Читать книгу Fünf Mörder: 5 dicke Strand Krimis - Alfred Bekker - Страница 41
28.
Оглавление„In was für eine gottverlassene Gegend fahren Sie uns eigentlich?“, erkundigte sich Smirnow brummend. „Wir wollen doch aber nicht in den Osten rüber?“
Bernd Schuster zuckte mit den Schultern. „Gedulden Sie sich, wir sind gleich da. Außerdem ist es abgelegen, so dass uns niemand stören wird.“
Bernd blickte in den Rückspiegel. Der Schmächtige hatte inzwischen eine Pistole gezogen, die er auf Bernd gerichtet hielt. Smirnow selbst hatte seine Waffe wieder eingesteckt. Bernd wusste nicht, was besser war. Der Schmächtige war unter Umständen noch gefährlicher als Smirnow.
„Dort ist es.“ Bernd bog ab und fuhr durch ein offenes Tor, dessen Flügel nur noch so eben in den Angeln hingen. Die Gitterstäbe waren total verrostet. Kies knirschte unter den Reifen.
„Ein Schrottplatz?“, wunderte sich Smirnow.
„Ja. Hier ist aber kaum noch etwas zu holen. Der Besitzer ist vor zwei Jahren gestorben, und seitdem hat sich niemand mehr um den Platz gekümmert. Es ist alles verkommen. Natürlich sind auch keine Autowracks mehr angeliefert worden. Wir sind hier ungestört. Ich kenne den Platz von einem früheren Fall.“
Smirnow blickte angespannt nach draußen, als rechne er jeden Augenblick mit einer unangenehmen Überraschung, und auch der Schmächtige ließ in seiner Aufmerksamkeit nicht nach.
Bernd bremste den Wagen auf einem freien Platz, der von hohem Gras überwuchert wurde. An der einen Schmalseite befand sich eine windschiefe Hütte, die dem ehemaligen Besitzer als Büro gedient hatte. Die Aufschriften der Schilder waren verwaschen und aus
gebleicht. Sämtliche Fensterscheiben waren zerbrochen. Dies war noch nicht einmal für die Gammler und ihre Gruppen ein angenehmer Aufenthalt für einen Abend mit Alkohol und LSD.
„Hier ist die Stelle“, sagte Bernd, als der Wagen zum Stehen gekommen war. Er drehte den Zündschlüssel herum, und obwohl sie mitten in einer Großstadt waren, umfing sie die Stille. Den Verkehrslärm konnte man nur als fernes Rauschen hören.
„Versuchen Sie keinen Trick!“, drohte Smirnow. Er sah sich noch einmal nach allen Seiten um, dann stieg er aus.
„Wir sind ein bisschen früh dran“, bemerkte Bernd.
„Besser, als zu spät“, knurrte Smirnow.
Er beugte sich in den Wagen zurück. „Steigen Sie aus. Bleiben Sie dicht beim Wagen und halten Sie die Hände da, wo ich sie sehen kann.“
Bernd nickte und gehorchte. Angesichts der auf ihn gerichteten Waffe von Smirnows Begleiter blieb auch gar nichts anderes übrig. Seine eigene Pistole hatte man ihm schon aus dem Halfter gezogen. Er baute sich neben seinem Wagen auf und studierte die Umgebung.
‚Es gibt wirklich schönere Plätze zum Sterben. Und was wird Lucy sagen, wenn sie ihr die Nachricht bringen? Sie wird zusammenbrechen und einen Weinkrampf bekommen. Vielleicht tröstet sie sich dann aber rasch mit dem Gedanken, seine Lebensversicherung zu kassieren und endlich in den Westen zu gehen. Raus aus diesem verrückten Berlin, das jeden Tag neue Demonstrationen erlebte, die immer gewalttätiger wurden‘, dachte er.
Aber der Gedanke an seine junge, lebenshungrige Tochter machte ihn schwermütig. Rasch blinzelte er ein paarmal, um die aufsteigenden Gefühle wieder zu beseitigen.
Smirnow stapfte ein paar Schritte zur Seite und äugte misstrauisch in die alte Bude. Er ging um sie herum und gab der lose hin und her schwingenden Tür einen heftigen Fußtritt. Sie brach gänzlich aus den Angeln und fiel zu Boden, wobei eine Staubwolke aufwirbelte.
