Читать книгу Schwertmeister der Magie: Drei Fantasy Sagas auf 2500 Seiten - Alfred Bekker - Страница 31

Kapitel 11: Kämpfe

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In den nächsten Stunden geschah nichts. Gorian und Beliak wachten zwischen den Säulen des Tempelportals und beobachteten, was sich bei ihren Feinden tat. Frogyrr unternahm keinen Versuch mehr, die magische Wand zu vernichten. Er hatte wohl schon zu viel Kraft bei den ersten beiden Malen verbraucht und wollte sich nicht vollends verausgaben, zumal er die Zeit auf seiner Seite wusste. Denn Gorian und Beliak konnten dieser Belagerung nicht endlos standhalten, selbst dann nicht, wenn die magische Barriere weiterhin undurchlässig blieb.

Immerhin bildeten sich die Risse im Mauerwerk langsam zurück.

„Die da drüben setzen wohl darauf, dass es uns früher oder später zu kalt wird“, äußerte Beliak mit der gewohnten Leichtigkeit, die ihm eigen war, die aber im Moment nur aufgesetzt wirkte. In Wirklichkeit war der Adh wohl ganz und gar nicht mehr so zuversichtlich, dass die Geschichte noch ein gutes Ende für sie beide nahm.

„Es scheint darauf hinauszulaufen, wen früher die Kräfte verlassen, uns oder Frogyrr“, war Gorian überzeugt. „Im Moment würdest du da wohl nicht für unsere Seite wetten, was?“

„Ich meine nur, es wäre nicht schlecht, wenn du noch irgendetwas an Magie auf Lager hättest, das unsere Gegner schwächen könnte“, antwortete Beliak. „Na, fällt dir nichts ein? Ah, ein Magiemeister des Ordens müsste man jetzt sein. Oder zumindest so viel davon verstehen, wie dein Vater es tat.“

Ein durchdringendes Fauchen ließ sie beide aufhorchen.

„Was war das?“, fragte Gorian.

Das Gesicht des Adh veränderte sich, und Gorian sah, dass Beliak der Schrecken durch alle Glieder fuhr. „Das ist ein Laut, der oft genug in strophenweiser Ausführlichkeit in den Liedern der Adhe geschildert wird“, murmelte er. „Der Rhythmus dieser Schritte, der aasige Geruch des Atemhauchs ...“

„Wovon sprichst du?“

„Von einem Langzahnlöwen.“

Im nächsten Moment sahen sie, wie zwei Dutzend Orxanier eine solche Bestie an Ketten heranführten. Das Biest war höher als jedes Pferd und vom Kopf bis zum Schwanz mindestens viermal so lang. Die Schulterpartie war im Verhältnis zu anderen katzenartigen Geschöpfen viel breiter, und es gab eine Sage, nach der einst ein Herzog von Thisilien verfügt hatte, Stadttore so zu bauen, dass zwar ein großes Gespann, nicht aber ein hungriger Langzahnlöwe hindurchpasste. Der Körper des Monstrums war mit frisch verkrusteten Verletzungen übersät, aber auch einige der Frostkrieger um ihn herum trugen deutliche Spuren eines Kampfes: Sie waren blutbesudelt, und einem fehlte ein Arm. Die vertikal aus dem Maul ragenden Reißzähne, die der riesenhaften Raubkatze ihren Namen gaben, waren fast so lang wie die gespaltenen orxanischen Schwerter. Einige der Frostkrieger stachen das Tier sofort mit langen Speeren, wenn es auch nur den Anschein erweckte, es wollte einen Angriff wagen. Offensichtlich begleitete es die Frostkrieger nicht freiwillig.

Der seltsam anmutende Zug nahm die Schneise, die Frogyrr durch den Wald geschlagen hatte, und nutzte dafür deren volle Breite.

„Was haben die vor?“, fragte Gorian.

„Wir sollen wohl als Raubkatzenfutter herhalten“, vermutete Beliak grimmig. „Aber da sind sie bei mir an den Falschen geraten!“

„Jedenfalls kann der Langzahnlöwe die magische Barriere durchdringen“, erkannte Gorian. „Er gehört hierher, und etwas von ihm ist sogar noch an diesem Ort.“

„Wie meinst du das?“, fragte der Gnom irritiert.

„Es ist wie mit den orxanischen Frostkriegern aus Gaerths Verwandtschaft. Er hat eine Verbindung zu diesem Ort, und möglicherweise reicht das aus, dass er die magische Grenze um den Tempel überschreiten kann.“

Frogyrr ließ ein durchdringendes, dröhnendes Brüllen hören und stieß dem Langzahnlöwen den Elfenbeinstab in die Seite. Von dem Orxanier-Schädel an der Spitze sprühten Funken, und auch die Raubkatze brüllte auf, kippte zu Boden und wand sich für Augenblicke vor Schmerzen. Dann schlug Frogyrr mit einer seiner Pranken zu. Es war ein gezielter Schlag gegen den Hals des Langzahnlöwen, der daraufhin erschlaffte und leblos am Boden liegen blieb.

Im nächsten Moment entströmte der Bärenschnauze des Frostgottes ein schwarzer Rauch, der dem erschlagenen Langzahnlöwen in Nase, Ohren und ins offene Maul drang. Den Gedanke, den Frogyrr dabei an das Tier übertrug, bekam sogar Gorian mit. „Lebe!“

Ein Zucken durchlief den toten Körper der riesenhaften Raubkatze. Das Tier rührte sich wieder, hob den Kopf. Der Blick der zuvor gelblichen Augen war leer, und die Augäpfel waren so dunkel wie die finsterste Nacht.

