Читать книгу Krimi Doppelband 2222 - Alfred Bekker - Страница 16
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ОглавлениеUrs Zimmermann stand vor der Glasfront seiner Hotelsuite und knöpfte sein Hemd zu. Die Aussicht auf den Central Park und die dahinter liegenden Apartmenthäuser der Westside war berauschend. Er liebte dieses Hotel. Jedem, der es wissen wollte, empfahl er das Carlyle als das beste Hotel in New York City.
Er stieg in die Hose seines weißen Sommeranzugs und streifte das Jackett über. Vor dem Spiegel des geräumigen mit rotem Marmor ausgelegten Badezimmers band er sich eine roséfarbene Krawatte um.
Für geschäftliche Gespräche im Big Apple war ihm die beste Garderobe gerade gut genug. Die New Yorker legten einen nach seinem Geschmack übertriebenen Wert auf Outfit und Etikette. Aber er hatte lang genug unter diesen Menschen gelebt, um zu wissen, was sie beeindruckte. Sogar die widerspenstige, graue Lockenpracht hatte er sich stutzen lassen.
Zimmermann verließ seine Suite und fuhr mit dem Aufzug hinunter in die Empfangshalle. Unter antiquarischen Kronleuchtern in antiquarischen Sitzgruppen vor antiquarischen Vitrinen saßen Männer und Frauen im Business-Lock und lasen Zeitungen - die New York Times, den New Yorker oder irgendwelche Wirtschaftsblätter. Von der Rezeption aus wurde ihm ein freundliches >Guten Morgen< zugerufen.
Zimmermann erwiderte den Gruß, angelte sich eine New York Times aus dem Zeitungsständer und blätterte sie durch. Im New Yorker Teil blieben seine Augen an einer Schlagzeile hängen. >Immobilienmakler tot aus seinem Schiff geborgen<. Die erste Spur von Paul Scalios Arbeit. Etwas zu radikal für Zimmermanns Geschmack. Aber das war nicht sein Problem.
"Mangelnde Anpassungsfähigkeit führt zum Untergang", dachte er. "Das ist in der Natur genauso wie in der freien Wirtschaft." Wyndham hätte es wissen müssen.
Eine der Empfangsdamen stellte ihm ungefragt einen Cappuccino hin. Man wusste hier schon, was er schätzte.
Seit mehr als zwei Wochen war er inzwischen in New York City. Unter dem Strich hatte er eine einigermaßen ausgeglichene Erfolgsbilanz zu verbuchen: Es gab nicht allzu viele Firmen und Banken, die den Regierungsbeschluss übermäßig ernst nahmen. Die wenigen Hardliner, auf die er getroffen war, unterteilte er in zwei Gruppen: große Fische und kleine Fische. Je nachdem wie viel Geld auf dem Spiel stand.
Die kleinen Fische hakte er ab. Die großen ließ er durch Frank Scalios Organisation unter Druck setzen. Wie Wyndham zum Beispiel.
Heute würde er es mit den beiden größten Fischen zu tun haben. Mit David Cohn, den Vorstandsvorsitzenden der >Transatlantik Traffic Bank<, und mit Washington Miller, dem Generaldirektor des >International Merchant Instituts<. Wie über alle seine Gesprächspartner, war er auch über diese beiden Männer bestens informiert.
Allein wenn er Miller und Cohn bewegen konnte, die anstehenden Verträge mit ihren Schweizer Geschäftspartnern zu unterschreiben, würde er schon mehr verdient haben, als in den letzten drei Jahren zusammen.
"Ihr Taxi ist bereits vorgefahren, Mr. Zimmermann", rief die Lady an der Rezeption ihm zu.
"Danke", winkte er und legte die Zeitung weg. Der Portier hielt ihm eine Flügeltür des Ausgangsportals auf, und Zimmermann nahm die vier Stufen der Vortreppe mit zwei Schritten. "Wall Street", sagte er und zog die Tür des Taxis hinter sich zu.
