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Kapitel 13: Schüler

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„Du wirst dich entscheiden müssen“, erklärte Thondaril. „Und ich hoffe, dass du die richtige Wahl triffst.“

Den ganzen Tag über waren sie geritten, und erstaunlicherweise hatte das Streitross des zweifachen Ordensmeisters dabei nicht den geringsten Anflug von Ermüdung gezeigt. Nun saßen sie am Feuer und aßen von dem Proviant, den Thondaril mit sich führte. Auch wenn er ebenso ein Meister der Magie wie des Schwertes war, hatte das Fassungsvermögen seiner Satteltaschen nichts mit Zauberei zu tun, sondern ausschließlich mit der handwerklichen Begabung und dem Augenmaß jenes Sattlers, der sie angefertigt hatte.

Wo genau sie sich zurzeit befanden, wusste Gorian nicht. Während des Gewaltritts, der hinter ihnen lag, hatte Gorian jede Orientierung verloren. Jedenfalls aber befanden sie sich in einem Gebiet, in dem er noch nie gewesen war. Es schien ihm, als wäre Thondaril einen Bogen geritten und hätte dabei nach Möglichkeit dichter besiedelte Landstriche gemieden. Siedlungen hatte Gorian allenfalls aus der Ferne zu sehen bekommen.

Sie waren Richtung Nordosten geritten, aber den Seg hatten sie noch nicht erreicht, geschweige denn überquert, und so befanden sie sich also ganz sicher noch immer im Herzogtum Thisilien, so viel zumindest stand fest.

Zunächst hatte Thondaril eisern geschwiegen und Gorian nicht eine einzige der vielen Fragen beantwortet, die diesem unter den Nägeln brannten. Mehr als ein unwilliges, barsches Knurren war dem zweifachen Ordensmeister während des Ritts nicht zu entlocken gewesen, sodass es Gorian schließlich aufgegeben hatte. Erst seit sie ihr Lager aufgeschlagen hatten, war Thondaril etwas zugänglicher geworden.

„Ich bin Euch sehr zu Dank verpflichtet, Meister“, sagte Gorian. „Wenn Ihr nicht zufällig des Weges gekommen wärt, wäre es um mich geschehen gewesen.“

„Es war kein Zufall, dass wir uns trafen“, eröffnete ihn Thondaril, während er auf einem Bissen Dörrfleisch herumkaute. „Auf Zufälle müssen jene bauen, die weder eine magische Begabung noch einen Blick für die Verknüpfungen der Schicksalslinien haben. Nein, ich habe dich gesucht.“

„Gesucht?“

„In diesem Jahr bist du alt genug, um dem Orden als Schüler beizutreten. Deine Begabung steht außer Frage. Schon die Zeichen, in denen du geboren bist, prädestinieren dich dafür, und abgesehen davon bist du Meister Nhorichs Sohn, dem Sohn von Meister Erian.“

„Mein Vater nannte sich nicht mehr Meister, seit ich ihn kannte“, entgegnete Gorian.

„Ja, ich weiß. Er hatte sich innerlich vom Orden entfernt.“

„Ich glaube, er sah das genau umgekehrt“, sagte Gorian. „Er meinte, der Orden hätte seine Ideale verraten und sei selbst so verderbt geworden wie diejenigen, die er bekämpft.“

Ein müdes, abgekämpftes Lächeln erschien auf Thondarils bis dahin wie aus Stein gemeißelten Zügen. „Ein hartes Urteil“, stellte er fest. „Und ich kann noch nicht einmal behaupten, dass er völlig unrecht hatte.“

„Nur seid Ihr dem Orden treu geblieben“, meinte Gorian. „Zumindest tragt Ihr Eure beiden Meisterringe.“

„Es gibt vieles, über das wir reden müssen, Gorian. Unter anderem auch dies. Dein Vater und ich lagen in der Beurteilung des Ordens gar nicht so weit auseinander, nur zogen wir unterschiedliche Konsequenzen daraus.“

„Und was sind Eure Konsequenzen?“, hakte Gorian nach.