Das katzenhafte Monstrum kam wieder auf die Beine. Auch das Fell hatte sich verändert. Der sanfte Braunton war zu einem ungesunden grünlichen Schimmer geworden, wie ihn auch die orxanischen Untoten zeigten.

Diese quittierten die Verwandlung des Langzahnlöwen mit lauten Rufen. Manche klapperten mit ihren Waffen, schlugen sie gegeneinander und begrüßten das katzenhafte Ungeheuer auf diese Weise in ihren Reihen.

„Sei nicht tot! Und töte!“, lautete Frogyrrs Gedankenbefehl, und zugleich entrang sich ein bellender Laut seinem Maul, dass in Gorians Ohren wie Triumphgelächter klang.

Ein paar der orxanischen Frostkrieger lösten die Ketten, mit denen die Bestie noch immer gehalten wurde. Der Langzahnlöwe schlug dabei mit den Pranken um sich. Einer der Frostkrieger konnte nicht schnell genug ausweichen, wurde mehr als zehn Schritte weit durch die Luft geschleudert und prallte gegen einen Baum. Ein von Eis ummantelter, abgebrochener Ast bohrte sich von hinten durch seinen Brustkorb und trat vorn wieder durch das Lederwams. Der Untote brüllte auf, schlug mit den Armen um sich und strampelte mit den Beinen, aber allein konnte er sich aus seiner Lage nicht befreien. Nachdem er von den in der Nähe stehenden Frostkriegern zunächst mit höhnischem Gelächter überschüttet wurde, nahmen ihn schließlich zwei der Orxanier vom Haken, woraufhin er zusammenbrach. Aber die Verletzung beendete nicht die Existenz des Untoten. Er keuchte und spuckte nur orxanisches Blut. Einer der anderen Frostkrieger gab ihm einen kräftigen Schlag auf die Schulter und sagte ein paar Worte in seiner Muttersprache, die wohl einer spöttischen Bemerkung entsprachen.

Der untote Langzahnlöwe schritt unterdessen mit der gewohnten katzenhaften Geschmeidigkeit auf die unsichtbare magische Grenze zu, die den Tempel schützte. Die Frostkrieger wichen ihm dabei tunlichst aus. Ein bläulicher Blitz umflorte kurz die Bestie, als sie durch die unsichtbare Barriere schritt. Der Löwe ließ ein bösartiges Knurren hören, riss das Maul auf und schnappte um sich.

Und dann stürzte er mit einer Schnelligkeit voran, die man diesem gewaltigen Raubtier gar nicht zutraute. Mit gewaltigen Sätzen jagte er auf das Tempelportal zu.

„Nichts wie weg hier!“, rief Beliak.

Sie rannten durch das Säulenportal. Die untote Bestie war ihnen bereits dicht auf den Fersen. Der aasige Geruch, der aus ihrem Maul drang, raubte ihnen schier den Atem. Die riesenhafte Raubkatze wollte den beiden durch das Säulenportal folgen – und blieb mit den Schultern stecken. Der Abstand zwischen den beiden Säulen am Eingang war einfach zu schmal für ihre breite Schulterpartie.

Das untote Tier steckte den Kopf zwischen die Säulen hindurch und starrte zornig ins Innere des Tempels. Dann ließ es ein ohrenbetäubendes Fauchen hören, das in dem Gemäuer widerhallte.

Gorian und Beliak wichen zurück. Mehr als zwei Dutzend Schritt lagen zwischen ihnen und der wütenden Bestie.

Gorian griff zu seinem Dolch und schleuderte ihr die Waffe entgegen, so wie er es gelernt hatte. Sein Kraftschrei mischte sich dabei mit dem Gebrüll des Löwen.

Gorian hatte auf eines der Augen gezielt, aber im letzten Moment bewegte das Raubtier den Kopf und wurde am Ohr getroffen. Der Dolch durchschnitt es, prallte gegen den Stein einer der Säulen und fiel klirrend zu Boden.

Gorian streckte die Rechte aus, der Dolch bewegte sich, rutschte über den Steinboden und flog dann zurück in Gorians Hand. Das Blut des Langzahnlöwen troff noch von der Spitze.

Ein lebendes Exemplar dieser Art hätte man vielleicht mit dem Dolch aus Sternenmetall zur Strecke bringen können, aber ein untotes Wesen dieser Größe so zuzurichten, dass es nicht mehr in der Lage war zu kämpfen, war selbst mit dieser Waffe ein nahezu unmögliches Unterfangen. Abgesehen davon schien Frogyrr das untote Monstrum mit sehr viel Existenzkraft ausgestattet zu haben; die hatte ihm der Frostgott reichlich eingehaucht, auch wenn sie ihm selbst nun fehlen würde.

Doch das würde für Frogyrr keine Rolle mehr spielen. Wenn dieser katzenhafte Mörder Erfolg hatte, dann konnte er sich auf den Rückweg in seine kalte Heimat machen und sich auf der Reise dorthin in aller Ruhe erholen.

Der Langzahnlöwe schleckte mit seiner grünlichen, entsetzlich stinkenden Zunge das vom Ohr herabtropfende Blut auf und zog sich ein paar Schritte zurück. Gleich darauf aber unternahm er einen weiteren Versuch, sich zwischen die Säulen hindurchzuzwängen. Doch das war völlig aussichtslos, dazu waren seine Schultern einfach zu breit, und die Biegsamkeit kleinerer Katzenarten war ihm nicht zu eigen.