Miller würde das kleinere Problem sein. Der Bankchef stand zwar unter Druck, weil die Regierung damit drohen konnte, sich aus einigen wichtigen Geschäften zurückzuziehen. Aber Zimmermann würde ihn mit ein paar lukrativen Angeboten locken können. Außerdem wollten Scalios Leute dafür sorgen, dass er noch mit ihm sprechen konnte, bevor Regierungsvertreter aus Albany bei ihm klopfen würden.
Die härtere Nuss war zweifellos Cohn. Nicht nur weil er als Betonkopf galt. Der promovierte Volkswirtschaftler und dekorierte Golfkriegsveteran hatte auch ein sehr persönliches Interesse an möglichst hohen Wiedergutmachungszahlungen der Schweizer. Familiäre Interessen sozusagen.
Punkt elf Uhr saß er mit dem Generaldirektor des >International Merchant Instituts< im Besucherzimmer von dessen Etage. Washington Miller, ein farbiger Banker, hörte sich Zimmermanns Vorschläge mit unverhohlenem Interesse an. Der Mann gab nicht direkt zu, dass er die Beschlüsse vom zweiten Juli gelinde gesagt ärgerlich fand. Aber er ließ durchblicken, dass ihm die Geschäfte mit der Schweiz wichtiger waren, als gute Noten aus Albany und der City Hall.
Sie wurden sich einig, und erleichtert ließ Zimmermann sich zur >Transatlantik Traffic Bank< fahren. Sicher würde er auch bei Miller am Ball bleiben müssen. Aber der Vertragsabschluss war so gut wie unter Dach und Fach.
Punkt zwölf, wie verabredet, ließ David Cohn ihn durch seine Chefsekretärin in sein Büro bitten. Die Begrüßung verlief kurz und sachlich. Cohn gönnte ihm einen kräftigen Händedruck und forderte Zimmermann mit einer knappen Geste auf, ihm gegenüber an einem wuchtigen Jugendstilschreibtisch Platz zu nehmen.
Wenn ich nicht schon wüsste, dass er Reserveoffizier ist, würde ich es spätestens jetzt ahnen, dachte Zimmermann.
Ohne Umwege über den üblichen Small Talk kam Cohn zur Sache. "Sie haben in Ihrem Brief angekündigt, dass sie bevollmächtigt sind über die Investition in Bolivien zu verhandeln."
"Genau, Dr. Cohn - das Vertragswerk ist abgeschlossen, von beiden Seiten noch einmal juristisch überprüft worden und steht nächsten Dienstag zur Unterzeichnung an." Zimmermann lächelte gewinnend. "Meine Auftraggeber möchten sich gern vergewissern, dass Ihre Bank sich nicht durch den wechselhaften Wind politischer Tagesstimmungen ..."
"Wir werden nicht unterschreiben", unterbrach Cohn kühl. Er blieb völlig unbeeindruckt.
"Wir hätten größtes Verständnis dafür." Zimmermann sprach mit seinem volltönenden Bariton. Je härter sich eine Verhandlung gestaltete, desto nachdrücklicher pflegte er seine sanfte Schmeichelstimme einzusetzen. "Loyalität der eigenen Regierung gegenüber ist ein Wert, den wir auch in der Schweiz durchaus zu schätzen wissen, Dr. Cohn. Vorausgesetzt natürlich, die Beschlüsse der Regierung fundieren auf einem Mindestmaß an gesundem Menschenverstand. Und genau da, haben wir unsere Zweifel, wenn Sie mir die Bemerkung gestatten. Hier scheinen doch handfeste Interessen bestimmter Gruppen ..."