Aber Thondaril wich der Frage zunächst aus. „Vor langer Zeit waren dein Vater und ich durch gemeinsame Erlebnisse im Kampf gegen Morygor und das Frostreich sehr miteinander verbunden. Er hatte mir das Leben gerettet, und bei allem, was uns in späteren Jahren getrennt haben mag, ist dieses innere Band zwischen uns nie zerrissen.“

„Der Zahlenmagier Olgarich hat mir erzählt, Ihr währt vor meiner Geburt einmal auf dem Hof meines Vaters gewesen, um ihn zu besuchen.“

„Ja, dein Vater hatte sich da schon vor Jahren vom Orden abgewandt, während ich ihm trotz aller Zweifel treu geblieben bin. Ich war bei ihm, weil ich versuchen wollte, ihn zur Rückkehr in den Orden zu bewegen. Ich hatte mich für eine Aussprache zwischen ihm und dem Hochmeister eingesetzt, aber dein Vater beharrte auf seinem Standpunkt, demzufolge der Orden bis in den Kern verderbt wäre.“

Gorian blickte in das Gesicht des Meisters und studierte jede Regung, die dort zu erkennen war, und ihm wurde klar, dass Thondaril noch nicht mit allem herausgerückt war, was es dazu zu sagen gab. Da gab es noch etwas, was der zweifache Meister ihm bisher verschwieg.

„Und was war der Grund für Euren zweiten Besuch?“, fragte Gorian. „Es war einige Jahre später, ich erinnere mich noch sehr gut an Euch.“

„Ich war deinetwegen auf eurem Hof“, antwortete Thondaril.

„Damals habe ich es bedauert, von Euch nicht mehr über den Orden und all diese Dinge zu erfahren ...“

„Dein Vater hätte es nicht geschätzt, hätte ich mich mit dir über den Orden unterhalten. Er hätte geglaubt, ich würde dich zu beeinflussen versuchen. Und das wahrlich nicht zu unrecht, denn natürlich hatte der Orden längst ein Auge auf dich geworden. Wir suchen ständig nach Talenten, und daher verfolgten wir die Entwicklung von Nhorichs Sohn sehr aufmerksam. Dein Vater hat mir allerdings klargemacht, dass sich der Orden von dir fernhalten sollte. Ich habe ihm damals geantwortet, dass der Tag kommen wird, da du alt genug bist, deine eigene Entscheidung zu fällen. Dann, so habe ich deinem Vater angekündigt, würde ich zurückkehren, um dir die Aufnahme als Ordensschüler anzubieten.“

„Und was hat mein Vater daraufhin geantwortet?“, verlangte Gorian zu wissen.

„Er hat es akzeptiert, aber ich will ehrlich sein: Der Gedanke, dass sein Sohn eines Tages dem Orden beitreten könnte, hat ihm nicht gefallen.“

Gorian atmete tief durch. „Ich will Euch gegenüber auch offen sein: Bis zu dem Tag, als die Frostkrieger in der Thisilischen Bucht auftauchten, war es mein größter Wunsch, Mitglied des Ordens und ein Schwertmeister zu werden, um Morygor von seinem frostigen Thron zu stürzen ...“

„Und jetzt ist es das nicht mehr?“

„Der Tod meines Vaters und all das, was dann geschehen ist ...“ Gorian konnte zunächst nicht weitersprechen. Ein dicker Kloß steckte ihm auf einmal im Hals. „Es hat sich vieles verändert“, fuhr er dann mit belegter Stimme fort. „Eigentlich alles ...“

Einige Augenblicke herrschte Schweigen, ehe Thondaril wieder das Wort ergriff. „Ich war bei Eurem Hof und habe gesehen, was dort geschehen ist. Überall traf ich auf Frostkrieger, die auf der Suche nach ...“ Er sprach aus irgendeinem Grund nicht weiter.