Dafür aber verfügte er über gewaltige Kräfte. Also nahm er ein paar Schritte Anlauf und rammte seine Schultern hart gegen die beiden Säulen, die ihm den Weg ins Innere des Tempels verwehrten. Eine der Säulen bekam Risse, und als der Langzahnlöwe noch einmal gegen sie rammte, zerbrach sie.

Das katzenhafte Raubtier zwängte sich daraufhin ins Innere des Tempels. Sein Fauchen dröhnte in dem Gemäuer als grausames Echo.

Gorian schleuderte erneut den Rächer, und diesmal bohrte sich die Klinge zielsicher ins linke Auge des Monstrums. Es brüllte auf, hielt inne und versuchte sich die Klinge aus dem Auge zu wischen, was ihm nach einigen Versuchen auch gelang. Er schleuderte ihn von sich, während ihm schwarzes Blut über die untote Fratze lief.

Der Rächer prallte gegen die Tempeldecke, Gorian stieß einen Kraftschrei aus, streckte die Hand aus, und der Dolch fiel daraufhin in einer völlig unnatürlichen schrägen Bahn geradewegs in seine Rechte.

In blinder Wut sprang der Langzahnlöwe mit einem einzigen Satz durch den halben Tempelraum. Gorian und Beliak hatten bereits den Altar im Rücken.

Noch bevor Gorian den Rächer ein zweites Mal schleudern konnte, hatte sich Beliak dem Untier entgegengeworfen. Mit der Axt in der Hand stürzte er sich auf die Raubkatze, die durch ihr verwundetes Auge in ihrer Wahrnehmung beeinträchtigt war. Mit aller Kraft, zu der ein Adh fähig war, schlug er die Axt in den Hals des Monstrums. Der Langzahnlöwe warf sich zur Seite, aber die Axt blieb zwischen den untoten Muskeln des Tiers stecken. Dann schnellten die krallenbewehrten Pranken der Raubkatze auf Beliak zu, und beide, der Adh und der Langzahnlöwe, fielen zu Boden - und sanken durch den harten Stein des Tempelfundaments.

Das Brüllen des untoten Raubtiers mischte sich mit dem durchdringenden Schrei des Adh, der gleichermaßen Ausdruck von Kraft und Verzweiflung war.

Innerhalb eines Augenblicks waren beide durch die Bodenplatten des Tempels getaucht, als wären diese die Oberfläche eines Sees. Nichts blieb von ihnen. Der Sog in die Tiefe hatte Beliak erfasst, und er hatte den Langzahnlöwen mit sich in die abgeschiedene, verborgene Welt des Untererdreichs gerissen.

„Beliak!“, rief Gorian. Er taumelte zu der Stelle, an welcher der Adh und die riesenhafte Raubkatze verschwunden waren, kniete nieder und berührte mit der Hand die massiven Steinplatten. „Beliak – nein!“

Doch der Gefährte konnte ihn nicht mehr hören, und ganz gleich, was dort unten geschah, eine schnelle Rückkehr an die Oberfläche war für beide ausgeschlossen.

Jetzt war Gorian auf sich allein gestellt.

––––––––




Stunden vergingen, und es wurde dunkel. Gorian kauerte zunächst eine Weile in einer der Ecken des Tempels und überlegte, was er noch tun konnte, dachte fieberhaft darüber nach, wie sich die Magie dieses Ortes vielleicht in seinem Sinne nutzen ließ. Hierher zu flüchten war nur eine Rettung für kurze Zeit gewesen. Eine vermeintliche Rettung, die sich als Falle erwiesen hatte, aus der es kein Entrinnen zu geben schien.

Schließlich erhob er sich und wandte sich dem Altar zu. Er berührte die Stelle, an der in der vergangenen Nacht das Siebenerkreuz zu sehen gewesen war, und fragte sich, ob in dem Altar vielleicht noch andere Artefakte verborgen waren. In dieser Nacht fiel kein Mondlicht durch die Öffnungen in der Tempeldecke. Der Himmel war einfach zu diesig und bewölkt.

Er versuchte sich an die Formeln zu erinnern, die sein Vater angewendet hatte, um die Schwerter aus dem Stein zu holen, aber er bekam all die Silben mit ihren rätselhaften Bedeutungen nicht zusammen. Davon abgesehen gab es sicherlich noch die eine oder andere Kleinigkeit, die er übersehen hatte, die aber für das Gelingen des Zaubers wichtig war.

Gorian gab es vorerst auf. Es führte zu nichts, erkannte er. Er ging an den Wänden des Altarraums entlang und schenkte zum ersten Mal den Reliefs, die in den Stein geschlagen waren, Beachtung. Sie waren sehr fein, und Gorian konnte sich nicht vorstellen, mit welcher Art von Werkzeugen man diese nahezu filigranen Kunstwerke geschaffen hatte. Die Szenen, die sie darstellten, veränderten sich, wenn er sie aus einem anderen Winkel betrachtete. Manchmal waren sie mit Schriftzeichen versehen, wie man sie schon seit Zeitaltern nicht mehr benutzte. Die Priesterschaft des Verborgenen Gottes hatte den Gebrauch jener Schriften verboten, die man verwendet hatte, als in Ost-Erdenrund noch die Alten Götter verehrt worden waren.

Draußen erklang ein Singsang, der immer lauter und drängender wurde. Es waren die orxanischen Untoten. Sie murmelten immer wieder dieselben Worte, die keineswegs ihrer eigenen Sprache entstammten. Auch Gaerth hatte die orxanische Sprache gesprochen, und so kannte sie Gorian immerhin gut genug, um zu erkennen, dass es sich hier um eine völlig andere handelte. Riefen sie vielleicht nach dem Langzahnlöwen, der durch seine Verwandlung in einen Untoten in gewisser Weise zu ihresgleichen geworden war?