Er hob die Faust und drohte zu Schuster hinüber.
„Schnüffler, ich warne Sie! Wenn das hier ein Witz sein soll, werde ich nicht darüber lachen, das verspreche ich Ihnen.“
„Sie müssen schon noch etwas Geduld haben", gab Bernd zurück. „Mein Mann kommt schon noch.“
Ihre Köpfe fuhren herum, als sich das Geräusch eines Wagens näherte. Smirnow war mit einigen Schritten wieder bei ihnen und zog seine schwere Pistole, die er in Ermangelung eines Zieles durch die Gegend schwenkte.
„Wenn das eine Falle ist“, flüsterte er. „Dann sterben Sie als erster!“
Bernd nickte nur gleichmütig. Seine Augen beobachteten den zweiten Mann, dessen Aufmerksamkeit ein wenig abgelenkt war. Er wartete den Augenblick ab, in dem der Neuankömmling um die Ecke bog und auf den freien Platz fuhr. Er achtete überhaupt nicht darauf, um wen es sich handelte, sondern nutzte einfach die Situation.
Die beiden Russen starrten auf den Wagen, der auf sie zufuhr, und keine der beiden Waffen war in dieser Sekunde direkt auf Schuster gerichtet. Er hatte nur einen Sekundenbruchteil Zeit. Nämlich den winzigen Moment, den man braucht, um den Lauf einer Pistole herumzuschwenken und auf ein Ziel zu richten. Einen Fehlschuss konnte es bei der Entfernung von knapp zwei Metern kaum geben.
Bernd wirbelte herum, und seine Handkante zuckte herunter. Sie traf präzise das Handgelenk des Schmächtigen, der die Bewegung zwar kommen sah, sie aber nicht verhindern konnte. Er hatte nur noch so viel Zeit, einmal den Abzug zu betätigen.
Der Schuss löste sich, und das Geschoß pfiff haarscharf an Bernd vorbei. Dann war die Schusshand zur Seite geschlagen, und Bernd griff mit der freien Hand nach der Waffe. Gleichzeitig trat sein rechter Fuß in Aktion, und auch dieser traf genau die vorausberechnete Stelle. Es war sicher nicht sehr fair, aber es ging um sein Leben, und er hatte nur diese eine Chance.
Aus den Augenwinkeln heraus registrierte er, was die anderen machten. Smirnow war herumgefahren, als der Schuss krachte, aber er befand sich auf der anderen Seite des Wagens und konnte nicht sofort eingreifen.
Außerdem mischte sich auch der Neuankömmling in die Auseinandersetzung ein. Er hatte den Schuss wohl auf sich bezogen. Bernd hörte nur die Bremsen und den Schlag, der aufgerissen wurde. Dann krachten auch schon zwei Schüsse und einer davon schlug in die Karosserie seines Wagens ein.
‚Es reicht! Mein teures Gefährt wird in diesem Fall etwas zu häufig beschädigt!‘, dachte er wütend. Die Versicherung würde den Schaden natürlich nicht decken. Das würde wieder ein teurer Spaß werden.
Der Schmächtige war inzwischen stöhnend in die Knie gegangen, und Bernd hatte keine Mühe, ihm die Pistole aus der Hand zu reißen.
Trotzdem gab sich der Schmächtige noch nicht geschlagen. Bernd hielt die Waffe am Lauf, und ehe er sie herumdrehen konnte, war der Schmächtige wieder auf den Beinen und schwang seine Fäuste gegen ihn.
Bernd blockte den ersten Hieb mit dem hochgerissenen rechten Arm ab und konnte einem tückischen Tritt mit der Stiefelspitze gerade noch ausweichen. Dabei verlor der Russe aber das Gleichgewicht, und Bernd konnte im Gegenzug einen kräftigen Schwinger landen.
Der Schmächtige war bei dieser Form der Auseinandersetzung kein Gegner für ihn. Er stolperte zurück und versuchte, sein Gleichgewicht zurückzugewinnen.
Plötzlich zuckte er zusammen, und in seine Augen trat ein ungläubiger Ausdruck. Seine Lippen bewegten sich zitternd, als wollte er etwas sagen, dann wankte er wie betrunken hin und her und sank langsam nach vorn, die Hände auf die Wunde gepresst.