„Sie sind auf der Suche nach mir“, schloss Gorian für ihn den Satz. „Sie wollen mich töten.“

„Hat dein Vater dir das gesagt?“

„Ja.“

„Was hat er dir noch gesagt?“

„Dass Morygor in mir eine Gefahr sieht, weil meine Schicksalslinie dereinst die seine kreuzen wird und ich seiner Schreckensherrschaft beenden könnte. Hätte er sonst zum zweiten Mal versucht, mich zu töten?“

Auf Thondarils Stirn bildete sich eine tiefe Furche. „Es gab bereits einen Angriff?“

„Ja.“

„Wann?“

„Vor sechs Jahren.“

„Erzähl mir davon.“

In knappen Worten fasste Gorian das Geschehen zusammen. Er berichtete vom Auftauchen der Schattenreiter, vom Angriff des Gargoyle. „Mein Vater sagte, der Grund eines solchen Angriffs könnte nur darin bestehen, dass Morygor in mir seine Existenz gefährdet sieht oder befürchtet, ich könne seine Pläne zunichte machen, wenn ich weiterlebe.“

Thondaril verengte die Augen zu Schlitzen, während er den Jungen musterte. „Dann war es umso verantwortungsloser, dir keine Ordensausbildung zuteil werden zu lassen.“

„Aber ist dieser Orden nicht lange schon mit Verrätern durchsetzt? Und hat er sich nicht tatsächlich dazu hergegeben, das Haus Laramont an die Macht zu bringen und dort zu halten, obwohl das der Verfassung des Reiches widerspricht?“

Thondaril nickte. „Ja, das stimmt. Und doch gibt es keine Alternative zum Orden, wenn es darum geht, das Böse zu bekämpfen, das uns droht und dessen Auswirkungen wir seit mehreren Generationen jeden Tag am Himmel sehen, wenn wir zur Sonne blicken. Verräter und Verderbtheit gibt es auch in der Priesterschaft des Verborgenen Gottes oder unter den Rittern der Herzöge und des Kaisers. Wie auch immer, was dein Vater tat, ist keine Lösung.“

„Ich weiß nicht ...“

„Nhorich versuchte, einen Ort zu schaffen, an dem er unangreifbar ist.“

„Aber einen solchen Ort gibt es nicht?“

„Du hast es doch selbst erlebt.“

„Glaubt Ihr, es wäre dem Orden möglich, Morygor aufzuhalten?“

„Ich glaube, dass zumindest ein hinhaltender Widerstand möglich ist, der uns allen ein paar zusätzliche Jahre, vielleicht Jahrzehnte bringen kann. Möglicherweise gelingt es uns sogar, zwei oder drei Generationen Gegenwehr zu leisten.“

„Aber eine Hoffnung, Morygor endgültig zu besiegen, seht Ihr nicht?“, wunderte sich Gorian. Dass ein zweifacher Meister des Ordens so wenig Optimismus in sich trug, überraschte ihn. Wer, wenn nicht die Schwertmeister des Ordens, sollte noch daran glauben, dass man die Bedrohung abwenden und nicht nur aufhalten konnte?

„Wir sollten uns nicht zu großen Hoffnungen hingeben“, meinte Thondaril. „An der Enttäuschung könnten sonst unsere Seelen zerbrechen.“

„Ich habe mir vorgenommen, Morygor gegenüberzutreten und ihn zu besiegen“, erklärte Gorian mit überraschend fester Stimme.

„Ein ehrgeiziges Ziel.“

„Wenn selbst Morygor dies für möglich hält, warum sollte dann nicht auch ich daran glauben?“

„Kannst du dir dessen sicher sein?“, fragte Thondaril ruhig. „Weißt du wirklich, was in Morygors Kopf vorgeht - oder in jenem Teil seines veränderten Körpers, in welchem inzwischen seine Gedanken wohnen? Du kennst letztlich nur die Einschätzung deines Vaters darüber.“

„Die aber von anderen geteilt wird“, stellte Gorian fest. Der Klang seiner Stimme drückte dabei eine Sicherheit und Gewissheit aus, die ihn im ersten Moment selbst überraschte. Der zweifache Ordensmeister hatte ihn vorhin nicht die volle Wahrheit über den Grund für seinen ersten Besuch auf Nhorichs Hof gesagt, aber nun würde er ihm diesen verraten, davon war er überzeugt.

Thondarils Augenbrauen zogen sich zusammen. „Wie meinst du das?“, fragte er.

„Ich glaube, das wisst Ihr sehr genau, Meister Thondaril. Das Zeichen des Himmels, unter dem ich geboren wurde, hat man sicherlich auch auf der Ordensburg gesehen und entsprechend beurteilt, und daher galt Euer erster Besuch nicht nur der Vergangenheit, die Euch mit meinem Vater verband, sondern auch der Zukunft - mir.“

„Du bist sehr überzeugt von dir, Bürschchen“, sagte Thondaril mit einem leicht abschätzigen Unterton. „Vielleicht sogar etwas zu sehr.“

„Stimmt es, was ich vermute?“, fragte Gorian davon unbeeindruckt.