Gorian trat nach draußen und sah, dass die Frostkrieger bereits sehr viel näher an den Tempel herangerückt waren. Der magisch geschützte Bereich war offenbar noch einmal deutlich geschrumpft. Unzählige Frostkrieger standen da in der Nacht und hatten Fackeln entzündet, deren Licht so kalt und fahl wirkte, dass Gorian sich nicht vorstellen konnte, dass auch nur ein Hauch von Wärme davon ausging.

In einem monotonen Singsang murmelten sie immer wieder jene magischen Formeln, die ihnen Frogyrr eingegeben haben musste. Worte in der Sprache der Caladran, und von der man sagte, dass sie unter allen Sprachen diejenige wäre, die sich am besten für die Magie eignete. Zumindest für die Magie der Caladran, die jedoch bisher kein Mensch erfolgreich zu erlernen vermocht hatte.

Gorian erinnerte sich daran, wie er im Alter von acht oder neun Jahren mit seinem Vater in der Hafenstadt Thiskaren gewesen war, wo eines der Himmelsschiffe der Caladran angelegt hatte. Die Handelsbeziehungen zu den Inseln der Caladran waren nicht besonders intensiv, aber hin und wieder kam es vor, dass eines ihrer Himmelsschiffe am Meereshorizont der heiligreichischen Küstenstädte erschien. Es waren golden schimmernde Barken mit hohen, kunstvoll verzierten Aufbauten, deren Segel sich auch bei heftigstem Wind nicht bewegten. Bevor sie einen Hafen anliefen, wasserten sie.

Gorian hatte die goldäugigen, hoch gewachsenen Gestalten damals nur bewundernd angestarrt. Wer es fertigbrachte, fliegende Schiffe zu bauen, musste ein wahrhaftiger Meister der Magie sein. Natürlich hatte er kein Wort von ihrer hell klingenden, vokalreichen Sprache verstanden, aber ihr Klang war so charakteristisch, dass er sich Gorian eingeprägt hatte und er ihn selbst dann sofort wiederzuerkennen vermochte, wenn grobschlächtige Orxanier-Kehlen sie in all ihrer Unbeholfenheit und Plumpheit hervorbrachten.

Nach allem, was man über Morygor wusste, war er ein abtrünniger Caladran, und die wenigen, die ihm begegnet und noch in der Lage waren, davon zu berichten, hatten dies bestätigt. Die Berichte darüber lagerten in den Archiven der Ordensburg, aber die jüngsten unter ihnen waren bereits ein Jahrhundert alt. Angeblich hatte sich Morygor seitdem auch in seinem Äußeren stark verändert und war zu einem Wesen von monströsem Aussehen geworden, eine Nebenwirkung seiner verderbten Magie. Aber es gab niemanden, der darüber zuverlässig hätte Näheres bezeugen können.

Außer vielleicht Meister Domrichs Geist, ging es Gorian durch den Sinn. Aber in den Gedankenbildern seiner Erinnerungen, die Gorian empfangen hatte, war nichts enthalten gewesen, was näheren Aufschluss darüber gegeben hätte. Eine schattenhafte Gestalt - mehr war vom Herrn des Frostreichs nie zu erkennen gewesen. Selbst in den Erinnerungen nicht, die jenen schrecklichen Moment betrafen, als Morygor höchst persönlich das aus Ar-Don und Meister Domrich verschmolzene Wesen brutal verkleinert hatte.

Das Entsetzen bei seinem Anblick ist eine der stärksten Waffen des Bösen, fiel Gorian eines der Axiome des Ordens der Alten Kraft ein. Vielleicht war der Anblick Morygors selbst für Ar-Don zu entsetzlich gewesen, um die Erinnerung daran in jedem Detail zu bewahren ...

Der Chor der orxanischen Untoten schwoll an. Ihr Singsang wirkte in seiner Grobschlächtigkeit wie eine groteske Parodie auf die Stimmen der Caladran, an die sich Gorian entsann. Morygor musste die Frostgötter wohl in seiner eigenen Art der Magie unterwiesen haben, nachdem er ihnen die Rückkehr durch das Weltentor gestattet hatte. So wäre zu erklären, dass Frogyrr diese Zauberei anwandte.

Eine andere Möglichkeit dafür wäre gewesen, dass Morygor selbst auf geistiger Ebene hier anwesend war, überlegte Gorian, und ihn fröstelte bei dem Gedanken. Dass Morygor genug Macht dazu hatte, daran konnte kein Zweifel bestehen. Und wenn tatsächlich so viel davon abhing, dass Gorian getötet wurde, war es sogar naheliegend, dass Morygor diese Angelegenheit nicht allein seinen Dienerkreaturen überließ ...

Ist dies bereits der Moment, da wir uns gegenüberstehen?, fragte sich Gorian. Willst du den Augenblick, da unsere Schicksalslinien sich kreuzen, vorziehen, um diese Begegnung für dich entscheiden zu können?

Er konzentrierte die Alte Kraft. Seine Augen wurden vollkommen schwarz, als er zu erspüren versuchte, ob da irgendwo etwas war, das man mit der geistigen Anwesenheit des Herrn der Frostfeste in Verbindung bringen konnte.

Jeder noch so ungleiche Kampf lässt sich gewinnen, wenn man den richtigen Zeitpunkt wählt ...