Bernd fuhr herum und sah Karsten Romann hinter der Tür seines Wagens stehen, eine Pistole im Anschlag. Er musste den Schmächtigen gerade erschossen haben!
Bernd warf sich sofort in Deckung, denn schon krachte der nächste Schuss. Eine Antwort kam von der anderen Seite des Wagens, wo Smirnow in Deckung lag. Er hatte die letzte Entwicklung wohl noch gar nicht mitbekommen.
„Romann! Hören Sie auf!“, brüllte er.
Der lachte nur wiehernd. Es hörte klang wie das Anzeichen beginnenden Irrsinns. Wieder hob er seine Pistole und gab einen Schuss ab. „Rücken Sie die Bänder heraus!", schrie er zurück.
Smirnow grunzte vor Überraschung. Dann schien er zu merken, dass sich jemand hinter ihm befand. Bernd hatte sich ein paarmal um seine Längsachse gedreht und befand sich jetzt genau hinter dem Russen im dichten Gras.
„Sie lassen jetzt besser Ihre Waffe fallen", sagte Bernd und umklammerte die russische Armeepistole mit beiden Händen.
„Der Verrückte dort drüben wird uns beide erschießen“, sagte Smirnow, ohne der Aufforderung zu folgen.
„Den lassen Sie ruhig meine Sorge sein“, sagte Bernd.
„Sie haben mich hereingelegt, wie?“ Smirnow lächelte schwach.
„Ich habe Ihnen von Anfang an gesagt, dass ich die Bänder nicht mehr habe. Sie wollten mir nicht glauben, und nun sitzen Sie in der Patsche. Ihr Kumpel ist tot, und Sie selbst könnten es auch gleich sein.“
„Warum haben Sie mich hierhergelockt?“
„Hier habe ich die besseren Chancen, das sehen Sie doch. Es hat geklappt, wie ich es wollte. Zwar hatte ich es nicht ganz so dramatisch erwartet, aber für mich hat sich die Situation gebessert."
Bernd spähte an Smirnow vorbei zu Romann hinüber. „Sagen Sie mir nur eines: Hat Romann selbst die Geschichte geplant?"
Smirnow lächelte müde. „Was spielt das jetzt noch für eine Rolle? Mein Auftrag ist vermasselt. Ich kriege die Bänder nicht, und ich werde auch mit der Waffe nicht schnell genug sein. Ich bin nämlich Realist, wissen Sie! Und glauben Sie nur nicht, dass es mir Spaß macht, hier mit der Schnauze im Dreck zu liegen und mich mit Verrückten herumzuschießen.“
„Sie haben sich diesen Mist doch ausgesucht! Sie mussten damit rechnen, dass einmal etwas schiefgeht." Bernd hatte genau beobachtet, wie Smirnow millimeterweise versuchte, den Lauf seiner Pistole in eine neue Schussrichtung zu drehen. Der Russe hatte noch lange nicht aufgegeben. Die Quatscherei sollte Schuster nur in Sicherheit wiegen. Ein Agent des KGB gab nicht so leicht auf.
„War es Romann?“, wiederholte Bernd seine Frage.
„Natürlich. Aber das wissen Sie doch selbst. Es ist doch nicht so schwierig zu erraten.“
„Und wer hat Romanns Bruder umgebracht?“
Diesmal sah Smirnow echt überrascht aus. „Sein Bruder? Ich wusste nicht, dass er überhaupt einen Bruder hat.“
Bernd nickte. Er glaubte Smirnow in dieser Beziehung. Die Überraschung war echt gewesen. Soviel Menschenkenntnis traute er sich zu. Aber wer hatte dann Klaus Karsten ermordet?
In diesem Augenblick fiel ein weiterer Schuss, aber es war ein neuer Klang. Bernd blickte in die Richtung, ohne Smirnow aus den Augen zu lassen. Er erkannte den Schützen.
Susanne Wille.
Sie stand zwischen zwei Autowracks und hielt ihre Pistole merkwürdig ungelenk in den Händen. Sie stand da wie eine Marionette, der man die Fäden durchgeschnitten hatte. Vermutlich hatte der Rückstoß der Pistole sie überrascht. Das Verblüffendste aber war, dass sie auf Karsten Romann geschossen hatte, ihren Chef.
