Читать книгу Fünf Mörder: 5 dicke Strand Krimis - Alfred Bekker - Страница 31
21.
ОглавлениеSusanne Wille bewohnte ein kleines Apartment in Berlin-Mitte. Von dort hatte sie es nicht weit zu ihrem Arbeitsplatz. Aber ihre Wohnung war heute Abend nicht ihr Ziel.
Nach dem Verhör durch die Polizei hatte man sie gehen lassen. Klaus war inzwischen weggebracht worden. Sie hatte es nicht über sich gebracht, ihn noch einmal anzusehen. Sie wollte ihn anders in Erinnerung behalten. Und sie wollte ihren Plan ausführen. Den Plan, der langsam Gestalt angenommen hatte, als sie dort saß und auf das Ende der Untersuchung wartete. Auch dem Privatdetektiv hatte sie nichts gesagt. Eine Zeitlang hatte sie gezögert, denn er machte einen guten Eindruck.
Aber es war ihre Angelegenheit. Sie war entschlossen, ihren Plan durchzuführen und alle Konsequenzen auf sich zu nehmen.
Auch Schuster hatte sie nicht die ganze Wahrheit gesagt. Ein entscheidender Punkt fehlte. Ob er es bemerkt hatte?
Es war ihr letztlich auch gleichgültig. Was sie vorhatte, konnte er ihr ohnehin nicht abnehmen. Am Rande hatte sie mitbekommen, dass sich die wichtigen Computerbänder in Sicherheit befanden. Zwar freute es sie, aber es hatte im Grunde keine Bedeutung mehr. Nach dem Tod ihres Geliebten Klaus Romann war alles so sinnlos geworden. Sie hatte nur noch eine Aufgabe: Den Mann zur Rechenschaft zu ziehen, der Klaus getötet hatte.
Das Gesetz war ihr in dieser Beziehung keine Hilfe. Es gab keinen Beweis außer ihrem Wort. Sie wusste genau, was es hieß, wenn Aussage gegen Aussage stand. Nein, auf diese Weise war dem Mörder nicht beizukommen. Man würde ihn freilassen, und er würde sich ins Fäustchen lachen. Es gab nur eine Methode, ihn zu bestrafen.
Er musste ebenfalls sterben! Und vor seinem Tode sollte er noch wissen, wer ihn tötete und wofür.
Susanne Wille stellte den Wagen in einer Seitenstraße ab und ging das letzte Stück zu Fuß. Besonders wohl fühlte sie sich nicht. Das Herz klopfte ihr bis zum Hals, aber sie ging tapfer weiter.
Das nächtliche Leben in den Berliner Straßen hatte sie früher nie sonderlich fasziniert. Es war so ganz anders als am Tage. Ganz andere Leute trieben sich herum. Finstere Gestalten meistens, wie sie meinte. Langhaarige Gammler saßen am Straßenrand, tranken Bier und sangen irgendwelche bekannten Lieder.
Andere zogen, buntschillernd gekleidet, mit Blumen in den langen, ungepflegten Haaren, in ganzen Pulks in die bekannten Diskotheken und Klubs. Auch hier, in der Joachimsthaler Straße, war das an diesem Abend so. Und deshalb nahm sie an, hier genau richtig zu sein.
Neonröhren flackerten in den grellsten Farben, um Kundschaft anzulocken. Kellerkneipen, Imbissstuben und Nachtlokale aller Art reihten sich aneinander. Und die weiblichen Gestalten, die sich in den Hauseingängen zeigten, schienen nur darauf zu warten, dass ein paar Typen sie abschleppten. Von einem der Balkone dröhnte laute Beatmusik auf die Straße, und das Gekreische aus der Wohnung musste man über alle Stockwerke hören.
Sie hatte die Hände in die Taschen ihrer hellen Popelinejacke geschoben und ging möglichst weit zur Straße hin, um nicht angesprochen zu werden. Sie musterte die Häuser, an denen sie vorbeikam. Schließlich entschloss sie sich, in ein Kellerlokal einzutreten.