„Du solltest dir nicht zu viel einbilden, Gorian. Auch andere wurden unter diesem Zeichen geboren, zur selben Stunde und vielleicht sogar im selben Augenblick. Ob du wirklich derjenige bist, dessen Schicksalslinie die von Morygor auf eine Weise kreuzt, dass es seine Herrschaft zu beenden vermag, ist längst nicht gewiss. Du wirst erst beweisen müssen, was in dir steckt. Selbst die günstigsten Zeichen der Geburt bedeuten noch lange nicht, dass man sein Ziel erreicht.“

Gorian beharrte auf einer klaren Beantwortung seiner Frage. „Ihr wart meinetwegen auf Nhorichs Hof!“

„Ich war dort, weil der Orden mich schickte. Wir wussten, dass ein wichtiger Zeitpunkt bevorsteht, dass sich in den Gestirnen etwas verändert und dass sich die metamagischen Kräfte des Polyversums an bestimmten Orten in einer Weise konzentrierten, die zu Hoffnung berechtigten. Leider muss ich gestehen, dass die Kenntnisse unserer Magiemeister hinsichtlich dieser Dinge nicht einmal ansatzweise an das Wissen heranreichen, über das Morygor verfügt, und so sind wir ihm gegenüber immer wie Blinde.“

„Das Zeichen, unter dem ich geboren bin, ist aber doch eindeutig.“

„Wie gesagt, du bist nicht der Einzige, der zu diesem Zeitpunkt das Licht der Welt erblickte – und auch nicht der Einzige, dessen Geburt von den Magiemeistern des Ordens vorausberechnet wurde und dessen Lebensweg wir deshalb sehr genau beobachten. Dein Hang zum Leichtsinn könnte den deinen allerdings sehr verkürzen.“

––––––––




In der Nacht wachte Gorian mehrmals auf, weil er das Gefühl hatte, dass sie beobachtet wurden. Als er sich dann umsah, schien es jedoch keinerlei Grund dafür zu geben. Abgesehen von den normalen Geräuschen des Waldes war nichts zu hören, und auch unter Zuhilfenahme der Alten Kraft vermochte er nichts wahrzunehmen, was ihm eine Bedrohung offenbart hätte.

„Es ist deine innere Unruhe, die dich nicht schlafen lässt“, vermutete Thondaril, als er bemerkte, dass Gorian abermals erwacht war und lauschte.

„Vielleicht habt Ihr recht“, murrte Gorian.

„Du hast vieles erlebt. Manchmal zerbrechen Seelen an dem, was ihnen widerfährt, und müssen neu zusammengefügt werden. Es wäre durchaus nicht verwunderlich, wäre dies bei dir der Fall.“

„Nein“, widersprach Gorian, während er immer noch den Blick suchend durch das Dunkel des sie umgebenden Waldes schweifen ließ. „Ich glaube nicht, dass dies auf mich zutrifft.“

„Der Irrglaube, in jeder Hinsicht etwas Besonderes zu sein, scheint in dir noch fester verwurzelt, als ich bisher befürchtet habe.“

„Es gibt fünf Häuser im Orden der Alten Kraft ...“

„Das ist richtig.“

„Das Haus des Schwertes, der Magie, der Schatten, der Heiler und der Seher ...“

„Wenn du dem Orden als Schüler beitrittst, wirst du dich für eines dieser Häuser entscheiden müssen“, stellte Thondaril klar.

„Ihr tragt die Meisterringe gleich zweier Häuser.“

„Das ist eine Ausnahme.“

„Wäre es nicht auch möglich, die Prüfungen aller fünf Häuser zu bestehen?“

„Das hat bisher niemand geschafft.“

„Hat es bisher denn jemand versucht?“

Thondaril runzelte die Stirn. „Nein, soviel ich weiß, nicht.“

„Dann werde ich der Erste sein“, kündigte Gorian an.