Auch das war ein Axiom der Ordensmeister, doch der Leitsatz erschien Gorian nun wie eine innere Mahnung. Er blickte zum Himmel, der dunkel und grau war und kein Sternenlicht hindurchließ und auch nicht das des Mondes, das offenbar für die Entfaltung der Kräfte, die in diesem Tempel schlummerten, eine so große Rolle spielte.

Frogyrr stand auf dem hinteren Tatzenpaar. Im flackernden Schein der ungezählten Fackeln, die diese Nacht mit ihrem kalten Licht erhellten, wirkte der achtbeinige Eisbär wie ein dämonischer Schatten seiner selbst. Gorian hatte keinerlei Zweifel daran, dass er den letzten Rest seiner Kraft aufbringen würde, um sein Ziel doch noch zu erreichen.

Einer von uns wird hier sein Ende finden, dachte Gorian. Um das zu erkennen, bedurfte es keiner magischen Berechnungen von sich überschneidenden Schicksalslinien oder einer Abschätzung der Wahrscheinlichkeiten des Polyversums.

Frogyrr knurrte dumpf. Doch dieses Knurren hatte nicht dieselbe Kraft wie zuvor die extrem tiefen Laute des bärengestaltigen Gottes. Beliak hatte recht, er wird schwächer, dachte Gorian. Aber nicht schwach genug ...

Das oberste Tatzenpaar hielt den Elfenbeinstab horizontal, die anderen Gliedmaßen waren zu den Seiten hin ausgestreckt. Ein bläulicher Blitz zuckte vom Schädelende des Stabes zum Schaft und dann wieder zurück, der Frostgott öffnete sein gewaltiges Maul, und Tausende von bläulich schimmernden fliegenden Käfern strömten aus diesem hervor. Ihre Größe war unterschiedlich, manche waren faustgroß, andere so winzig, dass sie kaum auszumachen waren.

Der Strom blauer Flugkäfer schien nicht abreißen zu wollen, während Frogyrr einen Schrei ausstieß, der gleichzeitig Kraftschrei und Schmerzenslaut zu sein schien.

Die blauen Flugkäfer erfüllten die Luft. Blitze zuckten zwischen ihnen hin und her. Manche von ihnen fuhren hinauf in den Himmel und durchdrangen die dichte Wolkendecke, die sich daraufhin zunehmend aufzulösen begann. Es dauerte nicht lange, und die ersten Sterne waren am Nachthimmel zu sehen – und schließlich auch der Mond.

Gorian sah, wie Dutzende der Fackelträger aus den Reihen der Frostkrieger einfach leblos zu Boden fielen und im schmelzenden Schnee liegen blieben, ohne dass ihre untoten Kampfgefährten davon Notiz nahmen. Sie waren weiterhin in ihrem Singsang vertieft, der offenbar ein wesentlicher Teil des Zauberrituals war. Die Existenzkraft, mit der sie in ihrem untoten Leben ausgestattet waren, schien ihnen dabei allerdings wieder entzogen zu werden, und bei einigen wandelte sich der untote Zustand in dem des Todes.

Immer mehr der Frostkrieger öffneten in gleicher Weise wie Frogyrr den Mund, und auch aus ihren Schlünden drangen Schwärme von bläulichen Flugkäfern. Mehr und mehr der Untoten sanken daraufhin zu Boden, während Frogyrrs eigene Kraft nicht mehr ausreichte, die Kälte zu bewahren. Schnee und Eis schmolzen, von den Bäumen troff es nur so herab, der Schnee, der durch das Schmelzwasser schwerer wurde, ließ dutzendweise Äste brechen, und die Eiskrähen, die zuvor noch auf den Bäumen gehockt hatten, stoben völlig ungeordnet in alle Richtungen davon. Offenbar forderte dieses Ritual von Frogyrr alles an Kraft, und so war er nicht mehr in der Lage, dem Schwarm seinen Willen aufzuzwingen. Kreischend flogen die Vögel davon und verloren sich in der Nacht.

Die blauen Flugkäfer hingegen erzeugten ein geradezu ohrenbetäubendes Geräusch, das alles andere überdeckte, eine Mischung aus Schaben, Kratzen und Knacklauten. Sie schwirrten nicht mehr planlos durcheinander, sondern bildeten eine Glocke um den Tempel, die wohl genau die schon sehr zusammengeschrumpften Grenzen des magischen Schutzfeldes markierte. Dann knisterten aus ihren abertausenden Leibern feine bläuliche Blitze und trafen die Schutzbarriere. Es gab einen Knall. Für einen einzigen Augenaufschlag leuchtete der Nachthimmel blau auf, dann fielen die Flugkäfer vom Himmel.

Sie regneten auch auf Gorian herab, der zurück unter das Vordach des Tempelportals wich. Überall bedeckten sie innerhalb von wenigen Momenten den Boden, und das Geräusch, das dabei entstand, erinnerte an Hagelschlag. Der Nachthimmel war nun klar, mondhell und sternenübersät.

Von den untoten Frostkriegern stand nicht einmal jeder Dritte noch auf den Beinen. Ein übler Verwesungsgeruch wehte zum Tempel herüber.

Auch Frogyrr war offensichtlich geschwächt. Er stützte sich auf seinen Stab, blutete stärker als je zuvor aus seiner leeren Augenhöhle und schnappte regelrecht nach Luft. Kein tiefes, kraftvolles Knurren entrang sich mehr seinem Bärenmaul, sondern lediglich ein schwächlicher, ächzender Laut.

Zögernd drangen diejenigen Frostkrieger, denen noch genügend Existenzkraft geblieben war, in Richtung des Tempelportals vor. Der magische Schutz existierte nicht mehr.