Es war laut, verqualmt und voll. Sie hatte einige Mühe, sich zu orientieren. Niemand schien Notiz von ihr zu nehmen. In einem etwas abgetrennten Raum waren einige jüngere Kerle mit einem Flipperautomat beschäftigt. Immer wieder wurde die Kugel durch die Feder abgeschossen und jagte klingelnd und knackend über die bunte Spielfläche, während auf der großen Anzeige die erreichten Punkte klackerten.
Die meisten trugen verwaschene Jeans und knallbunte Hemden, hatten ihre langen Haare seit mindestens einer Woche weder gewaschen noch gekämmt. Lässig hielten sie ihre Zigaretten im Mundwinkel, wie sie es wohl aus der Bravo oder dem Fernsehen kannten.
Gegenüber befand sich eine lange Bar. Dahinter zapfte ein dicker Barkeeper Bier ab. Ein Mädchen mit Afrolook und einer grell geblümten Bluse assistierte ihm beim Bedienen.
In der Mitte des Raumes gab es eine kleine, beleuchtete Tanzfläche. Daneben stand eine Music-Box, aus der lautstarke Rockmusik hämmerte. Auf der Tanzfläche befand sich kein Mensch. Eine Disco-Kugel drehte sich darüber und schickte die reflektierenden Lichtstrahlen bis an die Wände. Ansonsten gab es kleine Tische, die fast alle besetzt waren.
Es waren Menschen der unterschiedlichsten Art, alle Altersgruppen schienen vertreten zu sein, und an einigen Tischen wurde hemmungslos geknutscht und gefummelt. Susanne sich ein wenig hilflos um. Wenn sie nur wüsste, wie solche Typen aussahen, die sie jetzt brauchte!
Vielleicht war der Glatzkopf da drüben richtig oder der Affe mit der breiten, schwarzen Krawatte, dem Nyltesthemd, das im Discolicht bläulich schimmerte. Oder der Kerl mit der bunten Weste und der dicken Zigarre? Die Bob-Marley-Kopie an der Theke?
Wie sah ein Mann aus, der ihr eine Waffe beschaffen konnte?
Susanne Wille war sich sicher, dass ihr jeder dieser Typen LSD verkaufen konnte. Aber eine Schusswaffe?
Bevor sich die Aufmerksamkeit auf sie richtete, musste sie erst einmal von der Tür verschwinden. Sie ging an den Bartresen und bestellte eine Cola. Das Mädchen stellte ihr eine hin und kassierte, ohne groß aufzublicken. Sie hatte schon alle Typen gesehen, die man sich vorstellen konnte. Da gab es nichts Neues mehr.
Susanne nahm ihre Cola und schlenderte in den Nebenraum. Diese Jungen am Flipper mussten ihr doch einen Tipp geben können. Als sie die Typen näher in Augenschein nahm, merkte sie, dass sie alle ziemlich finster aussahen. Aber es war zu spät zurückzugehen. Man hatte sie gesehen.
Einer drehte sich vom Billard herum. Er trug eine ärmellose Jeansweste mit einem Peace-Zeichen über der nackten Brust, auf der noch ein silbernes, riesiges Peace-Zeichen an einer Kette baumelte. Er war mindestens einen Kopf größer als sie, und als er grinste, sah er zum Fürchten aus.
„Wen haben wir denn da!", rief er überrascht. „Was für eine niedliche Zaubermaus in unserer Mitte!“
Die anderen lachten beifällig und rückten näher. Susanne sah sich um, aber der Rückweg war ihr versperrt. Dort standen zwei baumlange Studententypen mit schulterlangen Haaren und Nickelbrillen, einem roten Stirnband, die Arme verschränkt, grinsend.
Der Kerl mit der Peacekette hatte gerade das Spiel beendet, wie die aufreizende Melodie verkündete. Er trat auf sie zu, nahm ihr das Colaglas aus der Hand und nippte daran.