„Wenn du das vor den Oberen des Ordens vorbringst, wird man dich für einen Narren halten, der unter erheblicher Selbstüberschätzung oder gar Größenwahn leidet, und das Angebot, dich als Schüler aufzunehmen, wieder zurückziehen“, gab Thondaril mit einem fast schon galligen Unterton zurück. „Demut gegenüber den Kräften des Polyversums ist eine der Haupttugenden, welche die Axiome des Ordens lehren. Du solltest sie lesen.“

„Das habe ich. Und zwar nicht nur einmal.“

„Dann scheint dir der Sinn eines Großteils der Axiome aber nicht wirklich bewusst geworden zu sein. Nun, das kann man ja vielleicht noch nachholen. Zumindest entnehme ich deinen Äußerungen, dass du noch in Erwägung ziehst, ein Ordensschüler zu werden, und angesichts deiner etwas eigenwilligen Gedankengänge muss man darin schon einen erheblichen Fortschritt in deiner persönlichen Reifung sehen.“

„Aber das ist mit einer Bedingung verknüpft“, beharrte Gorian. „Wenn ich für den Moment gerüstet sein soll, da ich Morygor gegenübertrete, werde ich das Wissen aller fünf Häuser benötigen.“

Thondaril seufzte. „Schlaf jetzt, du fünffacher Meister ohne Ausbildung aus den Häusern des Protzes, der Selbstüberschätzung, des Leichtsinns, der Überheblichkeit und der Selbstgefälligkeit.“

„Ist es denn so falsch, was ich sage? Was habt Ihr, der Ihr doch immerhin Meister von zwei Häusern seid, gegen Morygor bisher ausrichten können? Nichts, was man am Stand des Schattenbringers ablesen könnte!“

Thondaril, der wohl gehofft hatte, dass Gorian endlich Ruhe gab und er selbst seinen ohnehin sehr leichten Schlaf fortsetzen konnte, setzte sich wieder ruckartig auf. Das fahle Mondlicht schien in sein Gesicht, und die Schatten zeichneten die harten Linien seiner Züge nach. „Ich hoffe, du wirst deine Ansichten noch rechtzeitig der Realität anpassen.“

„Warum sollte es für mich, der Morygor in die Schranken weisen soll, Grenzen des Wissens und der Erkenntnis geben?“, entgegnete Gorian. „Ich jedenfalls werde solche Grenzen so lange nicht akzeptieren, bis sie sich nicht tatsächlich als unüberwindlich erwiesen haben.“

„Du wirst vielleicht schneller an diese Grenzen stoßen, als dir lieb ist“, murmelte Thondaril.

Auf einmal schnellte der zweifache Meister hoch, griff gleichzeitig nach dem Schwert, das er auch während des Schlafs immer in Griffweite hatte, und die Klinge wirbelte blitzartig durch die Luft, das Mondlicht spiegelte sich in dem blanken Stahl, dann verharrte Thondaril reglos.

Augenblicke vergingen, in denen er sich nicht bewegte. Schließlich entspannte sich seine Körperhaltung. „Sag mal, Gorian - folgt dir zufällig jemand?“

„Ich ...“

Thondaril drehte sich herum, riss einen Dolch aus dem Gürtel, schleuderte ihn mit einem Kraftschrei auf ähnliche Weise, wie Gorian es von seinem Vater gelernt hatte, und stürzte dann hinterher, den Schwertgriff in beiden Händen.

Der Dolch fuhr in einen Strauch. Etwas bewegte sich dort, und Gorian nahm einen Gedanken wahr. Keine ausformulierte Botschaft, auch kein Bild, sondern lediglich ein Gefühl, das Gorian auch nur teilweise zu deuten vermochte.

Wut war darin.

Und Hass.

Aber auch noch etwas anderes, was nicht so eindeutig zu definieren war.

Ein Schatten sprang durch die Nacht. Etwas Dunkles schwebte blitzartig empor und wurde von der Nacht vollkommen verschluckt.

Meister Thondaril streckte seine Linke aus. Im Licht des Mondes war zu sehen, dass sich seine Augen vollkommen mit Schwärze gefüllt hatten.

Der Dolch kehrte in seine Hand zurück.

