Erde gleiten, aber dann nicht wieder hervorkommen. Hier wirken so seltsame magische Kräfte, dass ich es nicht wagen möchte. Schließlich will ich so gut wie möglich auf dich aufpassen.“

In diesem Moment wurde das Zeichen auf dem Steinaltar unsichtbar. Die Strahlen des Mondes, die durch die Öffnungen in der Decke fielen, trafen sich nicht mehr. Sie sorgten zwar noch immer für ein fahles, geisterhaftes Licht innerhalb des Tempels, aber die magische Kraft, die ihnen gerade noch innegewohnt haben musste, war aus irgendwelchen Gründen versiegt.

„O du Narr und Held der verpassten Gelegenheiten!“, meldete sich Ar-Dons Stimme erneut in Gorians Kopf. „Wie leicht hättest du mich befreien können! Wie günstig wäre der Moment gewesen, meine Qual zu beenden, sodass ich dich hätte schützen können! Jetzt mögen dir die finsteren Geister dieses Ortes gnädig sein, denn ansonsten wirst du kein Erbarmen und keine Hilfe mehr erwarten können.“

„Schweig!“, murmelte Gorian.

Beliak wandte den Blick in seine Richtung. „Er bedrängt dich wieder? Ein Grund mehr, auf dich aufzupassen und nicht einfach zu verschwinden. Außerdem werde ich mich sicher bald an die ungewohnte magische Aura gewöhnt haben, die dieses Bauwerk umfängt. Ich weiß noch, als ich auf den Hof deines Vaters kam, der ja alles Mögliche an Magischem rund um sein Anwesen gewirkt hat. Ein richtiges Zaubergespinst, von dem ich anfangs gar nichts ahnte. Da ging es mir auch erst eine Zeitlang schlecht; ich litt unter den Nebenwirkungen dieser magischen Einflüsse.“

„Aber du hast dich daran gewöhnt?“, hakte Gorian nach.

„Ja. Hat damals ein paar Tage gedauert, dann war’s gut.“ Er zuckte mit den Schultern. „Ich sag ja immer: Die Magie von Menschen und Adhen verträgt sich nicht immer, das ist nun mal so. Warum sollte es hier anders sein?“



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