Er verzog das Gesicht und spuckte aus. „Das kann man doch nicht trinken. Gebt der Dame mal was Ordentliches!“
Er winkte einen seiner Kumpel heran, einen Bullen von Kerl mit völlig kahlem Kopf. Sein Schädel glänzte wie poliert. Er hielt ihr ein Glas mit einer trüben Flüssigkeit hin.
Sie schüttelte den Kopf und wich zurück. „Nein, ich will das nicht trinken. Was wollen Sie von mir?“
Der erste hielt sie fest. „Nicht so schnell, mein Täubchen. Wenn du uns besuchen kommst, hast du auch einen Grund.“
„Sie tun mir weh“, sagte sie. „Lassen Sie mich los!“
„Peace, Mädchen! Keiner tut dir was. Du stehst unter meinem Schutz. Hier folgen alle meinem Kommando, verstehst du?“ Er wandte sich an die anderen. „Habe ich recht, Jungs?“
Wieder folgte grölende Zustimmung. Der Anführer sah sie an. In seinen Augen glänzte ein gefährliches Feuer. Entweder war er leicht verrückt, oder er stand unter dem Einfluss von Drogen. Wahrscheinlich beides.
„Man nennt mich den Engel der Achimsthaler", sagte der Typ. „Das kommt von meinen vielen guten Taten. Sie nennen mich alle den Engel. Natürlich nur meine Freunde. Du darfst mich auch so nennen.“
Sie reagierte nicht, und er schüttelte sie.
„Hast du mich verstanden? Und nun trink das!“
Er drückte ihr das Glas in die Hand, und während Tränen in ihre Augen stiegen, stürzte sie einen langen Schluck des Getränks hinunter. Der Alkohol brannte wie Feuer. Sie hustete.
Wieder lachten alle, als sie das Glas zurückgab, und der Typ, der es ihr gegeben hatte, lächelte. Er schien gar nicht mehr so unfreundlich und ging an seinen alten Platz zurück.
Susanne sah sich rasch um. Keiner der Kerle war inzwischen näher gerückt. Sie hielten alle respektvollen Abstand. Nur ihr Anführer, der Engel, stand in Reichweite vor ihr.
„Kann ich jetzt gehen?", fragte sie leise.
Der Engel tippte sie mit dem Zeigefinger an. „Du hast einen Grund, um hierher zu kommen, und den will ich wissen. Erzähl’ mir nicht, dass du dich einfach verlaufen hast. Ein Mädchen wie du geht nicht in eine solche Kneipe, das sieht man. Du kommst aus gutem Haus. Hab' ich recht, Jungs?“
Alle echoten Zustimmung, und der Engel sah sie wieder an. „Komm, Baby, rück raus mit der Wahrheit. Bist du weggelaufen von zu Hause oder hat dich dein Freund sitzenlassen?“
Jetzt perlten die Tränen über ihre Wangen, und sie konnte sich nicht mehr beherrschen. „Er ist tot!“, brach es aus ihr heraus.
Für einen Augenblick war Ruhe, dann begann lautes Stimmengewirr, denn alle hatten den Satz gehört.
„Haltet die Schnauze!“, brüllte der Engel. „Spielt weiter, ich kümmere mich schon um das Baby. Sie ist nichts für euch, das seht ihr doch!“
Die anderen sammelten sich wieder um den Flipperautomaten, während der Mann sie zu einem Tisch führte. Sie ließ es willenlos geschehen, denn jetzt war ihr alles gleichgültig. Der Engel flößte ihr noch einen der scharfen Drinks ein, und dann erzählte sie ihm, weshalb sie hier war.
„So? Eine Waffe willst du also haben. Sie haben deinen Kerl umgebracht, und du willst dich rächen." Es klang wie eine sachliche Feststellung, und es war wohl auch eine.