Frogyrr machte eine ausholende Bewegung mit zwei seiner Tatzen und krächzte dazu etwas. Der verhältnismäßig schwache Gedankenbefehl, den er dazu aussandte, war auch für Gorian erfassbar. „Tötet ihn! Zerfleischt ihn! Lasst nichts von ihm zurück, das an ihn erinnert oder ein Gefäß seines Geistes sein könnte!“

Ein Speer wurde nach Gorian geschleudert. Er wich ihm aus, sodass die Spitze gegen das Gestein einer Säule klirrte. Eine Wurfaxt folgte und ein weiterer Speer sowie ein paar Pfeile, die mit orxanischen Langbögen abgeschossen wurden.

Gorian nahm einen der Speere und warf ihn zurück, traf einen der Frostkrieger in die Brust. Ächzend wankte dieser ein paar Schritte nach hinten und brach dann in sich zusammen, blieb reglos liegen. Dass ihn bereits ein einfacher Speer außer Gefecht setzte, bewies die außerordentliche Schwäche, die Gorians Gegner erfasst hatte. Doch keiner der anderen Frostkrieger beachtete den am Boden liegenden Untoten, der offenbar einfach nicht mehr mit genug Existenzkraft ausgestattet gewesen war.

Gorian zog seinen Dolch und hob außerdem eines der nach ihm geschleuderten Wurfbeile vom Boden auf. Er hatte sich vorgenommen, sein Leben in dem unausweichlichen Kampf so teuer wie möglich zu verkaufen. Mehr war wohl nicht mehr herauszuholen.

Nachdem die Frostkrieger begriffen, dass sie von keiner magischen Barriere mehr aufgehalten wurden, stürmten sie wild schreiend auf das Tempelportal zu.

Gorian wich ins Tempelinnere zurück. Die Frostkrieger erreichten das Portal und drangen schließlich in die alte Kultstätte ein. Gorian schleuderte einem der Feinde die Wurfaxt entgegen, sie blieb in der Schädeldecke des Untoten stecken und ließ ihn zurücktaumeln. An einer der Säulen rutschte er zu Boden, den Griff des gespaltenen Schwerts noch immer mit beiden Händen umklammert, und stieß einen brüllenden Laut aus, während die anderen Frostkrieger an ihm vorbeizogen und Gorian in den Altarraum folgten.

Gorian wich einem Pfeil aus. Er sah den Pfeilschuss einen Augenblick voraus, und das Geschoss schnellte dicht an seinem Kopf vorbei. Ein Wurfbeil fing Gorian mit einer Sicherheit aus der Luft, auf die ein angehender Schwertmeister stolz gewesen wäre. Umgehend schleuderte er die Waffe zurück und wehrte im nächsten Moment einen Speerwurf mit dem Dolch ab, dessen Klinge er genau im richtigen Moment gegen die Spitze des Speers prallen ließ.

Dutzende von Frostkriegern waren inzwischen in den Altarraum vorgedrungen. Sie näherten sich, in den Händen Schwerter und Äxte. Die wenigen Langbogenschützen unter ihnen hatte die Hoffnung aufgegeben, den Sohn Nhorichs mit einem schnellen Pfeil niederstrecken zu können; so schnell war einfach keiner von ihnen.

Aber die Übermacht war zu groß, als dass Gorian ihr lange Widerstand würde leisten können.

Noch zwei, drei Schritte lagen zwischen Gorians Fersen und dem Steinquader in der Mitte des Tempels. Das Mondlicht fiel durch die Öffnungen in der Tempeldecke. Die Strahlen trafen sich noch nicht auf dem Altar, aber es würde zweifellos nicht mehr lange dauern.

„Morygor!“, rief Gorian. „Hörst du mich? Kannst du nur deine Schergen ausschicken, oder hast du den Mut, dich selbst zu stellen!“

Er war überzeugt, dass Morygors Geist unter den Frostkriegern greifbar war. Vielleicht sah er sogar durch die Augen dieser untoten Krieger, um nur ja mitzubekommen, wie der zunächst missglückte Plan, seinen zukünftigen Widersacher zu töten, doch noch in die Tat umgesetzt wurde.

Die Frostkrieger verteilten sich im Altarraum, kreisten Gorian ein. Mit dem Rächer hätte er vielleicht ein oder zwei von ihnen für kurze Zeit auf Distanz halten können, aber nicht diese Übermacht. Von draußen waren die dröhnenden Laute Frogyrrs zu hören, der offenbar wieder an Kraft gewonnen hatte, denn auf den Steinplatten im Altarraum zeigten sich erste sich verzweigende Risse, die sich dieses Mal auch nicht wieder schlossen. Die Magie des Tempels schien besiegt.

„Stirb, Schicksalsstörer!“, erreichte Gorian ein Gedanke, der immerhin noch mächtig genug war, einen so heftigen Schmerz auszulösen, dass er für einen Moment schwankte. Allerdings war sich Gorian nicht sicher, ob diese Botschaft wirklich allein von Frogyrr stammte, oder ob sie nicht von dessen mächtigem Herr und Meister in der Eisfestung kam.

Ar-Don, jetzt könnte ich deine Hilfe gebrauchen!, dachte er.

„Ich fürchtete schon, du lässt dich lieber erschlagen, als nach mir zu rufen!“, antwortete ihm der Gargoyle.

