Читать книгу Krimi Doppelband 2222 - Alfred Bekker - Страница 10
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ОглавлениеEs war ein Donnerstag Anfang Juli. Viel zu früh legte sich die Dunkelheit auf die Stadt. Ich stand am Fenster meines Apartments und blickte in den grauschwarzen Himmel. Ein Gewitter braute sich zusammen.
"Dann eben nicht", murmelte ich und stellte meine Laufschuhe zurück in den Schuhschrank. Zum Joggen konnte ich auch später noch gehen. Nach dem Gewitter würde die schwüle Luft sich hoffentlich verzogen haben. Und dann würde es doppelt Spaß machen durch den Central Park zu traben.
Ich angelte mir eine Pizza aus dem Kühlfach und schob sie in den Mikrowellenherd. Zehn Minuten später saß ich mit dem dampfenden Stück und einer Dose Bier vor dem Fernsehgerät. Die Acht-Uhr-Nachrichten.
>Die Staaten Kalifornien und New York haben heute beschlossen, Ihre lange angedrohten Sanktionen gegen Schweizer Banken in die Tat umzusetzen...<
Ich mochte Sarah Boyle. Die dunkelblonde Nachrichtensprecherin strahlte eine Art von Weiblichkeit aus, die mich anzog, seitdem ich sie zum ersten Mal auf der Mattscheibe gesehen hatte.
>... weitere Bundesstaaten haben angekündigt, die Möglichkeiten eines Boykotts zu prüfen ...<
Viele der Nachrichtensprecher nervten mit einem verkrampften Grinsen, das sie wohl für ein Pokerface hielten. Nicht mal, wenn sie Horrormeldungen von Toten und Verletzten vortrugen, konnten sie sich dieses Grinsen verkneifen. Sarah Boyle dagegen sprach ernst und sachlich, und wenn besonders erschütternde Nachrichten auf ihrem Manuskript standen, zog sie kaum merklich die Augenbrauen hoch, und ihre Stimme nahm einen rauen Klang an.
>... wie ein Sprecher des Bürgermeisters mitteilte, hat die Stadt New York sich den Sanktionen bereits angeschlossen. Marc Cellinger aus der City Hall Manhattans ...<
Schon seit Monaten kam mir regelmäßig der Gedanke, sie einfach mal anzurufen. Nur, um ihr zu sagen, wie angenehm es wäre, wenn ihr sympathisches Gesicht auf der Mattscheibe erschien. Wer freut sich nicht über ein Kompliment, oder?
Statt Sarah war plötzlich ein von Reportern umringter Mann auf dem Bildschirm zu sehen. Die Einblendung stellte ihn als Finzanzchef des Bundesstaates Kalifornien vor.
>Kalifornien wird ab sofort neue Anlagen, Wertpapiere oder Immobiliengeschäfte mit den Schweizer Großbanken stoppen<, sagte er, und der Finanzhäuptling unserer schönen Stadt setzte noch einen drauf:
>Auch New York City wird sich entsprechend der Kongressempfehlung den Sanktionen gegen Schweizer Banken und Firmen anschließen. Wir denken sogar daran, sie auf Schweizer Produkte im Allgemeinen auszuweiten ...<
Ein Kongressabgeordneter kam zu Wort, ein Vertreter des Außenministeriums und ein Anwalt, der die Holocaust-Opfer beziehungsweise deren Hinterbliebene vertrat.
Erst nach dem Wetterbericht - oder genauer gesagt, nachdem Sarahs Gesicht für diesen Abend vom Bildschirm verschwunden war - machte ich mir klar, was ich da eben gehört hatte. Ich schnappte mir die New York Times dieses Donnerstages. Draußen grollte der Donner des durchziehenden Gewitters.
Beim Durchblättern der Zeitung hatte ich heute Morgen einen Hintergrundbericht über die Klage der Holocaust-Opfer gegen die Schweizer Banken überflogen. Den nahm ich noch einmal gründlich unter die Lupe.
Es ging um das Gold, das die Nazis in den dreißiger und vierziger Jahren ihren jüdischen Opfern geraubt und in der Schweiz deponiert oder verkauft hatten. Und es ging um die Konten von überlebenden oder getöteten Holocaust-Opfern, die angeblich nach Kriegsende von den Schweizer Banken unterschlagen worden waren.
Die Anwälte der Holocaust-Opfer verlangten 1,5 Milliarden Dollar Entschädigung. Die Banken hatten nicht einmal die Hälfte davon angeboten: 600 Millionen Dollar.
"Anderthalb Milliarden", murmelte ich und faltete die Zeitung zusammen. "Eine Menge Holz. Die Sanktionen werden sie wesentlich teurer zu stehen kommen."
Ich ging wieder zum Fenster und sah hinaus. Das Gewitter hatte sich inzwischen entladen, und der Regen nachgelassen. Ich holte meine Laufschuhe aus dem Schrank.
Eine halbe Stunde später trabte ich durch den Park. Ich genoss es, meine Lungen mit der gereinigten Luft zu füllen. Auf den Laubwäldern und über dem Wasserspiegel des Sees lag eine warme Dunstdecke.
Ich lief bis zum Anbruch der Dämmerung. Die Nachrichten hatte ich längst in einer Schublade der Kategorie zweitrangig in meinem Hirn abgelegt. In wenigen Tagen würden sie mich wieder einholen. Leider nicht in der Gestalt der schönen Sarah Boyle ...