Sie nickte. „Ich weiß, wer es war, und ich werde ihn zur Verantwortung ziehen, denn er hat meinem Leben den Sinn genommen. Die Polizei wird ihn nie erwischen. Sie haben noch nicht mal einen Verdacht gegen ihn. Also muss ich die Sache selbst in die Hand nehmen.“
Der Engel nickte. „Das verstehe ich. Wir schätzen die Bullen auch nicht besonders, und wir regeln unsere Angelegenheiten auch lieber selbst. Allerdings habe ich noch nie von einem Mädchen gehört, das in dieser Weise reagiert. Du bist tapfer.“
Er schien echt begeistert zu sein. Das war die Sprache, die er verstand. Ein Typ, der seinen Spaß bei den Berliner Demonstrationen fand, wenn es heiß herging. Der über einen Wasserwerfer nur lachte und wohl einer von denen war, die sich provozierend dem scharfen Strahl entgegen stellten. Er würde ihr helfen. Susanne spürte es plötzlich.
„Sie können mir helfen“, sagte sie. „Ich brauche nichts weiter als eine Pistole. Ich will sie auch bezahlen, ich habe Geld. Aber ich habe natürlich keinen Schein und kann nicht einfach in ein Jagdgeschäft gehen und mir eine kaufen mit der Aussage, mein Mann ist im Grunewald der Oberförster.“
Er grinste. „Wir kaufen unsere Sachen auch nicht im Laden. Es gibt natürlich Quellen. Aber wer sagt mir, dass du nicht ein Spitzel bist? Dass du uns nur aushorchen willst?“
Sie schüttelte den Kopf. „Sehen Sie mich doch an! Ich habe meinen ganzen Mut gebraucht, um dieses Lokal zu betreten, und ich habe immer noch Angst, denn ich kenne diese Welt nicht. Trotzdem muss ich eine Pistole haben. Ich werde manches dafür geben.“
Er beugte sich vor, und sein heißer Atem streifte ihr Gesicht. „Auch mit mir in die Kiste hüpfen?“
Sie fuhr erschrocken zurück.
Der Engel lachte. „Schon gut, Baby, war nur ein Scherz. Ich werde dir helfen. Aber Pistolen sind teuer geworden heutzutage.“
„Ich sagte doch, dass ich die Waffe bezahlen werde. Was wollen Sie haben?"
„Ich habe keine Pistole zu verkaufen. Ich kann dir nur einen Typen nennen, der vielleicht eine hat.“
„Wo finde ich diesen Mann?“ fragte sie.
„Nicht so schnell, Baby, der Name kostet natürlich Geld. Er ist mir entfallen, und ich glaube, nur ein kleines Scheinchen kann helfen.“
„Wieviel?“, fragte sie sachlich.
Er blickte sie lauernd an. „Sagen wir, einen Hunderter.“
Susi nickte und kramte in ihrer Tasche. Sie zog zwei zerknüllte Fünfziger hervor und schob sie über den Tisch. „Und jetzt den Namen.“
Der Engel steckte die Scheine rasch ein, ehe die anderen die Transaktion mitbekamen. „Einer von den Jungs wird dich zu einem Mann bringen und ihm sagen, was du willst. Den Rest musst du dann selber erledigen.“
Susanne Wille nickte. „Das reicht mir. Ich danke Ihnen.“
Der Engel grinste. „Ich helfe, wo ich kann.“ Er drehte den Kopf und rief: „Hansi!“
Der Kahlköpfige kam heran.
„Gib ihm auch etwas, wenn er dich hingebracht hat. Zehn Mark oder so. Aber sag' ihm nichts von dem, was du mir gegeben hast, verstehst du!“
Er flüsterte mit Hansi, und der Kahlköpfige nickte mehrmals. Interessiert blickte er Susanne an, dann winkte er ihr, und sie folgte ihm.
Der Engel aus der Joachimsthaler sah ihr nach. Seine Finger tasteten nach dem Geld. „Meine Alte hätte nie für möglich gehalten, dass ich mal so ein guter Mensch werde“, murmelte er. „Ich bin viel zu hilfsbereit.“
Fast glaubte er selbst daran. Dann fiel ihm flüchtig ein, dass der alte Mann dem Mädchen noch einmal das Fell über die Ohren ziehen würde - aber das war nun mal der Lauf der Welt.
Er trat an den Flipper und stieß zwei seiner Leute zur Seite. „Ich glaube, ich bin dran!“