Einer der orxanischen Untoten stürzte vor, schwang das gespaltene Schwert mit furchtbarer Wucht in Gorians Kopfhöhe. Gorian duckte sich einen kurzen Moment, bevor ihn der Hieb enthauptet hätte, und rammte dem Untoten den Rächer in die Brust, stieß dabei einen Kraftschrei aus, riss die Waffe sofort wieder zurück, ließ den Dolch blitzartig zur Seite fahren, sodass er genau die Schwerthand des Frostkriegers traf. Die Klinge aus Sternenmetall schnitt durch die Pranke des Orxaniers, hakte sich dann unter den Handschutz seines Schwerts und riss es ihm aus der Hand, im hohen Bogen flog es durch den Raum und klirrte auf den Boden.

Der untote Orxanier stieß einen Laut aus, der zugleich Wut und Verwunderung zum Ausdruck brachte, während er mit der unverletzten Pranke ein Wurfbeil aus dem Gürtel zu reißen versuchte.

Gorian wich einen Schritt zurück.

Genau in diesem Moment fiel die Strahlen des Mondes so durch die Öffnungen im Tempeldach, dass sie sich trafen: Ihr Schnittpunkt lag genau dort, wo sich Gorians Kopf befand. Seine vollkommen schwarzen Augen begannen daraufhin zu glühen, und grelle blaugrüne Strahlen schossen daraus hervor, trafen den Altar und ließen das Siebenerkreuz darauf erscheinen.

Der Frostkrieger schlug mit dem Wurfbeil ins Leere, denn Gorian wurde durch die magischen Kräfte des Mondlichts zurück- und zu Boden geschleudert. Der untote Orxanier aber wurde von einem bläulichen Blitz erfasst, als seine Axtklinge das Mondlicht streifte, er flog ein Dutzend Schritt weit durch den Tempel, und einige der anderen Frostkrieger mussten ihm ausweichen, bevor sein Körper schwer auf den Boden fiel.

Gorian erhob sich, fühlte sich leicht benommen, gleichzeitig aber erfüllt von einer fremden magischen Kraft. Mochte dies nun die des Mondes oder der Alten Götter oder gar die eines gebannten Gargoyles sein, es war ihm gleich. Er sah auf den Altar, starrte auf das zuerst silbern und dann golden schimmernde Siebenerkreuz.

„Du weißt, was zu tun ist“, vernahm er eine Gedankenstimme, bei der er sich nicht so recht im Klaren darüber war, wer sich ihm da in diesem Moment mitteilte - Ar-Don, Meister Domrich oder vielleicht die Wesenheiten, die man einst in diesem Tempel verehrt hatte und deren Namen man schon seit so vielen Zeitaltern nicht mehr auszusprechen wagte, dass sie vergessen waren.

Frogyrr befand sich am Tempelportal, das er aufgrund seiner Größe nicht durchschreiten konnte. Dass der Langzahnlöwe eine der Säulen zum Einsturz gebracht hatte, brachte den achtbeinigen Riesenbären keinerlei Erleichterung. Er brüllte ins Innere des Tempels, vielleicht einen Befehl in orxanischer Sprache, woraufhin die zögernden Frostkrieger wie durch einen einzigen Willen getrieben auf den Altar zustürmten.

Innerhalb eines einzigen Augenblicks sah Gorian sein gesamtes bisheriges Leben noch einmal vor seinem inneren Auge ablaufen. Alles hatte mit dem Erwachen auf einem Boot begonnen und den geflügelten Fischen, deren Auftauchen er einen kurzen, aber rettenden Moment vorhergesehen hatte. Er hatte nicht überlegt, sondern die Kraft wirken lassen, die einfach da gewesen war und ihn durchdrungen hatte. Eine Kraft, um derentwillen er sich immer wieder an diesen einen Moment erinnerte.

Gorian stieß einen Schrei aus. Einen Kraftschrei, wie er ihm noch nie zuvor - trotz aller geistigen und körperlichen Übungen – gelungen war. Gleichzeitig berührte er mit der rechten Hand das inzwischen rotgolden schimmernde Siebenerkreuz.

Gorians Hand verbrannte. Sie wurde schwarz, verkohlte, und zugleich war es ihm unmöglich, sie fortzuziehen. Aus dem Siebenerkreuz heraus durchstieß ein Lichtbogen seine Hand. Er fuhr genau durch jene Öffnung im Mauerwerk, durch die man auf den Brotbaum blicken konnte, an dessen Wurzeln Ar-Dons untote Überreste begraben und gebannt waren. Der Lichtbogen traf dort den Boden, und obwohl Gorian durch die Öffnung nichts als gleißendes Licht sehen konnte, wusste er dennoch, was vor dem Baum geschah. Er sah in seinem Kopf, wie sich die Erde auf einer Breite von vier Schritten öffnete, der Brotbaum mitsamt seinen weit verzweigten, bis an das Tempelgemäuer reichenden Wurzeln aus der Erde gerissen wurde und umstürzte und Dutzende steinerner Bruchstücke aus dem Boden schossen, sich im Flug zusammenfanden und einen kleinen steinernen Drachen bildeten, der etwa die Größe eine Katze hatte.

„Ar-Don ... hilft ... und tötet ...“

Während Gorian diesen Gedanken empfing, schlug einer der heranstürmenden Orxanier mit der Axt nach ihm. Der Hieb hätte unter normalen Umständen Gorian den Kopf gespalten wie einen Kürbis, doch bevor ihm die Axtklinge in den Schädel dringen konnte, bildete sich – ausgehend von der noch immer das Siebenerkreuz berührenden Hand - ein Lichtflor, der Gorian vollkommen einhüllte. Die Axt prallte so stark zurück, dass sie dem Orxanier fast aus der Pranke gerissen wurde.