"Ich gestatte Ihnen jede Bemerkung, die Sie für angebracht halten, Mr. Zimmermann", unterbrach Cohn scharf. "Und Sie gestatten mir, dass ich in dieser Angelegenheit einen eigenen Standpunkt vertrete." Sein Gesicht schien wie aus Marmor gemeißelt zu sein. Der Mann hatte sein Mienenspiel vollkommen unter Kontrolle. Aus eisgrauen Augen musterte er seinen Besucher. "Wir werden nicht unterschreiben. Am Dienstag, sobald der Vorstandsbeschluss amtlich ist, werde ich veranlassen, dass Ihre Auftraggeber ein entsprechendes Schreiben erhalten."
Zimmermann gab noch nicht auf. Während er eine mentale Entspannungsübung machte, wies er Cohn auf juristische Schlupflöcher hin, rechnete ihm die Verluste vor, die ein Ausstieg für seine Bank mit sich bringen würde, und lockte ihn mit Investitionssummen aus seinem eigenen Geschäftsvermögen.
David Cohn blieb unbeugsam. "Tut mir außerordentlich leid, Mr. Zimmermann. Zurzeit sind keine Geschäfte mit unseren Partnern in der Schweiz geplant." Er stand auf und reichte ihm die Hand. "Es werden wieder bessere Zeiten kommen, glauben Sie mir."
Zimmermann verabschiedete sich mit der gebotenen Höflichkeit. "Schade", sagte er, bevor ihn die Sekretärin aus Cohns Büro führte. Mehr nicht.
Je weiter das Taxi ihn von der Wall Street weg zum Carlyle in der Upper East Side trug, desto schlechter wurde seine Stimmung. "Starrkopf ..." zischte er.
Der Taxifahrer vor ihm wandte den Kopf zum Font des Cabbys. "Haben Sie etwas gesagt, Mister?"
"Nein", beschied Zimmermann ihm knapp. Er begann seine Chancen zu sondieren. David Cohn war Vorstandsvorsitzender. Seine Stimme besaß ein großes Gewicht in dem geschäftsführenden Gremium der >Transatlantik Traffic Bank<. Man würde seine Empfehlung, das Geschäft platzen zu lassen, sehr ernst nehmen.
Gleichwohl gab es auch Leute im Vorstand der Bank, die ganz anders dachten. Aber Zimmermann hatte seine Zweifel, ob die sich gegen den hartnäckigen Cohn würden durchsetzen können. Es blieb keine Wahl - die legalen Mittel das Geschäft zu retten, waren ausgereizt. Heute war Freitag. Vier Tage blieben ihm, um wirkungsvollere Mittel zu finden.
Im Carlyle kochte man auf höchstem internationalen Niveau. Trotzdem schmeckte Zimmermann das Essen nicht. Die Millionenbeträge, die er durch Cohns Sturheit davonschwimmen sah, zogen seine Laune auf den Nullpunkt hinab.
Am frühen Nachmittag, gleich nach dem Essen, verließ er das Hotel und ging in Richtung Park Avenue. Nicht um einen Verdauungsspaziergang zu unternehmen, sondern auf der Suche nach einer Telefonzelle.
Es gibt Geschäfte, die sollte man nicht über sein Handy oder den Apparat des Hotelzimmers abwickeln. Das hatte Zimmermann nicht in Kriminalromanen gelesen, das wusste er aus eigener Erfahrung.
Auf der Ecke Park Avenue, 76th Straße fand er, was er suchte. Er betrat die Telefonzelle und wählte Frank Scalios Nummer. "Die Kurse von Britisch Broadcasting gefallen mir nicht. Wir sollten die Entwicklung im Auge behalten."
"Das sehe ich genau wie Sie, Sir." Frank unterbrach die Verbindung. Der Code besagte weiter nichts, als dass Zimmermann noch heute mit ihm oder Paul sprechen wollte. Auf einem der Bahnsteige des Grand Central Terminals würde er ihm heute Abend den Auftrag geben, einen gewissen David Cohn verschwinden zu lassen. Möglichst in den nächsten beiden Tagen, und möglichst ohne Blutvergießen.