Und dann war Bernd alles klar. Er selbst hatte seinen Bruder erschossen, und die Wille hatte es genau gewusst. Aber sie wollte ihren Geliebten allein rächen, und dies war die Gelegenheit, denn sie hatte den Treffpunkt doch mitbekommen.
Karsten Romann starrte fasziniert auf den neuen Feind. Er hatte seine Waffe sinken lassen, denn er wandte dem Mädchen die ungeschützte Seite zu. Er schien nicht mehr zu wissen, was er tat.
Dann kam Bewegung in ihn, und er lief weg. Susanne versuchte, den Lauf der Pistole hinterher zu richten, aber plötzlich ließ sie die Waffe fallen und schlug die Hände vors Gesicht.
Smirnow jedoch nahm die Chance wahr. Er zielte kurz, und ehe Bernd es verhindern konnte, krachte die Armeepistole.
Karsten Romann lief noch ein paar Schritte weiter, riss die Arme hoch und stürzte ohne einen Laut zu Boden. Sein Rücken hatte ein genügend großes Ziel geboten.
Bernd stürzte sich in einem gewaltigen Sprung auf den Russen, schlug zu, und nagelte ihn am Boden fest.
Der KGB-Agent grunzte, und die Pistole entglitt seiner schlaff werdenden Hand. Schuster nahm sie an sich und stand auf. Die Bewusstlosigkeit würde ein paar Minuten andauern. Herr Kerner vom BKA würde sich freuen, wenn Bernd ihm Smirnow brachte. Diesmal würde der Russe seinen Hals nicht aus der Schlinge ziehen können.
Bernd ging zu Susanne hinüber, die immer noch unbeweglich auf ihrem Platz stand. „Seien Sie froh, dass Sie ihn nicht getroffen haben“, sagte er leise. „Man kann Unrecht nicht mit neuem Unrecht gutmachen.“
Sie nickte. Tränen liefen über ihre Wangen. „Ich weiß. Und jetzt ist er trotzdem tot. Ich verspüre keine Befriedigung, sondern nur tiefe Trauer. Es ist alles so sinnlos."
„Es ist vorbei, und es wird weitergehen. Sie werden darüber hinwegkommen.“
Auf ihrem Gesicht lag ein bitterer Zug. Sie stieß die vor ihr liegende Waffe mit dem Fuß an. „Das ist keine Lösung, Sie haben recht. Aber es ist sehr einfach.“
Bernd antwortete nicht. Er ging zu Karsten Romann hinüber, der mit dem Gesicht nach unten am Boden lag. Die Kugel hatte ihn genau zwischen den Schulterblättern erwischt. Es war wirklich alles sinnlos, dachte er. Manchmal machte der Beruf einfach keinen Spaß.
Und von seinem Honorar musste er sich wohl auch verabschieden, da sein Auftraggeber nun tot war.
Bernd ging zu Smirnow zurück, der sich langsam wieder zu regen begann.
„Sagen Sie, steht auf Ihren Kopf eigentlich eine Belohnung?“
Smirnow blickte ihn verwirrt an.
„Schon gut“, sagte Bernd. „Warten wir auf die Herren vom BKA.“
Er nahm einen alten Hocker auf, der umgekippt vor der Hütte stand, und hockte sich darauf. Dann zündete er sich eine neue Roth Händle an und inhalierte den Rauch genüsslich.
‚Keine Sorge, Lucy, so leicht erwischt man deinen Papa nicht. Und über die nächste Demo reden wir vorher. Sonst gibt es mal eine Woche Stubenarrest. Wäre doch wohl gelacht, oder?‘
Aber da war sich Bernd Schuster nicht wirklich sicher.
Wenn er mit ihr schimpfte, sah sie furchtbar traurig aus und starrte auf den Boden.
Meistens endete der Abend mit einer großen Versöhnungsfeier, denn Lucy hatte eine Packung Miracoli Spaghetti zubereitet und ein wenig Parmesan darüber gestreut. Das waren ihre höchsten Küchenkünste, neben der gewärmten Büchse Ravioli oder vielleicht noch einer Suppentüte.
Er lächelte und erhob sich, als er die schwarzen Limousinen mit den Blaulichtern sah, die auf den Schrottplatz einbogen. In der Ferne näherten sich auch Martinshörner.
Das BKA war der Polizei wieder einmal ein Stück voraus.
ENDE