„Es ist weg“, stellte er fest. Er drehte sich zu Gorian um. „Was war das?“

„Ich weiß es nicht.“

„Es ist dir gefolgt. Das war an seinen Gedanken – oder was immer ich da auch wahrnehmen konnte – deutlich zu erkennen. Mag sein, dass du dieses Wesen nicht kennst, aber umgekehrt kennt es dich sehr wohl.“

Gorian schluckte.

„Ar-Don!“, flüsterte er, und plötzlich war er sich sicher.

„Wer ist das?“

„Der Gargoyle, der mich zu töten versuchte - und der mir im Tempel der Alten Götter das Leben gerettet hat.“

„Erzähl mir von ihm“, forderte Thondaril. „Und zwar alles.“

––––––––




Am nächsten Morgen brachen sie in aller Frühe auf. Gorian schlief tief und fest wie ein Stein, und Thondaril weckte ihn ziemlich grob. „Na los, hoch mit dir! Wer die Welt von den Frostgöttern befreien will, sollte wenigstens früh aufstehen und nicht mitten im Sommer in einen Winterschlaf fallen, nur weil er mal ein bisschen wenig Schlaf abbekommen hat!“

„Ja, weil Ihr mich die halbe Nacht hindurch mit der Hartnäckigkeit eines Inquisitors nach diesem Gargoyle befragt habt!“, beschwerte sich Gorian.

Alles hatte Thondaril wissen wollen, angefangen von den Schwertern Schattenstich und Sternenklinge, die Nhorich geschmiedet hatte, bis hin zu den Geschehnissen am Tempel der Alten Götter, wo Ar-Don schließlich den Frostgott Frogyrr vernichtet hatte.

„Was auch immer dir dieses Wesen eingeflüstert hat“, sagte Thondaril, „es ist böse, und du solltest dich vor ihm in acht nehmen!“

„Ach, und was kann man da machen?“

„Ich habe dich mit einem Zauber belegt, der das Biest von dir fernhalten sollte. Wenn es dir doch noch mal begegnet, musst du immer vom Schlimmsten ausgehen. Es ist viel Hass in ihm, und etwas davon bezieht sich gewiss auch auf dich.“

„Ar-Don ist aber nicht nur böse“, entgegnete Gorian.

„Sprich seinen Namen nicht aus“, mahnte Thondaril streng. „Das macht ihn nur mächtiger.“

„Ist Euch ein anderer Name lieber? Wie wäre es mit Meister Domrich! In dem Gargoyle ist nämlich auch einiges von seiner Seele. Ich nehme an, Ihr wisst, wer Meister Domrich war?“

„Er ist ein verschollener Held des Ordens und gilt als Beispiel vorbildlicher Pflichterfüllung“, sagte Thondaril kalt. „In Wahrheit aber war er wohl ein Narr, der durch übertriebenen Wagemut und unsinnige Opferbereitschaft in die Hände des Feindes fiel. Meinst du diesen Meister Domrich?“

„Dieses Wesen, mit dem Meister Domrich verschmolz, hasst Morygor. Und es hat mir geholfen.“

„Das mag sein. Aber es bedeutet nicht, dass du nichts von ihm zu befürchten hättest.“

„Ich kenne ihn besser als Ihr!“

„Ja, diesen Eindruck hat er dir gewiss durch seine Einflüsterungen vermittelt. Aber das ist Teil seiner Manipulationen. Gorian, mach die Augen auf! Dieses Wesen wurde selbst manipuliert, und genau das versucht es nun bei anderen. Und bei dir hat es das schon erfolgreich geschafft. So ist nun einmal die Natur der Gargoyles. Du darfst ihnen niemals trauen. Und dass er Morygor hasst, zeigt eher seine mangelnde Loyalität.“

„Das glaube ich nicht.“

„Eines Tages würde er dich verraten wie zuvor Morygor.“

„Ihr habt Erfahrungen mit Gargoyles?“

Thondaril nickte. „Und ob.“ Doch statt weiter darauf einzugehen, sagte er: „Eine Frage musst du mir noch beantworten, Gorian: Was ist mit den Schwertern geschehen, die dein Vater aus dem Sternenmetall geschmiedet hat?“

„Sie sind jetzt in Morygors Hand, nehme ich an.“

„Das ist keine gute Nachricht“, murmelte Thondaril, während er seinem Pferd offenbar einen magischen Gedankenbefehl gab, der es voranpreschen ließ.



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