Unterdessen sprang der gerade wiedererstandene Gargoyle mit weiten, raumgreifenden Sätzen auf den Tempel zu, breitete dabei seine Flügel aus und veränderte mehrfach seine Farbe, die zwischen einem feurigen Rot und Giftgrün changierte und dann zu einem kalten, an Eis erinnerndes Graublau wurde.

Als das Geschöpf nur noch wenige Schritte vom Gemäuer entfernt war, sprang es noch einmal empor, flatterte heftig mit den sich noch während des Fluges leicht vergrößernden Flügeln und jagte wie ein Katapultgeschoss durch die Öffnung in der Tempelwand.

Das steinerne Wesen traf den Kopf des Orxanier, der Gorian angegriffen hatte, und die Wucht des Zusammenpralls zerschmetterte den Schädel des Untoten.

Endlich gelang es Gorian, die Hand von dem Siebenerkreuz auf dem Steinaltar zu lösen. Der golden schimmernde Lichtflor umgab ihn jedoch noch immer, und von der Hand ging ein schier unglaublicher Schmerz aus, ein furchtbares Brennen, das auch den Rest seines Körpers erfasste. Seine Rechte war nur noch eine verkohlte Leichenhand. Sie erinnerte Gorian an die Toten nach dem großen Stadtfeuer von Twixlum, die er bei seinem ersten Schultag dort gesehen hatte.

Der wiedererstandene Gargoyle wütete unter den untoten Orxaniern. Er schnellte durch die Luft, riss ihnen mit seinen Krallen die Kehlen auf, biss ihnen Ohren und Nasen ab und wich ihren wütenden Schwertstreichen aus. Dann sprang er auf die Brust des Orxaniers, dem er den Schädel zertrümmert hatte, und sein steinerner Körper bildete zwei stachelartige Fortsätze aus, die er in den Leib des Frostkriegers versenkte. Die steinerne Beschaffenheit des Gargoyle ging auf den Frostkrieger über, er wurde eins mit Ar-Don, und innerhalb von wenigen Augenblicken bildete sich ein neuer Gargoyle, größer und stärker, dessen Masse etwa der eines Orxaniers entsprach und dessen Gesicht dem des Frostkriegers glich.

Einer der anderen Untoten wagte sich vor und schlug dem Gargoyle mit einem einzigen Hieb einen Flügel und einen Arm ab. Aber beides bildete sich sofort neu, ohne dabei noch einmal die Bruchstücke zu verwenden.

Das monströse Wesen sprang mehrere Schrittweit durch die Luft, flatterte wild umher und packte mit seinen plötzlich um das zweieinhalbfache anwachsenden Pranken den Kopf des Angreifers, riss ihn ab und schleuderte ihn bis unter das Tempeldach. Gleich darauf drangen mehrere aus dem Körper des Gargoyle wachsende Steinstacheln in den kopflosen Untoten, und innerhalb kurzer Zeit war auch dieser Frostkrieger zu einem Bestandteil des Gargoyle geworden, der nun an Größe und Kraft jeden Untoten im Altarraum bei Weitem übertraf.

„Kümmere du dich um den achtbeinigen Bären“, vernahm Gorian die Gedankenstimme Ar-Dons. „Lass ihn nicht entkommen. Töte ihn. Bestrafe ihn. Gib ihm alles, was du an Kraft gerade empfangen hast. Es wird ihn umbringen.“

„Ich kann nicht!“, rief Gorian laut, denn zu einem gezielten Gedanken war er nicht mehr in der Lage, zu groß war noch immer der Schmerz, der von der verkohlten Hand ausging und in immer neuen Wellen seinen gesamten Körper durchflutete.

Der stark vergrößerte Ar-Don schleuderte mit einem einzigen Prankenschlag einen weiteren Frostkrieger so heftig gegen die Tempelwand, dass vermutlich jeder Knochen in dem eigentlich recht robusten orxanischen Körper zerschmettert wurde. Dann wandte das steinerne Wesen den Kopf, veränderte dabei sein Gesicht, und Gorian erschrak, als er darin deutlich die charakteristischen Züge von Meister Domrich erkannte, so wie Gorian ihn in Ar—Dons Erinnerungen gesehen hatte.

„Du musst!“, dröhnte die Gedankenstimme des Gargoyle, bedrängender als je zuvor. „Denn wenn du das Feuer dieser Kraft in dir behältst, wird es dich verbrennen. Oder bist du aus Stein wie ein Gargoyle, dass du es über längere Zeit zu ertragen vermagst?“ Es folgte ein Gedanke, der mit einem dröhnenden Kichern begann und dann so fremdartig wurde, dass er sich weder in Worten noch in Tönen oder Bildern wiedergeben ließ.

Gleichzeitig stieß der Gargoyle einen Laut aus, der eine Mischung aus katzenhaftem Fauchen und wohlgefälligem Schnurren war, und stürzte sich auf einen weiteren Frostkrieger.

Gorian setzte sich in Bewegung, auf das Portal zu. Die rotgolden schimmernde Lichtaura umflorte ihn immer noch. Einen angreifenden Frostkrieger bemerkte er nicht schnell genug, aber dessen Schwerthieb glitt von der Aura ab, und einem zweiten Hieb wich Gorian aus, bevor ein von hinten kommender Prankenschlag des inzwischen auf die Größe eines melagiosischen Nashorns angewachsenen Gargoyle dem Frostkrieger das Rückgrat brach. Er fiel zu Boden, lag dort in unnatürlich verrenkter Haltung, machte aber noch eine schwache Abwehrbewegung, bevor ihm der nächste Prankenschlag Kopf und Schulterpartie zertrümmerte.

„Der Weg ist frei!“, erreichte Gorian Ar-Dons Gedanke.



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